Verfahrensgang

OLG Karlsruhe (Beschluss vom 24.09.1996; Aktenzeichen 4 W 123/96)

LG Konstanz (Beschluss vom 09.08.1996; Aktenzeichen 1 T 193/96)

AG Überlingen (Beschluss vom 03.07.1996; Aktenzeichen XVII 19/96)

 

Tenor

Die Verfassungsbeschwerde wird nicht zur Entscheidung angenommen.

 

Gründe

Mit der Verfassungsbeschwerde wird gerügt, daß das Oberlandesgericht das Rechtsschutzinteresse für eine weitere Beschwerde verneint hat, weil die angegriffene Anordnung der Unterbringung der Beschwerdeführerin gemäß § 68b Abs. 4 FGG prozessual überholt sei, nachdem diese sich der Untersuchung freiwillig unterzogen hatte.

Die Kammer nimmt die Verfassungsbeschwerde nicht zur Entscheidung an (§ 93a BVerfGG). Die Annahme der Verfassungsbeschwerde ist jedenfalls darum nicht angezeigt, weil sie keine hinreichende Aussicht auf Erfolg hat.

  • Die Annahme des Oberlandesgerichts, die Anordnung des Amtsgerichts gemäß § 68b Abs. 4 FGG habe sich erledigt, nachdem sich die Beschwerdeführerin freiwillig der Untersuchung durch den Sachverständigen unterzogen habe und aus diesem Grunde für die Feststellung der Rechtswidrigkeit kein Rechtsschutzinteresse bestehe, ist verfassungsrechtlich nicht zu beanstanden.

    a) Zwar hat der Zweite Senat des Bundesverfassungsgerichts mit Beschluß vom 30. April 1997 (2 BvR 817/90 u.a. = NJW 1997, 2163 ff.) seine frühere Rechtsprechung, wonach Art. 19 Abs. 4 GG auch bei erledigten schwerwiegenden Grundrechtseingriffen in der Regel eine nachträgliche gerichtliche Prüfung durch die Fachgerichte nicht verlange, aufgegeben.

    Die in Art. 19 Abs. 4 GG verbürgte Effektivität des Rechtsschutzes verbietet es den Rechtsmittelgerichten, ein von der jeweiligen Rechtsordnung eröffnetes Rechtsmittel ineffektiv zu machen und für den Beschwerdeführer “leerlaufen” lassen. Hiervon muß sich das Rechtsmittelgericht bei der Antwort auf die Frage leiten lassen, ob im jeweiligen Einzelfall für ein nach der Prozeßordnung statthaftes Rechtsmittel ein Rechtsschutzinteresse besteht. Mit dem Gebot, effektiven Rechtsschutz zu gewährleisten, ist es zwar grundsätzlich vereinbar, wenn die Gerichte ein Rechtsschutzinteresse nur solange als gegeben ansehen, als ein gerichtliches Verfahren dazu dienen kann, eine gegenwärtige Beschwer auszuräumen, einer Wiederholungsgefahr zu begegnen oder eine fortwirkende Beeinträchtigung durch einen an sich beendeten Eingriff zu beseitigen. Darüber hinaus ist ein Rechtsschutzinteresse aber auch in Fällen tiefgreifender Grundrechtseingriffe gegeben, in denen die direkte Belastung durch den angegriffenen Hoheitsakt sich nach dem typischen Verfahrensablauf auf eine Zeitspanne beschränkt, in welcher der Betroffene die gerichtliche Entscheidung in der von der Prozeßordnung gegebenen Instanz kaum erlangen kann. Effektiver Grundrechtsschutz gebietet es in diesen Fällen, daß der Betroffene Gelegenheit erhält, die Berechtigung des schwerwiegenden – wenn auch tatsächlich nicht mehr fortwirkenden – Grundrechtseingriffs gerichtlich klären zu lassen. Die Funktionenteilung zwischen der Fach- und Verfassungsgerichtsbarkeit läßt es nicht zu, daß ein Beschwerdeführer, der von einem seiner Natur nach alsbald erledigten Eingriff schwerwiegend im Schutzbereich eines individuellen Grundrechts betroffen ist, erst und nur im Wege der Verfassungsbeschwerde effektiven Grundrechtsschutz einfordern kann. Tiefgreifende Grundrechtseingriffe kommen vor allem bei Anordnungen in Betracht, die das Grundgesetz – wie in den Fällen des Art. 13 Abs. 2 und Art. 104 Abs. 2 und 3 – vorbeugend dem Richter vorbehalten hat (vgl. BVerfG NJW 1997, 2163 ff.).

    b) Auch bei Zugrundelegung dieser Maßstäbe kann die Verfassungsbeschwerde aber keinen Erfolg haben. Das Oberlandesgericht hat in seiner Entscheidung die Möglichkeit eines im Hinblick auf die Bedeutung der betroffenen Grundrechte fortwirkenden Rechtsschutzinteresses in Betracht gezogen und dies im Ergebnis verneint. Dabei geht das Gericht davon aus, daß die angefochtene Anordnung mit Rücksicht darauf, daß die Beschwerdeführerin sich der Untersuchung freiwillig unterzogen hat, nicht vollzogen und ein nachhaltiger Eingriff in die Grundrechte der Beschwerdeführerin daher nicht erfolgt sei. Damit hat das Oberlandesgericht – verfassungsrechtlich unbedenklich – einen tiefgreifenden Grundrechtseingriff im Sinne der neueren Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts verneint.

  • Von einer weiteren Begründung wird abgesehen (§ 93d Abs. 1 Satz 3 BVerfGG).

    Diese Entscheidung ist unanfechtbar.

 

Unterschriften

Limbach, Graßhof, Kirchhof

 

Fundstellen

Haufe-Index 1276475

NJW 1998, 2813

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