Verfahrensgang
Tenor
Die Verfassungsbeschwerde wird nicht zur Entscheidung angenommen.
Tatbestand
I.
Die Verfassungsbeschwerde betrifft einen Rechtsstreit über eine Anwaltshaftung wegen verspäteter Einlegung einer Berufung. Gegenstand des rechtskräftig abgeschlossenen Vorprozesses war ein Unterhaltsanspruch einer Mutter aus Anlass der Geburt eines nichtehelichen Kindes gemäß § 1615l BGB. Die Ablehnung eines Schadensersatzanspruchs ist in den mit der Verfassungsbeschwerde angegriffenen gerichtlichen Entscheidungen damit begründet worden, im Vorverfahren sei erstinstanzlich zu Recht § 1615l Abs. 2 Satz 3 BGB in der Fassung des Schwangeren- und Familienhilfeänderungsgesetzes (SFHÄndG) vom 21. August 1995 (BGBl I S. 1050) zur Anwendung gekommen, mit dem die Höchstdauer des Unterhaltsanspruchs der Mutter eines nichtehelichen Kindes von einem Jahr auf drei Jahre verlängert wurde. Dagegen wendet sich der Beschwerdeführer. Er sieht in der Anwendung der Norm in dieser Fassung einen Verstoß gegen das rechtsstaatliche Rückwirkungsverbot nach Art. 2 Abs. 1 in Verbindung mit Art. 20 GG, wenn damit wie in seinem Fall der Mutter eines nichtehelichen Kindes ein Unterhaltsanspruch über das erste Lebensjahr des Kindes hinaus zuerkannt wird, obwohl das Kind schon vor In-Kraft-Treten der Neuregelung am 1. Oktober 1995 sein erstes Lebensjahr vollendet hatte und damit der Unterhaltsanspruch nach altem Recht erloschen war.
Entscheidungsgründe
II.
Die Verfassungsbeschwerde ist nicht zur Entscheidung anzunehmen, weil die Voraussetzungen des § 93a Abs. 2 BVerfGG nicht vorliegen. Die Verfassungsbeschwerde hat keine grundsätzliche verfassungsrechtliche Bedeutung. Ihre Annahme ist auch nicht zur Durchsetzung der von dem Beschwerdeführer als verletzt bezeichneten Verfassungsrechte angezeigt, weil die Verfassungsbeschwerde keine hinreichende Aussicht auf Erfolg hat (BVerfGE 90, 22 ≪24 ff.≫).
Das Bundesverfassungsgericht hat die einschlägigen verfassungsrechtlichen Fragen zur Auslegung des einfachen Rechts (vgl. BVerfGE 18, 70 ≪81≫; 18, 85 ≪92 f.≫; 21, 209 ≪216≫; 31, 119 ≪132≫; 35, 263 ≪278 f.≫), zur verfassungskonformen Auslegung (vgl. BVerfGE 19, 1 ≪5≫; 31, 119 ≪132≫) und zur Rückwirkung von Rechtsvorschriften (vgl. zur echten Rückwirkung: BVerfGE 57, 361 ≪391≫; 68, 287 ≪306≫; stRspr; zur unechten Rückwirkung: BVerfGE 11, 139 ≪149≫; 14, 288 ≪297≫; 15, 313 ≪324≫; 22, 241 ≪248≫; 25, 142 ≪154≫; 25, 269 ≪290≫; 97, 378 ≪389≫; 101, 239 ≪263≫; 103, 392 ≪403≫) bereits entschieden.
Die Auslegung, die die Gerichte der Neuregelung des § 1615l BGB im Hinblick auf ihren Anwendungsbereich gegeben haben, ist mit dem Grundgesetz vereinbar.
1. Normen sind nach Wortlaut, Sinnzusammenhang und Entstehungsgeschichte sowie nach Sinn und Zweck der Regelung auszulegen (vgl. BVerfGE 18, 70 ≪81≫; 35, 263 ≪278 f.≫). Lässt eine Norm mehrere Auslegungen zu, die teils zu einem verfassungswidrigen, teils zu einem verfassungsmäßigen Ergebnis führen, so muss die Norm verfassungskonform ausgelegt werden (vgl. BVerfGE 19, 1 ≪5≫; 31, 119 ≪132≫). Andernfalls haben die Fachgerichte zu beurteilen, welcher Auslegung nach einfachem Recht der Vorzug gebührt (vgl. BVerfGE 18, 85 ≪92 f.≫; 21, 209 ≪216≫; 31, 119 ≪132≫).
2. Diesen Maßstäben werden die mit der Verfassungsbeschwerde angegriffenen Entscheidungen gerecht.
Es ist verfassungsrechtlich nicht zu beanstanden, aus dem Fehlen einer Übergangsregelung zu § 1615l Abs. 2 Satz 3 BGB in der Fassung des Schwangeren- und Familienhilfeänderungsgesetzes (SFHÄndG) vom 21. August 1995 (BGBl I S. 1050) zu schließen, dass das neue Recht auf Unterhaltsansprüche, die für die Zeit nach In-Kraft-Treten der Neuregelung geltend gemacht werden, anzuwenden ist, während für die Zeit davor das bisherige Recht anwendbar bleibt, und zwar unabhängig davon, wann die zu betreuenden nichtehelichen Kinder geboren worden sind (vgl. auch LG Arnsberg, FamRZ 1997, S. 1297 f.; BGH, FamRZ 1998, S. 426 f.).
a) Der Entstehungsgeschichte und dem Sinn und Zweck der Neuregelung können eine Einschränkung ihres Anwendungsbereichs auf Fälle, in denen die Jahresfrist nach altem Recht bei In-Kraft-Treten der Neuregelung bereits abgelaufen war, nicht entnommen werden. Bereits die Gesetzentwürfe, die im Januar 1995 zur Änderung des § 1615l BGB in den Bundestag eingebracht wurden, stellten die Verbesserung der Entwicklungsbedingungen nichtehelicher Kinder im Hinblick auf Art. 6 Abs. 5 GG in den Vordergrund (BTDrucks 13/268, S. 20; 13/285, S. 16). Dieser Gesetzeszweck behält jedenfalls für die Zeit von drei Jahren seit Geburt des Kindes seine Gültigkeit, für die der Gesetzgeber eine Betreuungsbedürftigkeit der betroffenen Kinder angenommen und auf diesen Zeitraum den Unterhaltsanspruch der Mutter ausgedehnt hat, auch wenn sie vor In-Kraft-Treten der Neuregelung geboren wurden oder das erste Lebensjahr vollendet hatten (vgl. LG Arnsberg, FamRZ 1997, S. 1297 f.).
b) Eine Einschränkung der Anwendung der Neuregelung auf Fälle, in denen bei ihrem In-Kraft-Treten die Jahresfrist nach altem Recht noch nicht abgelaufen war, ist auch nicht aus Gründen des Vertrauensschutzes geboten. Die Anwendung der Neuregelung auf Fälle, in denen die Jahresfrist bereits abgelaufen war, stellt keine rückwirkende gesetzliche Regelung dar. Eine solche – echte – Rückwirkung liegt nur vor, wenn ein Gesetz nachträglich ändernd in abgewickelte, der Vergangenheit angehörende Tatbestände eingreift (BVerfGE 57, 361 ≪391≫; 68, 287 ≪306≫; stRspr). Dies ist vorliegend nicht der Fall. Der von § 1615l BGB geregelte Tatbestand “Bedürftigkeit der Mutter wegen der Betreuung eines nichtehelichen Kindes” ist erst abgeschlossen, wenn die Bedürftigkeit der Mutter und/oder die Betreuung des Kindes durch die Mutter beendet ist, so dass aus dem bloßen Ablauf der nach altem Recht vorgesehenen Einjahresfrist nicht darauf geschlossen werden kann, dass ein abgeschlossener Tatbestand im Sinne der Rückwirkungsrechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts vorliegt.
Regelungen, die unechte Rückwirkung entfalten, indem sie auf gegenwärtige, noch nicht abgeschlossene Sachverhalte und Rechtsbeziehungen für die Zukunft einwirken und damit zugleich die betroffenen Rechtspositionen nachträglich beeinträchtigen (vgl. BVerfGE 11, 139 ≪149≫; 14, 288 ≪297≫; 15, 313 ≪324≫; 22, 241 ≪248≫; 25, 142 ≪154≫; 25, 269 ≪290≫), sind verfassungsrechtlich grundsätzlich zulässig und genügen dem rechtsstaatlichen Vertrauensschutzprinzip, wenn das schutzwürdige Bestandsinteresse des Einzelnen die gesetzlich verfolgten Gemeinwohlinteressen bei der gebotenen Interessenabwägung nicht überwiegt (vgl. BVerfGE 97, 378 ≪389≫; 101, 239 ≪263≫; 103, 392 ≪403≫).
c) Diesen Anforderungen genügt die neue Fassung des § 1615l BGB, soweit die Gerichte ihn auf Fälle angewendet haben, in denen die Jahresfrist nach altem Recht bei In-Kraft-Treten der Neuregelung bereits abgelaufen war. Die mit ihr verfolgten öffentlichen Belange überwiegen das Interesse des Einzelnen an der Fortgeltung des bisherigen Rechts.
Mit der Neuregelung von § 1615l Abs. 2 BGB sollte die durch Art. 6 Abs. 5 GG geforderte Angleichung der Entwicklungschancen der nichtehelichen Kinder an die ehelicher Kinder gefördert werden. Durch die Erweiterung des Betreuungsunterhaltsanspruchs sollte die soziale und wirtschaftliche Ausgangslage eines nichtehelichen Kindes mittelbar verbessert werden, indem ihre Vollbetreuung durch ihre Mutter bis zum Kindergartenalter ermöglicht wurde (BTDrucks 13/1850, S. 24). Daneben wird durch die Regelung unmittelbar die Stellung der nichtehelichen Mutter gestärkt. Diese Ziele hätten bei Ausschluss der Fälle, in denen die Einjahresfrist des alten Rechts zur Zeit des In-Kraft-Tretens der Regelung bereits abgelaufen war, für eine Vielzahl von Fällen, die zum Regelungsbereich des § 1615l BGB gehören, nicht verwirklicht werden können.
Diese Belange überwiegen die Interessen der Väter solcher nichtehelicher Kinder, die bei In-Kraft-Treten der Neuregelung bereits das erste Lebensjahr vollendet hatten, deren Unterhaltspflicht daher nach altem Recht bereits beendet war, und die möglicherweise im Hinblick darauf schwer rückgängig zu machende Dispositionen getroffen hatten, zumal ihr Vertrauen in den Bestand der günstigeren Rechtslage nur noch eingeschränkt schutzwürdig war. Das alte Recht wurde bereits seit den achtziger Jahren zunehmend im Hinblick auf Art. 6 Abs. 5 GG als verfassungsrechtlich bedenklich angesehen, da nichteheliche Kinder durch die darin vorgesehenen engen zeitlichen Grenzen nicht dieselben Entwicklungschancen erhielten wie eheliche Kinder (vgl. Schwenzer, Gutachten A für den 59. Deutschen Juristentag – DJT –, 1992, C IV m.w.N. Fn 71 f.; Willutzki, Referat für den 59. DJT, M 41). Die Neuregelung des § 1615l BGB in der zum 1. Oktober 1995 in Kraft getretenen Form war bereits im September 1991 Gegenstand eines Gesetzentwurfs (BTDrucks 12/1178 (neu) S. 13, 19) und geht auf Gesetzentwürfe zurück, die im Januar 1995 in den Bundestag eingebracht worden sind (BTDrucks 13/268 bzw. 285). Die Väter nichtehelicher Kinder konnten daher nicht damit rechnen, dass es auf Dauer bei der als unzureichend angesehenen Regelung des Betreuungsunterhaltsanspruchs von Müttern nichtehelicher Kinder bleiben würde.
Von einer weiteren Begründung wird gemäß § 93d Abs. 1 Satz 3 BVerfGG abgesehen.
Diese Entscheidung ist unanfechtbar.
Unterschriften
Papier, Steiner, Hohmann-Dennhardt
Fundstellen
FamRZ 2003, 662 |
FuR 2003, 547 |
EzFamR aktuell 2003, 232 |
FPR 2003, 442 |
FPR 2005, 218 |
FF 2003, 134 |