Verfahrensgang
LG Frankfurt am Main (Beschluss vom 20.08.2007; Aktenzeichen 2 - 16 T 3/07) |
AG Frankfurt am Main (Beschluss vom 20.12.2006; Aktenzeichen 810 IN 348/05 L-1) |
Tenor
1. Die Beschlüsse des Landgerichts Frankfurt am Main vom 20. August 2007 – 2 – 16 T 3/07 – und des Amtsgerichts Frankfurt am Main vom 20. Dezember 2006 – 810 IN 348/05 L-1 – verletzen den Beschwerdeführer in seinem Grundrecht aus Artikel 101 Absatz 1 Satz 2 des Grundgesetzes.
2. Die Beschlüsse werden aufgehoben und die Sache an das Amtsgericht Frankfurt am Main zurückverwiesen.
3. Damit erledigt sich der Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung.
4. Das Land Hessen hat dem Beschwerdeführer die notwendigen Auslagen für das Verfassungsbeschwerdeverfahren zu erstatten.
Gründe
Die Verfassungsbeschwerde betrifft die Verletzung von Verfahrensgrundrechten im Insolvenzverfahren anlässlich der Entscheidung über ein gegen den Rechtspfleger gestelltes Ablehnungsgesuch.
I.
1. a) Über das Vermögen des Beschwerdeführers – eines Studenten der Rechtswissenschaften – wurde mit Beschluss des Amtsgerichts Frankfurt am Main vom 21. April 2005 wegen Zahlungsunfähigkeit das Insolvenzverfahren (Geschäftsnummer: 810 IN 348/05 L) eröffnet.
b) Das Amtsgericht Frankfurt am Main – Insolvenzgericht – wies durch den Rechtspfleger den Antrag des Beschwerdeführers auf Erhöhung der Pfändungsfreigrenze nach § 850f ZPO in Verbindung mit § 4 InsO mit Beschluss vom 6. Dezember 2006 zurück (Geschäftsnummer: 810 IN 348/05 L-1). Zur Begründung führte das Amtsgericht aus, es bestehe für den Antrag kein Rechtsschutzbedürfnis. Nach der Stellungnahme der Treuhänderin habe kein pfändbares Vermögen ermittelt und zur Masse gezogen werden können, da der Beschwerdeführer nur unvollständige Angaben gemacht habe, so dass die Pfändungsfreigrenze nicht zu erhöhen sei. Es sei “eher der Eindruck entstanden, dass hier ein Zugriff auf eventuelle Vermögenswerte verhindert werden soll(te)”. Abschließend führte der Rechtspfleger aus: “Insbesondere da der Schuldner derzeit Student der Rechtswissenschaften ist, sollte doch ein anderes Verhalten angezeigt sein”.
c) Gegen den Beschluss legte der Beschwerdeführer mit Schreiben vom 24. Dezember 2006 sofortige Beschwerde ein, der vom Rechtspfleger nicht abgeholfen wurde.
2. a) Mit Schreiben vom 12. Dezember 2006 lehnte der Beschwerdeführer den für das Insolvenzverfahren über sein Vermögen zuständigen Rechtspfleger wegen Besorgnis der Befangenheit für das gesamte weitere Insolvenzverfahren ab. Dessen Behauptung, der Beschwerdeführer verhindere den Zugriff auf Vermögenswerte, sowie die Vorhaltung, dass von dem Beschwerdeführer als Student der Rechtswissenschaften ein anderes Verhalten angezeigt sei, begründe die Besorgnis der fehlenden Neutralität und Unvoreingenommenheit.
b) Das Amtsgericht Frankfurt am Main wies das Ablehnungsgesuch mit Beschluss vom 20. Dezember 2006 (Geschäftsnummer 810 IN 348/05 L-1) durch den abgelehnten Rechtspfleger als offensichtlich unzulässig und unbegründet zurück. Das Gesuch sei rechtsmissbräuchlich zum Zwecke der Verschleppung und Verfolgung verfahrensfremder Zwecke gestellt worden, so dass der abgelehnte Rechtspfleger gemäß § 4 InsO in Verbindung mit §§ 41 ff. ZPO selbst über das Ablehnungsgesuch entscheiden könne. “Ganz offensichtlich” begehre der Beschwerdeführer eine Änderung des Beschlusses vom 6. Dezember 2006, mit dem der Antrag auf Erhöhung der Pfändungsfreigrenze zurückgewiesen worden sei. Da der Beschwerdeführer gegen diesen Beschluss kein Rechtsmittel eingelegt habe, sei ein Versuch der Verschleppung bzw. Verfolgung verfahrensfremder Zwecke zu vermuten. Auch in der Sache selbst sei keine Besorgnis der Befangenheit zu erkennen.
c) Nachdem der Rechtspfleger der sofortigen Beschwerde nicht abgeholfen hatte, wies das Landgericht Frankfurt am Main die Beschwerde des Beschwerdeführers gegen den Beschluss des Amtsgerichts Frankfurt am Main vom 20. Dezember 2006 (Geschäftsnummer 810 IN 348/05 L-1) mit Beschluss vom 20. August 2007 (Geschäftsnummer: 2 – 16 T 3/07) zurück. Das Amtsgericht Frankfurt am Main habe im Ergebnis zu Recht das Vorliegen der Besorgnis der Befangenheit des Rechtspflegers verneint. Im Rahmen der Entscheidungsfindung sei auch das rechtliche Gehör des Beschwerdeführers nicht in einer Weise verletzt worden, dass die Besorgnis der Befangenheit hätte begründet werden können. Die Ausführungen des Rechtspflegers zur Verschleierung von Vermögenswerten stellten keine tragende Erwägung der Entscheidung dar; vielmehr handele es sich um ein obiter dictum ohne Relevanz für die Entscheidung. Die Besorgnis der Befangenheit werde auch nicht dadurch begründet, dass der Rechtspfleger selbst über das gegen ihn gestellte Ablehnungsgesuch entschieden habe. Die Annahme, es liege ein Ausnahmefall von der Regelung vor, dass der Abgelehnte nicht selbst über das gegen ihn gerichtete Gesuch entscheiden dürfe, sei vertretbar. Vorrangiges Ziel des Beschwerdeführers sei es, eine positive Entscheidung über den Antrag auf Erhöhung der Pfändungsfreigrenze herbeizuführen. Dies ergebe sich aus der Begründung des Ablehnungsgesuchs und der Beschwerde, die sich mit den tragenden Gründen der Entscheidung des Rechtspflegers, dem fehlenden Rechtsschutzbedürfnis, nicht auseinandersetze. Damit werde das Ablehnungsgesuch nur als Mittel zur Korrektur einer für falsch gehaltenen Entscheidung verwendet, was nicht dem Sinn des Verfahrens entspreche.
Die Rechtsbeschwerde wurde vom Landgericht nicht zugelassen, da keiner der Zulassungsgründe des § 574 Abs. 2 ZPO vorliege.
II.
Mit seiner Verfassungsbeschwerde rügt der Beschwerdeführer eine Verletzung seines Rechts auf den gesetzlichen Richter (Art. 101 Abs. 1 Satz 2 GG) und seiner Rechte aus Art. 3 Abs. 1 GG und Art. 19 Abs. 4 GG, weil das Amtsgericht Frankfurt am Main sein Befangenheitsgesuch willkürlich als unzulässig behandelt und ihn dadurch seinem gesetzlichen Richter entzogen habe. Auch das Landgericht Frankfurt am Main habe als Beschwerdegericht die Tragweite und Bedeutung dieser Grundrechte grundlegend verkannt. Außerdem habe es durch die Nichtzulassung der Rechtsbeschwerde gemäß § 574 Abs. 2 ZPO zum Bundesgerichtshof die Rechte des Beschwerdeführers aus Art. 19 Abs. 4 GG und Art. 101 Abs. 1 Satz 2 GG verletzt.
III.
Gleichzeitig stellt der Beschwerdeführer den Antrag, den abgelehnten Rechtspfleger durch Erlass einer einstweiligen Anordnung nach § 32 Abs. 1 BVerfGG bis zum Abschluss des Verfahrens über die erhobene Verfassungsbeschwerde von der Ausübung seines Amts im Insolvenzverfahren über das Vermögen des Beschwerdeführers auszuschließen.
IV.
Dem Land Hessen ist Gelegenheit zur Stellungnahme gegeben worden. Es hat von dieser Möglichkeit keinen Gebrauch gemacht.
V.
1. Die Verfassungsbeschwerde ist zulässig.
Die Entscheidung des Landgerichts Frankfurt am Main über die Beschwerde gegen die Zurückweisung des Ablehnungsgesuchs ist mit der Verfassungsbeschwerde selbständig anfechtbar, da es sich bei dem Ablehnungsverfahren, für das nach der Verweisung des § 4 InsO die Vorschriften der Zivilprozessordnung für das Verfahren über die Ausschließung und Ablehnung von Gerichtspersonen entsprechend gelten, um ein selbständiges, außerhalb der Insolvenzordnung geregeltes Nebenverfahren handelt (vgl. Hess, Insolvenzrecht, Großkommentar, Band I, 2007, § 4 Rn. 272; Hansens, in: Arnold/Meyer-Stolte/Herrmann/Hansens/Rellermeyer, Rechtspflegergesetz, 6. Aufl. 2002, § 10 Rn. 19), so dass die Entscheidung des Landgerichts Frankfurt am Main für den Beschwerdeführer einen bleibenden rechtlichen Nachteil zur Folge hat (vgl. BVerfGE 24, 56 ≪61≫; 58, 1 ≪23≫; 101, 106 ≪120≫).
2. Die Verfassungsbeschwerde ist in einer die Kammerzuständigkeit eröffnenden Weise offensichtlich begründet. Die für die Entscheidung maßgeblichen Fragen zu Art. 101 Abs. 1 Satz 2 GG sind durch das Bundesverfassungsgericht bereits entschieden (§ 93c Abs. 1 BVerfGG). Mit der Zurückweisung des Ablehnungsgesuchs als unzulässig durch den abgelehnten Rechtspfleger hat das Amtsgericht den Beschwerdeführer im Ablehnungsverfahren seinem gesetzlichen Richter entzogen (Art. 101 Abs. 1 Satz 2 GG). Das Landgericht hat diesen Fehler des Amtsgerichts nicht geheilt, sondern durch die Zurückweisung der hiergegen gerichteten Beschwerde vertieft.
Art. 101 Abs. 1 Satz 2 GG gewährleistet dem Einzelnen das Recht auf den gesetzlichen Richter. Ziel der Verfassungsgarantie ist es, der Gefahr einer möglichen Einflussnahme auf den Inhalt einer gerichtlichen Entscheidung vorzubeugen, die durch eine auf den Einzelfall bezogene Auswahl der zur Entscheidung berufenen Richter eröffnet sein könnte (vgl. BVerfGE 17, 294 ≪299≫; 48, 246 ≪254≫; 82, 286 ≪296≫; 95, 322 ≪327≫). Damit sollen die Unabhängigkeit der Rechtsprechung gewahrt und das Vertrauen der Rechtssuchenden und der Öffentlichkeit in die Unparteilichkeit und Sachlichkeit der Gerichte gesichert werden (vgl. BVerfGE 95, 322 ≪327≫).
Deshalb verpflichtet Art. 101 Abs. 1 Satz 2 GG den Gesetzgeber dazu, eine klare und abstrakt-generelle Zuständigkeitsordnung zu schaffen, die für jeden denkbaren Streitfall im Voraus den Richter bezeichnet, der für die Entscheidung zuständig ist. Jede sachwidrige Einflussnahme auf die rechtsprechende Tätigkeit von innen und von außen soll dadurch verhindert werden. Die Gerichte sind bei der ihnen obliegenden Anwendung der vom Gesetzgeber geschaffenen Zuständigkeitsordnung verpflichtet, dem Gewährleistungsgehalt und der Schutzwirkung des Art. 101 Abs. 1 Satz 2 GG angemessen Rechnung zu tragen.
Nach der gefestigten Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts hat Art. 101 Abs. 1 Satz 2 GG darüber hinaus auch einen materiellen Gewährleistungsgehalt. Die Verfassungsnorm garantiert, dass der Rechtssuchende im Einzelfall vor einem Richter steht, der unabhängig und unparteilich ist und der die Gewähr für Neutralität und Distanz gegenüber den Verfahrensbeteiligten bietet (vgl. BVerfGE 21, 139 ≪145 f.≫; 30, 149 ≪153≫; 40, 268 ≪271≫; 82, 286 ≪298≫; 89, 28 ≪36≫).
Der Gesetzgeber hat deshalb in materieller Hinsicht Vorsorge dafür zu treffen, dass die Richterbank im Einzelfall nicht mit Richtern besetzt ist, die dem zur Entscheidung anstehenden Streitfall nicht mit der erforderlichen professionellen Distanz eines Unbeteiligten und Neutralen gegenüberstehen. Die materiellen Anforderungen der Verfassungsgarantie verpflichten den Gesetzgeber dazu, Regelungen vorzusehen, die es ermöglichen, einen Richter, der im Einzelfall nicht die Gewähr der Unparteilichkeit bietet, von der Ausübung seines Amtes auszuschließen.
Jedoch kann eine “Entziehung” des gesetzlichen Richters durch die Rechtsprechung, der die Anwendung der Zuständigkeitsregeln und die Handhabung des Ablehnungsrechts im Einzelfall obliegt, nicht in jeder fehlerhaften Rechtsanwendung gesehen werden; andernfalls müsste jede fehlerhafte Handhabung des einfachen Rechts zugleich als Verfassungsverstoß angesehen werden (vgl. BVerfGE 82, 286 ≪299≫). Die Grenzen zum Verfassungsverstoß sind aber jedenfalls dann überschritten, wenn die Auslegung einer Zuständigkeitsnorm oder ihre Handhabung im Einzelfall willkürlich oder offensichtlich unhaltbar ist oder wenn die richterliche Entscheidung Bedeutung und Tragweite der Verfassungsgarantie des Art. 101 Abs. 1 Satz 2 GG grundlegend verkennt (vgl. BVerfGE 82, 286 ≪299≫). Ob die Entscheidung eines Gerichts auf Willkür, also auf einem Fall grober Missachtung oder grober Fehlanwendung des Gesetzesrechts (vgl. BVerfGE 29, 45 ≪49≫; 82, 159 ≪197≫; 87, 282 ≪286≫) beruht oder ob sie darauf hindeutet, dass ein Gericht Bedeutung und Tragweite der Verfassungsgarantie des Art. 101 Abs. 1 Satz 2 GG grundlegend verkennt, kann nur anhand der besonderen Umstände des Einzelfalls beurteilt werden.
3. Nach diesen Prüfungsmaßstäben verletzt die angegriffene Entscheidung des Amtsgerichts Frankfurt am Main über das Befangenheitsgesuch das Recht des Beschwerdeführers auf den gesetzlichen Richter im Ablehnungsverfahren.
a) Die Vorschriften über den Ausschluss und die Ablehnung eines Richters (§§ 41 bis 49 ZPO), die aufgrund der Verweisung des § 4 InsO im Insolvenzverfahren Geltung haben, finden nach § 10 Satz 1 RPflG auf den Rechtspfleger entsprechende Anwendung (vgl. etwa Bußhardt, in: Braun, Insolvenzordnung, 3. Aufl. 2007, § 4 Rn. 4; Hess, a.a.O., § 4 Rn. 261; Hansens, a.a.O., § 10 Rn. 17). Danach kann ein Rechtspfleger von der Ausübung des Amts in Insolvenzsachen mit Einschluss des Beschwerdeverfahrens wegen Besorgnis der Befangenheit abgelehnt werden, wenn ein Grund vorliegt, der geeignet ist, Misstrauen gegen seine Unparteilichkeit zu rechtfertigen (§ 42 Abs. 2 ZPO). Über die Ablehnung des Rechtspflegers entscheidet nach der gesetzlichen Regelung des § 10 Satz 2 RPflG der Richter. Die Zuständigkeitsregelung des § 10 Satz 2 RPflG trägt dabei dem Umstand Rechnung, dass es nach der Natur der Sache an der völligen inneren Unbefangenheit und Unparteilichkeit eines Rechtspflegers fehlen wird, wenn er über die vorgetragenen Gründe für seine angebliche Befangenheit selbst entscheiden müsste (vgl. BVerfGK 5, 269 ≪281≫). Der abgelehnte Rechtspfleger hat sich bis zur Entscheidung über das Ablehnungsgesuch durch den gemäß § 10 Satz 2 RPflG zuständigen Richter gemäß § 47 Abs. 1 ZPO grundsätzlich jeder weiteren Tätigkeit in dem Verfahren zu enthalten.
Ebenso wie ein abgelehnter Richter kann der Rechtspfleger über das Gesuch kraft Gewohnheitsrecht jedoch selbst entscheiden, wenn es als missbräuchlich zu verwerfen ist. So verhält es sich, wenn das Ablehnungsgesuch offensichtlich lediglich dazu dient, das Verfahren zu verschleppen oder verfahrensfremde Ziele verfolgt (vgl. BGH, Beschluss vom 14. April 2005 – V ZB 7/05 –, NJW-RR 2005, S. 1226 f.; Hess, a.a.O., § 4 Rn. 277; Dallmayer, in: Dallmayer/Eickmann, Rechtspflegergesetz, 1996, § 10 Rn. 40; Hansens, a.a.O., § 10 Rn. 18; Bassenge/Roth, Gesetz über die Angelegenheiten der Freiwilligen Gerichtsbarkeit/Rechtspflegergesetz, 11. Aufl. 2007, § 10 Rn. 1; Vollkommer, in: Zöller, Zivilprozessordnung, 26. Aufl. 2007, § 42 Rn. 6, § 45 Rn. 4; Bork, in: Stein/Jonas, Zivilprozessordnung, 22. Aufl. 2002, § 45 Rn. 2; Heinrich, in: Musielak, Zivilprozessordnung, 5. Aufl. 2007, § 45 Rn. 3; a.A. Hüßtege, in: Thomas/Putzo, Zivilprozessordnung, 28. Aufl. 2007, § 45 Rn. 1).
Dieser – gesetzlich nicht geregelte – Ausnahmefall gerät nur bei strenger Prüfung mit der Verfassungsgarantie des Art. 101 Abs. 1 Satz 2 GG nicht in Konflikt, weil die Prüfung keine Beurteilung des eigenen Verhaltens des abgelehnten Rechtspflegers voraussetzt und deshalb keine echte Entscheidung in eigener Sache ist. Eine inhaltliche Entscheidung des abgelehnten Rechtspflegers über das gegen ihn gerichtete Ablehnungsgesuch wäre demgegenüber verfassungsrechtlich bedenklich (vgl. BVerfGK 5, 269 ≪281 f.≫). Kommt eine Verwerfung des Ablehnungsgesuchs als unzulässig nicht in Betracht oder lässt sich die Frage der Unzulässigkeit nicht klar und eindeutig beantworten, so ist der Richter zur Entscheidung auf der Grundlage einer dienstlichen Stellungnahme des abgelehnten Rechtspflegers (§ 44 Abs. 3 ZPO i.V.m. § 10 Satz 1 RPflG), die dem Antragsteller zur Gewährung rechtlichen Gehörs zuzuleiten ist, berufen (vgl. BVerfGE 24, 56 ≪62≫; BVerfGK 5, 269 ≪281 f.≫.)
b) Gemessen an diesen für die Auslegung und Anwendung des § 10 Satz 2 RPflG geltenden Maßstäben verletzt die Zurückweisung des Ablehnungsgesuchs durch das Amtsgericht Frankfurt am Main Art. 101 Abs. 1 Satz 2 GG. Die Behandlung des Antrags des Beschwerdeführers als unzulässig kann nicht als lediglich rechtsirrtümlich angesehen werden; das Vorgehen des Rechtspflegers war vielmehr sachlich nicht gerechtfertigt und willkürlich:
Der Rechtspfleger begründete die offensichtliche Unzulässigkeit des Befangenheitsantrags damit, dass das Gesuch rechtsmissbräuchlich zum Zwecke der Verschleppung oder Verfolgung verfahrensfremder Zwecke gestellt worden sei, um eine Änderung des Beschlusses über die Versagung der Anhebung der Pfändungsfreigrenze herbeizuführen. Diese Annahme ist unhaltbar. Zwar hat der Beschwerdeführer sofortige Beschwerde gegen den Beschluss über die Versagung der Anhebung der Pfändungsfreigrenze erst im Anschluss an die Entscheidung über den Befangenheitsantrag erhoben. Das Ablehnungsgesuch des Beschwerdeführers wurde jedoch nicht ausschließlich auf die vermeintlich oder tatsächlich fehlerhafte Vorentscheidung gestützt; der Beschwerdeführer beanstandete in seinem Ablehnungsgesuch vielmehr gerade solche im vorangegangen Verfahren von dem Rechtspfleger getroffene Feststellungen, die vom Verfahrensgegenstand – der Erhöhung der Pfändungsfreigrenze – nicht zweifelsfrei unbedingt erfordert waren. Hierzu zählt die Feststellung, es sei der Eindruck entstanden, dass der Zugriff auf eventuelle Vermögenswerte verhindert werden solle sowie der Hinweis darauf, dass bei dem Beschwerdeführer als Student der Rechtswissenschaft ein anderes Verhalten angezeigt sein sollte; diese vom Beschwerdeführer zur Rechtfertigung seines Misstrauens gegen eine unparteiliche Amtsausübung des Rechtspflegers genannten Gründe waren nicht von vornherein untauglich, das Ablehnungsgesuch zu begründen.
Zudem stützte der Beschwerdeführer seinen Ablehnungsantrag auch auf die Verfahrensweise des Rechtspflegers, der die Stellungnahme der Treuhänderin ohne Gewährung rechtlichen Gehörs seiner Feststellung zugrunde gelegt habe. Diese Aspekte zusammen hätten eine inhaltliche Prüfung erfordert, ob eine Besorgnis der Befangenheit begründet sein könnte.
Die Annahme des Rechtspflegers, das Gesuch sei zum Zwecke der Verschleppung und Verfolgung für verfahrensfremde Zwecke gebraucht worden, ist auch insoweit nicht nachvollziehbar, als weder eine Verzögerung des Verfahrens zur Erhöhung der Pfändungsfreigrenze noch eine Verzögerung des Insolvenzverfahrens selbst im Interesse des Beschwerdeführers liegen konnte. Es drängt sich danach der Schluss auf, dass die Behandlung des Ablehnungsgesuchs des Beschwerdeführers durch den Rechtspfleger als unzulässig auf sachfremden und damit willkürlichen Erwägungen beruhte (vgl. BVerfGE 80, 48 ≪51≫; 83, 82 ≪84≫; 86, 59 ≪63≫).
Statt in einer dienstlichen Stellungnahme seine Unbefangenheit herauszustellen und danach die Entscheidung über die Frage berechtigter Bedenken an seiner erforderlichen Unvoreingenommenheit nach § 10 Satz 2 RPflG vom Richter entscheiden zu lassen, hat sich der abgelehnte Rechtspfleger unter eigener Beteiligung zum “Richter in eigener Sache” gemacht und in seinem Beschluss die Anforderungen aus Art. 101 Abs. 1 Satz 2 GG grundlegend verkannt.
4. Auch das Landgericht Frankfurt am Main hat bei seiner Entscheidung über die sofortige Beschwerde gegen die Ablehnung des Befangenheitsgesuchs der Ausstrahlungswirkung des Art. 101 Abs. 1 Satz 2 GG nicht hinreichend Rechnung getragen. Dem Landgericht als dem Beschwerdegericht hätte es oblegen, den im Ablehnungsverfahren geschehenen gravierenden Verfassungsverstoß durch die Aufhebung der angegriffenen Entscheidung zu beheben (vgl. BVerfGK 5, 269 ≪288≫).
a) Das Beschwerdegericht hat in Fällen wie dem vorliegenden nicht über die hypothetische Begründetheit des Ablehnungsgesuchs, sondern darüber zu entscheiden, ob die Grenze des § 10 Satz 2 RPflG, die den gesetzlichen Richter gewährleistet, eingehalten wurde. Jedenfalls bei einer willkürlichen Überschreitung der durch die Rechtsprechung geschaffenen Ausnahmeregelung, nach der bei offensichtlich unzulässigen Befangenheitsanträgen der Rechtspfleger selbst entscheiden kann, hat das Rechtsmittelgericht die angegriffene Entscheidung aufzuheben und an das Gericht erster Instanz zurückzuverweisen, damit dieses entsprechend der Regelung des § 10 Satz 2 RPflG durch den Richter über das Ablehnungsgesuch gegen den Rechtspfleger entscheidet. Dies hat das Landgericht unterlassen. Es hat das Ablehnungsgesuch der Sache nach einer Begründetheitsprüfung unterzogen, die ihm von Verfassungs wegen gerade verwehrt war.
b) Die Entscheidung des Landgerichts ist zudem in sich widersprüchlich und nicht nachvollziehbar. Das Landgericht hält die Zurückweisung des Ablehnungsgesuchs als unzulässig für vertretbar, da vorrangiges Ziel des Beschwerdeführers eine positive Bescheidung seines Antrags auf Erhöhung der Pfändungsfreigrenze gewesen sei. Dies ergebe sich aus der Begründung des Ablehnungsantrags und der Beschwerde, die sich mit den tragenden Gründen der Entscheidung des Rechtspflegers, dem fehlenden Rechtsschutzbedürfnis für den Antrag auf Erhöhung der Pfändungsfreigrenze, nicht auseinandergesetzt habe. Diese Ausführungen des Landgerichts sind in sich widersprüchlich, denn wäre es vorrangiges Ziel des Beschwerdeführers gewesen, eine positive Entscheidung über die Erhöhung der Pfändungsfreigrenze zu erreichen, dann hätte sich das Ablehnungsgesuch gerade auf die tragenden Gründe der Entscheidung stützen müssen. Indem das Landgericht die in dem Ablehnungsgesuch gerügte Feststellung des Rechtspflegers, es solle der Zugriff auf eventuelle Vermögenswerte verhindert werden, als “obiter dictum” ohne Entscheidungsrelevanz bewertete, ohne die sich aufdrängende Frage aufzuwerfen, ob die Ausführungen des Rechtspflegers nicht einer Behandlung des Befangenheitsantrags als offensichtlich unzulässig entgegen stehen, verfuhr es in einer Weise, die unter keinem denkbaren Aspekt mehr rechtlich vertretbar ist.
5. Bei dieser Sachlage kommt es nicht mehr darauf an, ob – wie vom Beschwerdeführer vorgetragen – die Behandlung des Ablehnungsgesuchs auch sein Grundrecht aus Art. 3 Abs. 1 GG (Willkürverbot) und sein grundrechtsgleiches Recht aus Art. 19 Abs. 4 S. 1 GG auf Gewährung effektiven und möglichst lückenlosen richterlichen Rechtsschutzes verletzt; ebenso wenig kommt es noch darauf an, ob durch die Nichtzulassung der Rechtsbeschwerde zum Bundesgerichtshof das grundrechtsgleiche Recht des Beschwerdeführers auf Gewährung effektiven und möglichst lückenlosen richterlichen Rechtsschutzes (Art. 19 Abs. 4 GG) verletzt wird, bzw. eine weitere Verletzung des Art. 101 Abs. 1 Satz 2 GG begründet wird.
VI.
Aus diesen Gründen werden die angegriffenen Entscheidungen, die das Grundrecht des Beschwerdeführers aus Art. 101 Abs. 1 Satz 2 GG verletzen, gemäß § 95 Abs. 2 Satz 1 BVerfGG aufgehoben. Die Sache wird an das Amtsgericht Frankfurt am Main zurückverwiesen.
VII.
Mit der Entscheidung über die Verfassungsbeschwerde erledigt sich der Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung.
VIII.
1. Die Entscheidung über die Erstattung der notwendigen Auslagen des Beschwerdeführers für die Verfassungsbeschwerde beruht auf § 34a Abs. 2 BVerfGG.
2. Über die Kosten des erledigten Antrags auf Erlass einer einstweiligen Anordnung ist gemäß § 34a Abs. 3 BVerfGG nach Billigkeitsgesichtspunkten zu entscheiden (vgl. BVerfGE 89, 91 ≪97≫). Diese Entscheidung fällt zum Nachteil des Beschwerdeführers aus, da der Erlass einer vorläufigen Regelung weder zur Abwehr schwerer Nachteile, noch zur Verhinderung drohender Gewalt noch aus einem anderen wichtigen Grund zum gemeinen Wohl dringend geboten gewesen wäre (§ 32 Abs. 1 BVerfGG).
Unterschriften
Broß, Osterloh, Mellinghoff
Fundstellen
NJW-RR 2008, 512 |
WM 2008, 134 |
Rpfleger 2008, 124 |