Verfahrensgang
OLG Stuttgart (Beschluss vom 09.12.2004; Aktenzeichen 18 UF 280/04) |
Tenor
1. Der Beschluss des Oberlandesgerichts Stuttgart vom 9. Dezember 2004 – 18 UF 280/04 – verletzt den Beschwerdeführer in seinem Grundrecht aus Artikel 3 Absatz 1 in Verbindung mit Artikel 20 Absatz 3 des Grundgesetzes. Er wird aufgehoben. Die Sache wird an das Oberlandesgericht zurückverwiesen.
2. Das Land Baden-Württemberg hat dem Beschwerdeführer seine notwendigen Auslagen zu ersetzen.
Tatbestand
I.
Die Verfassungsbeschwerde betrifft die Versagung von Prozesskostenhilfe für ein Berufungsverfahren, mit dem der Beschwerdeführer eine weitergehende als die erstinstanzlich zuerkannte Herabsetzung seiner Verpflichtung zur Zahlung von nachehelichem Unterhalt und von Kindesunterhalt erreichen will.
1. Die Ehe des Beschwerdeführers, aus welcher zwei Kinder hervorgegangen sind, wurde im Jahr 1998 geschieden. Der Beschwerdeführer war bis in das Jahr 2000 hinein als Diplom-Theologe bei der Katholischen Kirche beschäftigt, er leitete ein Bildungshaus. Die Vergütung erfolgte nach BAT Ib. Bei der Scheidung waren die Kinder, welche seither bei ihrer Mutter leben, fünf und neun Jahre alt. In einem gerichtlichen Vergleich vom 8. Mai 1998 verpflichtete sich der Beschwerdeführer neben der Zahlung von Kindesunterhalt zur Zahlung eines nachehelichen Unterhalts an seine geschiedene Ehefrau in Höhe von monatlich 1.920 DM (981,68 €). Grundlage des Vergleichs war ein Nettoeinkommen des Beschwerdeführers in Höhe von 5.500 DM monatlich.
Nach der Scheidung nahm die geschiedene Ehefrau des Beschwerdeführers ihre erlernte Tätigkeit als Übersetzerin wieder auf, welche sie neben der Kinderbetreuung nach und nach ausbaute. Der Beschwerdeführer lebt jedenfalls seit dem Jahr 2000 mit einer Lebensgefährtin in deren Haus zusammen. Bereits im Jahre 1999 begann der Beschwerdeführer, sich neben seiner Tätigkeit bei der Kirche eine selbständige Tätigkeit als Management-Trainer aufzubauen. Im Jahr 2000 beschränkte er sich auf die selbständige Tätigkeit, aus der er in den Folgejahren ein Einkommen erzielte, welches ihm zunächst ermöglichte, den titulierten Unterhalt weiterzubezahlen. Wegen rückläufiger Einnahmen erhob er dann im Jahr 2002 Abänderungsklage, mit welcher er die Reduzierung des nachehelichen Unterhalts auf monatlich 587,66 € begehrte. Dabei berief er sich darauf, dass mit dem Erreichen des dritten Grundschuljahres des jüngeren Kindes die Erwerbsobliegenheit der geschiedenen Ehefrau eingesetzt und sich sein Einkommen aus selbständiger Tätigkeit verringert habe. Der Rechtsstreit endete mit einem Vergleich vor dem Amtsgericht Hechingen vom 17. Mai 2002, in welchem die Verpflichtung zur Zahlung nachehelichen Unterhalts auf 797 € monatlich reduziert wurde.
Das Angestelltenverhältnis bei der Kirche hatte der Beschwerdeführer seit September 2000 durch Inanspruchnahme unbezahlten Sonderurlaubs ruhen lassen. Nachdem dem Beschwerdeführer im Jahr 2001 mitgeteilt worden war, dass ihm letztmalig bis zum 31. August 2002 Sonderurlaub gewährt werde, wurde das Arbeitsverhältnis schließlich Ende 2002 aufgelöst.
Die selbständige Tätigkeit des Beschwerdeführers war dadurch geprägt, dass er im Wesentlichen für nur einen Auftraggeber tätig war. Am 12. November 2003 wurde dem Beschwerdeführer mitgeteilt, dass diese Firma im Jahre 2004 keine Team-Trainings mehr durchführen würde, den Beschwerdeführer also nicht mehr beschäftigen könne. Dies führte zu einer erneuten beruflichen Umorientierung des Beschwerdeführers und zu einer Abänderungsklage, mit der er die Reduzierung des nachehelichen Unterhalts auf Null und die Reduzierung des Kindesunterhalts auf jeweils 100 % des Regelbetrags nach der Regelbetrags-Verordnung begehrte, was er damit begründete, dass er nur noch über Provisionseinnahmen aus der Vermittlung von Kapitalanlagen in Höhe von 1.500 € monatlich verfüge.
2. Mit Urteil des Amtsgerichts Hechingen vom 24. September 2004 wurde die Verpflichtung des Beschwerdeführers zur Zahlung nachehelichen Unterhalts ab 1. Januar 2004 auf monatlich 607 € herabgesetzt. Der Kindesunterhalt wurde auf jeweils 150 % des Regelbetrags der 3. Altersstufe angepasst. Der Bedarf der geschiedenen Ehefrau richte sich nach den ehelichen Lebensverhältnissen, welche durch das Einkommen des Beschwerdeführers als Leiter des Bildungshauses geprägt gewesen sei. Bei der Aufgabe der gesicherten Position und dem Übergang in die selbständige Tätigkeit habe der Beschwerdeführer die Obliegenheit gehabt, ausreichende Fürsorge für den Fall zu treffen, dass er mit der selbständigen Tätigkeit nicht das Einkommen erziele, welches er vorher hatte. Dies habe der Beschwerdeführer offensichtlich versäumt. Er habe außerdem versäumt, sich weitere Auftraggeber zu suchen und sich stattdessen fahrlässigerweise allein auf eine Firma verlassen. Es sei lebensfremd gewesen, davon auszugehen, dass er bis in sein Rentenalter von Aufträgen als Team-Trainer bei einer einzigen Firma leben könne. Auch habe er nicht dargelegt, bei welchen anderen großen Firmen er sich um Aufträge bemüht habe. Daher müsse er sich so behandeln lassen als erziele er nach wie vor das Einkommen nach BAT Ib.
3. Der Beschwerdeführer beantragte Prozesskostenhilfe für eine Berufung gegen das amtsgerichtliche Urteil und berief sich darauf, dass keinesfalls ein Einkommen aus der Anstellung bei der Katholischen Kirche fingiert werden könne. Er habe erstinstanzlich Beweis dafür angetreten, dass ihm nach der Scheidung seitens der Kirche mitgeteilt worden sei, er habe dort keine berufliche Zukunft, falls er sich wiederverheirate oder mit einer anderen Frau zusammenlebe.
Mit dem angegriffenen Beschluss vom 9. Dezember 2004 wies das Oberlandesgericht Stuttgart den Prozesskostenhilfeantrag des Beschwerdeführers zurück. Es fehle an der erforderlichen Erfolgsaussicht für die beabsichtigte Berufung. Zu Recht habe das Familiengericht die Leistungsfähigkeit des Beschwerdeführers fiktiv anhand seiner früheren Einkünfte nach Besoldungsgruppe BAT Ib berechnet. Es habe nicht der gemeinsamen Lebensplanung entsprochen, dass sich der Beschwerdeführer freiberuflich betätige. Die ehelichen Lebensverhältnisse seien daher durch das Einkommen des Beschwerdeführers im Angestelltenverhältnis geprägt gewesen. Bei einer beruflichen Veränderung, die sich nachteilig auf die Einkünfte auswirke, sei zu prüfen, ob der Unterhaltsverpflichtete die Leistungsunfähigkeit selbst schuldhaft herbeigeführt habe. Nach Ansicht des Senats sei der Wechsel des Beschwerdeführers in die berufliche Selbständigkeit als unterhaltsrechtlich leichtfertig anzusehen. Es werde schon nicht deutlich, ob die Stelle des Beschwerdeführers von Seiten der Katholischen Kirche gekündigt worden sei, ob eine Kündigung von Seiten des Beschwerdeführers ausgesprochen oder das Arbeitsverhältnis einvernehmlich aufgehoben worden sei. Der Beschwerdeführer führe lediglich aus, dass ein Verbleiben im kirchlichen Dienst nach der Scheidung nicht mehr möglich gewesen sei, insbesondere deshalb, weil der Beschwerdeführer mit einer neuen Partnerin zusammenlebe. Es möge zutreffen, dass ein Verbleiben des Beschwerdeführers auf seiner zuletzt innegehabten Stelle nicht möglich gewesen sei. Allerdings sei es Sache des Beschwerdeführers gewesen, substantiiert darzulegen, warum eine Versetzung in einen anderen Bereich nicht in Betracht gekommen sei. Die umfangreichen Kenntnisse des Beschwerdeführers in der Verwaltungstätigkeit und im Fortbildungsbereich ließen eine ähnliche Beschäftigung bei seinem bisherigen Arbeitgeber oder im außerkirchlichen Bereich als durchaus möglich erscheinen. Der Beschwerdeführer behaupte selbst nicht, dass er sich hierum bemüht habe. Der Wechsel in die Selbständigkeit sei von Anfang an mit erheblichen wirtschaftlichen Risiken behaftet gewesen. Es wäre sinnvoll gewesen, der Beschwerdeführer hätte sich rechtzeitig um weitere potentielle Auftraggeber gekümmert. Ebenso leichtfertig sei es gewesen, dass er sich nach Wegfall der Geschäftsbeziehungen zu seinem Hauptkunden als selbständiger Handelsvertreter im Bereich Kapitalanlage betätigt habe. Schon vor dem Hintergrund der gesteigerten Unterhaltspflicht gegenüber minderjährigen Kindern sei dies dem Beschwerdeführer verwehrt gewesen. Den Beschwerdeführer habe die Obliegenheit getroffen, finanzielle Rücklagen zu bilden, um den Bedarf der Unterhaltsberechtigten zu sichern. Auch müsse er sich fragen lassen, warum er keine Anstrengungen entfaltet habe, in seinem angestammten Berufsfeld wieder Fuß zu fassen.
4. Der Beschwerdeführer rügt eine Verletzung seiner Rechte aus Art. 2, Art. 3, Art. 6, Art. 19 und Art. 20 GG. Die Gerichte seien davon ausgegangen, dass er seine Anstellung bei der Katholischen Kirche nicht habe aufgeben dürfen beziehungsweise eine Wiedereinstellung dort habe erreichen können. Den diesbezüglichen Beweisantritten sei nicht nachgegangen worden. Dies verstoße gegen sein Grundrecht auf Rechtsschutzgleichheit und die Garantie effektiven Rechtsschutzes. Das Oberlandesgericht verkenne, dass es sich bei der Katholischen Kirche um einen so genannten Tendenzbetrieb handele, dort sei eine Kündigung zulässig, wenn sich der Angestellte in Gegensatz zur Tendenz setze. Durch die Nichtbeachtung des Beweisantritts und die Abweichung von der Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts zur Kündigung bei Tendenzbetrieben sei der Beschwerdeführer in seinem Anspruch auf Rechtsschutzgleichheit verletzt worden. Dem Beschwerdeführer verbleibe nicht mehr der notwendige Selbstbehalt, was gegen Art. 2 Abs. 1 GG verstoße. Zudem verletze die Annahme einer unterhaltsrechtlichen Mutwilligkeit den Beschwerdeführer in seinem Recht aus Art. 3 GG, da der Bundesgerichtshof in vergleichbaren Fällen eine Mutwilligkeit verneine.
5. Die Gegner des Ausgangsverfahrens und die Landesregierung von Baden-Württemberg hatten Gelegenheit zur Stellungnahme.
Entscheidungsgründe
II.
Die Verfassungsbeschwerde ist zur Entscheidung anzunehmen, weil dies zur Durchsetzung der Grundrechte des Beschwerdeführers geboten ist (§ 93a Abs. 2 Buchstabe b BVerfGG). Zu dieser Entscheidung ist die Kammer berufen, weil die maßgeblichen verfassungsrechtlichen Fragen durch das Bundesverfassungsgericht bereits entschieden sind und die zulässige Verfassungsbeschwerde offensichtlich begründet ist (§ 93c Abs. 1 BVerfGG).
1. Die angegriffene Entscheidung verletzt den Beschwerdeführer in seinem Grundrecht aus Art. 3 Abs. 1 in Verbindung mit Art. 20 Abs. 3 GG.
a) Nach ständiger Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts gebietet das Grundgesetz eine weitgehende Angleichung der Situation von Bemittelten und Unbemittelten bei der Verwirklichung des Rechtsschutzes (vgl. BVerfGE 9, 124 ≪128 f.≫; 10, 264 ≪270≫; 22, 83 ≪87≫; 51, 295 ≪302≫; 63, 380 ≪394≫; 67, 245 ≪248≫). Dabei wird es als verfassungsrechtlich unbedenklich angesehen, die Gewährung von Prozesskostenhilfe davon abhängig zu machen, dass die beabsichtigte Rechtsverfolgung oder Rechtsverteidigung hinreichende Aussicht auf Erfolg hat und nicht mutwillig erscheint. Das Gebot der Rechtsschutzgleichheit verlangt keine völlige Gleichstellung; der Unbemittelte muss vielmehr nur dem Bemittelten gleich gestellt werden, der seine Prozessaussichten vernünftig abwägt und dabei auch das Kostenrisiko berücksichtigt (vgl. BVerfGE 81, 347 ≪357≫). Die Auslegung und Anwendung des § 114 ZPO obliegt in erster Linie den zuständigen Fachgerichten, die dabei den – verfassungsgebotenen – Zweck der Prozesskostenhilfe zu beachten haben. Das Bundesverfassungsgericht kann folglich nur eingreifen, wenn Verfassungsrecht verletzt ist, insbesondere, wenn die angegriffene Entscheidung Fehler erkennen lässt, die auf einer grundsätzlich unrichtigen Anschauung von der Bedeutung der in Art. 3 Abs. 1 in Verbindung mit Art. 20 Abs. 3 GG verbürgten Rechtsschutzgleichheit beruhen.
b) Vorliegend hat das Oberlandesgericht die Anforderungen an die Erfolgsaussicht der beabsichtigten Rechtsverfolgung überspannt und dadurch den Zweck der Prozesskostenhilfe, dem Unbemittelten den weitgehend gleichen Zugang zu Gericht zu ermöglichen, verfehlt. Die vom Oberlandesgericht gebilligte Annahme des Amtsgerichts, der Beschwerdeführer habe sich unterhaltsrechtlich mutwillig verhalten, indem er die Anstellung bei der Katholischen Kirche aufgegeben habe, und die Ansetzung eines fiktiven Einkommens in Höhe der Einkünfte aus dieser Anstellung im Urteil des Amtsgerichts halten einer rechtlichen Überprüfung nicht stand, weshalb die Erfolgsaussicht für die Berufung jedenfalls nicht auf der gegebenen Tatsachengrundlage abgelehnt werden durfte.
aa) Das Oberlandesgericht geht davon aus, dass bei beruflichen Veränderungen, die sich nachteilig auf die Höhe der Einkünfte auswirken, zu prüfen sei, ob den Unterhaltspflichtigen diesbezüglich ein Schuldvorwurf zur Last gelegt werden könne. Es bejaht insoweit ein unterhaltsrechtlich leichtfertiges Verhalten des Beschwerdeführers und begründet dies damit, es werde aus den Akten nicht deutlich, wie es zur Auflösung des Anstellungsverhältnisses bei der Katholischen Kirche gekommen sei. Der Beschwerdeführer habe nicht substantiiert dargetan, warum nicht eine Versetzung in einen anderen Bereich oder an einen anderen Ort in Betracht gekommen sei.
Diese Ausführungen verkennen, dass der Beschwerdeführer behauptet und unter Beweis gestellt hat, dass ihm seitens der Katholischen Kirche mitgeteilt worden sei, dass er dort keine berufliche Zukunft haben könne, wenn er wieder heirate oder mit einer anderen Frau zusammenlebe und dass eine solche Situation spätestens im Jahr 2000 bereits tatsächlich eingetreten war. Zu dem Zeitpunkt, als eine Rückkehr in den kirchlichen Dienst letztmalig möglich gewesen wäre, nämlich nach Ablauf der letztmaligen Beurlaubung des Beschwerdeführers zum Ende des Jahres 2002, hatte sich die neue Partnerschaft des Beschwerdeführers verfestigt und der Beschwerdeführer erzielte mit seiner selbständigen Tätigkeit ein Einkommen, welches nahezu die früheren Einkünfte aus der angestellten Tätigkeit erreichte. Zu jenem Zeitpunkt war dem Beschwerdeführer eine Rückkehr in den kirchlichen Dienst unter der Voraussetzung seiner unter Beweis gestellten Behauptung, dass die Kirche ein Zusammenleben mit einer anderen Frau nicht dulden würde, nicht mehr zumutbar und die Annahme eines unterhaltsrechtlich mutwilligen Verhaltens fernliegend, es sei denn, man wollte – was aus grundrechtlicher Sicht verfehlt wäre und vom Oberlandesgericht sicherlich nicht intendiert war – einem geschiedenen Ehegatten wegen der Verpflichtung zu nachehelichem Unterhalt die Möglichkeit abschneiden, eine neue Beziehung einzugehen.
Soweit das Oberlandesgericht darauf abstellt, der Vortrag des Beschwerdeführers bezüglich der Umstände seines Ausscheidens aus dem kirchlichen Dienst sei nicht nachvollziehbar, ist es zwar zutreffend, dass der Beschwerdeführer insoweit teilweise missverständlich formuliert hat, indem er etwa in seinem Antrag auf Prozesskostenhilfe zunächst verkürzt behauptete, nach der Scheidung habe er nicht mehr im kirchlichen Dienst bleiben können und er dies erst im Anschluss an den hierzu angetretenen Zeugenbeweis dahingehend näher konkretisiert hat, einem Verbleiben hätte ein Zusammenleben mit einer anderen Frau entgegengestanden. Insoweit ist indes festzustellen, dass der Beschwerdeführer im Ausgangsverfahren vor dem Amtsgericht hierzu unmissverständlich und mit Beweisantritt vorgetragen hatte. Verbleibende Ungewissheiten bezüglich der Behauptung des Beschwerdeführers hätten im Prozesskostenhilfeprüfungsverfahren durch einen diesbezüglichen Hinweis an den Beschwerdeführer ausgeräumt werden können und müssen, wenn dies für die Erfolgsaussicht des Rechtsmittels ausschlaggebend war. Denn einer bemittelten Partei hätte im Hauptsacheverfahren die Möglichkeit offengestanden, auf einen entsprechenden Hinweis Substantiierungsmängel zu beheben und in einer mündlichen Verhandlung etwaige Missverständnisse aufzuklären. Das Gebot der Rechtsschutzgleichheit von Bemittelten und Unbemittelten erfordert bei Ablehnung eines Prozesskostenhilfeantrags, dass hinsichtlich richterlicher Hinweispflichten ein ebenso strenger Maßstab anzulegen ist wie in einem Hauptsacheverfahren.
bb) Die Verneinung der Erfolgsaussicht lässt sich auch nicht auf die weiteren Erwägungen im Beschluss des Oberlandesgerichts stützen.
Stellt sich die Annahme eines unterhaltsrechtlich mutwilligen Verhaltens durch Aufgabe der Anstellung bei der Kirche im Falle der Richtigkeit der Behauptung des Beschwerdeführers als fehlerhaft dar, so kann das Einkommen aus der Tätigkeit bei der Kirche nicht maßgeblich für eine fiktive Einkommensbemessung sein. Ob dem Beschwerdeführer eine vergleichbare Tätigkeit in einem anderen Angestelltenverhältnis angesonnen werden kann, ist schon hinsichtlich der Zumutbarkeit einer solchen erneuten Umorientierung im Hinblick auf das Persönlichkeitsrecht des Beschwerdeführers fraglich, wenn der vorherige Berufswechsel billigenswert war, zumal Grundlage des Unterhaltstitels, dessen Abänderung begehrt wird, nicht mehr die Einkünfte aus der Tätigkeit im kirchlichen Dienst waren, sondern das Einkommen aus selbständiger Tätigkeit als Team-Trainer. Zudem kann – auch unter Berücksichtigung der Darlegungslast des Beschwerdeführers – nicht ohne weiteres unterstellt werden, dass der Beschwerdeführer nach seinem Ausscheiden aus dem kirchlichen Dienst dort überhaupt eine neue Beschäftigungschance bekommen könnte und dies auch auf dem früheren Gehaltsniveau. Es kann jedenfalls nicht ausgeschlossen werden, dass das Oberlandesgericht, hätte es den Berufswechsel als solchen nicht als unterhaltsrechtlich missbilligenswert angesehen, es unterlassen hätte, diese Fragen bereits im Stadium des Prozesskostenhilfeverfahrens zum Nachteil des Beschwerdeführers zu beantworten.
Bei den Erwägungen, der Beschwerdeführer habe sich während seiner selbständigen Tätigkeit wegen der Gefahr, dass sein Hauptkunde wegfallen könnte, frühzeitig um andere Kunden kümmern müssen und es sei ihm vorzuwerfen, dass er keine finanziellen Rücklagen für die Unterhaltsverpflichtungen gebildet habe, ist zunächst zu beachten, dass der Beschwerdeführer die Verpflichtung zur Zahlung des Mindestunterhalts für die Kinder anerkennt, so dass für die noch streitgegenständlichen Ansprüche die erhöhten Obliegenheiten des § 1603 Abs. 2 Satz 1 BGB nicht gelten. Hinsichtlich der Voraussetzungen für die Zurechnung fiktiver Einkünfte ist zudem zu beachten, dass beide Erwägungen an ein in der Vergangenheit liegendes und abgeschlossenes Verhalten anknüpfen, welches dazu führen soll, dass dem Verpflichteten aktuell nicht erzielte und möglicherweise auch nicht mehr erzielbare Mittel als fiktiv vorhanden zugerechnet werden. Durch eine solche Zurechnung, welche zu einer die tatsächlich aktuell gegebenen wirtschaftlichen Möglichkeiten übersteigenden Zahlungsverpflichtung führt, wird der Unterhaltspflichtige unter Umständen auf lange Zeit einer sanktionsgleich wirkenden Belastung ausgesetzt. Daher kommt eine solche Zurechnung nach höchstrichterlicher Rechtsprechung nur bei einem verantwortungslosen, zumindest leichtfertigen beziehungsweise grob schuldhaftem Verhalten in Betracht (vgl. BGH, Urt. v. 26.9.1984, FamRZ 1985, S. 158; Urt. v. 12.4.2000, FamRZ 2000, S. 815; Graba, FamRZ 2001, S. 1263). Es liegt auf der Hand, dass diese – zur Wahrung der Verhältnismäßigkeit eines solchen weitgehenden Grundrechtseingriffs erforderliche – Voraussetzung nicht schon gegeben sein kann, wenn sich nach einer beruflichen Umorientierung die hiermit verbundenen Risiken – und sei es auch wegen fehlenden unternehmerischen Geschicks oder unvollkommener Risikovorsorge – verwirklichen.
2. Die angegriffene Entscheidung beruht auf dem festgestellten Verfassungsverstoß. Der Beschluss vom 9. Dezember 2004 wird aufgehoben und die Sache wird an das Oberlandesgericht zurückverwiesen (§ 95 Abs. 1 Satz 1, Abs. 2 BVerfGG).
Da bereits der festgestellte Grundrechtsverstoß zur Aufhebung der Entscheidung führt, kann dahinstehen, ob auch die weiteren Rügen des Beschwerdeführers begründet sind.
3. Die Entscheidung über die Erstattung der notwendigen Auslagen beruht auf § 34a Abs. 2 BVerfGG.
Unterschriften
Papier, Hohmann-Dennhardt, Hoffmann-Riem
Fundstellen
FamRZ 2008, 131 |
FuR 2008, 136 |