Verfahrensgang

LG Osnabrück (Beschluss vom 15.08.1995; Aktenzeichen 1 T 41/95)

AG Bad Iburg (Beschluss vom 08.06.1995; Aktenzeichen 1638-1-4 C 363/95)

 

Tenor

Die Verfassungsbeschwerde wird nicht zur Entscheidung angenommen.

Dem Beschwerdeführer wird Prozeßkostenhilfe ohne Festsetzung von Ratenzahlungen bewilligt und Rechtsanwalt Robert Seidler beigeordnet.

 

Tatbestand

I.

1. Die – im wesentlichen auf die Rüge der Verletzung von Art. 6 Abs. 5 GG gestützte – Verfassungsbeschwerde betrifft die Versagung von Prozeßkostenhilfe für die Erhebung einer Klage eines nichtehelich geborenen Kindes gegen seinen Vater auf Ersatz der Kosten der Säuglingserstausstattung. Das Amts- und das Landgericht gingen in den angegriffenen Entscheidungen davon aus, daß grundsätzlich auch das nichteheliche Kind die Erstausstattungskosten als Sonderbedarf zusätzlich zu dem laufenden Unterhalt verlangen könne. Der Anspruch bestehe aber nicht, wenn das nichteheliche Kind die Kosten ergänzend zu dem Regelunterhalt nach der Regelunterhalt-Verordnung begehre, weil dieser nach dem Willen des Verordnungsgebers (vgl. BRDrucks 271/70 S. 18) die Erstausstattungskosten umfasse; zur Vereinfachung sei dem größeren Bedarf im ersten Lebensjahr durch eine Erhöhung der Regelbedarfssätze für die nächsten fünf Lebensjahre Rechnung getragen worden.

2. Das sich für die Bundesregierung äußernde Bundesministerium der Justiz hält die Verfassungsbeschwerde wegen Verletzung des Art. 6 Abs. 5 GG für begründet. Die im Jahre 1970 vorgenommene Einordnung des Erstausstattungsbedarfs in den Regelbedarf nach der Regelunterhalt-Verordnung sei durch die inzwischen wesentlich veränderten wirtschaftlichen Verhältnisse überholt. Die Bundesregierung habe klargestellt, daß sowohl die Regelbedarfssätze der Regelunterhalt-Verordnung als auch die Regelbeträge der Regelbetrag-Verordnung die Höhe des steuerrechtlich anerkannten Existenzminimums der Kinder deutlich unterschritten (BTDrucks 13/7338 S. 59). Weil nicht barunterhaltspflichtige Personen die im Zusammenhang mit der Geburt anfallenden Erstausstattungskosten vorfinanzieren müßten, sei ein Verweis auf später fällige Beträge der Unterhaltsrente auch nicht sachgerecht.

 

Entscheidungsgründe

II.

Die Verfassungsbeschwerde ist nicht zur Entscheidung anzunehmen. Ihr kommt weder grundsätzliche verfassungsrechtliche Bedeutung zu noch ist ihre Annahme zur Durchsetzung von Verfassungsrechten angezeigt (§ 93 a Abs. 2 BVerfGG). Dem Beschwerdeführer entsteht durch die Versagung der Entscheidung zur Sache kein besonders schwerer Nachteil.

1. Der Beschwerdeführer rügt allerdings zu Recht eine Verletzung des Grundrechts aus Art. 6 Abs. 5 GG. In der verfassungsgerichtlichen Rechtsprechung ist geklärt, daß der in erster Linie an den Gesetzgeber gerichtete Auftrag aus Art. 6 Abs. 5 GG auch von der Rechtsprechung bei der Anwendung des geltenden Rechts zu berücksichtigen ist (vgl. BVerfGE 96, 56 ≪65≫). Die Verfassungsnorm verpflichtet, nichtehelichen Kindern die gleichen Bedingungen für ihre Entwicklung zu schaffen wie ehelichen Kindern. Eine ungleiche Behandlung nichtehelicher Kinder, die sich als Benachteiligung gegenüber ehelichen Kindern auswirkt, bedarf stets einer überzeugenden Begründung. Abweichungen gegenüber dem Recht der ehelichen Kinder sind deshalb grundsätzlich nur in eingeschränktem Umfang zulässig, etwa wenn eine förmliche Gleichstellung der besonderen sozialen Situation des nichtehelichen Kindes nicht gerecht würde (vgl. BVerfGE 84, 168 ≪185≫; 85, 80 ≪88≫ m.w.N.).

Bei Anwendung dieser Grundsätze läßt sich die von den Ausgangsgerichten vertretene Rechtsauffassung verfassungsrechtlich nicht halten. Die Gerichte haben schon übersehen, daß sich die Höhe des Regelbedarfssatzes der ersten Altersstufe der Regelunterhalt-Verordnung nicht unterscheidet von dem entsprechenden Mindestunterhaltsbetrag (Gruppe 1) der Düsseldorfer Tabelle, nach der weithin der Unterhalt ehelicher Kinder bemessen wird. Sind aber die für die Bemessung des Unterhalts ehelicher und nichtehelicher Kinder maßgebenden Ausgangsbeträge gleich, überzeugt es schon im Ansatz nicht, nur den nichtehelich geborenen Säugling darauf zu verweisen, die Kosten der Erstausstattung aus dem in den nächsten fünf Lebensjahren gezahlten Unterhalt zu bestreiten. Diese Benachteiligung des nichtehelichen Kindes wird dadurch verschärft, daß der Regelunterhalt definitionsgemäß nur einem Mindestunterhalt gleichkommt (vgl. § 1615 f Abs. 1 Satz 2 BGB in der bis zum 30. Juni 1998 geltenden Fassung), dessen Höhe inzwischen noch nicht einmal das Kindesexistenzminimum erreicht, worauf die Bundesregierung unter Bezugnahme auf ihren Bericht vom Februar 1995 über die Höhe des Existenzminimums von Kindern und Familien (BTDrucks 13/381) bereits bei der Anpassung der Regelunterhaltssätze der Regelunterhalt-Verordnung für die Zeit ab Januar 1996 hingewiesen hat (BRDrucks 504/95 S. 7 ff.). Wird aber bei einem verhältnismäßig niedrigen laufenden Unterhalt die Geltendmachung eines einmaligen Bedarfs verwehrt, kann schon die – für eheliche und nichteheliche Kinder gleichermaßen geltende – Intention des Gesetzgebers nicht verwirklicht werden, mit dem Unterhalt den gesamten Lebensbedarf zu decken (vgl. § 1610 Abs. 2 BGB). Eine solche Rechtsprechung läßt auch außer Betracht, daß Art. 6 Abs. 2 Satz 2 GG in Verbindung mit Art. 2 Abs. 1 und Art. 1 Abs. 1 GG allgemein gebieten, Unterhaltsregelungen zu vermeiden, die sich für die Entwicklung von Kindern nachteilig auswirken (vgl. BVerfGE 57, 361 ≪382 f.≫). Von einer nicht barunterhaltspflichtigen Kindesmutter eine Vorfinanzierung zu verlangen, kann zudem in besonderer sozialer Situation der sozialen Schutzpflicht aus Art. 6 Abs. 4 GG widersprechen (vgl. BVerfGE 88, 203 ≪258 ff.≫). Eine diesen grundgesetzlichen Vorgaben entsprechende verfassungskonforme Auslegung der Regelunterhalt-Verordnung war dem Landgericht nicht verwehrt (vgl. BVerfGE 90, 145 ≪169 f.≫).

2. Es ist gleichwohl nicht angezeigt, die Verfassungsbeschwerde zur Entscheidung anzunehmen, da dem Grundrechtsverstoß bei der gegebenen prozessualen Lage kein besonderes Gewicht zukommt. Denn es bleibt dem Beschwerdeführer unbenommen, auf der Grundlage dieses Nichtannahmebeschlusses seinen Antrag auf Gewährung von Prozeßkostenhilfe – gem. § 621 Abs. 1 Nr. 4 ZPO in der seit 1. Juli 1998 geltenden Fassung nunmehr vor einem Familiengericht – zu wiederholen; da der Beklagte des Ausgangsverfahrens in Verzug gekommen ist, scheitert die Wiederholung des Prozeßkostenhilfe-Antrages nicht an der Jahresfrist des § 1613 Abs. 2 BGB. Dabei kann der Beschwerdeführer zur Erfolgsaussicht auch Gesichtspunkte geltend machen, die sich daraus ergeben, daß der Gesetzgeber mit dem Gesetz zur Vereinheitlichung des Unterhaltsrechts minderjähriger Kinder vom 6. April 1998 (BGBl I S. 666) die Gleichstellung ehelicher und nichtehelicher Kinder ausdrücklich verfolgt. Im übrigen ist der Beklagte des Ausgangsverfahrens seit längerem unbekannten Aufenthalts, so daß der Beschwerdeführer seinen Anspruch im Falle einer Zurückverweisung an ein Ausgangsgericht nicht wesentlich schneller durchsetzen kann als im Falle einer erneuten Antragstellung.

Diese Entscheidung ist unanfechtbar.

 

Unterschriften

Papier, Haas, Hohmann-Dennhardt

 

Fundstellen

Haufe-Index 1134547

NJW 1999, 3112

FamRZ 1999, 1342

FuR 2000, 25

NJWE-FER 1999, 320

ZfJ 1999, 315

KomVerw 2000, 343

FuBW 2000, 752

FuNds 2000, 727

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