Verfahrensgang
LG München I (Beschluss vom 09.02.1999; Aktenzeichen 13 T 2173/99) |
AG München (Beschluss vom 14.01.1999; Aktenzeichen 172 C 39303/98) |
AG München (Vollstreckungsbescheid vom 18.06.1998; Aktenzeichen B 61044/98) |
Tenor
Die Verfassungsbeschwerde wird nicht zur Entscheidung angenommen.
Damit erledigt sich der Antrag auf Erlaß einer einstweiligen Anordnung.
Gegen den Beschwerdeführer wird eine Mißbrauchsgebühr in Höhe von 1.000 DM (in Worten: eintausend Deutsche Mark) verhängt.
Tatbestand
I.
Die Verfassungsbeschwerde betrifft die Verwerfung eines Einspruchs gegen einen Vollstreckungsbescheid.
- Der Antragsteller des Ausgangsverfahrens erwirkte einen Vollstreckungsbescheid gegen den Beschwerdeführer. Dieser Bescheid wurde – wie der vorausgegangene Mahnbescheid – durch Niederlegung bei der Postanstalt zugestellt und eine Mitteilung hierüber im Briefkasten der Wohnung des Beschwerdeführers in M.… abgegeben. Nachdem er bereits länger als zwei Wochen Kenntnis vom Vorliegen des Vollstreckungsbescheides hatte, legte er durch seinen Prozeßbevollmächtigten Einspruch gegen den Vollstreckungsbescheid ein und wies darauf hin, daß die Zustellung unwirksam gewesen sei. Er wohne nicht in M.…, sondern unter “PO-Box, A.…” in J.… Er halte sich nur zweimal pro Jahr in seiner “Ferienwohnung” in M.… auf. Zur Glaubhaftmachung legte er eidesstattliche Versicherungen seiner Ehefrau und seines Schwagers vor.
- In einem Schriftsatz vom 11. Januar 1999 bestritt der Antragsteller die vom Beschwerdeführer geltend gemachte Unwirksamkeit der Zustellung des Vollstreckungsbescheides. Das Amtsgericht stellte diesen Schriftsatz dem Beschwerdeführer nicht zu; denn der Beschwerdeführer hatte seiner Prozeßbevollmächtigten ausdrücklich keine Zustellungsvollmacht erteilt. Durch Beschluß vom 14. Januar 1999 lehnte das Amtsgericht eine Wiedereinsetzung des Beschwerdeführers in den vorigen Stand gegen die Versäumung der Einspruchsfrist ab und verwarf den Einspruch als unzulässig.
- Der Beschwerdeführer legte gegen diesen Beschluß sofortige Beschwerde ein mit dem Hinweis, er habe nicht Wiedereinsetzung in den vorigen Stand beantragt, sondern nur die Unwirksamkeit der Zustellung des Vollstreckungsbescheides geltend gemacht. Das Landgericht wies die sofortige Beschwerde zurück. Die Vermerke in den Zustellungsurkunden seien ein Indiz dafür, daß der Beschwerdeführer zur Zeit der Zustellung am Zustellungsort gewohnt habe. Dieses Indiz habe er nicht durch plausible Darstellung seines tatsächlichen Lebensmittelpunktes entkräftet. Auch die vorgelegten eidesstattlichen Versicherungen gäben darüber keine Auskunft. Da der Beschwerdeführer auch seinem Prozeßbevollmächtigten keine Zustellungsvollmacht erteilt habe, sei davon auszugehen, daß er nur für Gläubiger und Gerichte unerreichbar sein wolle. Wiedereinsetzung in den vorigen Stand sei nicht beantragt worden, könne hier auch nicht von Amts wegen gewährt werden.
Entscheidungsgründe
II.
Mit seiner Verfassungsbeschwerde rügt der Beschwerdeführer die Verletzung von Art. 103 Abs. 1 GG und Art. 2 Abs. 1 in Verbindung mit Art. 20 Abs. 3 GG, der Sache nach auch die Verletzung des Willkürverbots gemäß Art. 3 Abs. 1 GG. Amts- und Landgericht hätten ihm den Schriftsatz vom 11. Januar 1999 “absichtlich” nicht zur Kenntnis gegeben und willkürlich zu seinem Nachteil entschieden, um ihn “zu bestrafen”. Das Landgericht habe ihn auch nicht darauf hingewiesen, daß der näheren Bezeichnung seines tatsächlichen Lebensmittelpunktes für die Frage der Wirksamkeit der Zustellung des Vollstreckungsbescheides entscheidungserhebliche Bedeutung zukomme. Es habe seine Einwände nicht berücksichtigt, da es im Ergebnis ausschließlich den Argumenten des Prozeßgegners gefolgt sei.
III.
Die Voraussetzungen für die Annahme der Verfassungsbeschwerde zur Entscheidung liegen nicht vor. Weder wäre durch eine Entscheidung die Klärung einer grundsätzlichen verfassungsrechtlichen Frage zu erwarten noch ist die Annahme der Verfassungsbeschwerde zur Durchsetzung der Verfassungsrechte des Beschwerdeführers angezeigt (§ 93a Abs. 2 BVerfGG).
1. Die Verfassungsbeschwerde ist im Hinblick auf den Grundsatz der Subsidiarität der Verfassungsbeschwerde unzulässig.
Der Subsidiaritätsgrundsatz fordert, daß ein Beschwerdeführer über das Gebot der Erschöpfung des Rechtswegs im engeren Sinne hinaus alle prozessualen Möglichkeiten ausschöpft, um es nicht zu einem Verfassungsverstoß kommen zu lassen oder um eine geschehene Grundrechtsverletzung zu beseitigen (vgl. BVerfGE 81, 97 ≪102≫). Zu diesen Möglichkeiten gehört auch ein Antrag auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand (vgl. BVerfGE 42, 252 ≪256≫; 77, 275 ≪282≫). Dieser Antrag kommt auch bei Versäumung der Frist zum Einspruch gegen einen Vollstreckungsbescheid gemäß § 233 ZPO in Betracht (vgl. etwa OLG Braunschweig, MDR 1997, S. 884 f.; Holch, in: Münchener Kommentar zur ZPO, 1992, § 700, Rn. 14). Der Beschwerdeführer hat diese Möglichkeit nicht genutzt, obwohl ihm bei schuldloser Säumnis gegebenenfalls auch gegen die Versäumung der Frist des § 234 Abs. 1 ZPO Wiedereinsetzung in den vorigen Stand hätte gewährt werden können.
Dem anwaltlich beratenen Beschwerdeführer war auch im Hinblick auf seinen Rechtsstandpunkt, daß bereits die Zustellung des Vollstreckungsbescheides unwirksam gewesen sei, ein vorsorglicher Antrag auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand zuzumuten (vgl. Beschluß der 2. Kammer des Ersten Senats des Bundesverfassungsgerichts vom 14. Oktober 1996 – 1 BvR 975/95 –, NJW-RR 1997, S. 188). Denn er mußte damit rechnen, daß seine Einwendungen gegen die Wirksamkeit der Zustellung nicht anerkannt werden würden. Ihm war die Rechtsprechung zugänglich, nach der von einem Zustellungsempfänger, der sich darauf beruft, am Zustellungsort nicht gewohnt zu haben, erwartet wird, daß er klare und vollständige Angaben hinsichtlich seiner Wohnverhältnisse macht (vgl. BGHR ZPO § 182 Wohnung 2); gleichwohl hat er seine Wohnverhältnisse mit der Angabe einer “PO-Box” in A.… nicht näher umschrieben.
2. Die Verfassungsbeschwerde wäre im übrigen auch offensichtlich unbegründet.
a) Eine Verletzung des Anspruchs auf rechtliches Gehör und auf ein rechtsstaatliches Verfahren sowie des Willkürverbots lag nicht darin, daß die Gerichte entschieden haben, ohne dem Beschwerdeführer zuvor von dem Schriftsatz vom 11. Januar 1999 Kenntnis gegeben zu haben. Es handelte sich um einen bestimmenden Schriftsatz (vgl. §§ 697 Abs. 1, 700 Abs. 3 Satz 2 ZPO), der zuzustellen gewesen wäre. Der Beschwerdeführer hat dies vereitelt, indem er bestritt, im Inland eine Wohnung im Sinne der Zustellungsvorschriften zu besitzen, und indem er seiner Prozeßbevollmächtigten keine Zustellungsvollmacht erteilte. Dadurch hat er eine Obliegenheit verletzt (vgl. BGH, NJW 1987, S. 1707 f.; OLG Karlsruhe, OLG-Report Karlsruhe 1998, S. 56). Hiernach kann er das Unterlassen einer Zustellung des Schriftsatzes nicht als Verstoß gegen Grundrechte oder grundrechtsgleiche Rechte geltend machen. Im übrigen kam es wegen der Unsubstantiiertheit des Bestreitens eines inländischen Wohnsitzes durch den Beschwerdeführer nicht auf diesen Schriftsatz an.
b) Aus Art. 103 Abs. 1 GG ergibt sich keine allgemeine Hinweispflicht (vgl. BVerfGE 66, 116 ≪147≫; 67, 90 ≪95 f.≫). Daher mußte das Landgericht nicht auf die Folgen der vom Beschwerdeführer zitierten Rechtsprechung zur Beweisbedeutung der Zustellungsurkunde (vgl. dazu auch Beschluß der 3. Kammer des Zweiten Senats des Bundesverfassungsgerichts vom 3. Juni 1991 – 2 BvR 511/89 –, NJW 1992, S. 224 ff.) hinweisen.
IV.
Die Verhängung einer Mißbrauchsgebühr in der als angemessen erscheinenden Höhe von 1.000 DM beruht auf § 34 Abs. 2 BVerfGG. Aufgabe des Bundesverfassungsgerichts ist es, grundsätzliche Verfassungsfragen zu entscheiden, die für das Staatsleben, die Allgemeinheit und insbesondere die Grundrechtsverwirklichung des Einzelnen von Bedeutung sind. Es muß nicht hinnehmen, daß es an der Erfüllung dieser Aufgabe durch – wie hier – bereits an gravierenden Zulässigkeitsmängeln leidende, im übrigen aber auch offensichtlich unbegründete Verfassungsbeschwerden behindert wird und dadurch anderen Bürgern nur mit erheblicher Verzögerung in deren Angelegenheiten Grundrechtsschutz zu gewähren vermag (stRspr; vgl. Beschlüsse der zuständigen Kammern des Zweiten Senats des Bundesverfassungsgerichts vom 16. Dezember 1991 – 2 BvR 1608/91 –, NJW 1992, S. 1952 f.; vom 26. August 1992 – 2 BvR 1321/92 –, NJW 1993, S. 384; vom 5. Dezember 1994 – 2 BvR 2434/94 –, NJW 1995, S. 1418; vom 29. Mai 1996 – 2 BvR 725/96 –, NJW 1996, S. 2785; vom 19. März 1998 – 2 BvR 291/98 –, NJW 1998, S. 2205). Vom Beschwerdeführer war zu verlangen, daß er im Ausgangsverfahren seine Sorgfaltspflichten erfüllte; diese hat er jedoch grob verletzt. Der von ihm gleichwohl mit der Verfassungsbeschwerde erhobene Vorwurf, die Gerichte des Ausgangsverfahrens hätten ihm “absichtlich” einen bestimmenden Schriftsatz vorenthalten und willkürlich fehlerhaft entschieden, ist bei dieser Sachlage nicht hinnehmbar.
Sollte die mißbräuchliche Erhebung der Verfassungsbeschwerde auf fehlerhafter anwaltlicher Beratung beruhen, bleibt es dem Beschwerdeführer unbenommen, bei seinen Prozeßbevollmächtigten Rückgriff zu nehmen.
Diese Entscheidung ist unanfechtbar.
Unterschriften
Limbach, Winter, Hassemer
Fundstellen