Verfahrensgang
OLG Koblenz (Beschluss vom 06.03.2007; Aktenzeichen 2 VAs 18/06) |
Tenor
Die Verfassungsbeschwerde wird nicht zur Entscheidung angenommen.
Tatbestand
I.
Die Verfassungsbeschwerde betrifft die Unterbringung eines Untersuchungsgefangenen in einem Einzelhaftraum mit offener Toilette und vor dem Fenster angebrachter Sichtblende.
1. Der Beschwerdeführer befindet sich seit dem 19. März 2003 in Untersuchungshaft. Er wurde am 8. Februar 2006 in die Justizvollzugsanstalt K… verlegt und dort seitdem allein in verschiedenen Einzelhafträumen untergebracht, die mit einer räumlich nicht vom übrigen Haftraum abgetrennten, nicht gesondert entlüfteten Toilette ausgestattet sind. Vor dem Haftraumfenster ist jeweils im Abstand von 15 cm eine Macrolonscheibe angebracht, die eine Durchsicht mit Ausnahme des oberen Teils der Scheibe, der den Blick auf den Himmel freigibt, verhindert.
2. Nachdem der Beschwerdeführer die Unterbringungsbedingungen erfolglos bei der Justizvollzugsanstalt beanstandet hatte, beantragte er beim Oberlandesgericht K…, die Rechtswidrigkeit seiner Unterbringung in einem Haftraum mit Sichtblende und offener Toilette ohne gesonderte Entlüftung festzustellen. Durch die Sichtblende sei die erforderliche Be- und Entlüftung nicht mehr gewährleistet; zudem liege sein Haftraum auch tagsüber durchweg im Halbdunkel, so dass er auf künstliche Beleuchtung angewiesen sei. Wegen der unzureichenden baulichen Abtrennung der Toilette komme es zu unzumutbaren Geruchsbelästigungen. Außerdem könne beim Öffnen der Haftraumtür durch die Bediensteten während der Notdurft des Gefangenen dessen Schamgefühl verletzt werden. Hierdurch werde er in seinen Rechten aus Art. 1 Abs. 1 GG und Art. 3 Abs. 1 EMRK verletzt.
3. In ihrer Stellungnahme führte die Justizvollzugsanstalt aus, aufgrund des Abstandes zur Wand stünden rund um die vor dem Haftraumfenster angebrachte Scheibe vier freie Seiten für die notwendige Luftzufuhr zur Verfügung. Die Blenden seien in ihrer baulichen Beschaffenheit so konzipiert, dass sowohl der Lichteinfall als auch die Zirkulation der Zu- und Abluft in den Haftraum ausreichten. Mit Rücksicht auf die besonderen Sicherheitsbedingungen der Anstalt, insbesondere unter Berücksichtigung der vorhandenen baulichen Situation, könne auf die Sichtblenden nicht verzichtet werden.
4. Das Oberlandesgericht verwarf den Antrag mit Beschluss vom 6. März 2007, der dem Beschwerdeführer nach eigenen Angaben am 20. März 2007 zugestellt wurde. Der zulässige Antrag sei unbegründet. Bei der von der Justizvollzugsanstalt geschilderten Sachlage komme eine Verletzung der Menschenwürde des Beschwerdeführers nicht in Betracht. Die Sichtblenden sollten unerlaubte Kontaktaufnahmen zwischen untereinander getrennt zu haltenden Untersuchungsgefangenen und außenstehenden Personen verhindern. Aufgrund der besonderen Lage der Anstalt – nämlich in einem Hangbereich zwischen zwei Straßen mit einer Außenfront teilweise ohne Anstaltsmauer – seien derartige Sichtblenden unverzichtbar. Dass der Beschwerdeführer infolge dieser Sichtblenden an gesundheitlichen Beeinträchtigungen, insbesondere Augenbeschwerden, leide, werde von ihm selbst nicht substantiiert behauptet und ergebe sich auch nicht aus der Stellungnahme der Justizvollzugsanstalt. Auch soweit sich der Beschwerdeführer gegen die fehlende bauliche und optische Abtrennung der Toilette wende, sei der Antrag unbegründet. Allerdings seien dem Ermessen der Vollzugsbehörde bei der Ausgestaltung der Hafträume durch das Recht des Gefangenen auf Achtung seiner Menschenwürde (Art. 1 Abs. 1 GG), das Verbot unmenschlicher oder erniedrigender Behandlung (Art. 3 EMRK) und die Europäischen Mindestgrundsätze für die Behandlung von Gefangenen Grenzen gesetzt. Diese Vorschriften würden durch die Ausstattung des jetzt von dem Beschwerdeführer bewohnten Haftraums, der dem allgemeinen Standard der Justizvollzugsanstalten in der Bundesrepublik entspreche, nicht tangiert. Hafträume der geforderten Art seien im Übrigen in der Justizvollzugsanstalt K… nicht vorhanden. Dass der Beschwerdeführer aufgrund der baulichen Gegebenheiten an Beeinträchtigungen seines körperlichen oder seelischen Wohls leide, die über die mit den räumlichen Verhältnissen unvermeidlich verbundenen Belästigungen und Unannehmlichkeiten hinausgingen, sei nicht ersichtlich. Schließlich werde der Beschwerdeführer im Verhältnis zu anderen Gefangenen auch nicht ungleich behandelt. Nach der Stellungnahme der Justizvollzugsanstalt verfügten sämtliche Hafträume, deren Fenster sich öffnen ließen, über eine Sichtblende und alle Einzelhafträume über eine Toilette ohne bauliche Abtrennung.
Entscheidungsgründe
II.
1. Mit seiner Verfassungsbeschwerde rügt der Beschwerdeführer eine Verletzung seiner Menschenwürde (Art. 1 Abs. 1 GG). In dem ihm zugewiesenen Haftraum, den er zurzeit allein belege, befinde sich ein Etagenbett mit zwei Schlafplätzen; bei Engpässen bestehe daher wohl kaum eine Chance auf Beibehaltung der Einzelbelegung. Die baulichen Gegebenheiten der Justizvollzugsanstalt seien nicht geeignet, eine Verletzung der Menschenwürde zu rechtfertigen. Er sei durch die Sichtblenden stark gesundheitlich beeinträchtigt. Durch sie werde der durch die nunmehr seit 61 Monaten fortdauernde Untersuchungshaft ohnehin fast unerträgliche psychische Druck weiter erhöht. Dies hätte der Justizvollzugsanstalt bekannt sein müssen, da er sich an den Psychologen und den Sozialdienst gewandt und dort erklärt habe, dass ihm die Decke auf den Kopf falle und die Bedingungen in der Anstalt dazu beitrügen. Er habe dort auch verdeutlicht, dass die psychischen Probleme sich auf seinen körperlichen Zustand auswirkten. Sowohl der Lichteinfall als auch die Luftzirkulation im Haftraum seien keineswegs ausreichend. Der Haftraum befinde sich im Erdgeschoss und grenze an einen Anbau an; der Lichteinfall werde durch das Gitter zwischen Wand und Sichtblende sowie dadurch, dass das Fenster sich auf einer Höhe von 2,20 m befinde und der obere Teil auf etwa 2,65 m beginne, zusätzlich ungünstig beeinflusst. Überdies würden die Sichtblenden von außen nicht gereinigt. Bei den Sichtblenden handele es sich um eine überzogene Sicherheitsmaßnahme, die in anderen ebenfalls im Stadtzentrum gelegenen Vollzugsanstalten nicht für erforderlich gehalten werde. Beim Öffnen der Haftraumtür falle der erste Blick auf die offen im Raum stehende Toilette, so dass nicht nur Bedienstete, sondern auch dritte Personen, die sich auf dem Gang befänden, ihn bei der Verrichtung seiner Notdurft wahrnehmen könnten.
2. Die Verfassungsbeschwerde datiert vom 18. April 2007; sie ist am 4. Mai 2007 und damit nach Ablauf der Verfassungsbeschwerdefrist (§ 93 Abs. 1 Satz 1 BVerfGG) beim Bundesverfassungsgericht eingegangen. Mit einem weiteren undatierten, am 3. Mai 2007 beim Bundesverfassungsgericht eingegangenen Schreiben macht der Beschwerdeführer geltend, die Verfassungsbeschwerde sei von der Justizvollzugsanstalt nicht weitergeleitet worden. Das Schreiben sei ihm mit dem Vermerk, es unterliege der Briefkontrolle beim Landgericht, wieder ausgehändigt worden. Als er darauf hingewiesen habe, dass es sich um eine Verfassungsbeschwerde handele, bei der auf die Einhaltung der Frist zu achten sei, sei ihm gesagt worden, dies sei sein Problem. Auch eine Versendung vorab per Fax oder ein Kopieren der Unterlagen sei ihm trotz Bereitschaft zur Kostentragung nicht gestattet worden. Da er die Verfassungsbeschwerde nunmehr über die Briefkontrolle schicken müsse, was in der Regel sieben bis 14 Tage dauere, sei es ihm nicht möglich, die Frist einzuhalten.
3. Der Beschwerdeführer befindet sich seit dem 26. Mai 2007 in Strafhaft und wurde mittlerweile in die Justizvollzugsanstalt D… verlegt.
III.
Die Verfassungsbeschwerde wird nicht zur Entscheidung angenommen, da die Annahmevoraussetzungen des § 93a Abs. 2 BVerfGG nicht vorliegen. Weder ist die Verfassungsbeschwerde von allgemeiner Bedeutung noch ist die Annahme zur Durchsetzung der in § 90 Abs. 1 BVerfGG genannten Rechte des Beschwerdeführers angezeigt. Die Verfassungsbeschwerde hat keine Aussicht auf Erfolg.
1. Es kann dahinstehen, ob dem Beschwerdeführer gemäß § 93 Abs. 2 Satz 4 BVerfGG von Amts wegen Wiedereinsetzung in den vorigen Stand in die versäumte Frist zur Einlegung und Begründung der Verfassungsbeschwerde (§ 93 Abs. 1 Satz 1 BVerfGG) zu gewähren ist. Die Kammer weist allerdings darauf hin, dass die Justizvollzugsanstalt und der mit der Briefkontrolle befasste Haftrichter verpflichtet sind, eine auch im Falle fristgebundener Schriftsätze an Gerichte für erforderlich gehaltene Briefkontrolle so zügig wie möglich durchzuführen und die mit der Kontrolle verbundenen Verzögerungen möglichst – etwa durch eine Übermittlung des Schreibens per Telefax – gering zu halten (vgl. BVerfG, Beschlüsse der 2. Kammer des Zweiten Senats vom 30. April 1993 – 2 BvR 1605/92, 2 BvR 1710/92 –, NStZ 1993, S. 507 ≪508≫, und vom 23. Juni 1993 – 2 BvR 1808/92 –, NJW 1994, S. 3089; aus der fachgerichtlichen Rechtsprechung OLG Düsseldorf, Beschluss vom 6. September 1989 – 3 Ws 608/89 –, NStZ 1990, S. 149 f.).
2. Darüber hinaus bedarf keiner Entscheidung, ob trotz der mit der Verlegung des Beschwerdeführers in die Justizvollzugsanstalt D… eingetretenen Erledigung des Rechtsschutzziels von einem Fortbestand des Rechtsschutzinteresses (vgl. BVerfGK 6, 344 ≪347 f.≫) auszugehen ist; denn die Verfassungsbeschwerde ist jedenfalls unbegründet. Der angegriffene Beschluss des Oberlandesgerichts hält einer verfassungsrechtlichen Überprüfung stand.
a) Die Würde des Menschen zu achten und zu schützen, ist Verpflichtung aller staatlichen Gewalt (Art. 1 Abs. 1 GG). Der öffentlichen Gewalt ist danach jede Behandlung verboten, die die Achtung des Wertes vermissen lässt, der jedem Menschen um seiner selbst willen zukommt (vgl. BVerfGE 109, 279 ≪313≫). Durch das Sozialstaatsprinzip bekräftigt, schließt die Verpflichtung des Staates zum Schutz der Menschenwürde die Pflicht zu aktiver Gewährleistung der materiellen Mindestvoraussetzungen menschenwürdiger Existenz ein (vgl. BVerfGE 40, 121 ≪133≫; 82, 60 ≪80≫; 91, 93 ≪111≫; 110, 412 ≪445 f.≫; 113, 88 ≪108 f.≫). Für den Strafvollzug bedeutet dies, dass die Voraussetzungen eines menschenwürdigen Daseins dem Gefangenen auch in der Haft erhalten bleiben müssen und der Staat zu den dafür erforderlichen Leistungen verpflichtet ist (vgl. BVerfGE 45, 187 ≪228≫).
Nichts anderes gilt für den Vollzug der Untersuchungshaft. Kann aufgrund der besonderen Verhältnisse in einer bestimmten Anstalt den Anforderungen, die sich aus der Pflicht zum Schutz der Menschenwürde ergeben, einem Gefangenen gegenüber nicht entsprochen werden, so ist dieser in eine andere Anstalt zu verlegen (vgl. BVerfG, Beschluss der 2. Kammer des Zweiten Senats vom 16. März 1993 – 2 BvR 202/93 –, NStZ 1993, S. 404 ≪406≫).
Die Frage nach den Standards, deren Unterschreitung eine Missachtung bedeuten und die Menschenwürde der Betroffenen verletzen würde, kann dabei, soweit es um die Sicherung eines Minimums an materiellen Voraussetzungen menschenwürdiger Existenz geht, hier wie sonst nicht ohne Berücksichtigung der allgemeinen – auch wirtschaftlichen – Verhältnisse beantwortet werden (vgl. BVerfGE 87, 153 ≪170≫; 91, 93 ≪111≫).
Auf eine den grundrechtlichen Anforderungen nicht genügende Ausgestaltung des Vollzuges kann es hindeuten, wenn internationale Standards mit Menschenrechtsbezug, wie sie in den im Rahmen der Vereinten Nationen oder von Organen des Europarates beschlossenen einschlägigen Richtlinien und Empfehlungen enthalten sind, nicht beachtet beziehungsweise unterschritten werden (vgl. BVerfGE 116, 69 ≪90≫).
Die im Jahr 2006 neu gefassten Europäischen Strafvollzugsgrundsätze (Empfehlung des Ministerkomitees des Europarates vom 11. Januar 2006, Rec(2006)2; in deutscher Übersetzung herausgegeben vom Bundesministerium für Justiz, Berlin, Bundesministerium der Justiz, Wien, Eidgenössischen Justiz- und Polizeidepartement, Bern, 2007) sehen vor, dass alle für Gefangene, insbesondere für deren nächtliche Unterbringung, vorgesehenen Räume den Grundsätzen der Menschenwürde zu entsprechen, die Privatsphäre so weit wie möglich zu schützen und den Erfordernissen der Gesundheit und der Hygiene zu entsprechen haben; dabei sind die klimatischen Verhältnisse und insbesondere die Bodenfläche, die Luftmenge sowie die Beleuchtung, Heizung und Belüftung zu berücksichtigen (Nr. 18.1). In allen Gebäuden, in denen Gefangene leben, arbeiten oder sich aufhalten, müssen die Fenster groß genug sein, damit die Gefangenen unter normalen Bedingungen bei Tageslicht lesen und arbeiten können und Frischluft einströmen kann, es sei denn, eine entsprechende Klimaanlage ist vorhanden (Nr. 18.2, lit. a). Gefangene müssen jederzeit Zugang zu sanitären Einrichtungen haben, die hygienisch sind und die Intimsphäre schützen (Nr. 19.3).
Nach den im Rahmen der Vereinten Nationen erarbeiteten Mindestregeln für die Behandlung der Gefangenen (abgedruckt bei Höynck/Neubacher/Schüler-Springorum, Internationale Menschenrechtsstandards und das Jugendkriminalrecht – Dokumente der Vereinten Nationen und des Europarates – herausgegeben vom Bundesministerium der Justiz in Zusammenarbeit mit der Deutschen Vereinigung für Jugendgerichte und Jugendgerichtshilfen e.V., 2001, S. 142 ff. ≪144≫) müssen die Hafträume und besonders die Räume, die zur Unterbringung der Gefangenen während der Nacht bestimmt sind, den Anforderungen der Hygiene entsprechen, insbesondere was den Rauminhalt, die Mindestfläche, die Beleuchtung, Beheizung und Belüftung angeht (Nr. 11). In jedem Raum, in dem Gefangene untergebracht sind oder arbeiten, müssen die Fenster groß genug sein, damit der Gefangene bei natürlichem Licht lesen und arbeiten kann; die Anordnung der Fenster muss den Eintritt von frischer Luft erlauben (Nr. 12, lit. a). Die sanitären Anlagen müssen so beschaffen sein, dass der Gefangene jederzeit in sauberer und schicklicher Weise den natürlichen Bedürfnissen nachkommen kann (Nr. 13).
b) Nach den dargestellten Maßstäben lässt die angegriffene Entscheidung, auch unter Berücksichtigung der indiziellen Bedeutung internationaler Standards, keinen Verfassungsverstoß erkennen.
aa) Bei einer Zuweisung des Haftraums als Einzelhaftraum verletzt die fehlende Abtrennung der Toilette vom übrigen Raum nicht den Anspruch des Gefangenen auf Achtung seiner Menschenwürde (Art. 1 Abs. 1 GG). Anders als in den Fällen, in denen zwei oder mehr Gefangene gemeinsam in einem Haftraum untergebracht sind und weder eine hinreichende, einen ausreichenden Sicht-, Geruchs- und Geräuschschutz gewährleistende räumliche Abtrennung der Toilette noch die Möglichkeit gegeben ist, außerhalb der Zelle gelegene sanitäre Anlagen zu nutzen (vgl. zur Beurteilung bei Gemeinschaftsunterbringung OLG Frankfurt am Main, Beschluss vom 18. Juli 2003 – 3 Ws 578/03 ≪StVollz≫ –, NJW 2003, S. 2843 ≪2845≫; OLG Hamm, Beschluss vom 20. Januar 2005 – 1 Vollz ≪Ws≫ 147/04 –, ZfStrVo 2005, S. 301 ff.; LG Halle, Beschluss vom 8. November 2004 – 27 StVK 462/04 –, StV 2005, S. 342; Kretschmer, NStZ 2005, S. 251 ≪254≫; Theile, StV 2002, S. 670 ≪671≫; zu Art. 3 EMRK EGMR, Urteil vom 15. Juli 2002 – 47095/99 Rn. 99 – Kalashnikov/Russland, in NVwZ 2005, S. 303 ≪305≫ Rn. 98), besteht bei einer Zuweisung zur Einzelnutzung grundsätzlich die Möglichkeit, körperliche Bedürfnisse unter Wahrung der eigenen Intimsphäre zu verrichten; der Gefangene ist auch nicht gezwungen, sich den Verrichtungen anderer Gefangener ungewollt auszusetzen. Die Geruchsbelästigung, die auch bei der eigenen Nutzung einer nicht gesondert belüfteten Toilette in einem Einzelhaftraum entstehen kann, geht, anders als eine erzwungene Konfrontation mit dem körperlichen Intimbereich Anderer, über eine kurzfristige bloße Belästigung nicht hinaus. Ihr kann durch Lüftung über das Haftraumfenster, wie sie auch bei einer im Abstand von 15 cm vor dem Fenster angebrachten Sichtblende möglich ist, ausreichend begegnet werden.
Auch die Europäischen Strafvollzugsgrundsätze stellen auf den Gesichtspunkt des Schutzes der Intimsphäre ab und liefern keinen Anhaltspunkt dafür, dass – unabhängig von diesem Gesichtspunkt – mit einer unabgetrennten Toilette schon bei Einzelbelegung des Haftraums der Standard menschenwürdiger Unterbringung unterschritten sein könnte (a.a.O. Nr. 19.3, siehe unter III.2.a; dort auch zu den UN-Mindestregeln für die Behandlung der Gefangenen, die keine weitergehenden Vorgaben enthalten).
Eine räumliche Abtrennung und gesonderte Entlüftung des Sanitärbereichs ist daher im Falle der Einzelunterbringung zur Wahrung der Menschenwürde nicht zwingend geboten (vgl. auch OLG Zweibrücken, Beschluss vom 17. Februar 1982 – 1 Vollz ≪Ws≫ 78/81 –, NStZ 1982, S. 221 f.; zu den Anforderungen aus § 144 Abs. 1 Satz 1 StVollzG vgl. Arloth, in: Arloth/Lückemann, StVollzG, 2004, § 144 Rn. 2; Böhm, in: Schwind/Böhm/Jehle, StVollzG, 4. Aufl. 2006, § 144 Rn. 2; Calliess/Müller-Dietz, StVollzG, 10. Aufl. 2005, § 144 Rn. 1; Huchting/Lehmann, in: AK-StVollzG, 5. Aufl. 2007, § 144 Rn. 10).
Soweit der Beschwerdeführer auf die bloß abstrakte Möglichkeit einer Belegung des in Rede stehenden Haftraums mit einem weiteren Gefangenen hinweist, zwingt dies nicht zu einer anderen Beurteilung. Es bleibt dem Beschwerdeführer unbenommen, gegen eine tatsächliche Doppelbelegung des ihm zugewiesenen Haftraumes um Rechtsschutz vor den Fachgerichten nachzusuchen.
Auch bei einer Nutzung als Einzelhaftraum können allerdings Beeinträchtigungen der durch Art. 2 Abs. 1 in Verbindung mit Art. 1 Abs. 1 GG geschützten Intimsphäre dadurch entstehen, dass das Vollzugspersonal den Haftraum betritt, während der Gefangene seine Bedürfnisse auf der frei einsehbaren Toilette verrichtet. Der Gefangene, in dessen Haftraum die Toilette nicht mit ausreichendem Sichtschutz versehen ist, hat insoweit Anspruch auf besondere Rücksichtnahme durch das Personal. Ein Bediensteter, der den Haftraum betreten will, muss sein Kommen – etwa durch Anklopfen oder ausreichend vernehmbare Schließgeräusche beim Öffnen der Tür (vgl. BVerfG, Beschlüsse der 2. Kammer des Zweiten Senats vom 30. Mai 1996 – 2 BvR 727/94 u. a. –, NJW 1996, S. 2643, und vom 4. Juli 2006 – 2 BvR 460/01 –, www.bverfg.de) – in einer Weise ankündigen, die dem Gefangenen im Falle der Benutzung der Toilette einen rechtzeitigen Hinweis ermöglicht, und hat in diesem Fall vom Betreten des Raumes, wenn dieses nicht ausnahmsweise dringend geboten erscheint, für eine den Umständen angemessene Zeitspanne abzusehen. Bei Verstößen gegen dieses Rücksichtnahmegebot – für die der Beschwerdeführer keine hinreichenden Anhaltspunkte vorgetragen hat – kann der betroffene Gefangene sich beim Anstaltsleiter beschweren (Nr. 75 Abs. 2 UVollzO) oder Antrag auf gerichtliche Entscheidung stellen (Nr. 75 Abs. 3 UVollzO, §§ 23 ff. EGGVG; vgl. OLG Dresden, Beschluss vom 15. April 1994 – VAs 1/94 –, Beilage zum Vollzugsdienst 1995, Nr. 2, S. 10 f.).
bb) Auch durch die Anbringung der Sichtblende vor dem Haftraumfenster wird der Anspruch des Beschwerdeführers auf Achtung seiner Menschenwürde aus Art. 1 Abs. 1 GG nicht verletzt, da durch sie die grundlegenden Voraussetzungen individueller und sozialer Existenz des Beschwerdeführers nicht in Frage gestellt werden. Auch eine – nicht ausdrücklich gerügte – Verletzung des Beschwerdeführers in seinem Recht auf körperliche Unversehrtheit (Art. 2 Abs. 2 Satz 1 GG) ist nicht ersichtlich.
In Übereinstimmung mit den internationalen Standards ist allerdings in Rechtsprechung und Schrifttum verschiedentlich darauf hingewiesen worden, dass die Anbringung einer Sichtblende vor dem Fenster nur in Betracht kommt, wenn dem Insassen der Blick ins Freie nicht völlig genommen wird, der Haftraum tagsüber nicht künstlich beleuchtet werden muss, eine ausreichende Belüftung des Haftraumes sichergestellt ist und gesundheitliche Beeinträchtigungen vermieden werden (vgl. OLG Koblenz, Beschluss vom 4. Oktober 1984 – 2 VAs 28/84 –, ZfStrVo 1985, S. 62 ≪63≫; Arloth, a.a.O., § 144 Rn. 3; Böhm, a.a.O., § 144 Rn. 3; grundsätzlich ablehnend Calliess/Müller-Dietz, a.a.O., § 144 Rn. 1; Huchting/Lehmann, a.a.O., § 144 Rn. 6).
Das Oberlandesgericht ist auf der Grundlage der nachvollziehbaren Ausführungen der Justizvollzugsanstalt vertretbar davon ausgegangen, dass die Anbringung der Sichtblenden aufgrund der besonderen baulichen Situation der Anstalt zur Vermeidung unerwünschter Kommunikation zwischen untereinander getrennt zu haltenden Untersuchungsgefangenen und außenstehenden Personen erforderlich ist. Das Gericht hat weiterhin ohne Verfassungsverstoß festgestellt, dass die Verwendung der Sichtblenden auch nicht mit unverhältnismäßigen Nachteilen für die betroffenen Gefangenen verbunden ist, da durch die Anbringung im Abstand von 15 cm vor dem Haftraumfenster und die Möglichkeit der Durchsicht durch den oberen Teil eine hinreichende Licht- und Luftzufuhr sowie ein – wenn auch eingeschränkter – Blick ins Freie gewährleistet ist. Anhaltspunkte dafür, dass der Beschwerdeführer aufgrund der Sichtblenden gesundheitlichen Beeinträchtigungen ausgesetzt ist, waren dem Antrag auf gerichtliche Entscheidung und den sonstigen vorgelegten Unterlagen aus dem fachgerichtlichen Verfahren nicht zu entnehmen. Soweit der Beschwerdeführer im Rahmen der Verfassungsbeschwerde erstmals vorgetragen hat, die Unterbringungsbedingungen verursachten bei ihm psychische und physische Probleme, kann er hiermit im Verfassungsbeschwerdeverfahren aus Gründen der Subsidiarität nicht gehört werden (vgl. BVerfGE 66, 337 ≪364≫). Gleiches gilt für den Vortrag, der Lichteinfall werde durch die ungünstige Lage des Fensters und den Umstand, dass die Sichtblende von außen nicht gereinigt werde, zusätzlich beeinträchtigt.
Diese Entscheidung ist unanfechtbar.
Unterschriften
Broß, Lübbe-Wolff, Gerhardt
Fundstellen
Haufe-Index 1853597 |
EuGRZ 2008, 83 |
NPA 2009 |