Entscheidungsstichwort (Thema)
Verletzung von GG Art 2 Abs 1 iVm dem Rechtsstaatsprinzip durch die nicht vollständige Offenlegung eines gerichtlichen Sachverständigengutachtens über die ortsübliche Vergleichsmiete
Leitsatz (amtlich)
Es kann gegen Art 2 Abs 1 GG in Verbindung mit dem Rechtsstaatsprinzip verstoßen, wenn ein Gutachten über die ortsübliche Vergleichsmiete zur Grundlage eines Urteils gemacht wird, obwohl weder das Gericht noch die Prozeßparteien die Möglichkeit hatten, die vom Sachverständigen zugrunde gelegten Befundtatsachen zu überprüfen.
Orientierungssatz
1. Zu den im Rahmen des Rechtsstaatsprinzips gewährleisteten elementaren und für einen fairen Prozeß bzw einen wirkungsvollen Rechtsschutz unerläßlichen Verfahrensregeln zählt, daß ein Gericht die Richtigkeit bestrittener Tatsachen nicht ohne hinreichende Prüfung bejaht.
2. Folgt ein Fachgericht ohne nähere Prüfung einem Sachverständigengutachten, obwohl dessen Befundtatsachen bestritten sind, wird den Parteien die Möglichkeit abgeschnitten, gegebenenfalls die tatsächlichen Grundlagen und somit die Tauglichkeit des Gutachtens zur Streitentscheidung zu erschüttern.
3. Zwar verträgt die im rechtsstaatlichen Fairneßgebot verankerte Pflicht des Gerichts, die tatsächlichen Gutachtensgrundlagen hinreichend zu prüfen und die Parteien mitwirken zu lassen, bei einer Beeinträchtigung von Rechten Dritter Einschränkungen. Auf die Offenlegung von Mietpreisen sowie von Adressen und Beschaffenheit von Vergleichswohnungen kann aber in der Regel dann nicht verzichtet werden, wenn deren Kenntnis für eine Überprüfung des Gutachtens praktisch unentbehrlich ist.
4. Soweit eine vollständige Offenlegung von Tatsachen aus anerkennenswerten Gründen unterbleibt und auf eine Verwertung des Gutachtens aus überwiegenden Interessen der beweispflichtigen Partei dennoch nicht verzichtet werden kann, muß das Gericht versuchen, sich - etwa durch Befragung des Sachverständigen - Gewißheit zu verschaffen, in welcher Weise dieser seine Daten erhoben hat. Insbesondere mag im einzelnen Fall für die richterliche Überzeugungsbildung die genaue Beschreibung der zum Vergleich herangezogenen Wohnungen durch den Sachverständigen genügen, um dem Richter die Überzeugung von der Richtigkeit der verwendeten Daten zu vermitteln und den Parteien hinreichende Ansatzpunkte für eine kritische Würdigung an die Hand zu geben.
Hier: lediglich auf die innere Schlüssigkeit sowie auf die Reputation als zuverlässiger Sachverständiger gestützte gerichtliche Übernahme von Feststellungen aus einem Vergleichsmieten-Gutachten, das die herangezogenen Vergleichsobjekte nicht offenlegt.
Normenkette
GG Art. 2 Abs. 1, Art. 20 Abs. 3; MietHöReglG § 2 Abs. 1 S. 1 Nr. 2
Verfahrensgang
LG Regensburg (Entscheidung vom 27.07.1993; Aktenzeichen S 247/92) |
AG Cham (Entscheidung vom 12.05.1992; Aktenzeichen C 11/92) |
Fundstellen
Haufe-Index 543622 |
BVerfGE 91, 175-185 (Leitsatz und Gründe) |
BVerfGE, 176 |
NJW 1995, 40 |
NJW 1995, 40-41 (Leitsatz und Gründe) |
EuGRZ 1995, 76 |
EuGRZ 1995, 76-78 (Leitsatz und Gründe) |
WM 1995, 132-135 (Leitsatz und Gründe) |
ZMR 1995, 7-9 (Leitsatz und Gründe) |