Entscheidungsstichwort (Thema)
Singularzulassung von Rechtsanwälten bei den Oberlandesgerichten
Verfahrensgang
Tenor
Der Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung wird abgelehnt.
Tatbestand
I.
Die Antragsteller sind beim Oberlandesgericht zugelassene Rechtsanwälte. Sie haben – ebenso wie Rechtsanwalt W. – beim Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte Beschwerde gegen das Urteil des Bundesverfassungsgerichts vom 13. Dezember 2000 betreffend die Singularzulassung von Rechtsanwälten bei den Oberlandesgerichten (BVerfGE 103, 1) eingelegt. Der Bundesrepublik Deutschland als Antragsgegnerin wurde von dem Gericht zunächst Frist zur Stellungnahme und zur Beantwortung von konkreten Fragen bis 27. Mai 2002 gesetzt, die auf Antrag der Bundesrepublik Deutschland bis 27. Juni 2002 verlängert wurde. Durch Gesetz zur Änderung des Rechts der Vertretung durch Rechtsanwälte vor den Oberlandesgerichten soll § 78 der Zivilprozessordnung dahingehend geändert werden, dass sich die Parteien vor den Oberlandesgerichten durch jeden bei einem Oberlandesgericht zugelassenen Rechtsanwalt vertreten lassen können. Die zweite und dritte Lesung des Gesetzentwurfs fanden am 7. Juni 2002 statt.
Vor diesem Hintergrund begehren die Antragsteller mit dem vorliegenden Antrag auf Erlass einer isolierten einstweiligen Anordnung, dass die in der Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts vom 13. Dezember 2000 vorgesehene Frist für die Fortgeltung von § 25 der Bundesrechtsanwaltsordnung bis 30. Juni 2002 ausgesetzt oder verlängert wird. Hilfsweise beantragen sie, der Bundesrepublik Deutschland, vertreten durch die Bundesministerin der Justiz, zu untersagen, das Gesetz zur Änderung des Rechts der Vertretung durch Rechtsanwälte vor den Oberlandesgerichten (vgl. BTDrucks 14/8763) mit Wirkung zum 1. Juli 2002 ohne Auslauffrist zu verabschieden, bevor nicht über ihre Beschwerde oder die von Rechtsanwalt W. durch den Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte entschieden worden ist.
Entscheidungsgründe
II.
In der Begründung zu ihrem Antrag vertreten die Antragsteller die Auffassung, dass effektiver Rechtsschutz nur mit der beantragten isolierten einstweiligen Anordnung zu erreichen sei. Der Eilantrag werde auf Art. 19 Abs. 4 GG gestützt. Falls der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte feststellen sollte, dass das erwähnte Urteil des Bundesverfassungsgerichts gegen die Europäische Konvention zum Schutze der Menschenrechte und Grundfreiheiten verstößt, drohten ihnen schwere Nachteile, sofern die einstweilige Anordnung nicht erlassen werde. Angesichts des Zeitablaufs und der Schaffung von marktwirtschaftlichen Fakten sei ihr „good will” irreparabel zerschlagen. Weder das Bundesverfassungsgericht noch die Bundesrepublik Deutschland seien dann in der Lage, „das Rad zurückzudrehen”.
III.
1. Nach § 32 Abs. 1 BVerfGG kann das Bundesverfassungsgericht einen Zustand durch einstweilige Anordnung vorläufig regeln, wenn dies zur Abwehr schwerer Nachteile oder aus einem anderen wichtigen Grund zum gemeinen Wohl dringend geboten ist. Dabei haben die Gründe, die für die Verfassungswidrigkeit des angegriffenen Hoheitsakts vorgetragen werden, grundsätzlich außer Betracht zu bleiben, es sei denn, die Verfassungsbeschwerde wäre unzulässig oder offensichtlich unbegründet. Bei offenem Ausgang muss das Bundesverfassungsgericht die Folgen, die eintreten würden, wenn eine einstweilige Anordnung nicht erginge, die Verfassungsbeschwerde aber Erfolg hätte, gegenüber den Nachteilen abwägen, die entstünden, wenn die begehrte einstweilige Anordnung erlassen würde, der Verfassungsbeschwerde aber der Erfolg zu versagen wäre (vgl. BVerfGE 88, 169 ≪171 f.≫; 91, 328 ≪332≫; stRspr).
Ist – wie hier – ein Verfahren zur Hauptsache noch nicht anhängig, kommt der Erlass einer einstweiligen Anordnung nicht in Betracht, wenn sich das in der Hauptsache zu verfolgende Begehren als unzulässig oder offensichtlich unbegründet erweisen würde (vgl. BVerfGE 92, 130 ≪133≫; 103, 41 ≪42≫).
2. Nach diesen Grundsätzen ist der Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung abzulehnen.
a) Es bestehen schon erhebliche Zweifel, ob eine einstweilige Anordnung, die vom Bundesverfassungsgericht erlassen werden soll, dazu bestimmt sein kann, ein bei einem anderen Gericht, hier dem Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte, anhängiges Verfahren zu sichern. Doch mag dies offen bleiben. Denn unabhängig davon bleibt der vorliegende Antrag ohne Erfolg, weil eine noch einzulegende Verfassungsbeschwerde in der Hauptsache sowohl mit dem Hauptantrag als auch mit den Hilfsanträgen der Antragsteller unzulässig wäre.
Gegen ein Urteil des Bundesverfassungsgerichts ist eine Verfassungsbeschwerde nicht zulässig (vgl. BVerfGE 1, 89 ≪90≫). Auch seine Änderung oder die Blockierung seiner Vollziehung kann mit der Verfassungsbeschwerde nicht erreicht werden. Soweit die Antragsteller die Verabschiedung des genannten Gesetzes verhindern wollen, käme eine Verfassungsbeschwerde zu spät, weil die Verabschiedung durch den Deutschen Bundestag am 7. Juni 2002 schon erfolgt ist. Abgesehen davon wäre auch eine Verfassungsbeschwerde gegen ein noch nicht verabschiedetes Gesetz nicht in Betracht gekommen, weil eine Beschwer für Rechtsunterworfene zu diesem Zeitpunkt noch nicht vorgelegen hätte (vgl. BVerfG, Beschluss vom 23. April 2002 – 1 BvR 1412/97 und 1 BvQ 14/02 –, Umdruck S. 7).
b) Die Antragsteller haben im Übrigen wirtschaftliche Nachteile, die die Aussetzung des Vollzugs eines Gesetzes ohnehin grundsätzlich nicht rechtfertigen können (vgl. BVerfGE 20, 363 f.; 56, 396 ≪407≫), nicht konkret dargelegt. Solche Nachteile sind auch sonst nicht ersichtlich. Nach dem Briefkopf ihres Antragsschriftsatzes haben alle Antragsteller Fachkompetenzen und Schwerpunkte außerhalb des Zivilrechts; der Antragsteller zu 1) ist Wirtschaftsprüfer und Fachanwalt für Steuerrecht, der Antragsteller zu 2) Fachanwalt für Verwaltungsrecht und der Antragsteller zu 3) Steuerberater und Fachanwalt für Steuerrecht. Dies sind Arbeitsschwerpunkte, die auch in ihren finanziellen Auswirkungen weit über den Tätigkeitsbereich eines nur am Oberlandesgericht zugelassenen Rechtsanwalts in Zivilsachen hinausgehen.
c) Ergänzend ist darauf hinzuweisen, dass mittlerweile beim Bundesverfassungsgericht sogar der Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung eingegangen ist (1 BvQ 20/02), der die in Rede stehende gesetzliche Regelung für verfassungsrechtlich geboten hält.
Diese Entscheidung ist unanfechtbar.
Unterschriften
Jaeger, Hömig, Bryde
Fundstellen
Haufe-Index 771809 |
NJW 2002, 2632 |
KammerForum 2002, 374 |