Leitsatz (amtlich)
Zur Verfassungsmäßigkeit des Therapieunterbringungsgesetzes.
Verfahrensgang
Tenor
1. Die Verfahren werden zur gemeinsamen Entscheidung verbunden.
2.
- Der Beschluss des Saarländischen Oberlandesgerichts vom 30. September 2011 – 5 W 212/11-94 – und der Beschluss des Landgerichts Saarbrücken vom 2. September 2011 – 5 O 59/11 – verletzen den Beschwerdeführer in seinem Grundrecht aus Artikel 2 Absatz 2 Satz 2 in Verbindung mit Artikel 20 Absatz 3 des Grundgesetzes.
- Der Beschluss des Saarländischen Oberlandesgerichts vom 14. Mai 2012 – 5 W 44/12-22 – und der Beschluss des Landgerichts Saarbrücken vom 17. Februar 2012 – 5 O 59/11 Th – verletzen den Beschwerdeführer in seinem Grundrecht aus Artikel 2 Absatz 2 Satz 2 in Verbindung mit Artikel 20 Absatz 3 des Grundgesetzes.
3. § 1 Absatz 1 des Therapieunterbringungsgesetzes in der Fassung des Gesetzes zur Neuordnung des Rechts der Sicherungsverwahrung und zu begleitenden Regelungen vom 22. Dezember 2010 (Bundesgesetzblatt I Seite 2300) ist mit der Maßgabe mit dem Grundgesetz vereinbar, dass die Unterbringung oder deren Fortdauer nur angeordnet werden darf, wenn eine hochgradige Gefahr schwerster Gewalt- oder Sexualstraftaten aus konkreten Umständen in der Person oder dem Verhalten des Untergebrachten abzuleiten ist.
4. Im Übrigen werden die Verfassungsbeschwerden zurückgewiesen.
5. Das Saarland hat dem Beschwerdeführer zwei Drittel seiner notwendigen Auslagen zu erstatten.
Tatbestand
A.
Der Beschwerdeführer wendet sich unmittelbar gegen seine gerichtlich angeordnete Unterbringung nach dem Therapieunterbringungsgesetz. Mittelbar sind die Verfassungsbeschwerden gegen die Vorschriften des Therapieunterbringungsgesetzes selbst gerichtet.
I.
1. Mit dem Gesetz zur Neuordnung des Rechts der Sicherungsverwahrung und zu begleitenden Regelungen vom 22. Dezember 2010 wurde das „Gesetz zur Therapierung und Unterbringung psychisch gestörter Gewalttäter (Therapieunterbringungsgesetz – ThUG)” eingeführt, das am Tag nach seiner Verkündung zum 1. Januar 2011 in Kraft getreten ist (BGBl 2010 I S. 2300 ≪2305≫). Mit dem Therapieunterbringungsgesetz verfolgt der Gesetzgeber das Ziel, den sich im Anschluss an die Entscheidung des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte im Verfahren Mücke gegen Deutschland (EGMR, Urteil vom 17. Dezember 2009 – Beschwerde-Nr. 19359/04 – Mücke ./. Deutschland) ergebenden Schutzlücken im Anwendungsbereich der bisherigen Sicherungsverwahrung zu begegnen. Hierzu sollte für bestimmte Fälle eine Rechtsgrundlage geschaffen werden, die eine sichere Unterbringung der betroffenen Straftäter ermöglicht, ohne dabei gegen die Vorgaben der Konvention zum Schutz der Menschenrechte und Grundfreiheiten (– EMRK –) zu verstoßen (vgl. BTDrucks 17/3403, S. 14). Dies mache „eine Beschränkung des Anwendungsbereichs des neuen Gesetzes auf solche Fälle erforderlich, in denen sich die Gefährlichkeit der aus der Sicherungsverwahrung zu entlassenden oder bereits entlassenen Straftäter aus einer psychischen Störung ergibt” (BTDrucks 17/3403, S. 14.). Mit der Voraussetzung einer psychischen Störung reagierte der Gesetzgeber auf den durch den Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte festgestellten Verstoß gegen Art. 5 Abs. 1 EMRK (vgl. BTDrucks 17/3403, S. 14, 53 f.); mit der ebenfalls vorgegebenen therapiegerichteten Unterbringung sollte dem im Bereich der nachträglich verlängerten Sicherungsverwahrung festgestellten Verstoß gegen Art. 7 Abs. 1 Satz 2 EMRK begegnet werden (vgl. BTDrucks 17/3403, S. 14, 54 f.).
Mit dem Gesetz zur bundesrechtlichen Umsetzung des Abstandsgebotes im Recht der Sicherungsverwahrung vom 5. Dezember 2012 wurde § 2 ThUG um einen Absatz 2 erweitert; die Änderung ist zum 1. Juni 2013 in Kraft getreten (BGBl I S. 2425 ≪2430≫).
2. Zentrale Vorschrift des Therapieunterbringungsgesetzes ist § 1 ThUG, der sowohl die Vorgaben für den Anwendungsbereich des Therapieunterbringungsgesetzes enthält als auch die materiellen Voraussetzungen für die Unterbringung vorgibt. Die Norm hat in der seit Einführung unverändert geltenden Fassung folgenden Wortlaut:
§ 1
Therapieunterbringung
(1) Steht auf Grund einer rechtskräftigen Entscheidung fest, dass eine wegen einer Straftat der in § 66 Absatz 3 Satz 1 des Strafgesetzbuches genannten Art verurteilte Person deshalb nicht länger in der Sicherungsverwahrung untergebracht werden kann, weil ein Verbot rückwirkender Verschärfungen im Recht der Sicherungsverwahrung zu berücksichtigen ist, kann das zuständige Gericht die Unterbringung dieser Person in einer geeigneten geschlossenen Einrichtung anordnen, wenn
1. sie an einer psychischen Störung leidet und eine Gesamtwürdigung ihrer Persönlichkeit, ihres Vorlebens und ihrer Lebensverhältnisse ergibt, dass sie infolge ihrer psychischen Störung mit hoher Wahrscheinlichkeit das Leben, die körperliche Unversehrtheit, die persönliche Freiheit oder die sexuelle Selbstbestimmung einer anderen Person erheblich beeinträchtigen wird, und
2. die Unterbringung aus den in Nummer 1 genannten Gründen zum Schutz der Allgemeinheit erforderlich ist.
(2) Absatz 1 ist unabhängig davon anzuwenden, ob die verurteilte Person sich noch im Vollzug der Sicherungsverwahrung befindet oder bereits entlassen wurde.
Die hier in Bezug genommene „geeignete geschlossene Einrichtung” wird durch § 2 ThUG näher bestimmt. § 2 ThUG lautet in der seit dem 1. Juni 2013 gültigen Fassung (BGBl 2012 I S. 2425 ≪2430≫) – bis dahin bestand § 2 ThUG allein aus dem heutigen Absatz 1 – wie folgt:
§ 2
Geeignete geschlossene Einrichtungen
(1) Für die Therapieunterbringung nach § 1 sind nur solche geschlossenen Einrichtungen geeignet, die
1. wegen ihrer medizinisch-therapeutischen Ausrichtung eine angemessene Behandlung der im Einzelfall vorliegenden psychischen Störung auf der Grundlage eines individuell zu erstellenden Behandlungsplans und mit dem Ziel einer möglichst kurzen Unterbringungsdauer gewährleisten können,
2. unter Berücksichtigung therapeutischer Gesichtspunkte und der Sicherheitsinteressen der Allgemeinheit eine die Untergebrachten so wenig wie möglich belastende Unterbringung zulassen und
3. räumlich und organisatorisch von Einrichtungen des Strafvollzuges getrennt sind.
(2) Einrichtungen im Sinne des § 66c Absatz 1 des Strafgesetzbuches sind ebenfalls für die Therapieunterbringung geeignet, wenn sie die Voraussetzungen des Absatzes 1 Nummer 1 und 2 erfüllen.
Der hinzugekommene Absatz 2 nimmt für die geeigneten Einrichtungen Bezug auf den ebenfalls mit dem Gesetz zur bundesrechtlichen Umsetzung des Abstandsgebotes im Recht der Sicherungsverwahrung vom 5. Dezember 2012 eingeführten § 66c StGB (BGBl I S. 2425 ≪2425≫), der die Ausgestaltung der Sicherungsverwahrung nach den Vorgaben des verfassungsrechtlich geforderten Abstandsgebotes sicherstellen soll.
Neben diesen zentralen Vorschriften enthält das Therapieunterbringungsgesetz Regelungen zum Verfahren (§§ 3, 4 ThUG), zu den Rechtsmitteln (§§ 16, 17, 18 ThUG), zur Begutachtung (§ 9 ThUG), zur einstweiligen Anordnung (§ 14 ThUG), zu Dauer und Verlängerung der Unterbringung (§ 12 ThUG) sowie zur Aufhebung der Therapieunterbringung (§ 13 ThUG).
3. Mit der Einführung des Art. 316e Abs. 4 EGStGB durch das Zweite Gesetz zur Änderung des Einführungsgesetzes zum Strafgesetzbuch vom 20. Dezember 2012 – in Kraft getreten zum 28. Dezember 2012 – (BGBl I S. 2756) nahm der Gesetzgeber bestimmte Fälle einer vorangegangenen nur vorläufigen Unterbringung in der Sicherungsverwahrung ausdrücklich in den Anwendungsbereich des Therapieunterbringungsgesetzes auf. Art. 316e Abs. 4 EGStGB lautet wie folgt:
(4) § 1 des Therapieunterbringungsgesetzes vom 22. Dezember 2010 (BGBl. I S. 2300, 2305) ist unter den dortigen sonstigen Voraussetzungen auch dann anzuwenden, wenn der Betroffene noch nicht in Sicherungsverwahrung untergebracht, gegen ihn aber bereits Sicherungsverwahrung im ersten Rechtszug angeordnet war und aufgrund einer vor dem 4. Mai 2011 ergangenen Revisionsentscheidung festgestellt wurde, dass die Sicherungsverwahrung ausschließlich deshalb nicht rechtskräftig angeordnet werden konnte, weil ein zu berücksichtigendes Verbot rückwirkender Verschärfungen im Recht der Sicherungsverwahrung dem entgegenstand, ohne dass es dabei auf den Grad der Gefährlichkeit des Betroffenen für die Allgemeinheit angekommen wäre.
II.
Den Ausgangsverfahren liegt folgender Sachverhalt zugrunde:
1. Der Beschwerdeführer hat seit seinem 20. Lebensjahr, vorwiegend unter Alkoholeinfluss stehend, mehrfach Gewaltdelikte – meist mit Sexualbezug – begangen. Im Jahr 1970 wurde er unter anderem wegen Mordes zu einer Jugendstrafe von zehn Jahren verurteilt. Im Zustand erheblicher Alkoholisierung zwang er ein 16-jähriges Mädchen zum Geschlechtsverkehr und erwürgte es dabei (LG Saarbrücken, Urteil vom 11. Dezember 1970 – 27/70 –).
Wenige Wochen nach seiner Haftentlassung im Jahre 1979 drängte er die ihm bis dahin unbekannte Nachbarin seiner Schwester, die er bei einem Besuch im Treppenhaus getroffen hatte, in deren Wohnung, wo er sie im Anschluss an die Frage, warum sie keine Kinder habe und ob sie die Pille nehme, und den sich daraus entwickelnden Streit würgte, bis das Tatopfer sich befreien konnte. Aufgrund dieser Tat verurteilte ihn das Landgericht im Mai 1980 wegen gefährlicher Körperverletzung zu drei Jahren Freiheitsstrafe (LG Saarbrücken, Urteil vom 9. Mai 1980 – 4 – 4/80 –).
Nachdem er sich nach seiner Haftentlassung Anfang 1983 zumeist in England aufgehalten hatte, kehrte er Anfang 1988 nach Deutschland zurück. Im Februar 1988 überfiel er eine Frau, die er erst kurz zuvor kennengelernt hatte, indem er ihr an den Hals griff, sie würgte, in ein Waldgelände zerrte, trotz ihrer Gegenwehr entkleidete, auf sie einschlug und schließlich in unbekleidetem Zustand auf dem Waldboden zurückließ, ohne dass es noch zu dem von ihm zunächst beabsichtigten Geschlechtsverkehr gekommen war. Der Beschwerdeführer ließ die Geschädigte trotz Außentemperaturen von null Grad unbekleidet auf dem Waldboden zurück, wo sie über eine Stunde später von einer Passantin entdeckt wurde. Aufgrund seiner akuten Alkoholisierung bei der Tat und einer durch jahrelangen Alkoholmissbrauch eingetretenen Persönlichkeitsstörung hielt das Landgericht eine Schuldunfähigkeit im Sinne des § 20 StGB nicht für ausschließbar und verurteilte den Beschwerdeführer wegen vorsätzlichen Vollrauschs zu einer Freiheitsstrafe von vier Jahren und sechs Monaten; zugleich ordnete es gemäß § 63 StGB seine Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus an (LG Saarbrücken, Urteil vom 28. September 1989 – 1 – 2/89 –).
Nach Entweichung aus dem Landeskrankenhaus im Jahre 1990 – nur etwa vier Monate nach dem Beginn der Unterbringung – griff er in alkoholisiertem Zustand im Zimmer eines Bordells eine Prostituierte von hinten an, hielt ihr den Mund zu und würgte sie. Vom Kampfgeschehen aufmerksam geworden, löste eine andere Prostituierte Alarm aus. Wegen wiederum nicht auszuschließender Schuldunfähigkeit ordnete das Landgericht wegen dieser Tat erneut seine Unterbringung gemäß § 63 StGB an (LG Trier, Urteil vom 28. Februar 1991 – 2 Js 2399/90 – 5 KLs –).
In der Folgezeit befand sich der Beschwerdeführer – abgesehen von mehreren vorübergehenden Entweichungen – bis zum 23. Dezember 2005 im Maßregelvollzug in einem psychiatrischen Krankenhaus.
2. Mit Beschluss vom 28. November 2005 erklärte das Landgericht die beiden Anordnungen der Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus nach § 67d Abs. 6 StGB für erledigt, weil der Beschwerdeführer zwar noch gefährlich, aber nicht mehr erheblich in seiner Schuldfähigkeit beeinträchtigt sei (LG Saarbrücken, Beschluss vom 28. November 2005 – I StVK 709/05, 963/05 –). Ab dem 23. Dezember 2005 wurde der Beschwerdeführer zur Vollstreckung der noch ausstehenden Reststrafe in Strafhaft umgesetzt, deren Strafende auf den 22. Juni 2007 notiert war.
Auf Antrag der Staatsanwaltschaft ordnete das Landgericht vor vollständiger Verbüßung der Freiheitsstrafe mit Urteil vom 4. April 2007 die nachträgliche Sicherungsverwahrung gemäß § 66b Abs. 3 StGB in der bis zum 17. April 2007 geltenden Fassung vom 23. Juli 2004 (BGBl I S. 1838) an (LG Saarbrücken, Urteil vom 4. April 2007 – 14 AR 26/06 –). Gegen den Beschwerdeführer erging in der Folge am 15. Juni 2007 ein Unterbringungsbefehl gemäß § 275a Abs. 5 StPO in der Fassung vom 23. Juli 2004 (BGBl I S. 1838; im Folgenden: StPO a.F.), aufgrund dessen er während des weiteren Verfahrens einstweilen untergebracht blieb (LG Saarbrücken, Unterbringungsbefehl vom 15. Juni 2007 – 14 AR 24/06 –).
Auf die Revision des Beschwerdeführers hob der Bundesgerichtshof am 10. Februar 2009 das Urteil des Landgerichts vom 4. April 2007 auf und verwies die Sache an eine andere Kammer des Landgerichts zurück (BGH, Beschluss vom 10. Februar 2009 – 4 StR 391/07 –, juris).
Mit Urteil vom 17. Juli 2009 ordnete das Landgericht erneut die nachträgliche Sicherungsverwahrung gegen den Beschwerdeführer an (LG Saarbrücken, Urteil vom 17. Juli 2009 – 2 Ks 2/09 –). Die hiergegen gerichtete Revision hatte wiederum Erfolg: Mit Beschluss vom 12. Mai 2010 hob der Bundesgerichtshof, obschon das Landgericht die Voraussetzungen nach § 66b Abs. 3 StGB rechtsfehlerfrei bejaht habe, vor dem Hintergrund der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte auch dieses Urteil auf, wies den Antrag auf nachträgliche Sicherungsverwahrung zurück und ordnete die sofortige Freilassung des Beschwerdeführers an, die noch am selben Tag erfolgte (BGH, Beschluss vom 12. Mai 2010 – 4 StR 577/09 –, juris.).
Im Rahmen der auf fünf Jahre festgelegten Führungsaufsicht wurden dem Beschwerdeführer gerichtlich verschiedene Auflagen und Weisungen erteilt. Nach seiner Entlassung unterlag er polizeilicher Begleitung und Überwachung.
3. Am 12. Juli 2011 beantragte die Stadt Saarbrücken die Unterbringung des Beschwerdeführers nach dem Therapieunterbringungsgesetz und begehrte zugleich den Erlass einer einstweiligen Anordnung zur vorläufigen Unterbringung des Beschwerdeführers für die Dauer von drei Monaten.
Mit dem im Verfahren 2 BvR 2302/11 angegriffenen Beschluss vom 2. September 2011 ordnete das Landgericht die vorläufige Therapieunterbringung des Beschwerdeführers für die Dauer von drei Monaten an (LG Saarbrücken, Beschluss vom 2. September 2011 – 5 O 59/11 –). Die dagegen gerichtete sofortige Beschwerde wies das Oberlandesgericht mit ebenfalls angegriffenem Beschluss vom 30. September 2011 als unbegründet zurück (Saarländisches OLG, Beschluss vom 30. September 2011 – 5 W 212/11-94 –). In seiner Begründung setzte sich das Oberlandesgericht insbesondere mit den Fragen der Gesetzgebungskompetenz des Bundes für das Therapieunterbringungsgesetz, der Vereinbarkeit des Therapieunterbringungsgesetzes mit den Vorgaben des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte und der Anwendbarkeit dieses Gesetzes auf Fälle einer vorangegangenen (nur) vorläufigen Unterbringung in der Sicherungsverwahrung nach § 275a Abs. 5 StPO a.F. auseinander. Anschließend wandte es die Vorschriften des Therapieunterbringungsgesetzes auf den Beschwerdeführer an. Inhaltlich ergebe sich aus den bisherigen Gutachten für die im Rahmen der einstweiligen Anordnung zu treffende vorläufige Bewertung, dass der Beschwerdeführer mit seiner dissozialen Persönlichkeitsstörung an einer psychischen Störung im Sinne des § 1 Abs. 1 Nr. 1 ThUG leide, die den Anforderungen genüge, wie sie der in der Gesetzesbegründung in Bezug genommene Art. 5 Abs. 1 Satz 2 Buchstabe e EMRK voraussetze. Des Weiteren seien die Gutachten übereinstimmend zu einer „sehr hohen Wiederauftretenswahrscheinlichkeit erneuter Delikte der gleichen Oberkategorie” gelangt, so dass sogar der vom Bundesverfassungsgericht in seiner Fortgeltungsanordnung zur nachträglich verlängerten Sicherungsverwahrung aufgestellte erhöhte Gefährlichkeitsmaßstab erfüllt sei.
Das Landgericht verlängerte mit Beschluss vom 1. Dezember 2011 die vorläufige Unterbringung bis längstens 29. Februar 2012; dieser Beschluss ist nicht Gegenstand der Verfassungsbeschwerden.
4. Das Verfahren 2 BvR 1279/12 betreffend ordnete das Landgericht in der Hauptsacheentscheidung mit Beschluss vom 17. Februar 2012 die Unterbringung des Beschwerdeführers bis zum 1. März 2013 an (LG Saarbrücken, Beschluss vom 17. Februar 2012 – 5 O 59/11 –). Die hiergegen eingelegte Beschwerde wies das Oberlandesgericht mit Beschluss vom 14. Mai 2012 zurück (Saarländisches OLG, Beschluss vom 14. Mai 2012 – 5 W 44/12-22 –). Zur Begründung führte das Oberlandesgericht aus, der Beschwerdeführer weise eine psychische Störung im Sinne einer klassifizierten psychiatrischen Diagnose auf. Die nunmehr im Hauptsacheverfahren eingeholten Gutachten bekräftigten die bisher vielfach gestellten Diagnosen und bewerteten die vorliegende Störung als kombinierte Persönlichkeitsstörung mit emotional instabiler sowie dissozialer Persönlichkeit (ICD-10: F61 in Verbindung mit F60.2 und F60.3.), zu der eine Alkoholabhängigkeit hinzutrete (ICD-10: F10.2). Die nach § 1 Abs. 1 ThUG erforderliche hohe Rückfallwahrscheinlichkeit sei beim Beschwerdeführer vorhanden und beruhe auch auf der psychischen Störung. Die dissoziale und instabile Persönlichkeitsstörung habe sich immer wieder dahin ausgewirkt, dass es in bestimmten Situationen – insbesondere bei Zurückweisung durch Frauen – zu Impulsdurchbrüchen gekommen sei, aufgrund deren die Opfer lebensbedrohlich angegriffen oder sogar getötet worden seien. Es spreche zur Überzeugung des Gerichts alles dafür, dass der Beschwerdeführer in Freiheit in dieses Verhaltensmuster zurückfallen werde.
5. Im weiteren – hier nicht gegenständlichen – Therapieunterbringungsverfahren beantragte der Beschwerdeführer im September 2012 unter Hinweis auf eine Entscheidung des Bundesgerichtshofs (BGH, Beschluss vom 12. Juli 2012 – V ZB 106/12 –, juris) die Aufhebung der Therapieunterbringung mit sofortiger Wirkung. Der Bundesgerichtshof hatte zuvor auf eine Divergenzvorlage des Oberlandesgerichts Nürnberg hin entschieden, dass der Anwendungsbereich des Therapieunterbringungsgesetzes nicht eröffnet sei, wenn der Betroffene – wie der Beschwerdeführer – zuvor (nur) nach § 275a Abs. 5 StPO a.F. einstweilig untergebracht gewesen und nicht eine rechtskräftig angeordnete Sicherungsverwahrung vollzogen worden sei.
Das Landgericht lehnte den Antrag des Beschwerdeführers mit Beschluss vom 18. September 2012 ab (LG Saarbrücken, Beschluss vom 18. September 2012 – 5 O 59/11 –). Der Fall des Beschwerdeführers unterscheide sich von der Konstellation, über die der Bundesgerichtshof entschieden habe, dadurch, dass die Sicherungsverwahrung des Beschwerdeführers in einem Hauptsacheverfahren gerichtlich rechtsfehlerfrei angeordnet worden sei und lediglich der Vollzug dieser Anordnung aufgrund der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte habe unterbleiben müssen.
Auf die hiergegen gerichtete Beschwerde legte das Oberlandesgericht dem Bundesgerichtshof die Frage vor, ob von dem Erfordernis des Vollzuges der Sicherungsverwahrung in bestimmten Fällen eine Ausnahme gemacht werden könne (Saarländisches OLG, Beschluss vom 8. November 2012 – 5 W 391/12 –). Das Oberlandesgericht sah diese Ausnahme als gegeben an, weil nach dem dortigen Sachverhalt die Invollzugsetzung der Sicherungsverwahrung allein aufgrund der Rechtsprechung des Gerichtshofs unterblieben und das Urteil des Bundesverfassungsgerichts vom 4. Mai 2011 zum Zeitpunkt der Entlassung aus der Sicherungsverwahrung noch nicht ergangen war.
Am 23. Mai 2013 beschloss der Bundesgerichtshof, dass für eine Entscheidung der Vorlagefrage zur Anwendbarkeit des Therapieunterbringungsgesetzes kein Raum mehr sei, weil der Gesetzgeber die notwendige Klärung mit dem zum 28. Dezember 2012 in Kraft getretenen Art. 316e Abs. 4 EGStGB (BGBl I S. 2756) selbst herbeigeführt und den Fall des Beschwerdeführers nunmehr ausdrücklich in den Anwendungsbereich des Therapieunterbringungsgesetzes aufgenommen habe (BGH, Beschluss vom 23. Mai 2013 – V ZB 201/12 –, juris). Die Regelung des Art. 316e Abs. 4 EGStGB sei verfassungsgemäß und stelle insbesondere kein unzulässiges Einzelfallgesetz nach Art. 19 Abs. 1 Satz 1 GG dar.
III.
Mit den weitgehend gleichlautenden Verfassungsbeschwerden rügt der Beschwerdeführer in beiden Verfahren das Fehlen einer bundesrechtlichen Gesetzgebungskompetenz nach Art. 74 Abs. 1 GG (1.) sowie einen Verstoß gegen das – jeweils aus Art. 103 Abs. 2 GG folgende – Rückwirkungsverbot (2.) und Bestimmtheitsgebot (3.). Darüber hinaus macht er wegen des Fehlens einer gesetzlichen Grundlage für seine Unterbringung eine Verletzung des Art. 2 Abs. 2 Satz 2 in Verbindung mit Art. 104 GG geltend (4.).
1. Dem Bund fehle die Gesetzgebungszuständigkeit für das Therapieunterbringungsgesetz, weil das Gesetz entsprechend der in den Begründungen niedergelegten Konzeption gerade nicht mehr dem „Strafrecht” zuzurechnen sei und deshalb auch nicht auf den Kompetenztitel des Art. 74 Abs. 1 Nr. 1 GG gestützt werden könne. So werde die Unterbringung maßgeblich auf die im Zeitpunkt der Entscheidung vorliegende „psychische Störung” und die sich hieraus ergebende Gefahr gestützt. Es komme also nicht mehr – wie bei der Sicherungsverwahrung – auf einen „Hang” an. Auch die konkrete Ausgestaltung der Unterbringung (§ 2 ThUG) und des Verfahrens (§ 3 ThUG) sprächen für die Strafrechtsferne der Materie.
2. Sofern allerdings eine Zuständigkeit des Bundes über den Kompetenztitel Strafrecht begründet sei, verstoße das Therapieunterbringungsgesetz ebenso wie die vergleichbaren Regelungen zur nachträglichen Sicherungsverwahrung gegen das Rückwirkungsverbot aus Art. 103 Abs. 2 GG. In diesem Fall handle es sich auch beim Therapieunterbringungsgesetz – wie es der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte zur nachträglichen Sicherungsverwahrung festgestellt habe – um Strafrecht im Sinne des Art. 7 Abs. 1 EMRK, das deshalb den Beschränkungen des Rückwirkungsverbots unterliege.
3. Die Bestimmtheitsanforderungen aus Art. 103 Abs. 2 GG seien durch die nicht weiter eingegrenzte Voraussetzung der „psychischen Störung” in § 1 Abs. 1 Nr. 1 ThUG verletzt. Der Begriff sei zu weit, weil er den in Art. 5 Abs. 1 Satz 2 Buchstabe e EMRK umschriebenen Haftgrund, der nur Geisteskranke und Schuldunfähige erfasse, deutlich überziehe. Insbesondere könne er, der Beschwerdeführer, bei dem im Zusammenhang mit der Erledigung der Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus festgestellt worden sei, dass kein Zustand erheblich verminderter Schuldfähigkeit oder gar Schuldunfähigkeit mehr bestehe, nicht als „psychisch Kranker” im Sinne des Art. 5 Abs. 1 Satz 2 Buchstabe e EMRK erfasst werden. Zu unbestimmt sei auch die Bezugnahme auf eine Katalogtat aus § 66 Abs. 3 StGB, weil nicht festgelegt sei, ob irgendeine Verurteilung wegen einer Katalogtat ausreiche oder ob die Katalogtat Anlasstat für die Anordnung der Sicherungsverwahrung gewesen sein müsse.
4. Schließlich seien die Regelungen des Therapieunterbringungsgesetzes mangels vorausgegangener Sicherungsverwahrung auf ihn nicht anwendbar. Die dennoch erfolgte Therapieunterbringung verstoße wegen des Fehlens eines die Freiheitsentziehung rechtfertigenden förmlichen Gesetzes gegen Art. 2 Abs. 2 Satz 2 in Verbindung mit Art. 104 GG. Nach dem eindeutigen Wortlaut des § 1 Abs. 1 ThUG finde das Gesetz nur dann Anwendung, wenn die betroffene Person „deshalb nicht länger in der Sicherungsverwahrung untergebracht werden kann, weil ein Verbot rückwirkender Verschärfung im Recht der Sicherungsverwahrung zu berücksichtigen ist”. In Verbindung mit § 1 Abs. 2 ThUG, wonach dies unabhängig davon gelte, ob der Betroffene noch „im Vollzug der Sicherungsverwahrung ist oder bereits entlassen wurde”, ergebe sich eine Beschränkung auf einen Personenkreis, der sich in Sicherungsverwahrung befinde oder ehemals befunden habe. Demgegenüber sei er zu keiner Zeit durch rechtskräftige gerichtliche Anordnung in Sicherungsverwahrung gewesen, sondern lediglich aufgrund eines Unterbringungsbefehls nach § 275a Abs. 5 StPO a.F. vorläufig untergebracht worden. Die Ausdehnung des Anwendungsbereichs auf ihn stelle eine insoweit unzulässige Analogie dar.
IV.
1. Für die Bundesregierung hat das Bundesministerium der Justiz Stellung genommen. Es hält das Therapieunterbringungsgesetz für mit dem Grundgesetz vereinbar. Die Gesetzgebungskompetenz des Bundes sei gegeben. Die Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts aus dem Jahr 2004, der zufolge eine der nachträglichen Sicherungsverwahrung vergleichbare Maßnahme der Gefahrenabwehr gestützt auf Art. 74 Abs. 1 Nr. 1 GG der Gesetzgebungskompetenz des Bundes unterfalle, gelte in gleicher Weise für das Therapieunterbringungsgesetz. Eine Verletzung des verfassungsrechtlichen Rückwirkungsverbots liege ebenfalls nicht vor. Wie bei der Sicherungsverwahrung sei das strafrechtliche Rückwirkungsverbot aus Art. 103 Abs. 2 GG hier nicht einschlägig. Das aus Art. 20 Abs. 3 GG abgeleitete allgemeine Rückwirkungsverbot stehe der Unterbringung nach § 1 Abs. 1 ThUG nicht entgegen, da allenfalls ein Fall der sogenannten unechten Rückwirkung vorliege und die Voraussetzungen für eine zulässige Rückwirkung erfüllt seien. Das Therapieunterbringungsgesetz beachte auch die in der Abwägung zu berücksichtigenden Vorgaben aus Art. 5 Abs. 1 Satz 2 Buchstabe e EMRK. Im Übrigen sei es Aufgabe der Gerichte, die Voraussetzungen des Therapieunterbringungsgesetzes unter Beachtung des verfassungsrechtlichen Vertrauensschutzgebotes auszulegen und anzuwenden, was das Gesetz jedenfalls ermögliche. Schließlich genüge das Therapieunterbringungsgesetz auch den Bestimmtheitsanforderungen. Der Begriff der psychischen Störung werde durch die Gesetzesbegründung hinreichend konkretisiert. Dabei sei eine Einschränkung der Schuldfähigkeit im Grad der §§ 20, 21 StGB ebenso wenig erforderlich wie ein Leidensdruck des Betroffenen. Entscheidend sei vielmehr der Grad der objektiven Beeinträchtigung der Lebensführung, der anhand des gesamten – auch des strafrechtlich relevanten – Verhaltens zu bestimmen sei. Im Übrigen werde von einer Stellungnahme zu den mit den Verfassungsbeschwerden angegriffenen Entscheidungen abgesehen und lediglich auf die zum 28. Dezember 2012 in Kraft getretene Regelung des Art. 316e Abs. 4 EGStGB (BGBl I S. 2756) hingewiesen.
2. Das Ministerium der Justiz des Saarlandes, das sich im Verfahren 2 BvR 2302/11 geäußert hat, hält die Verfassungsbeschwerde für unbegründet. Dem Bund stehe die Gesetzgebungskompetenz aus Art. 74 Abs. 1 Nr. 1 GG unter dem Aspekt zu, dass historisch begründet auch spezialpräventive Reaktionen auf eine Straftat unter den strafrechtlichen Kompetenztitel fielen. Selbst wenn man eine historisch begründete Zuordnung ablehne, folge eine Gesetzgebungskompetenz des Bundes jedenfalls aus dem Gesichtspunkt des Sachzusammenhangs. Vertrauensschutzgebot und Bestimmtheitsgrundsatz seien gewahrt. Mangels Strafrechtscharakter im Sinne des Art. 103 Abs. 2 GG gelte kein absolutes Rückwirkungsverbot. Das Therapieunterbringungsgesetz begründe eine unechte Rückwirkung. Angesichts des insoweit vergleichbaren Eingriffsgehalts bei den sogenannten Altfällen der Sicherungsverwahrung sei in Anlehnung an die Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts der vertrauensschutzberührende Eingriff in das Freiheitsgrundrecht nur nach Maßgabe strikter Verhältnismäßigkeit und zum Schutz höchster Verfassungsgüter zulässig. Nach dieser Rechtsprechung seien als Voraussetzungen die Wahrung des Abstandsgebotes, die hochgradige Gefahr für die Begehung schwerster Gewalt- oder Sexualstraftaten und das Vorliegen eines Rechtfertigungsgrundes nach Art. 5 Abs. 1 Satz 2 Buchstabe e EMRK erforderlich. Ob nach § 1 Abs. 1 ThUG auch ein vertrauensberührender Eingriff in das Freiheitsrecht unterhalb dieses strengen Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes möglich sei, etwa weil sich die hochgradige Gefahr nicht auf schwerste Gewalt- oder Sexualstraftaten beziehe, könne im vorliegenden Verfahren offen bleiben, weil das Oberlandesgericht mit den Maßstäben des Bundesverfassungsgerichts korrespondierende Feststellungen getroffen habe. Durch die Bezugnahme auf die Voraussetzungen des Art. 5 Abs. 1 Satz 2 Buchstabe e EMRK erfahre der Begriff der psychischen Störung eine dem Bestimmtheitsgebot genügende tatbestandliche Konturierung unterhalb der Schwelle der §§ 20, 21 StGB, die es den Gerichten ermögliche, diesen unbestimmten Rechtsbegriff im Einzelfall anzuwenden. Im Übrigen werde der verfassungsrechtlichen Würdigung des Gesetzes durch das Oberlandesgericht gefolgt. Die Anwendung des Therapieunterbringungsgesetzes begründe ebenfalls keinen Grundrechtsverstoß. Die Anwendung des Therapieunterbringungsgesetzes im vorliegenden Fall, in dem gegen den Beschwerdeführer lediglich eine einstweilige Unterbringung im Sinne des § 275a Abs. 5 StPO a.F. verhängt worden sei und es an der Rechtskraft der angeordneten Sicherungsverwahrung gefehlt habe, lasse sich im Wege der Auslegung begründen, wobei insbesondere das Gesetzgebungsverfahren dieser Auslegung nicht entgegenstehe.
3. Der Präsident des Bundesgerichtshofs verweist auf die Stellungnahme des Vorsitzenden des 5. Strafsenats, der zum Begriff der psychischen Störung auf das Urteil vom 21. Juni 2011 (BGHSt 56, 254) Bezug nimmt. Darüber hinaus teilt er gemäß den Äußerungen der Vorsitzenden der anderen Strafsenate und des Vorsitzenden des mit der Therapieunterbringung befassten V. Zivilsenats mit, dass Verfahren, bei denen die Beendigung der Sicherungsverwahrung wegen des Verbots rückwirkender Verschärfung im Recht der Sicherungsverwahrung in Betracht komme, nicht anhängig seien. Im Übrigen werde von einer Stellungnahme zu den aufgeworfenen verfassungsrechtlichen Fragen abgesehen.
4. Der Generalbundesanwalt hält die Verfassungsbeschwerden für unbegründet, soweit sie sich mittelbar gegen das Therapieunterbringungsgesetz richten. Der Bund verfüge nach Art. 74 Abs. 1 Nr. 1 GG über die erforderliche Gesetzgebungskompetenz; jedenfalls sei er unter dem Gesichtspunkt des Sachzusammenhangs zur Regelung befugt. Das Therapieunterbringungsgesetz verstoße nicht gegen das Rückwirkungsverbot des Art. 103 Abs. 2 GG, das insoweit nicht anwendbar sei, und begründe ferner keinen Verstoß gegen das allgemeine Vertrauensschutzgebot aus Art. 2 Abs. 2 GG in Verbindung mit Art. 20 Abs. 3 GG. Der Gesetzgeber habe dabei das Vertrauen des Einzelnen gegen die Bedeutung des gesetzgeberischen Anliegens abwägen dürfen und eine Gewichtung im Rahmen des gesetzgeberischen Gestaltungsermessens vorgenommen. Die Bedingungen für die Anwendung des Therapieunterbringungsgesetzes korrespondierten weitgehend mit denjenigen, die das Bundesverfassungsgericht in seinem Urteil vom 4. Mai 2011 für die Sicherungsverwahrung formuliert habe. Jedenfalls im Wege der verfassungskonformen Auslegung ließen sich die für die nachträgliche Sicherungsverwahrung geltenden Anforderungen auf die von § 1 ThUG erfassten Konstellationen übertragen. Das Therapieunterbringungsgesetz genüge durch das Element der „psychischen Störung” den Erfordernissen von Art. 5 Abs. 1 Satz 2 Buchstabe e EMRK. Es orientiere sich explizit an den Vorgaben der Konvention und deren Auslegung durch den Gerichtshof und gewährleiste durch Übereinstimmungen in der Wortwahl eine dynamische Anknüpfung an deren Schutzniveau. Aus diesem Grund bedürfe es für die Beurteilung der Konventionskonformität keiner abschließenden Entscheidung, ob für eine psychische Störung zumindest eine verminderte Schuldfähigkeit nach § 21 StGB vorliegen müsse. Zudem handle es sich nicht um ein unzulässiges Einzelfallgesetz im Sinne des Art. 19 Abs. 1 Satz 1 GG. Das Therapieunterbringungsgesetz betreffe einen bestimmbaren, jedoch offenen Personenkreis, der sachlich abgegrenzt und in sich gleichartigen Regeln unterworfen sei. Schließlich entspreche das Gesetz auch dem vom Freiheitsrecht geforderten Bestimmtheitsgebot aus Art. 104 Abs. 1 Satz 1 GG. Insbesondere der Begriff der „psychischen Störung” bedürfe dabei einer klaren Konturierung, sei jedoch einer einschränkenden Konkretisierung durch die Rechtsprechung im Wege einer grundrechtsschonenden Auslegung zugänglich.
Soweit der Beschwerdeführer im Verfahren 2 BvR 2302/11 unter dem Gesichtspunkt seines Freiheitsrechts dagegen die Rechtsanwendung der Fachgerichte im Einzelfall rügt, hält der Generalbundesanwalt die Verfassungsbeschwerde für zulässig und begründet. Das Freiheitsgrundrecht des Beschwerdeführers aus Art. 2 Abs. 2 Satz 2 GG in Verbindung mit Art. 104 Abs. 1 Satz 1 GG werde insofern verletzt, als der Anwendungsbereich des Therapieunterbringungsgesetzes auch auf den Fall der vorläufigen Unterbringung nach § 275a Abs. 5 StPO a.F. erstreckt werde. Dadurch würden die Grenzen zulässiger Auslegung überschritten und liege ein Verstoß gegen das Analogieverbot bei freiheitsentziehenden Maßnahmen vor.
5. Der Deutsche Richterbund äußert in seiner Stellungnahme Bedenken im Zusammenhang mit dem Therapieunterbringungsgesetz und stellt exemplarisch Probleme im praktischen Umgang mit dem Gesetz dar. Die Vereinbarkeit des § 1 ThUG mit der Konvention zum Schutz der Menschenrechte sei problematisch. Insbesondere sei im Hinblick auf Art. 5 Abs. 1 Satz 2 Buchstabe e EMRK zweifelhaft, ob die „psychische Störung” nach der Definition durch das Bundesverfassungsgericht mit der Auslegung des Begriffs „unsound mind” in Art. 5 Abs. 1 Satz 2 Buchstabe e EMRK in Einklang stehe. Die Vermutung liege nahe, dass der Gerichtshof mit seinem Kronfeldner-Urteil vom 19. Januar 2012 Bedenken dagegen äußern wollte, eine psychische Störung auch dann unter den Begriff „unsound mind” zu subsumieren, wenn diese die Verantwortlichkeit des Betroffenen nicht in strafrechtlich relevanter Weise beeinträchtige oder sonst eine stationäre psychiatrische Behandlung dringend erfordere. Bedenklich sei auch, dass nicht in ausreichendem Maße geeignete geschlossene Einrichtungen rechtzeitig geschaffen worden seien, was wiederum dazu führe, dass der Vollzug der Unterbringung als „Strafe” erscheine und damit in Konflikt mit Art. 7 Abs. 1 EMRK stehe. Zwar seien die Regelungen des Therapieunterbringungsgesetzes von befragten Praktikern als grundsätzlich handhabbar beschrieben worden. Allerdings würden zu mehreren Punkten Zweifel an der Beachtung der Bestimmtheitsanforderungen aus Art. 104 Abs. 1 GG geäußert. Aus einem Land sei von praktischen Problemen mit der Beauftragung eines geeigneten Sachverständigen berichtet worden. Probleme im Zusammenhang mit dem Vollzug der Therapieunterbringung seien – mit einer Ausnahme – bislang nicht bekannt.
6. Der Deutsche Anwaltverein, der zum Verfahren 2 BvR 2302/11 Stellung genommen hat, hält die Verfassungsbeschwerde für begründet. Das Therapieunterbringungsgesetz sei nicht durch die Gesetzgebungskompetenz des Bundes für die Materie Strafrecht aus Art. 74 Abs. 1 Nr. 1 GG gedeckt. Zwar knüpfe die Therapieunterbringung an eine Straftat an; es fehle jedoch an einem Sachzusammenhang zwischen Anlasstat und Unterbringung. Hinzu komme, dass für die Entscheidung ausschließlich die Zivilkammern der Landgerichte zuständig seien. Eine solche Zuständigkeit für eine Materie des Strafrechts sei ungewöhnlich und spreche zusätzlich gegen einen Sachzusammenhang. Inhaltlich liege kein Verstoß gegen das Rückwirkungsverbot und das Bestimmtheitsgebot aus Art. 103 Abs. 2 GG vor, weil Art. 103 Abs. 2 GG auf die Therapieunterbringung nicht anwendbar sei. Die Freiheitsentziehung werde dem allgemeinen Vertrauensschutzgebot nach Art. 2 Abs. 2 Satz 2 GG in Verbindung mit Art. 20 Abs. 3 GG gerecht und genüge den allgemeinen Bestimmtheitsanforderungen aus Art. 20 GG. Die Konkretisierung des unbestimmten Rechtsbegriffs der „psychischen Störung” könne anhand der Rechtsprechung des Gerichtshofs zu Art. 5 Abs. 1 Satz 2 Buchstabe e EMRK, der Gesetzgebungsmaterialien sowie der Auslegung durch das Bundesverfassungsgericht erfolgen. Die Anordnung der vorläufigen Unterbringung des Beschwerdeführers verstoße jedoch gegen Art. 2 Abs. 2 in Verbindung mit Art. 104 Abs. 1 GG, weil die Anwendung des Therapieunterbringungsgesetzes auf den zuvor nur nach § 275a Abs. 5 StPO a.F. untergebrachten Beschwerdeführer einen Verstoß gegen das Analogieverbot darstelle.
7. Die Deutsche Gesellschaft für Psychiatrie, Psychotherapie und Nervenheilkunde (DGPPN) äußert sich in ihrer Stellungnahme zur Unterbringung nach dem Therapieunterbringungsgesetz aus psychiatrischer und psychotherapeutischer Sicht.
Mit dem Begriff der „psychischen Störung” ziele das Therapieunterbringungsgesetz auf eine in ihrer Verantwortlichkeit letztlich nicht erheblich beeinträchtigte Personengruppe ab. In Anbetracht der Diskussion um die Ausgestaltung dieses neuen Rechtsbegriffs sei zu befürchten, dass die bewährte und etablierte Klassifikation und Nomenklatur hierdurch Schaden nehme. In der psychiatrischen Versorgung bewährte Begriffe würden beschädigt, wenn sie Bestandteil von Gesetzestexten würden. Durch die Nutzung dieser Begrifflichkeiten für (straf-)rechtliche Zwecke komme es zu einer Stigmatisierung psychiatrischer Patienten. Nicht zuletzt durch notwendige Überarbeitungen psychiatrischer Klassifikationen – durch welche im Übrigen die Intention des Gesetzgebers nach einer beständigen Kategorie verfehlt werde – komme es zu einer Unterscheidung von Gesetzesmerkmalen einerseits und den psychiatrischen Begriffen andererseits. Die Klassifikationen ICD-10 und DSM-IV seien explizit nicht zur Verwendung für juristische Belange konzipiert worden. Im Zusammenhang mit der Sicherungsverwahrung suggeriere der Begriff der „psychischen Störung” eine Verbindung mit erheblicher Gefährlichkeit. Dies treffe aber auf fast alle Patienten, die die Kriterien einer psychischen Störung erfüllten, gerade nicht zu. Die Diagnose nach DSM-IV sei umstritten, da die Kriterien bereits durch wiederholte Regelverstöße und Verhaltensauffälligkeiten erfüllt würden, psychopathologische Symptome hingegen nicht notwendig seien. Zudem seien mit einer „psychischen Störung” vielfältige Störungen mit unterschiedlichsten Auswirkungen verbunden. Bezogen auf das Therapieunterbringungsgesetz werde hierdurch das Eingangsmerkmal der „psychischen Störung” unscharf. Bei einer psychischen Störung gehe es stets um einen klinischen Komplex, der eine psychiatrisch-psychotherapeutische Expertise erfordere. Durch die Vornahme rechtlicher Wertungen werden die psychiatrische Konzeption und das Verständnis in den diagnostischen Manualen verlassen. Selbst wenn eine „psychische Störung” fachgerecht festgestellt werden könne, sei zweifelhaft, ob dadurch die Zielgruppe umfassend erreicht werden könne.
Aus psychiatrischer Sicht sei eine „Konnexität” zwischen Störung und Gefährlichkeit zu fordern. Naheliegend sei die Kausalität der Verknüpfung zwischen einer Straftat und einer psychischen Störung, wenn diese die Einsichts- oder Steuerungsfähigkeit bei Begehung der Tat zumindest in erheblicher Weise beeinträchtigt habe und insofern die Verantwortlichkeit erheblich eingeschränkt oder gar aufgehoben gewesen sei. Betroffene mit einer in diesem Sinne die strafrechtliche Verantwortlichkeit einschränkenden Störung seien aber gerade nicht Zielgruppe des Therapieunterbringungsgesetzes, welches eine nicht verantwortungsrelevante Störung durch Verwendung des Wortes „infolge” mit Gefährlichkeit verknüpfe. Die nicht verantwortungsrelevante Beeinträchtigung trete neben die volle Verantwortlichkeit des Täters für seine Tat. Dies sei jedoch widersprüchlich und hochproblematisch, da es grundsätzlich das Verständnis vom Verhältnis zwischen Verantwortlichkeit und Persönlichkeitseigenschaften berühre. Allenfalls könne man einen korrelativen Zusammenhang in der Form diskutieren, dass die Störung mit einer erhöhten Wahrscheinlichkeit weiterer rechtswidriger Handlungen korreliere, wobei es sich jedoch nicht um einen inhaltlichen, sondern um einen statistischen Zusammenhang handle.
Im Zusammenhang mit dem Erfordernis der „Gefährlichkeit” stelle sich die Frage nach der tatsächlichen Gefahr und damit nach den so genannten „Falsch Positiven”. Falsch positive Beurteilungen gingen zulasten des Betroffenen und forderten diesem ein Sonderopfer ab. Studien würfen die Frage auf, ob der Anteil derjenigen, von denen tatsächlich eine Gefahr ausgehe, hinreichend gravierend sei, um den übrigen Betroffenen das Sonderopfer abzuverlangen. Die „Therapie(rung)” nach dem Therapieunterbringungsgesetz sei ebenso wie die Unterbringung in einer geschlossenen Therapieeinrichtung und die vorgesehene Begutachtung im Abstand von 18 Monaten kritisch zu sehen.
Für den vorliegenden Fall sei davon auszugehen, dass bei dem Beschwerdeführer psychische Störungen vorlägen, die die Kriterien der Diagnosemanuale erfüllten, allerdings nicht von einem solchen Schweregrad seien, dass die Verantwortlichkeit in erheblicher Weise beeinträchtigt werde.
V.
Mit den Verfassungsbeschwerden hat der Beschwerdeführer jeweils einen Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung gestellt. Die Anträge wurden mit Beschlüssen der 1. Kammer des Zweiten Senats des Bundesverfassungsgerichts vom 23. November 2011 – 2 BvR 2302/11 – und vom 28. Juni 2012 – 2 BvR 1279/12 – abgelehnt. Die Ablehnungen wurden jeweils darauf gestützt, dass das Sicherungsinteresse der Allgemeinheit vor dem Hintergrund der gestellten Gefährlichkeitsprognose bis zu einer Entscheidung über die Verfassungsmäßigkeit der Unterbringungsanordnungen und des Therapieunterbringungsgesetzes das Interesse des Beschwerdeführers, seine Freiheit sofort wieder zu erlangen, überwiege.
Entscheidungsgründe
B.
Die zulässigen (I.) Verfassungsbeschwerden sind unbegründet, soweit sie mittelbar gegen die Vorschriften des Therapieunterbringungsgesetzes selbst gerichtet sind (II. bis V.). In Bezug auf die angegriffenen Entscheidungen sind die Verfassungsbeschwerden begründet (VI.).
I.
Die Verfassungsbeschwerden sind zulässig. Insbesondere steht der Zulässigkeit der isolierten Verfassungsbeschwerde gegen die vorläufige Unterbringung im Verfahren 2 BvR 2302/11 nicht der Grundsatz der Subsidiarität entgegen (1.). In beiden Verfahren besteht das erforderliche Rechtsschutzbedürfnis des Beschwerdeführers ungeachtet dessen fort, dass die angegriffenen Entscheidungen selbst nicht mehr die Grundlage für den weiteren Vollzug der Therapieunterbringung bilden (2.).
1. Die einstweilige Anordnung der Unterbringung nach § 14 ThUG und die dazu ergangenen gerichtlichen Entscheidungen sind ungeachtet dessen, dass die einstweilige Anordnung nach § 14 ThUG gemäß dessen Absatz 1 Satz 1 „im Hauptsacheverfahren” ergeht und das diesbezügliche Verfahren deshalb kein selbständiges Verfahren ist (vgl. Bumiller/Harders, FamFG, 10. Aufl. 2011, § 14 ThUG Rn. 1; Klein, in: Beck'scher Onlinekommentar StPO, § 14 ThUG Rn. 4 ≪1. Oktober 2012≫), zulässige Gegenstände einer Verfassungsbeschwerde (vgl. nur, für vorläufige Unterbringungen auf landesrechtlicher Grundlage, BVerfGE 58, 208 ≪218 f.≫).
2. Das erforderliche Rechtsschutzbedürfnis des Beschwerdeführers, das auch noch im Zeitpunkt der Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts über die jeweils angegriffenen Entscheidungen gegeben sein muss, ist nicht dadurch entfallen, dass die im Verfahren 2 BvR 2302/11 angegriffenen Beschlüsse, mit denen die einstweilige Anordnung erfolgte (vgl. LG Saarbrücken, Beschluss vom 2. September 2011 – 5 O 59/11 – und Saarländisches OLG, Beschluss vom 30. September 2011 – 5 W 212/11-94 –), durch die spätere Verlängerung (vgl. LG Saarbrücken, Beschluss vom 1. Dezember 2011 – 5 O 59/11 –) und Unterbringungsanordnung in der Hauptsache (vgl. LG Saarbrücken, Beschluss vom 17. Februar 2012 – 5 O 59/11 – und Saarländisches OLG, Beschluss vom 14. Mai 2012 – 5 W 44/12-22 –) gegenstandslos geworden sind. Zwar bildet nur die zeitlich letzte Entscheidung die Grundlage für den weiteren Vollzug der einstweiligen Unterbringung nach dem Therapieunterbringungsgesetz (vgl. zum Haftbefehl, BVerfGK 5, 230 ≪234≫; Graf, in: Karlsruher Kommentar zur StPO, 6. Aufl. 2008, § 117 Rn. 5; Meyer-Goßner, StPO, 55. Aufl. 2012, § 117 Rn. 8; jeweils m.w.N.). Die Anordnung in der Hauptsache löst die vorläufige Anordnung insgesamt ab. Dasselbe gilt hinsichtlich der im Verfahren 2 BvR 1279/12 angegriffenen (ersten) Hauptsacheentscheidung, die ihrerseits bis zum 1. März 2013 befristet war (vgl. LG Saarbrücken, Beschluss vom 17. Februar 2012 – 5 O 59/11 –) und mit Ablauf der Befristung ebenfalls gegenstandslos wurde. Der Beschwerdeführer hat aber dennoch ein fortbestehendes schutzwürdiges Interesse an einer nachträglichen verfassungsrechtlichen Überprüfung (vgl. dazu BVerfGE 9, 89 ≪92 ff.≫; 32, 87 ≪92≫; 53, 152 ≪157 f.≫; 104, 220 ≪234≫; BVerfG, Beschluss der 3. Kammer des Zweiten Senats vom 31. Oktober 2005 – 2 BvR 2233/04 –, juris, Rn. 20 ff.), weil die Anordnungen jeweils Grundlage eines tiefgreifenden Grundrechtseingriffs waren, namentlich des Freiheitsentzugs vom 2. September 2011 bis zum 1. Dezember 2011 (2 BvR 2302/11) sowie vom 17. Februar 2012 bis zum 1. März 2013 (2 BvR 1279/12).
II.
Das Therapieunterbringungsgesetz verstößt nicht gegen die Kompetenznorm des Art. 70 Abs. 1 GG. Dem Bundesgesetzgeber steht die konkurrierende Gesetzgebungskompetenz zum Erlass des Therapieunterbringungsgesetzes aus Art. 72 Abs. 1 in Verbindung mit Art. 74 Abs. 1 Nr. 1 GG zu.
Art. 70 Abs. 1 GG weist die Gesetzgebungszuständigkeit den Ländern zu, soweit das Grundgesetz nicht dem Bund die Gesetzgebungsbefugnis verleiht. Gemäß Art. 70 Abs. 2 GG bemisst sich die Abgrenzung der Zuständigkeit zwischen Bund und Ländern nach den Vorschriften über die ausschließliche und konkurrierende Gesetzgebung des Bundes. Die im Therapieunterbringungsgesetz geregelte Materie ist als Strafrecht Gegenstand der konkurrierenden Gesetzgebung des Bundes im Sinne des Art. 74 Abs. 1 Nr. 1 GG.
1. Der Begriff des Strafrechts im kompetenzrechtlichen Sinne wird durch das Grundgesetz nicht bestimmt. Bei der Auslegung der Kompetenzbestimmungen gelten die allgemeinen Regeln, wobei der historischen Interpretation besonderes Gewicht beizumessen ist (vgl. BVerfGE 68, 319 ≪328≫; 97, 198 ≪219≫; 106, 62 ≪105≫). Vor allem bei normativ-rezeptiven Zuweisungen, bei denen der Verfassungsgeber einen vorgefundenen Normbereich als zu regelnde Materie den Kompetenztiteln zugeordnet hat, ist maßgeblich auf das traditionelle, herkömmliche Verständnis von Inhalt und Reichweite dieses Normbereichs abzustellen (vgl. BVerfGE 109, 190 ≪218≫). Ausgehend davon hat das Bundesverfassungsgericht insbesondere unter Einbeziehung von Entstehungsgeschichte und Staatspraxis (vgl. BVerfGE 109, 190 ≪213 f.≫) entschieden, dass zum Strafrecht im Sinne des Art. 74 Abs. 1 Nr. 1 GG die Regelung aller, auch nachträglicher, repressiver oder präventiver staatlicher Reaktionen auf Straftaten gehören, die an die Straftat anknüpfen, ausschließlich für Straftäter gelten und ihre sachliche Rechtfertigung auch aus der Anlasstat beziehen (BVerfGE 109, 190 ≪212≫).
2. Nach diesen Maßstäben unterfällt das Therapieunterbringungsgesetz als Strafrecht im kompetenzrechtlichen Sinne der konkurrierenden Gesetzgebungszuständigkeit des Bundes.
Ausgehend von der historisch-normativen Zuordnung der Sicherungsverwahrung zur kompetenziellen Materie des Strafrechts (a) gehört das Therapieunterbringungsgesetz aufgrund seines materiellen Regelungsgehalts und seines lückenfüllenden Charakters (b) ebenfalls zum strafrechtlichen Kompetenztitel des Art. 74 Abs. 1 Nr. 1 GG. Die Anforderungen an ein freiheitsorientiertes Therapiekonzept sowie die verfahrensrechtliche Gestaltung stehen dieser Zuordnung nicht entgegen (c).
a) Der Kompetenztitel Strafrecht erfasst historisch betrachtet neben vergeltenden, schuldausgleichenden Sanktionen auch spezialpräventive Reaktionen auf eine Straftat (vgl. BVerfGE 109, 190 ≪213≫; BVerfGE 85, 134 ≪142≫ für die Maßregeln nach §§ 63, 64 StGB). Die konkurrierende Gesetzgebungskompetenz des Bundes für das Strafrecht geht auf die Reichsverfassung von 1871 und die Weimarer Reichsverfassung von 1919 zurück, unter deren Geltung auf der Grundlage dieses Kompetenztitels auch rein vorbeugende und sichernde Normen erlassen wurden (vgl. BVerfGE 109, 190 ≪213 f.≫, m.w.N.). Es gibt keine Anhaltspunkte dafür, dass der Parlamentarische Rat, der insoweit auf ein kompetenzrechtlich dem Strafrecht zugeordnetes zweispuriges Sanktionensystem traf, dem Begriff des Strafrechts eine andere als die vorgefundene Bedeutung beigemessen hat (vgl. BVerfGE 27, 18 ≪32≫; 109, 190 ≪214≫). Daher ließen sich sowohl die primäre Sicherungsverwahrung, die durch das Gesetz gegen gefährliche Gewohnheitsverbrecher und über Maßregeln der Sicherung und Besserung vom 24. November 1933 (RGBl I S. 995) eingeführt wurde, als auch die nachträgliche Sicherungsverwahrung, die dort in Art. 5 Abs. 2 als Übergangsvorschrift vorgesehen war, dem historisch vorgefundenen Regelungsbestand des Strafrechts zuordnen (vgl. BVerfGE 109, 190 ≪214≫). Dies gilt unabhängig von den verfassungsrechtlichen Bedenken nicht kompetenzieller, sondern materiellrechtlicher Art, die hinsichtlich der nachträglichen Sicherungsverwahrung anzuerkennen sind.
Dem historisch begründeten weiten Verständnis des kompetenzrechtlichen Begriffs des Strafrechts steht die abweichende – engere – Bedeutung des Begriffs der Strafe in Art. 103 Abs. 2 GG nicht entgegen (vgl. BVerfGE 109, 190 ≪217 f.≫; 109, 133 ≪170 ff.≫). Ebenso wenig schließt es die Zugehörigkeit der Regelungen des Therapieunterbringungsgesetzes zum Strafrecht aus, wenn in den Gesetzesmaterialien betont wird, dass die Therapieunterbringung sich von der Strafe fundamental unterscheide (vgl. BTDrucks 17/3403, S. 20 f.); diese Hervorhebung betrifft den für die speziellen Rückwirkungsverbote des Art. 103 Abs. 2 GG und des Art. 7 Abs. 1 EMRK maßgeblichen Begriff der Strafe und gerade nicht den kompetenzrechtlichen Begriff des Strafrechts.
b) Der materielle Regelungsgehalt der Therapieunterbringung und ihre lückenfüllende Funktion begründen eine konkurrierende Gesetzgebungszuständigkeit des Bundes für den Erlass des Therapieunterbringungsgesetzes.
Das Therapieunterbringungsgesetz verfolgt – ebenso wie die Sicherungsverwahrung – den Zweck, Straftäter, deren Gefährlichkeit für hochrangige Rechtsgüter fortbesteht, im Anschluss an die verbüßte Strafhaft zum Schutz der Allgemeinheit sicher unterzubringen (BTDrucks 17/3403, S. 14, 19 und 53). Ausweislich der Gesetzesbegründung stellt das Therapieunterbringungsgesetz eine Reaktion auf das Urteil des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte vom 17. Dezember 2009 (– Beschwerde-Nr. 19359/04 – Mücke ./. Deutschland) dar, in dessen Folge es bereits zu Entlassungen von Sicherungsverwahrten – trotz fortbestehender Gefährlichkeit – gekommen sei und weitere Entlassungen zu erwarten seien (BTDrucks 17/3403, S. 14). Die Regelungen des Therapieunterbringungsgesetzes sollten es – als eng begrenzte Ausnahmeregelungen für einen Übergangszeitraum – ermöglichen, in dieser besonderen Situation dennoch dem staatlichen Auftrag, die Bevölkerung vor gefährlichen Straftätern zu schützen, Rechnung zu tragen (BTDrucks 17/3403, S. 13, 19).
Neben der spezifischen Anknüpfung an eine strafrechtlich sanktionierte Anlasstat stützt vor allem diese – eine verfassungsrechtlich bedingte, zugleich aber ihrerseits verfassungsrechtlich problematische Lücke im Instrumentarium des Strafrechts schließende – Funktion des Therapieunterbringungsgesetzes dessen Zugehörigkeit zum selben Kompetenztitel. Das die Regelungslücke füllende Gesetz kann hier kompetenzrechtlich nicht anders beurteilt werden als das lückenhafte Gesetz selbst. § 1 Abs. 1 ThUG beschränkt den Anwendungsbereich der Therapieunterbringung von vornherein auf Straftäter, bei denen eine Unterbringung in der Sicherungsverwahrung ausscheidet, weil das durch den Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte formulierte Verbot der rückwirkenden Verschärfung im Recht der Sicherungsverwahrung (vgl. EGMR, Urteil vom 17. Dezember 2009 – Beschwerde-Nr. 19359/04 – Mücke ./. Deutschland) zu berücksichtigen ist. Betroffen sind ausschließlich zuvor vom Regelungsbereich der Sicherungsverwahrung erfasste Personen, die trotz gleich gebliebenen Schutzbedürfnisses der Allgemeinheit vor schweren Rechtsgutsverletzungen aufgrund konventionsrechtlicher Vorgaben nicht mehr in der Sicherungsverwahrung untergebracht werden können. Die Therapieunterbringung ist insoweit subsidiär zur Sicherungsverwahrung (vgl. BTDrucks 17/3403, S. 53) und stellt überdies eine eng begrenzte Übergangsregelung bis zum Wirksamwerden der neu geordneten Sicherungsverwahrung dar (vgl. BTDrucks 17/3403, S. 19). Dass die Unterbringung über die Anforderung der Sicherungsverwahrung hinaus von der zusätzlichen Voraussetzung einer psychischen Störung abhängig ist, steht dem lückenfüllenden Charakter des Therapieunterbringungsgesetzes nicht entgegen.
c) Das freiheitsorientierte Therapiekonzept (§ 2 ThUG) und die verfahrensrechtliche Ausgestaltung (§§ 3, 4 ThUG) stehen der kompetenzrechtlichen Zuordnung zum Strafrecht ebenfalls nicht entgegen.
Dass ein freiheitsorientiertes Therapiekonzept, dessen Behandlungsanforderungen über die für den Strafvollzug geltenden hinausgehen, einer Zuordnung der betreffenden Regelungen zum Strafrecht im Sinne des Art. 74 Abs. 1 Nr. 1 GG nicht entgegensteht, folgt bereits daraus, dass vergleichbare Anforderungen auch für die gleichfalls dem Strafrecht im kompetenziellen Sinn zuzuordnende Sicherungsverwahrung bestehen (BVerfGE 128, 326 ≪327≫).
Auch die verfahrensrechtliche Ausgestaltung des Therapieunterbringungsgesetzes, das sich an die Vorschriften des Gesetzes über das Verfahren in Familiensachen und in den Angelegenheiten der freiwilligen Gerichtsbarkeit anlehnt (§ 3 ThUG) und eine ausschließliche Zuständigkeit der Zivilkammern der Landgerichte begründet (§ 4 Abs. 1 ThUG), führt zu keiner anderen kompetenziellen Zuordnung. Der verfahrensrechtliche Gleichlauf mit der Sicherungsverwahrung wurde in der Entscheidung zu den Straftäterunterbringungsgesetzen der Länder zwar als Argument, nicht aber als eine notwendige Voraussetzung dafür herangezogen, dass es sich dabei um ein Ersatzinstrument zur Sicherungsverwahrung handelte, das dementsprechend dem Kompetenztitel Strafrecht unterfiel (vgl. BVerfGE 109, 190 ≪225 f.≫). Letzteres wäre auch fernliegend, weil es damit der jeweilige Gesetzgeber durch die Wahl und Ausgestaltung des Verfahrensrechts unabhängig vom Regelungsgegenstand in der Hand hätte, über die Zuständigkeitsverteilung zwischen Bund und Ländern zu bestimmen.
III.
Bei verfassungskonformer Auslegung ist die Unterbringung nach § 1 Abs. 1 ThUG mit dem rechtsstaatlichen Vertrauensschutzgebot aus Art. 2 Abs. 2 Satz 2 in Verbindung mit Art. 20 Abs. 3 GG vereinbar.
1. a) Maßstab für die verfassungsrechtliche Beurteilung von § 1 Abs. 1 ThUG ist Art. 2 Abs. 2 Satz 2 GG in Verbindung mit dem Grundsatz des Vertrauensschutzes (vgl. BVerfGE 72, 200 ≪242≫; 128, 326 ≪390≫). Sie ziehen der gesetzgeberischen Regelungsbefugnis Grenzen bei der Verwirklichung des gesetzgeberischen Anliegens für das Gemeinwohl (vgl. BVerfGE 14, 288 ≪300≫; 25, 142 ≪154≫; 43, 242 ≪286≫; 43, 291 ≪391≫; 75, 246 ≪280≫; 109, 133 ≪182≫; 128, 326 ≪390≫). Dabei erhöht sich die Bedeutung der berührten Vertrauensschutzbelange in Abhängigkeit von der Schwere des Eingriffs in das sachlich berührte Grundrecht (vgl. bereits BVerfGE 109, 133 ≪186 f.≫; 128, 326 ≪390≫).
Da das Therapieunterbringungsgesetz zur Anordnung einer potenziell unbefristeten Freiheitsentziehung ermächtigt, begründet die Unterbringung nach § 1 Abs. 1 ThUG auch bei Wahrung des hinsichtlich der Vollzugsbedingungen gebotenen Abstandes zur Strafhaft einen der schwersten Eingriffe in das sachlich berührte Grundrecht auf Freiheit der Person (Art. 2 Abs. 2 Satz 2 GG) und damit in ein Recht, dem unter den grundrechtlich verbürgten Rechten bereits für sich genommen besonderes Gewicht zukommt (vgl. BVerfGE 128, 326 ≪390≫).
b) Vor diesem Hintergrund und unter Berücksichtigung der Wertungen der Konvention zum Schutz der Menschenrechte und Grundfreiheiten (vgl. BVerfGE 111, 307 ≪315 ff.≫; 128, 326 ≪366 ff.≫; 131, 268 ≪295 ff.≫), die mit Art. 5 und Art. 7 Abs. 1 EMRK der nachträglichen Anordnung oder Verlängerung einer präventiven freiheitsentziehenden Maßnahme Grenzen setzt (vgl. dazu BVerfGE 128, 326 ≪391 ff.≫, m.w.N.), ist der mit der Therapieunterbringung verbundene und durch Vertrauensschutzbelange verstärkte Eingriff in das Freiheitsgrundrecht nur verhältnismäßig, wenn der gebotene Abstand zur Strafe gewahrt wird, eine hochgradige Gefahr schwerster Gewalt- oder Sexualstraftaten aus konkreten Umständen in der Person oder dem Verhalten des Untergebrachten abzuleiten ist und die Voraussetzungen des Art. 5 Abs. 1 Satz 2 Buchstabe e EMRK erfüllt sind (vgl. zur Sicherungsverwahrung BVerfGE 128, 326 ≪399≫; 129, 37 ≪46 f.≫; BVerfG, Beschluss des Zweiten Senats vom 6. Februar 2013 – 2 BvR 2122/11 u.a. –, juris, Rn. 27).
2. Nach den zum Recht der Sicherungsverwahrung entwickelten Maßstäben, die auch auf die Therapieunterbringung als nachträgliche freiheitsentziehende Maßnahme anzuwenden sind (a), ist die Unterbringung nach § 1 Abs. 1 ThUG mit Art. 2 Abs. 2 Satz 2 in Verbindung mit Art. 20 Abs. 3 GG vereinbar. Dabei genügt die in § 1 Abs. 1 Nr. 1 ThUG vorgesehene Gefahrenprognose verfassungsrechtlichen Anforderungen nur, wenn das Vorliegen einer hochgradigen Gefahr schwerster Gewalt- oder Sexualstraftaten festgestellt werden kann. Dem kann im Wege verfassungskonformer Auslegung der Vorschrift Rechnung getragen werden (b). § 2 ThUG berücksichtigt die Wertungen des Art. 7 Abs. 1 EMRK und formuliert den gebotenen Abstand zur Vollstreckung der Strafhaft (c). Der Begriff der „psychischen Störung” im Sinne des § 1 Abs. 1 ThUG ist unter Berücksichtigung der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte und des den Vertragsstaaten eingeräumten Beurteilungsspielraums mit den Vorgaben des Art. 5 Abs. 1 Satz 2 Buchstabe e EMRK vereinbar (d).
a) Die Therapieunterbringung ist eine nachträglich angeordnete freiheitsentziehende Maßnahme, die hinsichtlich der Eingriffsintensität der Sicherungsverwahrung entspricht.
Zwar ist der Normzweck zukunftsgerichtet, weil das Therapieunterbringungsgesetz das Ziel verfolgt, basierend auf einer aktuellen Gefährlichkeitsprognose die Allgemeinheit vor schweren Rechtsgutsverletzungen durch psychisch gestörte Gewalt- und Sexualstraftäter zu schützen (vgl. BTDrucks 17/3403, S. 53). Dies hebt den Vergangenheitsbezug und den dadurch begründeten Vertrauensschutz jedoch nicht auf (vgl. BVerfGE 109, 133 ≪184≫, zur Sicherungsverwahrung). Allerdings bestimmt § 1 Abs. 1 ThUG keine Rückbewirkung von Rechtsfolgen („echte” Rückwirkung). Er beschränkt das Vertrauen der Betroffenen lediglich in Gestalt einer tatbestandlichen Rückanknüpfung („unechte Rückwirkung”; zur Terminologie vgl. BVerfGE 127, 1 ≪16 f.≫; auch 131, 20 ≪36 f.≫), weil die belastende Rechtsfolge der Unterbringung zwar erst nach Verkündung des Gesetzes eingreift, jedoch tatbestandlich von einem rechtserheblichen Verhalten vor seiner Verkündung ausgelöst wird.
Die Unterbringung nach § 1 Abs. 1 ThUG ermöglicht eine potenziell unbefristete Freiheitsentziehung, die hinsichtlich der Entziehung der äußeren Freiheit mit einer Freiheitsstrafe wie auch mit der Sicherungsverwahrung vergleichbar ist. Soweit die Gesetzesbegründung darauf abstellt, die „Therapieunterbringung [unterscheide sich] fundamental von Strafe, aber auch von der Sicherungsverwahrung” (BTDrucks 17/3403, S. 20 f.), bezieht sich dies erkennbar auf die vom Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte festgestellten strafähnlichen Vollzugsbedingungen der Sicherungsverwahrung (vgl. EGMR, Urteil vom 17. Dezember 2009 – Beschwerde-Nr. 19359/04 – Mücke ./. Deutschland, Rn. 127 ff.). Ein fundamentaler Unterschied zwischen der Unterbringung nach dem Therapieunterbringungsgesetz und der Sicherungsverwahrung bei Beachtung des verfassungsrechtlich gebotenen Abstands zur Strafhaft besteht indes nicht.
Die Eingriffsintensität unterscheidet sich nicht deshalb von derjenigen der Sicherungsverwahrung, weil in § 2 ThUG die Unterbringung in einer geeigneten Therapieeinrichtung und ein freiheitsorientiertes Therapiekonzept vorgeschrieben wird. Denn auch in der Sicherungsverwahrung sind – unabhängig von den in der Vergangenheit festgestellten Defiziten in der gesetzlichen Konzeption (vgl. BVerfGE 128, 326 ≪382 ff.≫) und im tatsächlichen Vollzug (vgl. BVerfGE 128, 326 ≪384 ff.≫; auch EGMR, Urteil vom 17. Dezember 2009 – Beschwerde-Nr. 19359/04 – Mücke ./. Deutschland, Rn. 127 ff.) – angesichts der unterschiedlichen Zielsetzung und sachlichen Rechtfertigung der dem Schuldausgleich dienenden Strafhaft einerseits und des schuldunabhängigen präventiven Freiheitsentzugs der Sicherungsverwahrung andererseits (vgl. BVerfGE 128, 326 ≪376 f.≫) Anforderungen an die Ausgestaltung ihres Vollzugs zu beachten („Abstandsgebot”, vgl. BVerfGE 128, 326 ≪374 ff.≫). Danach ist die Unterbringung in der Sicherungsverwahrung – in deutlichem Abstand zum Strafvollzug – freiheitsorientiert mit klarer therapeutischer Ausrichtung auszugestalten, um die von dem Untergebrachten ausgehende Gefahr zu minimieren und auf diese Weise die Dauer der Freiheitsentziehung auf das unbedingt erforderliche Maß zu reduzieren (BVerfGE 128, 326 ≪374 f.≫). Ausgehend von den danach weiter konkretisierten Anforderungen an ein freiheitsorientiertes Gesamtkonzept im Vollzug der Sicherungsverwahrung (vgl. BVerfGE 128, 326 ≪378 ff.≫) gibt es keine durchgreifenden Gründe, die im Vergleich dazu die Unterbringung in einer geeigneten Einrichtung im Sinne des § 2 ThUG als weniger intensiven Eingriff in das Freiheitsgrundrecht erscheinen lassen.
b) Der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit gebietet es unter Berücksichtigung der konventionsrechtlichen Vorgaben, bei der Entscheidung über die Therapieunterbringung vor allem, den Vertrauensschutz des Betroffenen im Rahmen der Abwägung mit dem gebotenen Gewicht einzustellen und eine Unterbringung nur dann anzuordnen, wenn eine hochgradige Gefahr schwerster Gewalt- oder Sexualstraftaten aus konkreten Umständen in der Person oder dem Verhalten des Untergebrachten abzuleiten ist.
Der Wortlaut des § 1 Abs. 1 Nr. 1 ThUG sieht zwar keine derart einzugrenzende Gefahrenprognose vor, sondern verlangt lediglich, dass eine Gesamtwürdigung der Persönlichkeit, des Vorlebens und der Lebensverhältnisse ergibt, dass der Betroffene mit hoher Wahrscheinlichkeit das Leben, die körperliche Unversehrtheit, die persönliche Freiheit oder die sexuelle Selbstbestimmung einer anderen Person erheblich beeinträchtigen wird. Allerdings ist das Therapieunterbringungsgesetz einer verfassungskonform einengenden Auslegung zugänglich.
aa) Das Gebot verfassungskonformer Gesetzesauslegung verlangt, von mehreren möglichen Normdeutungen, die teils zu einem verfassungswidrigen, teils zu einem verfassungsmäßigen Ergebnis führen, diejenige vorzuziehen, die mit dem Grundgesetz in Einklang steht (vgl. BVerfGE 119, 247 ≪274≫; stRspr). Eine Norm ist daher nur dann für verfassungswidrig zu erklären, wenn keine nach anerkannten Auslegungsgrundsätzen zulässige und mit der Verfassung zu vereinbarende Auslegung möglich ist. Der Respekt vor der gesetzgebenden Gewalt gebietet es dabei, in den Grenzen der Verfassung das Maximum dessen aufrechtzuerhalten, was der Gesetzgeber gewollt hat (vgl. BVerfGE 86, 288 ≪320≫). Die verfassungskonforme Auslegung findet ihre Grenzen dort, wo sie zum Wortlaut der Norm und zum klar erkennbaren Willen des Gesetzgebers in Widerspruch treten würde (BVerfGE 110, 226 ≪267≫, m.w.N.).
bb) Nach diesen Maßstäben ist eine verfassungskonforme – restriktive – Auslegung des § 1 Abs. 1 Nr. 1 ThUG dahingehend möglich, dass hinsichtlich der Gefährlichkeitsprognose eine Unterbringung nur dann erfolgt, wenn eine hochgradige Gefahr für die Begehung schwerster Gewalt- oder Sexualstraftaten aus konkreten Umständen in der Person oder dem Verhalten des Untergebrachten abzuleiten ist.
(1) Der Wortlaut der Vorschrift steht einer solchen Auslegung nicht entgegen. § 1 Abs. 1 ThUG verlangt, dass mit hoher Wahrscheinlichkeit das Leben, die körperliche Unversehrtheit, die persönliche Freiheit oder die sexuelle Selbstbestimmung einer anderen Person erheblich beeinträchtigt wird. Ob zwischen der Formulierung „hohe Wahrscheinlichkeit” und „hochgradige Gefahr” überhaupt qualitative Unterschiede bestehen, bedarf keiner Entscheidung, weil eine erforderliche Begrenzung auf den Maßstab der „hochgradigen Gefahr” jedenfalls vom Wortlaut der Norm gedeckt ist. Auch soweit § 1 Abs. 1 Nr. 1 ThUG eine „erhebliche” Beeinträchtigung der in der Vorschrift genannten Rechtsgüter verlangt, schließt dies eine verfassungskonforme Auslegung der Vorschrift im dargestellten Sinn nicht aus. Da in den Fällen schwerster Gewalt- oder Sexualstraftaten die in § 1 Abs. 1 Nr. 1 ThUG genannten Rechtsgüter immer in erheblichem Maße betroffen sind, sind diese Fälle vom Willen des Gesetzgebers unzweifelhaft mit umfasst.
(2) Der Gesetzeszweck steht einer solchen verfassungskonformen Auslegung nicht entgegen. Nach der Gesetzesbegründung ist Ziel der Therapieunterbringung „ein möglichst nachhaltiger Schutz der Allgemeinheit vor schweren Rechtsgutsverletzungen durch psychisch gestörte Gewalt- und Sexualstraftäter” (BTDrucks 17/3403, S. 53). Gleichzeitig akzeptiert die Gesetzesbegründung, dass der Gesetzgeber in einem „schmalen Bereich [agiert], der sowohl durch die Anknüpfung an Straftaten als auch durch präventive Ziele geprägt ist und in dem zugleich sowohl das Grundgesetz als auch die EMRK enge Vorgaben machen” (BTDrucks 17/3403, S. 19). Erkennt der Gesetzgeber danach ausdrücklich die verfassungs- und konventionsrechtlichen Grenzen seiner Zielsetzung an, läuft es dem Gesetzeszweck nicht zuwider, wenn im Wege der verfassungskonformen Auslegung ein mit dem Grundgesetz vereinbarer, aber dennoch möglichst nachhaltiger Schutz der Allgemeinheit vor schweren Rechtsgutsverletzungen durch psychisch gestörte Gewalt- und Sexualstraftäter gewährleistet wird.
Auch der Einwand, dem Therapieunterbringungsgesetz verbleibe bei einer Übertragung der strengen Maßstäbe des Bundesverfassungsgerichts zur nachträglichen oder nachträglich verlängerten Sicherungsverwahrung kein Anwendungsbereich, steht der verfassungskonformen Auslegung nicht entgegen. Dies gilt unabhängig von der Frage, in welchem Umfang das Therapieunterbringungsgesetz bei einer Übertragung der strengen Verhältnismäßigkeitsmaßstäbe einen Anwendungsbereich behält, nachdem die vom Bundesverfassungsgericht aufgestellten Vorgaben zur nachträglichen oder nachträglich verlängerten Sicherungsverwahrung mit dem Gesetz zur bundesrechtlichen Umsetzung des Abstandsgebotes im Recht der Sicherungsverwahrung vom 5. Dezember 2012 (BGBl I S. 2425) in Art. 316f Abs. 2 Satz 2 EGStGB als gesetzliche Übergangsregelung verabschiedet wurden. Denn die Therapieunterbringung ist nach dem Wortlaut des § 1 Abs. 1 ThUG und dem Willen des Gesetzgebers (BTDrucks 17/3403, S. 53) subsidiär zur Sicherungsverwahrung ausgestaltet mit der Folge, dass ein Zurücktreten hinter die Unterbringung in der Sicherungsverwahrung im Gesetz selbst angelegt ist. In diesem Kontext darf überdies nicht außer Betracht bleiben, dass das Therapieunterbringungsgesetz zu einem Zeitpunkt erlassen wurde, zu dem – im Anschluss an die Entscheidung des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte (EGMR, Urteil vom 17. Dezember 2009 – Beschwerde-Nr. 19359/04 – Mücke ./. Deutschland) – in der höchstrichterlichen Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs noch nicht geklärt war, ob und wenn ja unter welchen Voraussetzungen eine Vertrauensschutzbelange berührende Sicherungsverwahrung angeordnet werden kann. So entschied der 4. Strafsenat des Bundesgerichtshofs am 12. Mai 2010, dass aufgrund der Entscheidung des Gerichtshofs die Betroffenen in parallel gelagerten Rückwirkungsfällen sofort aus der Sicherungsverwahrung zu entlassen seien (BGH, Beschluss vom 12. Mai 2010 – 4 StR 577/09 –, juris, Rn. 7 ff.). Der 5. Strafsenat hingegen entschied am 21. Juli 2010, dass die Entscheidung des Gerichtshofs nicht dazu zwinge, in allen Fällen der Sicherungsverwahrung mit Rückwirkungsproblematik die Betroffenen sofort zu entlassen (BGHSt 55, 234 ≪236 ff.≫). Vielmehr seien die Wertungen der Konvention im Rahmen der Abwägung zu berücksichtigen, so dass zwar von einem grundsätzlichen Überwiegen des Freiheitsrechts und des Vertrauensschutzes auszugehen sei, dies jedoch bei „höchstgefährlichen Verurteilten” hinter dem Sicherheitsinteresse der Allgemeinheit zurücktreten könne (BGHSt 55, 234 ≪241 f.≫). Die Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts zu dieser Frage stand damals ebenfalls noch aus. Seinerzeit ging es dem Gesetzgeber somit darum, mit dem Therapieunterbringungsgesetz eine eng begrenzte Übergangsregelung bis zum Wirksamwerden der neu geordneten Sicherungsverwahrung zu schaffen (BTDrucks 17/3403, S. 19). Soweit also im weiteren Verlauf die Möglichkeit eröffnet wurde, in den Grenzen der Verfassung und der Konvention den Schutz der Allgemeinheit vor gefährlichen Gewalt- oder Sexualstraftätern im Recht der Sicherungsverwahrung zu gewährleisten, bedarf es nach dieser Konzeption keines Rückgriffs auf das Therapieunterbringungsgesetz. Ein durch das Recht der Sicherungsverwahrung eingeschränkter Anwendungsbereich steht nicht im Widerspruch zum Willen des Gesetzgebers.
c) Den verfassungsrechtlich gebotenen Abstand zur Vollstreckung der Strafhaft formuliert § 2 ThUG.
aa) § 2 Abs. 1 Nr. 3 ThUG in der seit 1. Juni 2013 gültigen Fassung (vgl. BGBl 2012 I S. 2425 ≪2430≫) schreibt ausdrücklich eine räumliche und organisatorische Trennung von Einrichtungen des Strafvollzuges vor. Gemäß § 2 Abs. 1 Nr. 1 ThUG hat die Unterbringung in einer Einrichtung zu erfolgen, die wegen ihrer medizinisch-therapeutischen Ausrichtung eine angemessene Behandlung der psychischen Störung im Einzelfall auf der Grundlage eines individuell zu erstellenden Behandlungsplans mit dem Ziel einer möglichst kurzen Unterbringungsdauer gewährleisten kann. Die Unterbringung selbst soll die Untergebrachten unter Berücksichtigung der therapeutischen Gesichtspunkte und der Sicherheitsinteressen der Allgemeinheit möglichst wenig belasten (§ 2 Abs. 1 Nr. 3 ThUG).
bb) Mit diesen Vorgaben sichert das Gesetz die Wahrung des nicht nur für die Sicherungsverwahrung, sondern auch für die Therapieunterbringung als hinsichtlich der Fortdauer der Freiheitsentziehung gleichermaßen schuldunabhängige Präventivmaßnahme geltende Abstandsgebot (vgl. BVerfGE 128, 326 ≪374 ff.≫) und schafft damit zugleich eine notwendige Voraussetzung dafür, dass die Therapieunterbringung nicht als Strafe im Sinne des Art. 7 Abs. 1 EMRK einzuordnen ist.
(1) Der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte legt den Begriff der Strafe autonom, d.h. unabhängig von der Klassifikation einer Maßnahme nach innerstaatlichem Recht, aus. Ausgangspunkt der Beurteilung ist danach, ob die in Rede stehende Maßnahme infolge oder im Anschluss an eine Verurteilung wegen einer Straftat verhängt wird. Als weitere Faktoren werden die Charakterisierung der Maßnahme nach innerstaatlichem Recht, Art und Zweck der Maßnahme, das Verfahren zu ihrer Verhängung und Durchführung sowie ihre Schwere herangezogen (vgl. nur EGMR, Urteil vom 17. Dezember 2009 – Beschwerde-Nr. 19359/04 – Mücke ./. Deutschland, Rn. 120). Unter Anwendung dieser Maßstäbe gelangte der Gerichtshof im Verfahren Mücke gegen Deutschland zu dem Ergebnis, dass die Maßregel der Sicherungsverwahrung als Strafe im Sinne von Art. 7 Abs. 1 EMRK zu qualifizieren sei. Neben dem Bezug zur Anlasstat, die neben anderen Voraussetzungen unabdingbar für die Unterbringung in der Sicherungsverwahrung sei, hob der Gerichtshof insbesondere die Art und Weise der tatsächlichen Vollstreckung als für die Einordnung maßgeblich hervor: Die im Vergleich zu Strafgefangenen geringfügigen Änderungen der Vollzugsgestaltung – wie etwa das Recht, eigene Kleidung zu tragen und die komfortableren Zellen zusätzlich auszustatten – könnten nicht verdecken, dass es keinen wesentlichen Unterschied zwischen der Vollstreckung einer Haftstrafe und der einer Sicherungsverwahrung gebe. Es gebe keine speziellen Maßnahmen, Instrumente oder Einrichtungen, die auf Sicherungsverwahrte ausgerichtet seien und darauf abzielten, die von ihnen ausgehende Gefahr zu reduzieren und damit ihre Freiheitsentziehung auf die Dauer zu beschränken, die unbedingt erforderlich sei, um sie von der Begehung weiterer Straftaten abzuhalten. Die Sicherungsverwahrung werde zudem in einem strafrechtlichen Verfahren angeordnet und stelle im Hinblick auf die mögliche Dauer der Freiheitsentziehung einen der schwersten Eingriffe dar (vgl. EGMR, Urteil vom 17. Dezember 2009 – Beschwerde-Nr. 19359/04 – Mücke ./. Deutschland, Rn. 124 ff.; vgl. auch EGMR, Urteil vom 13. Januar 2011 – Beschwerde-Nr. 20008/07 – Mautes ./. Deutschland, Rn. 55; Urteil vom 13. Januar 2011 – Beschwerde-Nr. 27360/04 und 42225/07 – Schummer ./. Deutschland, Rn. 67; Urteil vom 13. Januar 2011 – Beschwerde-Nr. 17792/07 – Kallweit ./. Deutschland, Rn. 68).
(2) Vor diesem Hintergrund hat der Zweite Senat des Bundesverfassungsgerichts die verfassungsrechtlichen Anforderungen an die Ausgestaltung eines schuldunabhängigen präventiven Freiheitsentzugs, der sich von einer Strafe „qualitativ” unterscheidet, präzisiert (BVerfGE 128, 326 ≪374≫). Die Interpretation des Art. 7 Abs. 1 EMRK durch den Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte verlangt indes keine Anpassung des grundgesetzlichen Begriffs der Strafe in Art. 103 Abs. 2 GG an den Strafbegriff des Art. 7 Abs. 1 EMRK, sondern spricht dafür, das Abstandsgebot deutlicher zu konturieren (BVerfGE 128, 326 ≪392 f.≫).
(3) In der Folge wiederholte der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte zwar seine Kriterien aus der Entscheidung Mücke gegen Deutschland und verwies auf die dort getroffenen Schlussfolgerungen zum Charakter der Sicherungsverwahrung als Strafe im konventionsrechtlichen Sinne (vgl. EGMR, Urteil vom 24. November 2011 – Beschwerde-Nr. 4646/08 – O.H. ./. Deutschland, Rn. 103 ff.). Gleichzeitig spezifizierte er jedoch seine Begründung für die Annahme einer Strafe dahingehend, dass er insbesondere nicht von einer Veränderung der gerügten Unterbringungsbedingungen, die weitgehend denen des Vollzugs der Freiheitsstrafe entsprächen, überzeugt sei (vgl. EGMR, Urteil vom 24. November 2011 – Beschwerde-Nr. 4646/08 – O.H. ./. Deutschland, Rn. 106; zuletzt auch EGMR, Urteil vom 7. Juni 2012 – Beschwerde-Nr. 61827/09 – K. ./. Deutschland, Rn. 82 f.; Urteil vom 7. Juni 2012 – Beschwerde-Nr. 65210/09 – G. ./. Deutschland, Rn. 73 f.). Die Fokussierung auf das jedenfalls für die Vergangenheit festzustellende Vollzugsdefizit fügt sich im Folgenden auch insoweit in die Entscheidungsgründe des Gerichtshofs ein, als dort im Zusammenhang mit Art. 46 EMRK ausgeführt wird, dass das Bundesverfassungsgericht mit seinem Urteil vom 4. Mai 2011 die Feststellungen, die der Gerichtshof in seinen vorgenannten Urteilen zur deutschen Sicherungsverwahrung getroffen hatte, in die innerstaatliche Rechtsordnung umgesetzt habe und damit dieser Verantwortung umfassend nachgekommen sei (vgl. EGMR, Urteil vom 24. November 2011 – Beschwerde-Nr. 4646/08 – O.H. ./. Deutschland, Rn. 117 f.; vgl. auch die gleichlautenden Ausführungen in der späteren Entscheidung des EGMR, Urteil vom 19. Januar 2012 – Beschwerde-Nr. 21906/09 – Kronfeldner ./. Deutschland, Rn. 101 f.). Mit Blick auf die zeitlichen Vorgaben heißt es dort weiter, das Bundesverfassungsgericht habe eine angemessene Lösung zur Beseitigung fortdauernder Konventionsverletzungen gefunden (vgl. EGMR, Urteil vom 24. November 2011 – Beschwerde-Nr. 4646/08 – O.H. ./. Deutschland, Rn. 118; EGMR, Urteil vom 19. Januar 2012 – Beschwerde-Nr. 21906/09 – Kronfeldner ./. Deutschland, Rn. 102).
d) Das Tatbestandsmerkmal der psychischen Störung im Sinne des § 1 Abs. 1 ThUG steht nicht in Widerspruch zu den Wertungen des Art. 5 Abs. 1 Satz 2 Buchstabe e EMRK.
aa) Das Therapieunterbringungsgesetz selbst definiert den Begriff der psychischen Störung, wie er in § 1 Abs. 1 Nr. 1 ThUG verwendet wird, nicht näher. Wie er zu verstehen ist, geht jedoch aus Wortbedeutung und Entstehungsgeschichte hinreichend deutlich hervor.
Mit dem Begriff der psychischen Störung knüpft § 1 Abs. 1 ThUG nach der Gesetzesbegründung an die Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte zu Art. 5 Abs. 1 Satz 2 Buchstabe e EMRK an, der ausdrücklich eine Freiheitsentziehung bei „psychisch Kranken” erlaubt (englisch: persons of unsound mind; französisch: aliéné). Danach seien auch abnorme Persönlichkeitszüge erfasst, die nicht einer Geisteskrankheit gleichkämen. Ein weiterhin abnorm aggressives und ernsthaft unverantwortliches Verhalten eines verurteilten Straftäters könne ausreichen. Auch stehe die strafrechtliche Verantwortlichkeit des Betroffenen einer auf Art. 5 Abs. 1 Satz 2 Buchstabe e EMRK gestützten Unterbringung nicht entgegen (vgl. BTDrucks 17/3403, S. 53 f.; mit Nachweisen zur Rechtsprechung der Europäischen Menschenrechtskommission und des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte). Zugleich lehne sich der Begriff der psychischen Störung an die Begriffswahl der heute in der Psychiatrie genutzten Diagnoseklassifikationssysteme ICD-10 (Internationale Statistische Klassifikation der Krankheiten und verwandter Gesundheitsprobleme der WHO, 10. Revision, Kapitel V) beziehungsweise DSM-IV (Diagnostisches und Statistisches Handbuch Psychischer Störungen der Amerikanischen Psychiatrischen Vereinigung, 4. Aufl.) an (vgl. BTDrucks 17/3403, S. 54).
In der Gesetzesbegründung ist darüber hinaus ausgeführt, dass die Störung nicht von solcher Art sein müsse, dass sie die strafrechtliche Verantwortung des Täters ausschließt oder in der psychiatrisch-forensischen Begutachtungspraxis als psychische Erkrankung gewertet wird; wohl aber müsse sich ein klinisch erkennbarer Komplex von solchen Symptomen oder Verhaltensauffälligkeiten zeigen, die mit Belastungen und Beeinträchtigungen – auf der individuellen und oft auch der kollektiven oder sozialen Ebene – verbunden sind. Allein soziale Abweichungen oder soziale Konflikte ohne persönliche Beeinträchtigungen der betroffenen Personen seien danach nicht erfasst. Als psychische Störung könnten sich spezifische Störungen der Persönlichkeit, des Verhaltens, der Sexualpräferenz, der Impuls- oder Triebkontrolle darstellen; dies gelte insbesondere für die dissoziale Persönlichkeitsstörung und verschiedene Störungen der Sexualpräferenz, etwa Pädophilie oder Sadomasochismus (vgl. BTDrucks 17/3403, S. 54).
Bereits danach ist der gesetzliche Gehalt der psychischen Störung im Sinne des § 1 Abs. 1 Nr. 1 ThUG auf die Vereinbarkeit mit dem Rechtfertigungsgrund für eine Freiheitsentziehung nach Art. 5 Abs. 1 Satz 2 Buchstabe e EMRK angelegt. Dies in der Anwendung des Therapieunterbringungsgesetzes im Einzelfall zu gewährleisten, ist in erster Linie Aufgabe der Fachgerichte.
bb) Ungeachtet dessen löst sich die systematische Einpassung der Therapieunterbringung vom bisherigen zweigliedrigen System der Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus (§ 63 StGB) einerseits und der Sicherungsverwahrung (§ 66 StGB) andererseits und installiert einen nicht anhand der strafrechtlichen Verantwortlichkeit (§§ 20, 21 StGB) abzugrenzenden „dritten Weg”. Dem Verzicht auf ein Defizit strafrechtlicher Verantwortlichkeit als Voraussetzung für die Therapieunterbringung stehen die Wertungen des Art. 5 Abs. 1 Satz 2 Buchstabe e EMRK und die hierzu ergangene Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte nicht entgegen.
(1) Nach der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte zu Art. 5 Abs. 1 Satz 2 Buchstabe e EMRK ist diese Bestimmung dahin auszulegen, dass aufgrund eines objektiven ärztlichen Gutachtens nachgewiesen sein muss, dass der Betroffene an einer „tatsächlichen”, „echten” psychischen Störung („true mental disorder”) leidet, die nach Art oder Ausmaß („kind or degree”) eine Zwangseinweisung entweder im Eigeninteresse des Betroffenen oder im öffentlichen Interesse erfordert. Die Dauer der Freiheitsentziehung, die ihrem Anlass entsprechend in einer psychiatrischen Klinik oder in einer anderen geeigneten Einrichtung zu vollziehen ist (vgl. zuletzt EGMR, Urteil vom 19. April 2012 – Beschwerde-Nr. 61272/09 – B. ./. Deutschland, Rn. 69, m.w.N.), muss vom Fortbestand dieser Störung abhängig sein (vgl. nur EGMR, Urteil vom 24. Oktober 1979 – Beschwerde-Nr. 6301/73 – Winterwerp ./. Niederlande, Rn. 37 ff.; stRspr). Erforderlich ist danach ein Zusammenhang zwischen der psychischen Störung und einer Gefahr, deren Abwehr die Freiheitsentziehung – unter der Voraussetzung, dass diese in einer geeigneten psychiatrischen Einrichtung erfolgt – zu rechtfertigen geeignet ist, was zugleich eine entsprechende Intensität der psychischen Störung voraussetzt (vgl. Schöch, GA 2012, S. 14 ≪28≫; Meyer-Ladewig, EMRK, 3. Aufl. 2011, Art. 5 Rn. 45). Bei der Beurteilung der Frage, ob das Erfordernis der psychischen Störung im Sinne von Art. 5 Abs. 1 Satz 2 Buchstabe e EMRK und ihrer Fortdauer erfüllt ist, besitzen die Vertragsstaaten zudem einen Beurteilungsspielraum („margin of appreciation”; vgl. zuletzt Urteil vom 19. Januar 2012 – Beschwerde-Nr. 21906/09 – Kronfeldner ./. Deutschland, Rn. 71).
Mit dem allgemeinen Erfordernis, dass die Freiheitsentziehung rechtmäßig („lawful”) und in der gesetzlich vorgeschriebenen Weise („in accordance with a procedure prescribed by law”) erfolgen muss, verweist Art. 5 Abs. 1 EMRK im Wesentlichen auf das innerstaatliche Recht und verpflichtet dazu, dessen materielle und verfahrensrechtliche Vorgaben einzuhalten (vgl. EGMR, Urteil vom 24. Oktober 1979 – Beschwerde-Nr. 6301/73 – Winterwerp ./. Niederlande, Rn. 39, 45; Urteil vom 25. Juni 1996 – Beschwerde-Nr. 19776/92 – Amuur ./. Frankreich, Rn. 50; Urteil vom 9. Juli 2009 – Beschwerde-Nr. 11364/03 – Mooren ./. Deutschland, Rn. 72). Dies bedeutet insbesondere, dass jede Festnahme oder Freiheitsentziehung einer gesetzlichen Grundlage im innerstaatlichen Recht bedarf (vgl. EGMR, Urteil vom 17. Dezember 2009 – Beschwerde-Nr. 19359/04 – Mücke ./. Deutschland, Rn. 90, m.w.N.).
Zur Wahrung der allgemeinen Rechtmäßigkeitsanforderung reicht die Einhaltung des innerstaatlichen Rechts allein jedoch nicht aus. Vielmehr muss jede Freiheitsentziehung auch mit dem Zweck des Art. 5 Abs. 1 EMRK in Einklang stehen, den Einzelnen vor Willkür zu schützen (vgl. nur EGMR, Urteil vom 9. Juli 2009 – Beschwerde-Nr. 11364/03 – Mooren ./. Deutschland, Rn. 72, m.w.N.). Danach muss das innerstaatliche Recht eine bestimmte Qualität aufweisen, insbesondere muss es hinreichend zugänglich, präzise und in seiner Anwendung vorhersehbar sein („sufficiently accessible, precise and foreseeable in its application”), um jegliche Gefahr der Willkür zu vermeiden (vgl. EGMR, Urteil vom 9. Juli 2009 – Beschwerde-Nr. 11364/03 – Mooren ./. Deutschland, Rn. 76; Urteil vom 17. Dezember 2009 – Beschwerde-Nr. 19359/04 – Mücke ./. Deutschland, Rn. 90, m.w.N.). Zudem muss es adäquaten Rechtsschutz („adequate legal protections”) sowie faire und angemessene Verfahren („fair and proper procedures”) vorsehen (vgl. EGMR, Urteil vom 24. Oktober 1979 – Beschwerde-Nr. 6301/73 – Winterwerp ./. Niederlande, Rn. 45; Urteil vom 25. Juni 1996 – Beschwerde-Nr. 19776/92 – Amuur ./. Frankreich, Rn. 53; Urteil vom 5. Oktober 2004 – Beschwerde-Nr. 45508/99 – H.L. ./. Vereinigtes Königreich, Rn. 115). Schließlich muss für eine konventionskonforme Freiheitsentziehung ein Zusammenhang zwischen dem Grund der Freiheitsentziehung und dem Ort und den Bedingungen der Freiheitsentziehung bestehen. Die Freiheitsentziehung einer Person wegen psychischer Krankheit ist danach grundsätzlich nur dann rechtmäßig im Sinne von Art. 5 Abs. 1 Satz 2 Buchstabe e EMRK, wenn sie in einem Krankenhaus, einer Klinik oder einer anderen geeigneten Einrichtung erfolgt (vgl. zuletzt EGMR, Urteil vom 19. April 2012 – Beschwerde-Nr. 61272/09 – B. ./. Deutschland, Rn. 69, m.w.N.).
(2) Nach diesen Maßgaben steht das Tatbestandsmerkmal der „psychischen Störung” in § 1 Abs. 1 Nr. 1 ThUG den Wertungen der Konvention nicht entgegen. Zur Wahrung der konventionsrechtlichen Vorgaben bedarf es insbesondere nicht einer den Schweregrad nach §§ 20, 21 StGB erreichenden psychischen Störung ((a)). Die Anforderungen an die Vorhersehbarkeit sind ebenso erfüllt ((b)) wie die übrigen Vorgaben ((c)).
(a) (aa) Bereits in einer Entscheidung der Europäischen Menschenrechtskommission vom 12. Juli 1976 wurde klargestellt, dass der Begriff der psychischen Störung in einem erweiterten Sinn zu verstehen ist, der auch abnorme Persönlichkeitszüge umfasst, die nicht einer Geisteskrankheit gleichkommen. Während sich aus dem in dieser Entscheidung mitgeteilten Sachverhalt ergibt, dass der Betroffene von den nationalen Gerichten als strafrechtlich nicht verantwortlich eingestuft worden war (vgl. Entscheidung der Europäischen Menschenrechtskommission vom 12. Juli 1976 – Beschwerde-Nr. 7493/76 – X ./. Deutschland, Decisions and Reports, Band 6, S. 182 f.), hat der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte in zwei weiteren Entscheidungen eine Unterbringung von zumindest eingeschränkt verantwortlichen Personen auf der Grundlage des Art. 5 Abs. 1 Satz 2 Buchstabe e EMRK gutgeheißen. Eine dieser Entscheidungen bezeichnet die dort geprüfte Unterbringung zwar als gesetzmäßig wegen geistiger Krankheit („mental illness”); der Fall betraf aber eine Person, die nach englischem Strafrecht – das außer bei Mordanklagen nur zwischen (voller) Schuldfähigkeit oder Schuldunfähigkeit unterscheidet, etwaigen Abstufungen dagegen nur im Rahmen der Strafzumessung Rechnung trägt (vgl. Albrecht, in: Kröber/Dölling/Leygraf/Sass, Handbuch der forensischen Psychiatrie, Band 1 (2007), S. 547) – als schuldfähig beurteilt worden war und demgemäß vor der Unterbringung eine Freiheitsstrafe verbüßt hatte (vgl. EGMR, Urteil vom 20. Februar 2003 – Beschwerde-Nr. 50272/99 – Hutchinson Reid ./. Vereinigtes Königreich, Rn. 14, 50). Auch das zweite Verfahren betraf die Unterbringung eines Straftäters, der für (nur) eingeschränkt strafrechtlich verantwortlich befunden und zu einer Freiheitsstrafe in Kombination mit psychiatrischer Unterbringung verurteilt worden war (vgl. EGMR, Urteil vom 11. Mai 2004 – Beschwerde-Nr. 48865/99 – Morsink ./. Niederlande, Rn. 9, 62).
(bb) In seinen Entscheidungen zur Sicherungsverwahrung geht der Gerichtshof davon aus, dass die Sicherungsverwahrung bestimmter Straftäter die Voraussetzungen von Art. 5 Abs. 1 Satz 2 Buchstabe e EMRK erfüllen kann (vgl. EGMR, Urteil vom 17. Dezember 2009 – Beschwerde-Nr. 19359/04 – Mücke ./. Deutschland, Rn. 103). Dies ist deshalb von Belang, weil es sich bei sicherungsverwahrten Straftätern typischerweise gerade nicht um solche mit erheblich beeinträchtigter strafrechtlicher Verantwortlichkeit handelt. Denn bei gleichzeitigem Vorliegen der Voraussetzungen für eine Unterbringung in der Sicherungsverwahrung (§ 66 StGB) und – wegen einer psychischen Störung, die eine erheblich verminderte Schuldfähigkeit begründet – für eine Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus (§ 63 StGB) ist, wenn der für die Unterbringung in der Sicherungsverwahrung erforderliche Hang zu bestimmten Straftaten auf den psychischen Defekt zurückzuführen ist, grundsätzlich der Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus der Vorrang einzuräumen (vgl. BGH, Beschluss vom 6. August 1997 – 2 StR 1999/97 –, NStZ 1998, S. 35 ≪36≫; BGH, Urteil vom 20. Februar 2002 – 2 StR 486/01 – juris, Rn. 15; ebenso, mit Verweis auf den ultima-ratio-Charakter der Sicherungsverwahrung, BGH, Urteil vom 20. September 2011 – 1 StR 71/11 –, juris, Rn. 21).
Soweit der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte in seinen Entscheidungen zur Sicherungsverwahrung eine Rechtfertigung über Art. 5 Abs. 1 Satz 2 Buchstabe e EMRK abgelehnt hat, lagen dem keine Ausführungen zugrunde, wonach eine psychische Störung im Sinne dieser Bestimmung mindestens mit einer erheblichen Beeinträchtigung der strafrechtlichen Verantwortlichkeit einhergehen muss. Der Gerichtshof hat das Vorliegen einer psychischen Störung teilweise verneint (vgl. EGMR, Urteil vom 17. Dezember 2009 – Beschwerde-Nr. 19359/04 – Mücke ./. Deutschland, Rn. 103) oder zumindest in Zweifel gezogen (vgl. EGMR, Urteil vom 13. Januar 2011 – Beschwerde-Nr. 17792/07 – Kallweit ./. Deutschland, Rn. 55; Urteil vom 24. November 2011 – Beschwerde-Nr. 4646/08 – O.H. ./. Deutschland, Rn. 86; Urteil vom 19. Januar 2012 – Beschwerde-Nr. 21906/09 – Kronfeldner ./. Deutschland, Rn. 79). Dabei orientierte er sich an der seinerzeit nach nationalem Recht zu treffenden Unterscheidung zwischen der Unterbringung gefährlicher Straftäter in der Sicherungsverwahrung einerseits und der Unterbringung psychisch Kranker, die im Zustand der Schuldunfähigkeit oder der erheblich verminderten Schuldfähigkeit Straftaten begangen haben, in einem psychiatrischen Krankenhaus andererseits (vgl. EGMR, Urteil vom 13. Januar 2011 – Beschwerde-Nr. 17792/07 – Kallweit ./. Deutschland, Rn. 55) und stützte sich auf die Feststellung der nationalen Gerichte, die eine Unterbringung der Betroffenen nach § 63 StGB abgelehnt hatten (vgl. EGMR, Urteil vom 17. Dezember 2009 – Beschwerde-Nr. 19359/04 – Mücke ./. Deutschland, Rn. 22, 103; Urteil vom 13. Januar 2011 – Beschwerde-Nr. 17792/07 – Kallweit ./. Deutschland, Rn. 55; Urteil vom 13. Januar 2011 – Beschwerde-Nr. 6587/04 – Haidn ./. Deutschland, Rn. 92, dort zu landesrechtlichen Regelungen).
Weiter stellte der Gerichtshof – ohne in allen Fällen abschließend über die Frage einer psychischen Störung zu entscheiden – darauf ab, dass die nationalen Gerichte jedenfalls nicht dazu berufen gewesen seien, das Vorliegen einer psychischen Störung zu überprüfen, und die Unterbringungsentscheidung nicht auf eine psychische Störung gestützt worden sei (vgl. EGMR, Urteil vom 17. Dezember 2009 – Beschwerde-Nr. 19359/04 – Mücke ./. Deutschland, Rn. 103; Urteil vom 13. Januar 2011 – Beschwerde-Nr. 17792/07 – Kallweit ./. Deutschland, Rn. 56; Urteil vom 13. Januar 2011 – Beschwerde-Nr. 6587/04 – Haidn ./. Deutschland, Rn. 93; Urteil vom 24. November 2011 – Beschwerde-Nr. 4646/08 – O.H. ./. Deutschland, Rn. 86; Urteil vom 19. Januar 2012 – Beschwerde-Nr. 21906/09 – Kronfeldner ./. Deutschland, Rn. 79). Darüber hinaus scheide – abermals unabhängig vom Vorliegen einer psychischen Störung – eine Rechtfertigung nach Art. 5 Abs. 1 Satz 2 Buchstabe e EMRK aus, weil die Unterbringung nicht in einer für psychisch Kranke adäquaten Einrichtung erfolgt sei (vgl. EGMR, Urteil vom 13. Januar 2011 – Beschwerde-Nr. 17792/07 – Kallweit ./. Deutschland, Rn. 57; Urteil vom 13. Januar 2011 – Beschwerde-Nr. 6587/04 – Haidn ./. Deutschland, Rn. 94; Urteil vom 24. November 2011 – Beschwerde-Nr. 4646/08 – O.H. ./. Deutschland, Rn. 87 ff.; Urteil vom 19. Januar 2012 – Beschwerde-Nr. 21906/09 – Kronfeldner ./. Deutschland, Rn. 80 ff.).
Im Kontext mit dem für eine konventionskonforme Freiheitsentziehung erforderlichen Zusammenhang zwischen dem Grund, dem Ort und den Bedingungen der Freiheitsentziehung bezog der Gerichtshof in seine Erwägungen mit ein, dass von der gesetzlichen Möglichkeit, die angeordnete Sicherungsverwahrung in einem psychiatrischen Krankenhaus zu vollziehen (§ 67a Abs. 2 StGB), kein Gebrauch gemacht wurde. Dabei führte er in Auseinandersetzung mit den abweichenden nationalen Vorgaben des § 67a Abs. 2 StGB, der eine bessere Förderung der Resozialisierung durch die Überweisung in eine andere Maßnahme voraussetzt, aus, dass für eine Rechtfertigung nach Art. 5 Abs. 1 Satz 2 Buchstabe e EMRK auch Therapieunwillige, denen wegen psychischer Krankheit die Freiheit entzogen wird, in einer für ihren Zustand geeigneten medizinisch therapeutischen Einrichtung unterzubringen seien (vgl. EGMR, Urteil vom 24. November 2011 – Beschwerde-Nr. 4646/08 – O.H. ./. Deutschland, Rn. 89; Urteil vom 19. Januar 2012 – Beschwerde-Nr. 21906/09 – Kronfeldner ./. Deutschland, Rn. 82). Rückschlüsse auf das Vorliegen oder Nichtvorliegen einer psychischen Störung lassen sich aus der Nichtüberweisung in ein psychiatrisches Krankenhaus indes nicht ziehen.
(cc) Die Entscheidungen zum Recht der Sicherungsverwahrung sind nach alledem dahin zu verstehen, dass sich der Gerichtshof hinsichtlich des für die Annahme einer psychischen Störung erforderlichen Schweregrades an den Feststellungen orientiert, die die Gerichte des jeweiligen Vertragsstaates auf der Grundlage der Systematik des jeweiligen nationalen Rechts getroffen hatten. Im deutschen Recht war vor dem Inkrafttreten des Therapieunterbringungsgesetzes die psychische Verfassung eines gefährlichen Straftäters bei der Entscheidung über seine präventive Unterbringung nur im Hinblick auf die Unterscheidung zwischen Schuldfähigkeit und fehlender oder erheblich verminderter Schuldfähigkeit (§§ 20, 21 StGB) von Bedeutung – ersterenfalls kam nur die Sicherungsverwahrung, letzterenfalls in der Regel nur die Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus in Betracht. Der Gerichtshof konnte daher für die Frage des Vorliegens einer psychischen Störung nur auf die anhand der genannten Unterscheidung getroffenen Feststellungen der deutschen Gerichte zurückgreifen.
Das bedeutet indes nicht, dass der nationale Gesetzgeber nicht, wie mit dem Therapieunterbringungsgesetz geschehen, die Systematik des nationalen Rechts verändern und eine vom Vorliegen einer erheblichen Beeinträchtigung der Schuldfähigkeit unabhängige „psychische Störung” – als dritten Weg – zur gesetzlichen Voraussetzung einer therapiegerichteten Unterbringung machen dürfte. Dementsprechend hat der Gerichtshof zuletzt mehrfach hervorgehoben, dass die nationalen Gerichte bei ihren Entscheidungen über die Fortdauer einer Unterbringung von Sicherungsverwahrten – also außerhalb des § 63 StGB – nicht darüber zu befinden gehabt hätten, ob der Betroffene eine psychische Störung aufwies. Genau hier setzt das Therapieunterbringungsgesetz an, indem es – neben bestimmten Anforderungen an eine daraus resultierende Gefahr – erstmals das Vorliegen einer psychischen Störung zur gesetzlichen Unterbringungsvoraussetzung bestimmt und damit entsprechende von den Voraussetzungen der §§ 20, 21 StGB unabhängige gerichtliche Prüfungspflichten begründet.
(b) Soweit der Gerichtshof für eine rechtmäßige Freiheitsentziehung auch qualitative Anforderungen an das nationale Recht stellt, genügt das Therapieunterbringungsgesetz insbesondere auch den Ansprüchen an die Vorhersehbarkeit. Der Gerichtshof verlangt sowohl eine präzise („precise”) Formulierung der Tatbestandsvoraussetzungen, eine Anforderung, die keine erkennbaren Unterschiede zu den nationalen Bestimmtheitsanforderungen aufweist (dazu unter IV.), als auch eine vorhersehbare („foreseeable”) Rechtsanwendung in dem Sinne, dass die gesetzliche Regelung zum maßgeblichen Zeitpunkt in Kraft gewesen sein muss, um jegliche Gefahr der Willkür zu vermeiden (vgl. nur EGMR, Urteil vom 17. Dezember 2009 – Beschwerde-Nr. 19359/04 – Mücke ./. Deutschland, Rn. 90, m.w.N.).
In der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte ist über den maßgeblichen Zeitpunkt für die Vorhersehbarkeit bei Art. 5 Abs. 1 Satz 2 Buchstabe e EMRK bislang noch nicht ausdrücklich entschieden worden. Als maßgeblicher Zeitpunkt für eine Freiheitsentziehung nach Art. 5 Abs. 1 Satz 2 Buchstabe e EMRK, bei der es im Kern nicht – wie etwa bei Art. 7 und Art. 5 Abs. 1 Satz 2 Buchstabe a EMRK – um die Freiheitsentziehung wegen einer in der Vergangenheit liegenden Handlung sowie einer daran anknüpfenden Verurteilung sondern um die Freiheitsentziehung wegen eines gegenwärtigen Zustandes (hier: einer psychischen Störung und der darauf beruhenden Gefährlichkeit für die Allgemeinheit) geht (vgl. BVerfGE 128, 326 ≪398≫), ist auf den Zeitpunkt der Anordnung abzustellen. Zu diesem Zeitpunkt muss auch die psychische Störung zuverlässig nachgewiesen sein (vgl. EGMR, Urteil vom 23. Februar 1984 – Beschwerde-Nr. 9019/80 – Luberti ./. Italien, Rn. 28; Urteil vom 19. April 2012 – Beschwerde-Nr. 61272/09 – B. ./. Deutschland, Rn. 68).
Der Senat verkennt in diesem Zusammenhang nicht, dass der Gerichtshof in der Sache Mücke gegen Deutschland im Zusammenhang mit Art. 5 Abs. 1 EMRK eher allgemein „ernstliche Zweifel” an der Vorhersehbarkeit formulierte und als maßgebliches Moment wohl zum Zeitpunkt der Begehung der Straftat tendierte (vgl. nur EGMR, Urteil vom 17. Dezember 2009 – Beschwerde-Nr. 19359/04 – Mücke ./. Deutschland, Rn. 104). Die dortige Aussage kann aber nicht dahingehend verallgemeinert werden, dass für die Anordnung einer Freiheitsentziehung nach Art. 5 EMRK stets auf diesen Zeitpunkt abzustellen ist. Dies wäre auch unter systematischen Gesichtspunkten nicht ohne weiteres ersichtlich, weil mit einer solchen verallgemeinernden Aussage zu Art. 5 Abs. 1 EMRK als Ganzes letztlich das spezifische Rückwirkungsverbot beim Strafen im Sinne des Art. 7 Abs. 1 EMRK auf sämtliche Rechtfertigungsgründe des Art. 5 Abs. 1 EMRK übertragen würde. Überdies würde sich diese Auslegung nicht in die Rechtsprechung der Großen Kammer einfügen, der zufolge die Vorhersehbarkeit und der maßgebliche Bezugszeitpunkt, die der Vermeidung von Willkür zu dienen bestimmt sind, unter Berücksichtigung des jeweiligen Grundes der Freiheitsentziehung und dessen Zweck zu sehen sind (vgl. EGMR, Urteil vom 9. Juli 2009 – Beschwerde-Nr. 11364/03 – Mooren ./. Deutschland, Rn. 77; vgl. auch EGMR, Urteil vom 29. Januar 2008 – Beschwerde-Nr. 13229/03 – Saadi ./. Vereinigtes Königreich, Rn. 68). Bezieht man in die Betrachtung mit ein, dass die Unterbringung nach Art. 5 Abs. 1 Satz 2 Buchstabe e EMRK die Freiheitsentziehung wegen eines aktuellen Zustands zum Schutz der Allgemeinheit (vgl. EGMR, Urteil vom 4. April 2000 – Beschwerde-Nr. 26629/95 – Litwa ./. Polen, Rn. 60) ist und nicht vorrangig die Reaktion auf ein vorangegangenes Verhalten darstellt, ist im Lichte des Normzwecks und unter Wahrung des nationalen Beurteilungsspielraums auf den Zeitpunkt der Anordnung abzustellen und nicht im Sinne eines absoluten Rückwirkungsverbots auf einen bestimmten Zeitpunkt in der Vergangenheit.
(c) Den weiteren konventionsrechtlichen Anforderungen an eine rechtmäßige Unterbringung nach Art. 5 Abs. 1 Satz 2 Buchstabe e EMRK genügt das Therapieunterbringungsgesetz ebenfalls. Die psychische Störung ist durch sachverständige Begutachtung nachzuweisen (§ 9 ThUG). Durch die zeitliche Begrenzung der Unterbringung (§ 12 Abs. 1 ThUG) und das Erfordernis einer erneuten Begutachtung bei einer Verlängerung (§ 12 Abs. 2 i.V.m. § 9 ThUG) wird gewährleistet, dass die Fortdauer der Freiheitsentziehung vom Fortbestehen der psychischen Störung abhängt. Die Notwendigkeit der zwangsweisen Unterbringung, die nicht nur dann gegeben ist, wenn eine Person eine therapeutische, medikamentöse oder anderweitige klinische Behandlung braucht, sondern auch dann, wenn sie Kontrolle und Aufsicht benötigt, um sie beispielsweise davon abzuhalten, sich selbst oder anderen Personen Schaden zuzufügen (vgl. EGMR, Urteil vom 20. Februar 2003 – Beschwerde-Nr. 50272/99 – Hutchison Reid ./. Vereinigtes Königreich, Rn. 52), folgt aus § 1 Abs. 1 Nr. 1 ThUG. Dieser verlangt – in verfassungskonformer Auslegung – eine hochgradige Gefahr schwerster Gewalt- oder Sexualstraftaten und damit eine qualifizierte Beeinträchtigung hochrangiger Rechtsgüter Dritter. Mit den Vorgaben für geeignete Einrichtungen zur Unterbringung (§ 2 ThUG) wird der konventionsrechtlich geforderte Zusammenhang zwischen dem Grund der Freiheitsentziehung und dem Ort und den Bedingungen der Unterbringung gewährleistet. Schließlich wird dem Betroffenen zur Sicherung eines fairen Verfahrens verpflichtend ein Rechtsanwalt als Beistand beigeordnet (§ 7 ThUG) und gesondert eine persönliche Anhörung des Betroffenen vorgeschrieben (§ 8 Abs. 2 ThUG). Die Landgerichte (§ 4 ThUG) entscheiden über die Unterbringung durch Beschluss (§ 10 ThUG), gegen den seinerseits die Beschwerde zur Verfügung steht (§ 16 ThUG).
IV.
Die Unterbringung nach dem Therapieunterbringungsgesetz verstößt bei der aus Vertrauensschutzbelangen heraus erforderlichen verfassungskonformen Auslegung (s.o.) nicht aus sonstigen Gründen gegen das Freiheitsgrundrecht aus Art. 2 Abs. 2 Satz 2 in Verbindung mit Art. 104 Abs. 1 GG; insbesondere sind die Anforderungen des Bestimmtheitsgebots gewahrt.
1. Art. 103 Abs. 2 GG findet auf die Therapieunterbringung keine Anwendung, weil diese ebenso wie die Sicherungsverwahrung nicht als Strafe im Sinne des Art. 103 Abs. 2 GG zu qualifizieren ist (vgl. BVerfGE 109, 133 ≪187 f.≫; 128, 326 ≪376 f., 392 f.≫; jeweils zur Sicherungsverwahrung). Strafbarkeit gemäß Art. 103 Abs. 2 GG setzt voraus, dass das auferlegte materielle Übel mit der Missbilligung vorwerfbaren Verhaltens verknüpft ist und von seiner Zielrichtung her (zumindest auch) dem Schuldausgleich dient (BVerfGE 109, 133 ≪172 ff.≫; 128, 326 ≪376 f., 392 f.≫). Der Zweck der Therapieunterbringung liegt jedoch allein in der zukünftigen Sicherung der Gesellschaft und ihrer Mitglieder vor einzelnen, aufgrund ihres bisherigen Verhaltens als hochgefährlich eingeschätzten Tätern.
Den Maßstab für die Bestimmtheitsanforderungen bildet vorliegend Art. 104 Abs. 1 Satz 1 GG, der den Gesetzgeber verpflichtet, die Fälle, in denen eine Freiheitsentziehung zulässig sein soll, hinreichend klar zu bestimmen. Freiheitsentziehungen sind in berechenbarer, messbarer und kontrollierbarer Weise zu regeln. Insoweit konkretisiert Art. 104 Abs. 1 Satz 1 GG die sich aus dem Rechtsstaatsprinzip ergebenden Bestimmtheitsanforderungen (vgl. BVerfGE 29, 183 ≪195 f.≫; 76, 363 ≪387≫; 109, 133 ≪188≫). Dabei müssen die Vorgaben des Gesetzgebers umso genauer sein, je intensiver der Grundrechtseingriff ist und je schwerwiegender die Auswirkungen der Regelung sind (vgl. BVerfGE 86, 288 ≪311≫; 93, 213 ≪238≫, m.w.N.; 109, 133 ≪188≫). Da präventive Freiheitsentziehungen ebenso stark in das Grundrecht des Art. 2 Abs. 2 Satz 2 GG eingreifen wie Freiheitsstrafen, ergibt sich aus Art. 104 Abs. 1 GG im Ergebnis ein ähnliches Bestimmtheitsgebot wie aus Art. 103 Abs. 2 GG (BVerfGE 29, 183 ≪196≫; 78, 374 ≪383≫; 96, 68 ≪97≫; 131, 268 ≪306≫).
Das Bestimmtheitsgebot schließt die Verwendung konkretisierungsbedürftiger Begriffe nicht aus (vgl. BVerfGE 11, 234 ≪237≫; 28, 175 ≪183≫; 48, 48 ≪56≫; 92, 1 ≪12≫; 126, 170 ≪196≫). Der Gesetzgeber muss in der Lage bleiben, der Vielgestaltigkeit des Lebens Herr zu werden (zu Art. 103 Abs. 2 GG, vgl. BVerfGE 28, 175 ≪183≫; 47, 109 ≪120 f.≫; 126, 170 ≪195≫). Dabei lässt sich der Grad der für eine Norm jeweils erforderlichen Bestimmtheit nicht abstrakt festlegen, sondern hängt von den Besonderheiten des jeweiligen Tatbestandes einschließlich der Umstände ab, die zur gesetzlichen Regelung geführt haben (BVerfGE 28, 175 ≪183≫; 86, 288 ≪311≫; 126, 170 ≪196≫). Gegen die Verwendung unbestimmter Rechtsbegriffe bestehen keine Bedenken, wenn sich mit Hilfe der üblichen Auslegungsmethoden, insbesondere durch Heranziehung anderer Vorschriften desselben Gesetzes, durch Berücksichtigung des Normzusammenhangs oder aufgrund einer gefestigten Rechtsprechung eine zuverlässige Grundlage für eine Auslegung und Anwendung der Norm gewinnen lässt (BVerfGE 45, 363 ≪371 f.≫; 86, 288 ≪311≫). Die Rechtsprechung ist zudem gehalten, verbleibende Unklarheiten über den Anwendungsbereich einer Norm durch Präzisierung und Konkretisierung im Wege der Auslegung nach Möglichkeit auszuräumen (zum an die Rechtsprechung gerichteten Präzisierungsgebot im Rahmen des Art. 103 Abs. 2 GG, vgl. BVerfGE 126, 170 ≪198≫).
2. Nach diesen Maßstäben ist die Vorschrift des § 1 Abs. 1 ThUG nicht zu beanstanden. Die psychische Störung als unbestimmter Rechtsbegriff (vgl. BVerfG, Beschluss der 3. Kammer des Zweiten Senats vom 15. September 2011 – 2 BvR 1516/11 –, juris, Rn. 39) erfährt durch die in der Gesetzesbegründung (vgl. BTDrucks 17/3403, S. 53 f.) aufgenommene Anknüpfung an die zu Art. 5 Abs. 1 Satz 2 Buchstabe e EMRK entwickelten Voraussetzungen und die Anlehnung an die Begriffswahl der heute in der Psychiatrie genutzten Diagnoseklassifikationssysteme eine Konturierung, die zusammen mit den weiteren gesetzlichen Merkmalen einer präzisierenden, den Anforderungen an die Bestimmtheit genügenden Auslegung zugänglich ist.
a) aa) Die Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte zu Art. 5 Abs. 1 Satz 2 Buchstabe e EMRK begründet – auch ohne abschließende Begriffsdefinition – eine restriktive Auslegung dahin, dass jedenfalls qualitative Mindestanforderungen an die psychische Störung zu stellen sind. So wird vorausgesetzt, dass aufgrund eines objektiven ärztlichen Gutachtens nachgewiesen ist, dass der Betroffene an einer „tatsächlichen”, „echten” psychischen Störung leidet („true mental disorder”), die nach Art oder Ausmaß („kind or degree”) eine Zwangseinweisung erfordert, und zwar entweder im Eigeninteresse des Betroffenen oder im öffentlichen Interesse. Ferner muss die Dauer der Freiheitsentziehung vom Fortbestand dieser Störung abhängig sein und die Unterbringung ihrem Anlass entsprechend in einer psychiatrischen Klinik oder Anstalt vollzogen werden (vgl. nur EGMR, Urteil vom 24. Oktober 1979 – Beschwerde-Nr. 6301/73 – Winterwerp ./. Niederlande, Rn. 37 ff.; stRspr). Neben dem formalen Aspekt, dass die Diagnose nur auf ein objektives ärztliches Gutachten gestützt werden kann, wird qualitativ eine „tatsächliche”, „echte” psychische Störung verlangt, die nach Art ihrer Ausprägung eine zwangsweise Unterbringung erfordert. Damit stellt Art. 5 Abs. 1 Satz 2 Buchstabe e EMRK – ebenso wie § 1 Abs. 1 ThUG selbst (dazu gleich unter (b)) – eine Rückkoppelung der psychischen Störung zum Unterbringungszweck her und begründet dadurch Anforderungen an die Intensität der psychischen Störung (vgl. Schöch, GA 2012, S. 14 ≪28≫; Meyer-Ladewig, EMRK, 3. Aufl. 2011, Art. 5 Rn. 45), indem sich die psychische Störung im Grund der Freiheitsentziehung niederschlagen muss. Letzteres kommt auch darin zum Ausdruck, dass die Unterbringung ihrem Anlass entsprechend in einer geeigneten Einrichtung zu erfolgen hat.
bb) Darüber hinaus lehnt sich die Gesetzesbegründung zur Bestimmung der psychischen Störung an die in der Psychiatrie anerkannten Klassifikationssysteme ICD-10 (Internationale Statistische Klassifikation der Krankheiten und verwandter Gesundheitsprobleme der WHO, 10. Revision, Kapitel V) beziehungsweise DSM-IV (Diagnostisches und Statistisches Handbuch Psychischer Störungen der Amerikanischen Psychiatrischen Vereinigung, 4. Aufl.) an (vgl. BTDrucks 17/3403, S. 54).
(1) Soweit kritisiert wird, dass die Diagnose einer dissozialen Persönlichkeitsstörung nach DSM-IV umstritten sei, weil die Kriterien bereits durch wiederholte Regelverstöße und Verhaltensauffälligkeiten erfüllt würden, während psychopathologische Symptome nicht erforderlich seien (vgl. Stellungnahme der DGPPN vom 6. März 2012, S. 4), ist dem entgegenzuhalten, dass jedenfalls nach der Gesetzesbegründung (BTDrucks 17/3403, S. 54) und dem ebenfalls vorhandenen Verweis auf das Klassifikationssystem ICD-10 nicht in Zweifel gezogen werden kann, dass für eine psychische Störung im Sinne des § 1 Abs. 1 ThUG allein soziale Abweichungen oder Konflikte nicht genügen.
(2) Mit den üblichen Methoden der Auslegung beantwortbar ist auch die Frage, ob ein subjektiver Leidensdruck des Betroffenen Voraussetzung für die Unterbringung nach § 1 Abs. 1 ThUG ist. Aufgetretene Meinungsverschiedenheiten hierüber begründen ebenfalls keine unzureichende Bestimmtheit dieser Norm.
Bejahende Antworten auf die genannte Frage sind einerseits aus dem in Anlehnung an die in der Psychiatrie anerkannten Klassifikationssysteme auszufüllenden Begriff der „psychischen Störung” (vgl. dazu OLG Hamm, Beschluss vom 9. Juni 2011 – 4 Ws 207/10 –, juris, Rn. 29, 41 ff., dort zum Begriff der psychischen Störung im Recht der Sicherungsverwahrung; vgl. auch Morgenstern, ZIS 2011, S. 974 ≪977 f.≫; Mahler/Pfäfflin, R&P 2012, S. 130 ≪131≫), andererseits aus dem in § 1 Abs. 1 ThUG verwendeten Verb „leidet” (vgl. Dessecker, ZIS 2011, S. 706 ≪712≫) abgeleitet worden (auf beide Gesichtspunkte abstellend Krehl, StV 2012, S. 27 ≪30≫; Kröber, FPPK 2012, S. 60 ≪60 f.≫). Beide Ableitungen können nicht überzeugen.
Was das Verhältnis von subjektivem Leidensdruck und psychischer Störung im Sinne der Psychiatrie angeht, besteht zwar ein empirischer, nicht aber ein begrifflicher Zusammenhang. So wird zwar einerseits vorgetragen, Leidensdruck sei regelmäßig oder grundsätzlich kennzeichnend für eine psychische Störung (vgl. Merkel, Betrifft Justiz 2011, S. 202 ≪205≫; Morgenstern, ZIS 2011, S. 974 ≪977≫), andererseits aber zugestanden, dass alternativ auch bloß objektive Einschränkungen in wichtigen Funktionsbereichen in Betracht kommen (Mahler/Pfäfflin, R&P 2012, S. 130 ≪131≫; wohl auch Morgenstern, ZIS 2011, S. 974 ≪978≫). Danach ist subjektiver Leidensdruck, wenn er auch häufige oder typische Begleiterscheinung einer psychischen Störung sein mag, keine definitorische Voraussetzung für das Vorliegen einer solchen Störung. Dem entspricht es, dass in der Vorbemerkung zu den Persönlichkeits- und Verhaltensstörungen (F60-F69) nach ICD-10 ausgeführt wird, dass diese häufig – mithin nicht immer – mit einem unterschiedlichen Ausmaß persönlichen Leidens und gestörter sozialer Funktionsfähigkeit einhergingen (vgl. Internationale Statistische Klassifikation der Krankheiten und verwandter Gesundheitsprobleme der WHO, 10. Revision, Version 2013, Kapitel V, Persönlichkeits- und Verhaltensstörungen (F60-F69), S. 297).
Hinzu kommt, dass der juristische Begriff der psychischen Störung nach § 1 Abs. 1 ThUG sich zwar an die in der Psychiatrie genutzten Diagnoseklassifikationssysteme anlehnt. Bei der Auslegung dieses Begriffs als Rechtsbegriff kann jedoch – anders bei einem hippokratischen Ansatz, bei dem das Leiden als Rechtfertigung für die therapeutische Intervention herangezogen wird (vgl. Kröber, FPPK 2012, S. 60 ≪61≫) – der Zweck der Vorschrift nicht außer Betracht bleiben. § 1 Abs. 1 ThUG ist darauf gerichtet, im Einklang mit den Vorgaben des Art. 5 Abs. 1 Satz 2 Buchstabe e EMRK einen möglichst nachhaltigen Schutz der Allgemeinheit vor schweren Rechtsgutsverletzungen durch psychisch gestörte Gewalt- und Sexualstraftäter zu erreichen (vgl. BTDrucks 17/3403, S. 53). Auf einen subjektiven Leidensdruck abzustellen und damit die Möglichkeit der Unterbringung von Personen auszuschließen, die unter ihrer – sie zu schwersten Gewalt- und/oder Sexualstraftaten treibenden – psychischen Verfassung nach eigener Wahrnehmung nicht leiden, wäre mit dieser gesetzgeberischen Konzeption nicht vereinbar (vgl. Merkel, Betrifft Justiz 2011, S. 202 ≪206≫).
Auch der Wortlaut des § 1 Abs. 1 Nr. 1 ThUG, wonach die Unterbringungsanordnung voraussetzt, dass der Betroffene „an einer psychischen Störung leidet” legt eine derart zweckwidrige Auslegung nicht nahe. Das Verb „leiden (an)” kann für das schlichte Betroffensein von etwas stehen, das zwar derjenige, der das Wort verwendet, nicht aber notwendigerweise auch der Betroffene selbst als negativ bewertet (vgl. Duden, Deutsches Universalwörterbuch, 5. Aufl. 2003, S. 1008). Um diese allein eine Bewertung desjenigen, der die Wendung „leiden (an)” gebraucht, implizierende Bedeutung handelt es sich in besonders offensichtlicher Weise, wenn sie in Bezug auf Gegenstände angewendet wird, die subjektiven Leidens von vornherein nicht fähig sind; so etwa, wenn von einem Verwaltungsakt die Rede ist, der „an einem besonders schwerwiegenden Fehler leidet” (§ 125 Abs. 1 AO). Häufig wird die Wendung aber auch in personenbezogenen, insbesondere medizinischen, Zusammenhängen in dieser über die subjektive Befindlichkeit der Betroffenen nichts aussagenden und Feststellungen hierzu nicht erfordernden Weise verwendet (vgl. nur etwa § 21 Abs. 2 Nr. 6 Arzneimittelgesetz). Um eine solche Verwendung handelt es sich in § 1 Abs. 1 Nr. 1 ThUG (vgl. auch Nußstein, StV 2011, S. 633 ≪634≫).
b) Die Möglichkeit der Therapieunterbringung erfährt eine weitere, maßgebliche Einschränkung dadurch, dass das Gesetz ausdrücklich neben der psychischen Störung einen Kausalzusammenhang zwischen der psychischen Störung und der Gefahr verlangt. Nach § 1 Abs. 1 Nr. 1 ThUG kann das zuständige Gericht die Unterbringung einer Person anordnen, wenn sie an einer psychischen Störung leidet und eine Gesamtwürdigung ihrer Persönlichkeit, ihres Vorlebens und ihrer Lebensverhältnisse ergibt, dass sie infolge ihrer psychischen Störung mit hoher Wahrscheinlichkeit das Leben, die körperliche Unversehrtheit, die persönliche Freiheit oder die sexuelle Selbstbestimmung einer anderen Person erheblich beeinträchtigen wird. Die Gesetzesbegründung führt zu der danach erforderlichen Kausalität aus, dass über das Erfordernis der Gefährlichkeitsprognose, die einen hohen Grad an Wahrscheinlichkeit verlange, sichergestellt werde, dass eine Unterbringung nur bei störungsbedingten erheblichen Gefahren für besonders bedeutende Rechtsgüter Dritter in Betracht komme; die Gefährlichkeit der betroffenen Person müsse im Sinne einer Kausalität auf der psychischen Störung beruhen (vgl. BTDrucks 17/3403, S. 54). Durch diese Verknüpfung wird die konventionsrechtliche Vorgabe aufgenommen, wonach der Grad oder die Art der Störung eine zwangsweise Unterbringung rechtfertigen muss (vgl. nur EGMR, Urteil vom 19. April 2012 – Beschwerde-Nr. 61272/09 – B. ./. Deutschland, Rn. 69, m.w.N.; stRspr).
Dabei ist es unschädlich, dass der Begriff der psychischen Störung, ausgehend von den Diagnosemanualen, vielfältige und mit unterschiedlichsten Auswirkungen auf die Betroffenen verbundene Störungen einschließt und damit einen weiten Kreis von Personen erfasst, bei denen nur in seltenen Fällen zugleich eine Gefährlichkeit oder gar erhebliche Gefährlichkeit gegeben ist. Eine stigmatisierende Zuschreibung des Inhalts, dass Personen, die an einer psychischen Störung leiden, zugleich in einem ihre Unterbringung rechtfertigenden Sinne gefährlich sind, liegt in der tatbestandlichen Anknüpfung an den Begriff der psychischen Störung gerade nicht; die zusätzliche Anforderung einer aus der psychischen Störung resultierenden besonderen Gefährlichkeit impliziert im Gegenteil, dass die Gefährlichkeit gerade nicht als mit einer psychischen Störung ohne weiteres verbunden angesehen wird. Mit dem Erfordernis kausaler Verknüpfung zwischen der psychischen Störung und der zusätzlich erforderlichen Gefährlichkeit wird die konventionsrechtliche Vorgabe aufgenommen, wonach der Grad oder die Art der Störung eine zwangsweise Unterbringung rechtfertigen muss (vgl. nur EGMR, Urteil vom 19. April 2012 – Beschwerde-Nr. 61272/09 – B. ./. Deutschland, Rn. 69 m.w.N.; stRspr).
c) Die Reichweite der Eingriffsnorm wird im Übrigen durch die formellen Anforderungen der Therapieunterbringung weiter eingegrenzt, die ihrerseits hinreichend bestimmt sind. Dies gilt allem voran für die Bezugnahme auf eine Verurteilung wegen einer der Katalogtaten des § 66 Abs. 3 StGB, die nach der Gesetzesbegründung unzweifelhaft nicht notwendigerweise Anlasstat für die Anordnung der Sicherungsverwahrung gewesen sein muss (vgl. BTDrucks 17/3403, S. 53), und für die Voraussetzung einer vorangegangenen Sicherungsverwahrung.
Letztlich genügt das Therapieunterbringungsgesetz auch den an eine Prognoseentscheidung zu stellenden besonderen Bestimmtheitsanforderungen, wonach der Gesetzgeber bei präventiven Freiheitsentziehungen nicht nur über die tatbestandlichen Voraussetzungen der freiheitsentziehenden Maßnahme entscheiden muss, sondern angesichts der mit der Prognoseentscheidung verbundenen Unsicherheit auch festzulegen hat, welche zeitliche Wirkung der Prognoseentscheidung zukommt und wann diese zu überprüfen ist (vgl. BVerfGE 109, 133 ≪188≫). In § 12 Abs. 1 ThUG hat der Gesetzgeber die zeitliche Wirkung der Prognoseentscheidung auf längstens 18 Monate begrenzt und in § 12 Abs. 2 Satz 1 ThUG für eine Verlängerungsentscheidung die Vorschriften für die erstmalige Anordnung – mit angepassten Vorgaben zur Begutachtung (§ 12 Abs. 2 Satz 2 bis 4 ThUG) – für entsprechend anwendbar erklärt.
V.
Das Therapieunterbringungsgesetz verstößt in der hier maßgeblichen Fassung nicht gegen das Verbot des Einzelfallgesetzes aus Art. 19 Abs. 1 Satz 1 GG.
1. Art. 19 Abs. 1 Satz 1 GG verbietet innerhalb seines hier eröffneten Anwendungsbereichs (vgl. zum Anwendungsbereich, BVerfGE 24, 367 ≪396≫; 83, 130 ≪154≫; 95, 1 ≪17≫) grundrechtseinschränkende Gesetze, die nicht allgemein sind, sondern nur für den Einzelfall gelten. Die Anforderung, dass das Gesetz allgemein zu sein hat, ist erfüllt, wenn sich wegen der abstrakten Fassung des gesetzlichen Tatbestandes nicht absehen lässt, auf wie viele und welche Fälle das Gesetz Anwendung findet (BVerfGE 121, 30 ≪49≫, m.w.N.).
Das schließt die Regelung eines Einzelfalls nicht aus, wenn der Sachverhalt so beschaffen ist, dass es nur einen Fall dieser Art gibt und die Regelung dieses singulären Sachverhalts von sachlichen Gründen getragen wird (vgl. BVerfGE 25, 371 ≪399≫; 85, 360 ≪374≫). Art. 19 Abs. 1 Satz 1 GG enthält letztlich eine Konkretisierung des allgemeinen Gleichheitssatzes (vgl. BVerfGE 25, 371 ≪399≫; Jarass, in: Jarass/Pieroth, Grundgesetz, 12. Aufl. 2012, Art. 19 Rn. 2; vgl. auch Dreier, in: Dreier, Grundgesetz, 2. Aufl. 2004, Band I, Art. 19 I Rn. 16 („Verschärfung oder Konkretisierung”); Hufeld, in: Bonner Kommentar, Art. 19 Abs. 1 Satz 1 Rn. 8 (156. Lfg 2012) („Verschärfung”)), der es dem Gesetzgeber verbietet, aus einer Reihe gleichgelagerter Sachverhalte einen Fall herauszugreifen und zum Gegenstand einer Sonderregel zu machen (vgl. BVerfGE 25, 371 ≪399≫; 85, 360 ≪374≫). Der gleichheitssichernden Funktion des Verbots des Einzelfallgesetzes entspricht es auch, wenn diesem Verbot die Funktion zugeschrieben wird, den Grundsatz der Gewaltenteilung zu gewährleisten, indem konkret-individuelle Regelungen im Regelfall der Exekutive und generell-abstrakte Regelungen der Legislative vorbehalten bleiben (vgl. Sachs, in: Sachs, Grundgesetz, 6. Aufl. 2011, Art. 19 Rn. 20), denn der Gewaltenteilungsgrundsatz ist insoweit gerade in seiner gleichheitssichernden Funktion angesprochen.
Ohne die am Normzweck orientierte Begrenzung des Verbotsausspruchs, der zufolge bei entsprechender sachlicher Rechtfertigung auch die Regelung eines singulären Sachverhalts zulässig ist, geriete Art. 19 Abs. 1 Satz 1 GG in ein Spannungsverhältnis zu anderen Grundsätzen der Verfassung. Das gilt namentlich mit Blick auf den aus dem Demokratieprinzip des Art. 20 Abs. 1 und 2 GG sowie aus dem Rechtsstaatsprinzip des Art. 20 Abs. 3 GG abgeleiteten Vorbehalt des Gesetzes in Form des Parlamentsvorbehalts (vgl. Remmert, in: Maunz/Dürig, Grundgesetz, Art. 19 Abs. 1 Rn. 15 (66. Lfg. 2012); Krebs, in: von Münch/Kunig, Grundgesetz, 6. Aufl. 2012, Art. 19 Rn. 8 ff.), wenn der Normgeber nur in der Gestalt des förmlichen Gesetzes zur Rechtssetzung befugt ist. Dieses Spannungsverhältnis aufzulösen, ist Sache des Gesetzgebers. So kann vermieden werden, dass die Staatsgewalt auch in Konstellationen zur Untätigkeit gezwungen wäre, in denen ein (zwingendes) Regelungsbedürfnis für den singulären Sachverhalt besteht.
2. Nach diesen Maßstäben verstößt das Therapieunterbringungsgesetz nicht gegen Art. 19 Abs. 1 Satz 1 GG.
Dem Wortlaut nach ist § 1 Abs. 1 ThUG abstrakt gefasst und wird insoweit dem Allgemeinheitsgebot des Art. 19 Abs. 1 Satz 1 GG gerecht. Der Anwendungsbereich des Gesetzes betrifft zwar einen eng begrenzten Personenkreis, da von vornherein nur bereits Sicherungsverwahrte betroffen sind, die infolge des Urteils des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte vom 17. Dezember 2009 aus der Sicherungsverwahrung zu entlassen waren oder bereits entlassen worden waren (vgl. BTDrucks 17/3403, S. 19). Eine Individualisierung der Betroffenen liegt in dieser abstrakten Begrenzung jedoch nicht. Dem Gesetzgeber war zum Zeitpunkt des Gesetzgebungsverfahrens die genaue Anzahl der vom Anwendungsbereich des § 1 Abs. 1 ThUG Betroffenen nicht bekannt. Erst recht konnte der Gesetzgeber keine Kenntnis davon haben, welche individuellen Personen betroffen sein würden. Aufgrund der seinerzeit in der fachgerichtlichen Rechtsprechung noch nicht geklärten Frage, wie das Urteil des Gerichtshofs (EGMR, Urteil vom 17. Dezember 2009 – Beschwerde-Nr. 19359/04 – Mücke ./. Deutschland) im nationalen Kontext zu berücksichtigen sei (vgl. einerseits BGH, Beschluss vom 12. Mai 2010 – 4 StR 577/09 –, juris; andererseits BGH, Beschluss vom 21. Juli 2010 – 5 StR 60/10 –, BGHSt 55, 234), stand nicht fest, für welchen Kreis der Sicherungsverwahrten der zu berücksichtigende Vertrauensschutz zu einer Erledigung der Sicherungsverwahrung führen und die Anwendbarkeit des Therapieunterbringungsgesetzes eröffnen würde. Darüber hinaus begründet § 1 Abs. 1 ThUG keinen Automatismus dahingehend, dass alle Sicherungsverwahrten, die weiterhin als gefährlich eingestuft werden, aber aufgrund des Urteils des Gerichtshofs vom 17. Dezember 2009 entlassen wurden oder werden, in die Therapieunterbringung überführt werden.
VI.
Die mit den Verfassungsbeschwerden angefochtenen fachgerichtlichen Entscheidungen sind mit den Vorgaben des Grundgesetzes für die Anwendung des Therapieunterbringungsgesetzes nicht zu vereinbaren. Die Beschlüsse verletzen den Beschwerdeführer in seinem Grundrecht aus Art. 2 Abs. 2 Satz 2 in Verbindung mit Art. 20 Abs. 3 GG, weil die Fachgerichte bei ihren Entscheidungen nicht den verfassungsrechtlich gebotenen Verhältnismäßigkeitsmaßstab zugrunde gelegt haben. Für die Feststellung der Grundrechtsverletzung kommt es allein auf die objektive Verfassungswidrigkeit der angefochtenen fachgerichtlichen Entscheidungen im Zeitpunkt der Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts an; unerheblich ist hingegen, ob die Grundrechtsverletzung den Fachgerichten vorwerfbar ist (vgl. BVerfGE 128, 326 ≪407 f.≫).
1. a) Der im Verfahren 2 BvR 2302/11 angegriffene Beschluss des Saarländischen Oberlandesgerichts vom 30. September 2011 genügt nicht den Erfordernissen des Vertrauensschutzes.
Das Oberlandesgericht stellt nach Wiedergabe des Gesetzeswortlautes als Maßstab darauf ab, dass auf Grundlage der Sachverständigengutachten „mit hoher Wahrscheinlichkeit mit weiteren schweren (Sexual-)Straftaten zu rechnen sei” und bezieht sich auf den „erhöhten Gefährlichkeitsmaßstab” aus der Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts vom 4. Mai 2011. Allerdings wird dieser erhöhte Gefährlichkeitsmaßstab dieser Entscheidung insoweit nicht angewandt, als es danach auf die hochgradige Gefahr schwerster Gewalt- oder Sexualstraftaten ankommt (vgl. BVerfGE 128, 326 ≪332≫). Vielmehr stellt das Oberlandesgericht lediglich auf „schwere (Sexual-)Straftaten” ab. Auch aus den sonstigen Ausführungen kann nicht geschlossen werden, dass das Oberlandesgericht in seiner Entscheidung die strengen, auch hier zugrunde zulegenden Maßstäbe zur nachträglichen oder nachträglich verlängerten Sicherungsverwahrung angewandt hätte; insbesondere lässt auch die Formulierung, dass „von einer sehr hohen Wiederauftretenswahrscheinlichkeit erneuter Delikte der gleichen Oberkategorie” ausgegangen werden müsse, nicht erkennen, dass als „Oberkategorie” nur „schwerste” Gewalt- oder Sexualstraftaten ins Auge gefasst wurden.
b) Auch die der Beschwerde vorangehende Entscheidung des Landgerichts Saarbrücken vom 2. September 2011 wendet nicht den aus Vertrauensschutzgründen heranzuziehenden Maßstab an, sondern stellt – ausgehend von den im dortigen Verfahren vorliegenden Gutachten – ohne weitere Begründung zum erforderlichen Maßstab darauf ab, „dass vom Betroffenen weiterhin die Gefahr gravierender Gewalt- und/oder Sexualdelikte der in § 66 Abs. 3 Satz 1 StGB genannten Art [ausgehe]”. Dies genügt den verfassungsrechtlichen Anforderungen nicht, weil der in Bezug genommene (weite) Katalog nach § 66 Abs. 3 Satz 1 StGB nicht insgesamt den schwersten Gewalt- oder Sexualstraftaten zugeordnet werden kann und zudem die erforderliche Wahrscheinlichkeit für die Begehung eines solchen Delikts nicht thematisiert wird.
2. a) Der im Verfahren 2 BvR 1279/12 angegriffene Beschluss des Saarländischen Oberlandesgerichts vom 14. Mai 2012 lässt im Zusammenwirken der wiedergegebenen Begutachtungsergebnisse, der Ausführungen zu einem von der Fortgeltungsanordnung des Bundesverfassungsgerichts abweichenden Maßstab und der vorgenommenen Subsumtion ebenfalls nicht erkennen, ob das Oberlandesgericht bei seiner Entscheidung den für eine Anordnung der Therapieunterbringung gebotenen Verhältnismäßigkeitsmaßstab anwendet. Ausgehend vom Wortlaut des § 1 Abs. 1 ThUG stellt das Oberlandesgericht heraus, dass die „hohe Wahrscheinlichkeit” im Sinne des Therapieunterbringungsgesetzes nicht gleichbedeutend sei mit der „hochgradigen Gefahr für die Begehung schwerster Gewalt- oder Sexualdelikte”, wie sie im Bereich der nachträglichen und nachträglich verlängerten Sicherungsverwahrung gefordert werde.
Dabei bedarf es keiner Entscheidung, inwieweit die Ausführungen des Oberlandesgerichts zum erforderlichen Wahrscheinlichkeitsmaßstab für sich genommen mit den verfassungsrechtlichen Anforderungen zu vereinbaren sind. Verfassungsrechtlich nicht zu beanstanden ist der Ansatz des Oberlandesgerichts, demzufolge der erforderliche Wahrscheinlichkeitsgrad nicht an einer festen Prozentgrenze festgemacht werden könne, sondern das Gewicht der prognostizierten Delikte in die Betrachtung mit einzubeziehen sei. Dieser Zusammenhang gründet sich darauf, dass die gestellten, hohen Anforderungen Ausfluss des im Rahmen der Verhältnismäßigkeitsprüfung zu berücksichtigenden Vertrauensschutzes des Betroffenen sind, dem das Sicherungsbedürfnis der Allgemeinheit gegenübergestellt wird. Da das Gewicht dieses Allgemeininteresses sich aus zwei Elementen zusammensetzt – der Schwere der prognostizierten Delikte einerseits und der für diese bestehenden Eintrittswahrscheinlichkeit andererseits – kann zur Bestimmung des einzustellenden Gesamtgewichts ein Weniger des einen in engen Grenzen durch ein Mehr des anderen ausgeglichen werden. Dabei haben Delikte unterhalb der Schwelle „schwerster Gewalt- oder Sexualdelikte” außer Betracht zu bleiben. Innerhalb der Bandbreite dieser Deliktskategorie kann aber aufgrund des beschriebenen normativen Zusammenhangs die Konkretisierung der „hochgradigen Gefahr” variieren, wobei auch für die denkbar schwersten Gewalt- oder Sexualstraftaten immer eine signifikante Eintrittswahrscheinlichkeit bestehen muss.
Die angegriffene Entscheidung des Saarländischen Oberlandesgerichts genügt jedoch deshalb nicht den verfassungsrechtlichen Vorgaben, weil sich dem Beschluss nicht entnehmen lässt, dass der Prognosemaßstab allein auf die in diesem Zusammenhang zu berücksichtigenden „schwersten Gewalt- oder Sexualdelikte” bezogen wird. Sowohl die Wiedergabe der Erkenntnisse der vorangegangenen Begutachtungen als auch die Darstellung der für das Verfahren eingeholten Gutachten beziehen die Wahrscheinlichkeitsprognosen nicht auf den Deliktsbereich der „schwersten Gewalt- oder Sexualdelikte”, sondern sprechen allgemein von „Gewaltdelikten gegenüber Frauen”, „neuerlichen Sexualstraftaten beziehungsweise Gewaltstraftaten”, „Delikten der gleichen Oberkategorie”, „erneuten Gewaltdelikten”, „sexuellen Gewaltdelikten” oder „plötzlich aggressivem Verhalten”. Weil diese Formulierungen auch Deliktstypen umfassen können, die nicht dem Bereich der „schwersten Gewalt- oder Sexualstraftaten” zugeordnet werden können, genügt es nicht, wenn das Oberlandesgericht – ohne dass dies den wiedergegebenen gutachterlichen Stellungnahmen zu entnehmen wäre – als Ergebnis festhält, dass danach eine „hohe Wahrscheinlichkeit” für die Begehung „schwerster Straftaten” bestehe. Insbesondere kann insoweit nicht schlicht auf die Vortaten insgesamt abgestellt werden, weil unter diesen zwar unzweifelhaft auch solche „schwerster” Art sind, aber nicht im Einzelnen bestimmt wird, welche Vortaten dem Bereich der „schwersten” Delikte zuzuordnen sind und welcher Wahrscheinlichkeitsgrad für eine Begehung gerade dieser allein zu berücksichtigenden Taten besteht.
b) Der vorangehende Beschluss des Landgerichts Saarbrücken vom 17. Februar 2012 verstößt ebenfalls gegen Art. 2 Abs. 2 Satz 2 in Verbindung mit Art. 20 Abs. 3 GG, weil dort gleichermaßen nicht der verfassungsrechtlich erforderliche Maßstab zugrunde gelegt wird. Vielmehr wird zum einen qualitativ auf (nur) „gravierende” Gewalttaten abgestellt und zum anderen ausdrücklich die Übertragbarkeit des strengen Maßstabes zur Vertrauensschutzbelange berührenden Sicherungsverwahrung abgelehnt.
3. Es bedarf keiner Entscheidung, ob die angefochtenen Beschlüsse darüber hinaus einen Verstoß gegen das Analogieverbot aus Art. 2 Abs. 2 Satz 3 in Verbindung mit Art. 104 Abs. 1 GG begründen, indem das Therapieunterbringungsgesetz im Wege der Auslegung auf den Beschwerdeführer angewandt wurde, obwohl gegen ihn die Sicherungsverwahrung mangels rechtskräftiger Entscheidung hierüber nicht vollzogen wurde, sondern Grundlage der Vollziehung lediglich eine vorläufige Unterbringung nach § 275a Abs. 5 StPO a.F. war. Die hier angegriffenen Beschlüsse sind bereits wegen des festgestellten Verstoßes gegen Art. 2 Abs. 2 Satz 2 in Verbindung mit Art. 20 Abs. 3 GG verfassungswidrig.
4. Hinsichtlich der angegriffenen Entscheidungen genügt die Feststellung der Verfassungswidrigkeit nach § 95 Abs. 1 BVerfGG. Einer Aufhebung der angefochtenen Entscheidungen bedarf es nicht, da diese nicht mehr die Grundlage für die aktuelle Unterbringung bilden und deshalb keine belastenden Wirkungen mehr entfalten (vgl. BVerfGE 50, 234 ≪243≫; BVerfG, Beschluss der 3. Kammer des Zweiten Senats vom 17. April 2012 – 2 BvR 1762/10 –, juris, Rn. 18).
C.
Die Entscheidung über die Auslagenerstattung folgt aus § 34a Abs. 2 BVerfGG.
D.
Die Entscheidung ist zur Gesetzgebungskompetenz (B./II.) mit 6:2 Stimmen, zur Möglichkeit der verfassungskonformen Auslegung (B./III.) mit 5:3 Stimmen ergangen.
Unterschriften
Voßkuhle, Lübbe-Wolff, Gerhardt, Landau, Huber, Hermanns, Müller, Kessal-Wulf
Fundstellen
BVerfGE 2014, 33 |
BVerfGE 2014, 95 |
FGPrax 2013, 279 |
ZAP 2013, 875 |
wistra 2013, 3 |
BtPrax 2013, 214 |
DÖV 2013, 818 |
JuS 2013, 8 |
GesR 2013, 5 |
NJW-Spezial 2013, 569 |
RÜ 2013, 649 |
StV 2014, 160 |
LL 2013, 906 |
R&P 2013, 220 |