Verfahrensgang

OLG Köln (Beschluss vom 01.07.1996; Aktenzeichen 16 Wx 74/96)

LG Bonn (Beschluss vom 16.02.1996; Aktenzeichen 4 T 613/95)

AG Bonn (Beschluss vom 12.09.1995; Aktenzeichen 37 VIII M 837 – 838)

 

Tenor

Die Verfassungsbeschwerde wird nicht zur Entscheidung angenommen.

 

Tatbestand

I.

  • Der im Mai 1989 geborene Beschwerdeführer zu 1) ist der leibliche Sohn der M.… Im Juni 1990 wurde die Kindesmutter in das Landeskrankenhaus Bonn zwangseingewiesen. Der Beschwerdeführer zu 1) und seine im November 1987 geborene Schwester F.… wurden daraufhin von den Beschwerdeführern zu 2) aufgenommen. Nach Entlassung der leiblichen Mutter aus dem Krankenhaus wurden die Kinder im Dezember 1993 aus der Pflegefamilie wieder herausgenommen und bei der Mutter untergebracht. Nach einem Wochenendbesuch der Kinder bei den Beschwerdeführern zu 2) kehrte lediglich die Schwester zur Kindesmutter zurück. Der Beschwerdeführer zu 1) lebte noch bis September 1994 bei den Beschwerdeführern zu 2). Am 29. September 1994 brachte das Jugendamt auch den Beschwerdeführer zu 1) wieder bei der leiblichen Mutter unter. Seither haben die Beschwerdeführer zu 2) keinen Kontakt mehr zu ihm.

    a) Am 30. September 1994 beantragten die Beschwerdeführer zu 2) beim Amtsgericht die Rückführung des Kindes und im November 1994 die Einräumung eines Umgangsrechts. Das Amtsgericht holte zur Frage des Umgangsrechts unter anderem ein Gutachten der Diplompsychologin S.… ein, die ihr Gutachten im April 1995 erstattete. Die Sachverständige führte insbesondere aus, daß der Beschwerdeführer zu 1) seine einzige bedeutsame und starke Bindung zu den Beschwerdeführern zu 2) entwickelt habe. Für ihn sei daher ein Umgang mit den Beschwerdeführern zu 2) geboten, um langfristigen Schaden zu vermeiden.

    Mit Beschluß vom 12. September 1995 wies das Amtsgericht Bonn die Anträge der Beschwerdeführer zu 2) zurück. Zwischen der Kindesmutter und ihren Kindern sei aufgrund der vorgenommenen Anhörungen ein herzliches und freundliches Verhältnis festzustellen. Auch ein Umgangsrecht komme zur Zeit nicht in Betracht. Es stehe außer Frage, daß ein solches zum Wohle des Kindes dringend geboten sei. Das Verweigern jeglicher Anerkennung durch die Beschwerdeführer zu 2) führe jedoch bei der Kindesmutter zu einer solchen Ablehnung und Verhärtung, daß ein Umgangsrecht und der damit einhergehende Kontakt zu den die Kindesmutter ablehnenden Beschwerdeführern zu 2) sich zwangsläufig im Verhalten der Mutter niederschlagen müsse. Dies sei schädlicher und für die Entwicklung des Beschwerdeführers zu 1) beeinträchtigender als die nun drohende totale Trennung von den Beschwerdeführern zu 2).

    b) Mit Beschluß vom 16. Februar 1996 wies das Landgericht Bonn die Beschwerde der Beschwerdeführer zu 2) zurück. Es bedürfe keiner Erläuterung, daß der Beschwerdeführer zu 1) eine starke Bindung zu den Beschwerdeführern zu 2) habe. Es sei jedoch zu berücksichtigen, daß im Falle des Erlasses einer Herausgabeanordnung dem Beschwerdeführer zu 1) ein erneuter und radikaler Wechsel in seinen Lebensverhältnissen zugemutet werde. Auch bedürfe es keiner Vertiefung, daß ein Umgang der Beschwerdeführer zu 2) mit dem Beschwerdeführer zu 1) für das Gedeihen des Kindes wünschenswert und gut sei. Ein Umgang komme gleichwohl nicht in Betracht, da dieser dem Wohl des Kindes in concreto widerspreche. Es bestehe die ernstzunehmende Gefahr, daß das Kind ausgefragt und aufgewiegelt und dadurch zutiefst verunsichert werde. Dies sei in einem hohem Maße für die weitere Entwicklung des Beschwerdeführers zu 1) schädlich. Dieser habe genug damit zu tun, Verlustängste abzubauen und Vertrauen in seine Mutter zu entwickeln.

    c) Das Oberlandesgericht wies die weitere Beschwerde mit Beschluß vom 1. Juli 1996 zurück. Zur Begründung führte es insbesondere aus, daß nach den vorgenommenen Ermittlungen keine Anhaltspunkte dafür vorlägen, daß nach dem mehr als eineinhalbjährigen Aufenthalt des Kindes bei der Mutter die Gefahr einer nachhaltigen Schädigung des Jungen bestehe. Eine solche bestünde vielmehr bei einer Herausgabe des Kindes an die Beschwerdeführer zu 2) wegen des damit verbundenen nochmaligen Wechsels der wichtigsten Bezugspersonen und des gesamten familiären und sonstigen Umfeldes. Auch habe die ablehnende Haltung der Kindesmutter gegenüber Besuchen der Beschwerdeführer zu 2) nicht abgebaut werden können. Dies müsse sich – auch wegen der Belastungen und Spannungen zwischen den Beteiligten – zwangsläufig zum Nachteil des Kindes auswirken. Besuche seien daher erst möglich, wenn die Beschwerdeführer zu 2) ohne unbegründete Vorbehalte und Vorwürfe auf die Kindesmutter zugehen würden.

  • Mit der fristgerecht eingegangenen Verfassungsbeschwerde rügen die Beschwerdeführer zu 2) eine Verletzung ihrer Grundrechte aus Art. 1 Abs. 1, Art. 2 Abs. 1, Art. 6 Abs. 1 und 3 sowie von Art. 103 Abs. 1 GG und für den Beschwerdeführer zu 1) eine Verletzung von Art. 1 Abs. 1, Art. 2 Abs. 1, Art. 6 Abs. 3 und Art. 103 Abs. 1 GG.
 

Entscheidungsgründe

II.

  • Die Verfassungsbeschwerde hat keine grundsätzliche verfassungsrechtliche Bedeutung (§ 93a Abs. 2 Nr. 1 BVerfGG), da die mit ihr aufgeworfenen Fragen bereits geklärt sind (vgl. BVerfGE 68, 176 ≪185 ff.≫; 75, 201 ≪217 ff.≫).
  • Auch ist ihre Annahme nicht zur Durchsetzung der in § 90 BVerfGG genannten Rechte der Beschwerdeführer angezeigt (§ 93a Abs. 2 Buchstabe b BVerfGG).

    a) Dabei kann es dahingestellt bleiben, ob die Beschwerdeführer zu 2), die weder gesetzliche Vertreter noch Bevollmächtigte des Beschwerdeführers zu 1) sind, die Befugnis haben, die Verfassungsbeschwerde auch in dessen Namen zu erheben (vgl. BVerfGE 55, 171 ≪176, 178≫; 72, 122 ≪132 ff.≫; 79, 51 ≪58 f.≫).

    b) Denn jedenfalls hat die Verfassungsbeschwerde hinsichtlich der Ablehnung des Herausgabeantrages durch die Instanzgerichte keine hinreichende Aussicht auf Erfolg. Auch entsteht den Beschwerdeführern im Hinblick auf das instanzgerichtlich versagte Umgangsrecht durch die Nichtannahme kein besonders schwerer Nachteil.

    aa) Soweit die Beschwerdeführer sich gegen die gerichtliche Ablehnung des Antrags auf Herausgabe des Beschwerdeführers zu 1) an die Beschwerdeführer zu 2) wenden, haben sie nicht hinreichend dargetan, inwieweit die Rückführung des Beschwerdeführers zu 1) seinem Wohl entspricht, gleichwohl die Beschwerdeführer zu 2) schon zum Zeitpunkt der Erhebung der Verfassungsbeschwerde den Beschwerdeführer zu 1) seit fast zwei Jahren nicht mehr gesehen haben.

    bb) Zwar bestehen Bedenken, ob sich die Instanzgerichte bei der Versagung des Umgangsrechts über die Wertungen der Sachverständigen S.… haben hinwegsetzen dürfen. Denn der Grundrechtsschutz der Pflegefamilie aus Art. 6 Abs. 1 und 3 GG beeinflußt auch das Verfahrensrecht (vgl. BVerfGE 53, 30 ≪65≫; 68, 176 ≪187≫). Das Verfahren muß somit grundsätzlich geeignet sein, eine möglichst zuverlässige Grundlage für eine am Kindeswohl orientierte Entscheidung zu erlangen (vgl. BVerfGE 55, 171 ≪182≫). Das Abweichen von einem fachpsychologischen Gutachten bedarf daher einer eingehenden Begründung und des Nachweises eigener Sachkunde des Gerichts (vgl. Beschluß der 3. Kammer des Ersten Senats des Bundesverfassungsgerichts vom 2. Juni 1999 – 1 BvR 1689/96 –, Umdruck S. 5).

    Auch ist es mit Blick auf die Grundrechte des Beschwerdeführers zu 1) aus Art. 1 Abs. 1 in Verbindung mit Art. 2 Abs. 1 GG und der Beschwerdeführer zu 2) aus Art. 6 Abs. 1 und 3 GG fraglich, ob die Instanzgerichte den genannten Grundrechten noch Rechnung getragen haben, wenn sie den Antrag auf Herausgabe trotz der Ausführungen der Sachverständigen S.… und der Dauer des Aufenthalts bei den Beschwerdeführern zu 2) abgelehnt und zugleich die Einräumung einer Umgangsbefugnis versagt haben.

    Die Annahme der Verfassungsbeschwerde ist gleichwohl nicht angezeigt, da den Beschwerdeführern durch die Versagung der Sachentscheidung kein besonders schwerer Nachteil mehr entsteht.

    Zum einen ist zu berücksichtigen, daß bei Streitigkeiten um das Umgangsrecht der Faktor Zeit von besonderer Bedeutung ist, da bei ausbleibendem Kontakt zu dem Kind in der Regel zunehmend eine Entfremdung eintritt. Vorliegend haben die Beschwerdeführer zu 2) den Beschwerdeführer zu 1) bereits zum Zeitpunkt der Erhebung der Verfassungsbeschwerde seit ca. zwei Jahren nicht mehr gesehen.

    Zum anderen kommt hinzu, daß mit Inkrafttreten des Kindschaftsrechtsreformgesetzes am 1. Juli 1998 in § 1685 Abs. 2 BGB die – bislang fehlende – ausdrückliche Grundlage für ein Umgangsrecht von Pflegeeltern geschaffen worden ist. § 1626 Abs. 3 Satz 2 BGB stellt darüber hinaus nun klar, daß zum Wohl des Kindes in der Regel der Umgang mit Personen gehört, zu denen das Kind Bindungen besitzt, wenn ihre Aufrechterhaltung für seine Entwicklung förderlich ist. Es besteht somit die Möglichkeit, gemäß § 1685 Abs. 3 BGB in Verbindung mit § 1684 Abs. 3 BGB ein entsprechendes Umgangsrecht geltend zu machen.

    Damit hätte das sachnähere Familiengericht die Möglichkeit, einen etwaigen Antrag der Beschwerdeführer auf der Basis des neuen Rechts sorgfältig zu prüfen und nach den durch Zeitablauf erneut erforderlich gewordenen tatsächlichen Ermittlungen zu entscheiden, ob zunächst die Einräumung eines Umgangsrechts zur Wahrung der Grundrechtsposition der Beschwerdeführer zu 2) aus Art. 6 Abs. 1 und 3 GG sowie des Grundrechts des Beschwerdeführers zu 1) aus Art. 1 Abs. 1 in Verbindung mit Art. 2 Abs. 1 GG geboten ist. Dabei wäre auch dem besonderen Gebot der Verfahrensbeschleunigung in kindschaftsrechtlichen Verfahren Rechnung zu tragen und mit Blick auf § 50 FGG zu prüfen, ob vorliegend die verfassungsrechtliche Verankerung des Kindeswohls in Art. 6 Abs. 2 und Art. 2 Abs. 1 GG in Verbindung mit dem Anspruch auf rechtliches Gehör (Art. 103 Abs. 1 GG) die Bestellung eines Verfahrenspflegers verlangt, um eine eigenständige Wahrnehmung der Belange des Beschwerdeführers zu 1) sicherzustellen (vgl. BVerfG, EuGRZ 1998, 612 ≪617≫).

  • Von einer weiteren Begründung wird gemäß § 93d Abs. 1 Satz 3 BVerfGG abgesehen.

    Diese Entscheidung ist unanfechtbar.

 

Unterschriften

Papier, Haas, Hohmann-Dennhardt

 

Fundstellen

Haufe-Index 1276134

FamRZ 2000, 413

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