Verfahrensgang
Saarländisches OLG (Beschluss vom 18.02.2004; Aktenzeichen 1 Ws 258/03) |
LG Saarbrücken (Beschluss vom 24.11.2003; Aktenzeichen I StVK 801/02) |
Tenor
Dem Beschwerdeführer wird Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gewährt.
Die Verfassungsbeschwerde wird nicht zur Entscheidung angenommen.
Gründe
Die Verfassungsbeschwerde wird nicht zur Entscheidung angenommen, weil die Annahmevoraussetzungen nach § 93a Abs. 2 BVerfGG nicht vorliegen. Die Verfassungsbeschwerde hat keine Aussicht auf Erfolg. Die auf eine Verletzung des Freiheitsgrundrechts und des Rechts auf ein faires Verfahren gestützte Verfassungsbeschwerde lässt einen Verstoß gegen verfassungsrechtliche Maßstäbe nicht erkennen. Die angegriffenen Entscheidungen der Vollstreckungsgerichte enthalten keinen Fehler, der auf einer grundsätzlich unrichtigen Anschauung der Bedeutung eines Grundrechts, insbesondere vom Umfang seines Schutzbereichs, beruht (vgl. BVerfGE 95, 96 ≪128≫).
1. Die Verfassungsbeschwerde ist zulässig. Wegen der verspäteten Vorlage der angegriffenen Entscheidung ist dem Beschwerdeführer gemäß § 93 Abs. 2 BVerfGG aber Wiedereinsetzung in den vorigen Stand zu gewähren, nachdem er unter Vorlage einer anwaltlichen Erklärung des Kanzleikollegen seines Verfahrensbevollmächtigten glaubhaft gemacht hat, dass er an der Einhaltung der Begründungsfrist des § 93 Abs. 1 BVerfGG ohne sein Verschulden gehindert war. Der fristgemäß am 2. April 2004 per Fax eingegangenen Verfassungsbeschwerde war die eine Kopie der angegriffenen Entscheidung des Landgerichts umfassende Anlage 2 nicht beigefügt, weil die vom Verfahrensbevollmächtigten des Beschwerdeführers ausdrücklich mit der Absendung sowohl des Beschwerdeschriftsatzes als auch der dazugehörigen ersten drei Anlagen beauftragten Bürokräfte offenbar versehentlich nur Anlage 1 und 3, nicht aber auch Anlage 2 aus dem separaten Anlagenband herausgenommen und dem Verfassungsbeschwerdeschriftsatz hinzugefügt hatten. Ein Verschulden des Verfahrensbevollmächtigten des Beschwerdeführers, das dieser sich nach § 93 Abs. 2 Satz 6 BVerfGG zurechnen lassen müsste (vgl. Maunz/Schmidt-Bleibtreu/Klein/Bethge, BVerfGG, § 93 Rn. 41a), ist insoweit nicht zu erkennen. Beim Absenden eines Telefaxes handelt es sich um eine einfache technische Arbeit, die der Verfahrensbevollmächtigte nicht selbst ausführen musste, sondern einem sowohl zuverlässigen als auch hinreichend geschulten und überwachten Mitarbeiter überlassen durfte. Wie sich aus der Erklärung des mit der Abfassung der Verfassungsbeschwerde betrauten Kanzleikollegen ergibt, hat er den kompletten Schriftsatz mit den ersten drei Anlagen dem Verfahrensbevollmächtigten am Abend des 1. April zur Unterschrift vorgelegt. Warum beim Faxen Anlage 2 nicht mit übermittelt wurde, war innerhalb der Kanzlei nicht mehr aufzuklären. Der Verfahrensbevollmächtigte des Beschwerdeführers durfte nach den geschilderten organisatorischen Vorkehrungen darauf vertrauen, dass seinen Bürokräften kein Fehler unterlaufen werde und diese weisungsgemäß vorgingen (vgl. Beschluss der 3. Kammer des Zweiten Senats des Bundesverfassungsgerichts vom 6. Februar 2002 – 2 BvR 1249/01 –, NJW 2002, S. 1411 ≪1411 f.≫).
2. Die Verfassungsbeschwerde ist nicht begründet.
a) Das Verfahren über den Antrag des Beschwerdeführers vom 6. Mai 2002 auf Strafrestaussetzung zur Bewährung ist nicht in einer Weise verzögert worden, die sein Grundrecht aus Art. 2 Abs. 2 Satz 2 GG in Verbindung mit dem Rechtsstaatsprinzip verletzt. Art. 2 Abs. 2 GG gewährleistet in Verbindung mit dem Rechtsstaatsprinzip einen Anspruch auf angemessene Beschleunigung des mit einer Freiheitsentziehung verbundenen gerichtlichen Verfahrens (vgl. BVerfGE 20, 45 ≪49 f.≫; 21, 184 ≪187≫; 21, 220 ≪222≫; 21, 223 ≪225 f.≫; 36, 264 ≪273≫; 46, 194 ≪195≫). Im Verfahren über die Aussetzung des Rests einer Freiheitsstrafe zur Bewährung kommt eine Verletzung des Beschleunigungsgebots allerdings nur dann in Betracht, wenn das Freiheitsrecht nach den Umständen des Einzelfalls gerade durch eine sachwidrige Verzögerung der Entscheidung unangemessen weiter beschränkt wird (vgl. Beschluss der 3. Kammer des Zweiten Senats des Bundesverfassungsgerichts vom 6. Juni 2001 – 2 BvR 828/01 –, NStZ 2001, S. 502 f.).
aa) Ob die Verfahrensdauer noch angemessen ist, muss nach den Umständen des Einzelfalls beurteilt werden (vgl. BVerfGE 46, 17 ≪28≫; 55, 349 ≪368 f.≫). Insbesondere sind der Zeitraum der Verfahrensverzögerung, die Gesamtdauer der Strafvollstreckung und des Verfahrens über die Strafrestaussetzung zur Bewährung, die Bedeutung dieses Verfahrens im Blick auf die abgeurteilte Tat und die verhängte Strafe oder Maßregel, der Umfang und die Schwierigkeit des Entscheidungsgegenstands sowie das Ausmaß der mit dem Andauern des schwebenden Verfahrens verbundenen Belastung des Verurteilten zu berücksichtigen. Dabei ist auch das Prozessverhalten des Verurteilten angemessen zu bewerten.
Im Verfahren über die Aussetzung der Vollstreckung einer lebenslangen Freiheitsstrafe zur Bewährung gemäß §§ 57, 57a StGB gewinnt der Freiheitsanspruch mit fortschreitender Dauer der Strafvollstreckung zunehmend an Bedeutung (vgl. BVerfGE 36, 264 ≪270≫; 53, 152 ≪158 f.≫). Dann verlangt das Spannungsverhältnis zwischen dem Freiheitsanspruch des betroffenen Einzelnen und dem Sicherungsbedürfnis der Allgemeinheit vor zu erwartenden Rechtsgutsverletzungen nicht nur im Rahmen einer Sachentscheidung nach § 57a StGB nach vertretbarem Ausgleich; es hat auch Auswirkungen auf den Zeitpunkt einer Entscheidung.
bb) Unter Berücksichtigung dieser Grundsätze sind die Verzögerungen im Verfahren über die Strafrestaussetzung zur Bewährung mit den rechtsstaatlichen Anforderungen vereinbar. Zwar hat das Landgericht über den Antrag auf Strafaussetzung zur Bewährung erst rund 18 Monate nach dem verfahrenseinleitenden Antrag zur Sache entschieden. Dieser Zeitraum ist für sich genommen auch bei einem zu lebenslanger Freiheitsstrafe Verurteilten an der Grenze der unangemessen langen Verfahrensdauer; jedoch verbietet sich eine isolierte Betrachtung. Hier ist zu berücksichtigen, dass das Landgericht im Anschluss an eine gerade noch ausreichend zeitnahe Anhörung des Beschwerdeführers die Notwendigkeit eines weiteren Ergänzungsgutachtens sah, um über die vorzeitige Entlassung des Beschwerdeführers zu entscheiden.
Der Beschwerdeführer ist zwar bereits in den Jahren 1992, 1997 und 1999 begutachtet worden, der Umstand, dass die Gutachter in ihrer Einschätzung der Erkrankung des Beschwerdeführers und seiner Prognose stark voneinander abwichen sowie die Tatsache, dass ein weiteres Lockerungsgutachten im Auftrag der Justizvollzugsanstalt zu für den Beschwerdeführer sehr ungünstigen Ergebnissen gekommen war, rechtfertigte jedoch die erneute Beauftragung des Gutachters L.… im Januar 2003. Der umfangreiche Beschluss der Kammer in dieser Angelegenheit zeigt, dass sie sich bis zu diesem Zeitpunkt detailliert mit den schwierigen Fragen der von den Psychiatern unterschiedlich bewerteten Motivation des Beschwerdeführers bei der Anlasstat befasst hatte und bemüht war, die enthaltenen Widersprüche aufzuklären. Dies erscheint insbesondere in Anbetracht der Qualität der Tat angemessen, auch wenn der Zeitraum von der Stellungnahme der Justizvollzugsanstalt unter Hinweis auf das Vorliegen eines weiteren Lockerungsgutachtens im Juli 2002 bis zum Beschluss der erneuten Gutachterbeauftragung im Januar 2003 an der Grenze des für den Beschwerdeführer Zumutbaren liegt. Dies gilt auch für die drei Monate zwischen der Erstattung des Gutachtens im Mai 2003 und der Bitte um Ergänzung im August 2003, der der Gutachter im Oktober 2003 nachkam.
b) Die angegriffenen Entscheidungen überschreiten auch vor dem Hintergrund der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts zur Verletzung der Grundrechte aus Art. 2 Abs. 2 Satz 2 GG in Verbindung mit Art. 2 Abs. 1, Art. 1 Abs. 1 GG durch Verweigerung jeglicher Vollzugslockerungen zur Einleitung der Entlassungsvorbereitung (vgl. insbesondere den Beschluss der 2. Kammer des Zweiten Senats des Bundesverfassungsgerichts vom 22. März 1998 – 2 BvR 77/97 –, NJW 1998, S. 2202 ff.) nicht die Grenze des verfassungsrechtlich Zulässigen.
aa) Mit der in § 57a StGB geregelten Aussetzung einer lebenslangen Freiheitsstrafe konkretisiert der Gesetzgeber eine Forderung der Menschenwürde in der Strafvollstreckung (vgl. BVerfGE 45, 187 ≪245≫; 64, 261 ≪272≫). Der Schutz der Menschenwürde setzt auch bei dem zu lebenslanger Freiheitsstrafe Verurteilten dem effektiven Entzug der persönlichen Freiheit (Art. 2 Abs. 2 Satz 2, Art. 104 GG) Grenzen. Der Schutz der Menschenwürde verpflichtet darüber hinaus die Gemeinschaft, für die Vorbereitung des Verurteilten auf die Entlassung Sorge zu tragen, so dass er nach langem Freiheitsentzug wenigstens ansatzweise Orientierung für ein normales Leben suchen und finden kann (Resozialisierung; Art. 2 Abs. 1 in Verbindung mit Art. 1 Abs. 1 GG). Die Begrenzung des Freiheitsentzugs und die Gewährung einer Chance zur Resozialisierung gehören untrennbar zusammen.
Ob im Einzelfall die weitere Vollstreckung einer rechtskräftig ausgesprochenen lebenslangen Freiheitsstrafe nach § 57a StGB zur Bewährung auszusetzen ist, ist zunächst eine Frage der Auslegung und Anwendung des Strafvollstreckungsrechts. Die dem Strafvollstreckungsrichter vor allem abverlangte prognostische Bewertung (§ 57a Abs. 1 Nr. 3 in Verbindung mit § 57 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 StGB) ist eine ureigene richterliche Aufgabe. Das Bundesverfassungsgericht prüft diese Entscheidung nicht in jeder Hinsicht nach. Es hat jedoch einzugreifen, wenn das zuständige Fachgericht bei der Sachverhaltsfeststellung und -würdigung die verfassungsrechtliche Bedeutung und Tragweite der Menschenwürde, der freien menschlichen Persönlichkeit und ihres grundsätzlichen Freiheitsanspruchs verkannt hat. Vor allem wenn die bisherige Dauer der Vollstreckung einer lebenslangen Freiheitsstrafe die Mindestverbüßungszeit von 15 Jahren (§ 57a Abs. 1 Nr. 1 StGB) übersteigt und die besondere Schwere der Schuld des Verurteilten die weitere Vollstreckung nicht mehr gebietet (§ 57a Abs. 1 Nr. 2 StGB), gewinnt der Anspruch des Verurteilten auf Achtung seiner Menschenwürde und seiner freien Persönlichkeit zunehmendes Gewicht auch für die Anforderungen, die an die für die Prognoseentscheidung notwendige Sachverhaltsaufklärung zu stellen sind.
Da es sich um Mord (§ 211 StGB) handelt, ist auch das Sicherheitsinteresse der Allgemeinheit hoch zu veranschlagen. Gleichwohl gilt, dass die von dem Verurteilten ausgehende Gefahr hinreichend zu konkretisieren ist; der Grad der Wahrscheinlichkeit zukünftiger rechtswidriger Taten ist zu bestimmen; deren bloße Möglichkeit vermag die weitere Vollstreckung nicht zu rechtfertigen. Bestehen konkrete Anhaltspunkte dafür, dass der Verurteilte ein neues schweres Verbrechen begehen werde, so kommt eine Aussetzung nicht in Betracht. Umgekehrt schließt die Klausel von der Verantwortbarkeit der Vollstreckungsaussetzung “unter Berücksichtigung des Sicherheitsinteresses der Allgemeinheit” (§ 57 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 StGB neu) ebenso wie schon vorher die Klausel von der Verantwortbarkeit der Erprobung (§ 57 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 StGB alt) es mit ein, dass ein vertretbares Restrisiko eingegangen wird (vgl. BVerfGE 70, 297 ≪313≫).
Die gebotene prognostische Bewertung verlangt vom Richter eine besonders sorgfältige und eingehende Prüfung aller relevanten Umstände. Das kann nach langjähriger Haft außerordentlich schwierig sein. Je nach den Umständen können Erkenntnisquellen durch die Einholung zusätzlicher ärztlicher Gutachten oder die Befragung des den Verurteilten betreuenden Anstaltspersonals und auch der Seelsorger erschlossen werden. Schließlich vermittelt die persönliche Anhörung dem Gericht einen unmittelbaren Eindruck. Wie das Bundesverfassungsgericht bereits in anderem Zusammenhang entschieden hat, kommt dem verfahrensrechtlichen Gebot einer zureichenden richterlichen Sachaufklärung in einem solchen Fall die Bedeutung eines Verfassungsgebotes zu (vgl. BVerfGE 58, 208 ≪222 f.≫; 70, 297 ≪308 ff.≫).
bb) Für den Richter erweitert sich die Basis der prognostischen Beurteilung, wenn dem Gefangenen Vollzugslockerungen gewährt worden sind. Dieser erhält Gelegenheit, sich in der Wahrnehmung der gewährten Vollzugslockerungen zu bewähren; sein hierbei an den Tag gelegtes Verhalten ist “Verhalten im Vollzug” im Sinne des § 57 Abs. 1 Satz 2 StGB. Vollzugslockerungen machen es dem Gefangenen darüber hinaus möglich, nach langem Freiheitsentzug wenigstens ansatzweise Orientierung für ein normales Leben zu suchen und zu finden. Je nach dem Erfolg dieser Orientierungssuche stellen sich die Lebensverhältnisse des Gefangenen und die von der Aussetzung der Strafvollstreckung für ihn zu erwartenden Wirkungen günstiger oder ungünstiger dar. Mithin werden die Chancen, dass das Gericht, das über die Aussetzung zu entscheiden hat (§§ 454, 462a StPO), zu einer zutreffenden Sozialprognose gelangen werde, durch die vorherige Gewährung von Vollzugslockerungen verbessert, durch deren Versagung aber verschlechtert. Dies gilt auch dann, wenn man – gerade auch unter Würdigung der in § 454a StPO getroffenen Regelung – in Rechnung stellt, dass das Strafvollstreckungsgericht die Aussetzung der Vollstreckung so terminieren kann, dass es der Vollzugsbehörde in Ansehung des damit feststehenden Entlassungszeitpunkts ermöglicht wird, über die zeitgerechte Einleitung der Entlassungsvorbereitung mittels Vollzugslockerung gemäß § 15 Abs. 1 StVollzG zu entscheiden.
Der Gewährung von Vollzugslockerungen sind Schranken gesetzt, wo die Befürchtung besteht, der Gefangene werde sich dem Vollzug der Freiheitsstrafe entziehen oder eine Lockerung des Vollzugs zu Straftaten missbrauchen (vgl. § 11 Abs. 2 StVollzG). Allerdings folgt für den Gefangenen, dessen Entlassung nur noch von einer günstigen Kriminalprognose abhängt, aus dem ihm durch Art. 2 Abs. 2 Satz 2 und Art. 104 GG gewährleisteten Freiheitsrecht, dem durch Art. 2 Abs. 1 in Verbindung mit Art. 1 Abs. 1 GG fundierten Resozialisierungsgebot und dem verfassungsrechtlichen Gebot der Verhältnismäßigkeit allen staatlichen Handelns (vgl. BVerfGE 70, 297 ≪311 ff.≫) auch in diesem Zusammenhang, dass sein Interesse, möglichst bald wieder seiner Freiheit und Lebenstüchtigkeit teilhaftig zu werden, an Gewicht gewinnt, je länger die Vollstreckung einer Freiheitsstrafe bereits andauert (vgl. BVerfGE 64, 261 ≪277 f.≫; 70, 297 ≪315≫).
Von Verfassungs wegen zur Entscheidung über die Fortdauer einer Freiheitsentziehung berufen (Art. 104 Abs. 1 GG), darf der Strafvollstreckungsrichter sich im Verfahren gemäß §§ 454, 462a StPO nicht damit abfinden, dass die Vollzugsbehörde ohne hinreichenden Grund – etwa auf der Grundlage bloßer pauschaler Wertungen oder mit dem Hinweis auf eine abstrakte Flucht- oder Missbrauchsgefahr – sich der Gewährung jener Vollzugslockerungen verweigert, die regelmäßig einer Entscheidung über die Aussetzung der Vollstreckung einer lebenslangen Freiheitsstrafe vorausgeht.
Die Strafvollstreckungsgerichte haben hier zu prüfen, ob die Vollzugsbehörde bei der Versagung von Vollzugslockerungen die unbestimmten Rechtsbegriffe der Befürchtung von Flucht oder Missbrauch richtig ausgelegt und angewandt, alle relevanten Tatsachen zutreffend angenommen und den zugrunde gelegten Sachverhalt insgesamt vollständig ermittelt hat (vgl. BVerfGE 70, 297 ≪308≫). Ferner haben die Vollstreckungsgerichte zu beachten, dass der Versagungsgrund der Flucht- oder Missbrauchsgefahr zwar geeignet ist, einen – verfassungsrechtlich nicht zu beanstandenden – prognostischen Beurteilungsspielraum zu eröffnen, in dessen Rahmen die Vollzugsbehörde mehrere Entscheidungen treffen kann, die gleichermaßen rechtlich vertretbar sind (vgl. BGHSt 30, 320 ≪324 ff.≫). Die Vollzugsbehörde muss jedoch bei einem zu lebenslanger Freiheitsstrafe Verurteilten, dessen Entlassung nur noch von einer positiven Kriminalprognose des Richters abhängt, beachten, dass sie dem Gefangenen, soweit vertretbar, eine Bewährung zu ermöglichen und ihn auf eine Entlassung vorzubereiten hat, damit dessen grundrechtlich garantierter Freiheitsanspruch durch den Richterentscheid (Art. 104 Abs. 2 Satz 1 GG) zeitgerecht realisiert werden kann (vgl. auch BVerfGE 86, 288 ≪328≫). Ist die Vollstreckungsbehörde diesen Anforderungen nicht gerecht geworden, so muss ihr im Aussetzungsverfahren von den Strafvollstreckungsgerichten deutlich gemacht werden, dass Vollzugslockerungen geboten sind. Die Strafvollstreckungsgerichte haben dabei ihre prozessualen Möglichkeiten auszuschöpfen. § 454a Abs. 1 StPO gestattet dem Gericht, einen künftigen Entlassungszeitpunkt so festzulegen, dass der Vollzugsbehörde noch die Möglichkeit verbleibt, die Entlassung durch Vollzugslockerungen vorzubereiten.
cc) Diesen Anforderungen sind die Vollstreckungsgerichte mit den angegriffenen Entscheidungen noch gerecht geworden. Sie haben sich nicht ohne weiteres mit der Tatsache abgefunden, dass die Vollzugsbehörde dem Beschwerdeführer zu keiner Zeit Gelegenheit gegeben hat, sich in Vollzugslockerungen zu bewähren. Zwar ist dem Beschwerdeführer zuzugestehen, dass sich das Verfahren um die Gewährung von Lockerungen außerordentlich lang hingezogen hat und letztlich erst auf eine Entscheidung der Strafvollstreckungskammer ein – erneutes – Lockerungsgutachten eingeholt wurde. Die Erstellung dieses Gutachtens dauerte wiederum mehr als ein Jahr, und sowohl die Tatsache, dass die Justizvollzugsanstalt selbst auf einer Ergänzung bestand, als auch der Beschluss des Landgerichts im gegenständlichen Verfahren, erneut den Gutachter L.… zu konsultieren und mit dem Resultat des Lockerungsgutachtens zu konfrontieren, deuten darauf hin, dass dieses Gutachten nach Auffassung der Beteiligten der Komplexität des Falls eher nicht angemessen war. Nichtsdestoweniger kann es nicht als ermessensfehlerhaft bezeichnet werden, einem vorliegenden, aktuellen psychiatrischen Sachverständigengutachten zu folgen, das von Lockerungen ausdrücklich und auch auf Nachfrage abrät.
Der Beschwerdeführer wird sich weiterhin um Lockerungen zu bemühen und gegen die Entscheidung der Justizvollzugsanstalt gegebenenfalls erneut den Weg zu den Gerichten gemäß §§ 109 ff. StVollzG zu beschreiten haben.
Diese Entscheidung ist unanfechtbar.
Unterschriften
Hassemer, Osterloh, Mellinghoff
Fundstellen