Entscheidungsstichwort (Thema)
Richterliche Anordnung der Entnahme von Körperzellen. genetischer Fingerabdruck
Beteiligte
Rechtsanwältin Elke Zipperer |
Rechtsanwälte Jens Klinkert und Koll. |
Rechtsanwalt Dr. Gerhard Janssen |
Verfahrensgang
LG Arnsberg (Zwischenurteil vom 05.10.2000; Aktenzeichen 2 Qs 185/00) |
AG Werl (Zwischenurteil vom 01.09.2000; Aktenzeichen 3 Gs 239/00) |
LG Leipzig (Zwischenurteil vom 17.12.1999; Aktenzeichen 1 Qs 223/99) |
AG Torgau (Zwischenurteil vom 03.11.1999; Aktenzeichen Gs 69/99) |
LG Hannover (Zwischenurteil vom 04.08.1999; Aktenzeichen 46 Qs 193/99) |
AG Hannover (Zwischenurteil vom 03.06.1999; Aktenzeichen 234 AR 50201/99) |
Tenor
1. Die Verfassungsbeschwerde-Verfahren werden verbunden.
2. Die Beschlüsse des Landgerichts Hannover vom 4. August 1999 – 46 Qs 193/99 – und des Amtsgerichts Hannover vom 3. Juni 1999 – 234 AR 50201/99 – verletzen den Beschwerdeführer zu 1. in seinem Recht aus Artikel 2 Absatz 1 in Verbindung mit Artikel 1 Absatz 1 des Grundgesetzes. Sie werden aufgehoben.
Die Sache wird an das Landgericht Hannover zurückverwiesen.
Das Land Niedersachsen hat dem Beschwerdeführer zu 1. die notwendigen Auslagen zu erstatten.
3. Die Verfassungsbeschwerden der Beschwerdeführer zu 2. und zu 3. werden nicht zur Entscheidung angenommen.
Der Antrag des Beschwerdeführers zu 2. auf Prozesskostenhilfe unter Beiordnung der Rechtsanwältin Elke Zipperer wird zurückgewiesen.
Tatbestand
A.
Die Verfassungsbeschwerden betreffen richterliche Anordnungen der Entnahme von Körperzellen und deren molekulargenetische Untersuchung zur Identitätsfeststellung in künftigen Strafverfahren („genetischer Fingerabdruck”) wegen Straftaten von erheblicher Bedeutung in so genannten „Altfällen” rechtskräftig verurteilter Personen.
I.
Maßgebend sind folgende Vorschriften:
§ 81g StPO
(1) Zum Zwecke der Identitätsfeststellung in künftigen Strafverfahren dürfen dem Beschuldigten, der einer Straftat von erheblicher Bedeutung, insbesondere eines Verbrechens, eines Vergehens gegen die sexuelle Selbstbestimmung, einer gefährlichen Körperverletzung, eines Diebstahls in besonders schwerem Fall oder einer Erpressung verdächtig ist, Körperzellen entnommen und zur Feststellung des DNA-Identifizierungsmusters molekulargenetisch untersucht werden, wenn wegen der Art oder Ausführung der Tat, der Persönlichkeit des Beschuldigten oder sonstiger Erkenntnisse Grund zu der Annahme besteht, dass gegen ihn künftig erneut Strafverfahren wegen einer der vorgenannten Straftaten zu führen sind.
(2) Die entnommenen Körperzellen dürfen nur für die in Absatz 1 genannte molekulargenetische Untersuchung verwendet werden; sie sind unverzüglich zu vernichten, sobald sie hierfür nicht mehr erforderlich sind. Bei der Untersuchung dürfen andere Feststellungen als diejenigen, die zur Ermittlung des DNA-Identifizierungsmusters erforderlich sind, nicht getroffen werden; hierauf gerichtete Untersuchungen sind unzulässig.
(3) § 81a Abs. 2 und § 81f gelten entsprechend.
§ 2 DNA-IFG
(1) Maßnahmen, die nach § 81g der Strafprozessordnung zulässig sind, dürfen auch durchgeführt werden, wenn der Betroffene wegen einer der in § 81g Abs. 1 der Strafprozessordnung genannten Straftaten rechtskräftig verurteilt oder nur wegen erwiesener oder nicht auszuschließender Schuldunfähigkeit, auf Geisteskrankheit beruhender Verhandlungsunfähigkeit oder fehlender oder nicht ausschließbar fehlender Verantwortlichkeit (§ 3 des Jugendgerichtsgesetzes) nicht verurteilt worden ist und die entsprechende Eintragung im Bundeszentralregister oder Erziehungsregister noch nicht getilgt ist.
(2) Für Maßnahmen nach Absatz 1 gelten § 81a Abs. 2, §§ 81f und 162 Abs. 1 der Strafprozessordnung entsprechend.
Diese Vorschriften beruhen auf dem DNA-Identitätsfeststellungsgesetz (DNA-IFG), das am 21. März 1997 verkündet wurde (BGBl I S. 534). Diesem Gesetz lag ein Gesetzesentwurf der Fraktionen der CDU/CSU und F.D.P. zugrunde (BTDrucks 13/10791). Die heutige Fassung entstammt dem Gesetz zur Änderung des DNA-Identitätsfeststellungsgesetzes, das am 11. Juni 1999 verkündet wurde (BGBl I S. 1242).
II.
1. Die Verfassungsbeschwerde 2 BvR 1741/99
a) Grund der Feststellung des DNA-Identifizierungsmusters des Beschwerdeführers zu 1. waren wiederholte Verurteilungen. Am 26. April 1985 verurteilte ihn das Amtsgericht Hannover wegen Diebstahls zu einer Freiheitsstrafe von vier Monaten bei Strafaussetzung zur Bewährung. Nach Ablauf der Bewährungszeit wurde die Strafe erlassen. Es folgte eine Verurteilung am 2. März 1987 wegen Beleidigung zu einer Geldstrafe. Am 24. September 1987 verurteilte das Amtsgericht Nordhorn den Beschwerdeführer zu 1. wegen unerlaubter Einfuhr von Betäubungsmitteln in Tateinheit mit unerlaubtem Erwerb von Betäubungsmitteln zu einer Freiheitsstrafe von einem Jahr und zehn Monaten bei Strafaussetzung zur Bewährung; diese Strafe wurde später erlassen.
Unmittelbarer Anlass für die DNA-Identitätsfeststellung bildet eine Verurteilung des Beschwerdeführers zu 1. vom 19. April 1995 wegen versuchter schwerer Brandstiftung in Tateinheit mit gefährlicher Körperverletzung und Bedrohung zu einer Freiheitsstrafe von einem Jahr, wiederum bei Strafaussetzung zur Bewährung. Auch diese Strafe wurde am 29. April 1999 erlassen. Wegen Diebstahls geringwertiger Sachen wurde der Beschwerdeführer zu 1. zuletzt am 29. Dezember 1995 zu einer Geldstrafe verurteilt.
Das Amtsgericht ordnete die Entnahme von Körperzellen des Beschwerdeführers zu 1. und deren molekulargentechnische Untersuchung zur Feststellung des DNA-Identifizierungsmusters mit Beschluss vom 3. Juni 1999 an und begründete dies wie folgt:
„Der oben Genannte ist wegen einer in § 81g Abs. 1 StPO genannten Straftat rechtskräftig verurteilt oder wegen nur erwiesener oder nicht auszuschließender Schuldunfähigkeit, auf Geisteskrankheit beruhender Verhandlungsunfähigkeit oder fehlender oder nicht ausschließbar fehlender Verantwortlichkeit (§ 3 JGG) nicht verurteilt worden.
Im einzelnen:
Durch Urteil des Amtsgerichts Hannover, Az.: 244 Ls 39 Js 81802/93 wegen Bedrohung in Tateinheit mit gemeinschaftlicher gefährlicher Körperverletzung und der versuchten schweren Brandstiftung zu einer Freiheitsstrafe von 1 Jahr.
Daneben liegen weitere Vorverurteilungen vor (vgl. 1-5 BZR) wegen u.a. unerlaubter Einfuhr von Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge in Tateinheit mit fortgesetztem unerlaubtem Erwerb von BtM (1 J. 10 Mon. FS).
Die entsprechenden Eintragungen sind im Bundeszentralregister noch nicht getilgt.
Aufgrund der vorliegenden Erkenntnisse besteht Grund zu der Annahme, dass gegen ihn auch künftig Strafverfahren wegen Straftaten von erheblicher Bedeutung zu führen sein werden. Dies ergibt sich aus folgenden Umständen:
Die Schwere der begangenen Straftat deutet auf ein hohes Maß an krimineller Energie hin.
Der BZR-Auszug weist insgesamt 5 Voreintragungen auf.”
b) Der Beschwerdeführer zu 1. beanstandete diese Entscheidung mit der Beschwerde, in der er auf den Zeitablauf seit Begehung der abgeurteilten Straftaten, deren geringes Gewicht, die Strafaussetzung zur Bewährung und sein zum Straferlass führendes Bewährungsverhalten hinwies. Vor diesem Hintergrund sei die Begründung der Prognose künftiger Strafverfahren gegen ihn wegen Straftaten von erheblicher Bedeutung unzureichend.
Mit Beschluss vom 4. August 1999 verwarf das Landgericht (NStZ 2000, S. 220 f.) die Beschwerde mit folgender Begründung:
„Die zutreffenden Gründe des angefochtenen Beschlusses rechtfertigen die Entscheidung des Amtsgerichts, und zwar auch unter Berücksichtigung des Beschwerdevorbringens.
Das Verhalten des Verurteilten während der Bewährungszeit rechtfertigt allein noch keine gesicherte positive Zukunftsprognose. Die Kriminalstatistik belegt, dass sogar nach einem Straferlass in einer großen Anzahl von Fällen neue Straftaten begangen werden. Im Übrigen dürfen an die gemäß § 81g StPO zu treffende Prognoseentscheidung angesichts des Zwecks der Norm als einer präventiven, auf künftige Strafverfahren zielenden erkennungsdienstlichen Maßnahme keine allzu hohen Anforderungen gestellt werden.”
c) Mit der Verfassungsbeschwerde rügt der Beschwerdeführer zu 1. die Verletzung seines Rechts auf informationelle Selbstbestimmung aus Art. 2 Abs. 1 i.V.m. Art. 1 Abs. 1 GG. Die Fachgerichte hätten die positive Sozialprognose in der Bewährungsentscheidung und seine persönlichen Verhältnisse unberücksichtigt gelassen. Straferlass und Zeitablauf seit den Anlasstaten und den Verurteilungen seien nicht ausreichend berücksichtigt worden. Eine konkret auf seine Persönlichkeit bezogene Prognoseentscheidung sei nicht getroffen worden. Die angegriffenen Entscheidungen liefen auf eine formelhafte Entscheidungspraxis hinaus.
d) Zu der Verfassungsbeschwerde hat sich die niedersächsische Landesregierung geäußert. Sie hält die Verfassungsbeschwerde für unbegründet. Eine vollständige inhaltliche Nachprüfung der Anwendung des einfachen Rechts sei dem Bundesverfassungsgericht verwehrt. Die positive Sozialprognose bei der Strafaussetzung zur Bewährung im Rahmen der Verurteilung wegen der Anlasstat stehe einer Negativprognose im Sinne des § 2 Abs. 1 DNA-IFG i.V.m. § 81g StPO ebenso wenig entgegen wie der Straferlass, weil Entscheidungsgegenstand und Prüfungsmaßstab bei den fraglichen Prognoseentscheidungen verschieden seien. Die Maßnahme nach § 2 DNA-IFG ähnele Maßnahmen des Erkennungsdienstes, die bereits dann gerechtfertigt seien, wenn hinreichende Gründe für die Annahme der Erforderlichkeit der Datenerhebung bestünden. Dem habe das Landgericht bei seiner Prognoseentscheidung ausreichend Rechnung getragen. Das Verhalten des Beschwerdeführers in der Bewährungszeit sei vom Landgericht berücksichtigt worden. Der Vorwurf einer formelhaften Begründung sei unbegründet.
2. Die Verfassungsbeschwerde 2 BvR 276/00
a) Auf Antrag der Staatsanwaltschaft ordnete das Amtsgericht die Entnahme von Körperzellen des Beschwerdeführers zu 2. und deren molekulargenetische Untersuchung zur Feststellung des DNA-Identifizierungsmusters an. Anlass dafür war eine Verurteilung des Beschwerdeführers zu 2. am 9. Juni 1995 wegen versuchten Totschlags zu einer Freiheitsstrafe von sieben Jahren und sechs Monaten.
Die Notwendigkeit der Entnahme und molekulargenetischen Untersuchung von Zellmaterial bemesse sich danach, ob der früher festgestellte Sachverhalt nach kriminalistischer Erfahrung unter Berücksichtigung aller Umstände des Einzelfalls Anhaltspunkte dafür biete, dass der Betroffene künftig in den Kreis potentieller Beteiligter an einer Straftat von erheblicher Bedeutung einbezogen werde und das Ergebnis der Analyse geeignet sei, ihn im Rahmen der künftigen Ermittlungen zu überführen oder zu entlasten.
Eine solche Negativprognose sei im Fall des Beschwerdeführers zu 2. angebracht. Unter anderem enthalte sein Vorstrafenregister eine Verurteilung zu einer Freiheitsstrafe von zwei Jahren bei Strafaussetzung zur Bewährung wegen versuchter gefährlicher Körperverletzung, gefährlicher Körperverletzung in Tateinheit mit Hausfriedensbruch und gefährlicher Körperverletzung in Tateinheit mit besonders schwerem Landfriedensbruch sowie Sachbeschädigung. Darüber hinaus sei der versuchte Totschlag in der Bewährungszeit sieben Wochen nach der Entlassung aus der Untersuchungshaft begangen worden. Dieses Verbrechen habe der Beschwerdeführer zu 2. an einem Opfer begangen, das sich mit aller Kraft bemüht habe, ihn von der Tatausführung abzuhalten. Angesichts dieser Verhaltensweisen seien künftige Straftaten von erheblicher Bedeutung hinreichend wahrscheinlich. Der von der Verteidigerin beantragten Einholung eines Sachverständigengutachtens bedürfe es nicht. Weder § 81g StPO noch § 2 DNA-IFG schrieben die Einholung eines Gutachtens vor; § 454 Abs. 2 StPO sei nicht einschlägig. Bedenken gegen die Anordnung der Feststellung und Speicherung des DNA-Identifizierungsmusters des Beschwerdeführers zu 2. unter dem Gesichtspunkt der Verhältnismäßigkeit bestünden nicht.
Mit einem weiteren Beschluss wies das Amtsgericht den Antrag des Beschwerdeführers zu 2. auf gerichtliche Beiordnung seiner Rechtsanwältin als Verteidigerin zurück. Ein Fall des § 140 Abs. 1 Nr. 5 StPO liege nicht vor. Auch sei die Verteidigerbestellung nicht wegen der Schwierigkeit der Sach- oder Rechtslage geboten (vgl. § 140 Abs. 2 StPO). Schließlich liege die formelle Voraussetzung eines Antrags der Staatsanwaltschaft nicht vor (vgl. § 141 Abs. 3 StPO).
b) Die gegen die beiden Beschlüsse des Amtsgerichts eingelegten Beschwerden verwarf das Landgericht als unbegründet. Auch nach seiner Ansicht stehe fest, dass von dem Beschwerdeführer zu 2. die Gefahr der Begehung weiterer Straftaten von erheblicher Bedeutung ausgehe. Nach dem Führungsbericht der Justizvollzugsanstalt habe er sich zwar im Wesentlichen vollzugsordnungsgemäß geführt; bei Schwierigkeiten reagiere er jedoch unangemessen. Während der Haft in anderen Vollzugsanstalten seien Disziplinarmaßnahmen wegen aggressiven Verhaltens gegenüber Bediensteten und Misshandlung eines Mitgefangenen gegen ihn verhängt worden. Er sei auch nach dem Führungsbericht der Justizvollzugsanstalt „organisierter Angehöriger der gewaltbereiten rechten Szene”.
c) Der Beschwerdeführer zu 2. rügt die Verletzung seiner Rechte aus Art. 2 Abs. 1 i.V.m. Art. 1 Abs. 1, Art. 2 Abs. 2, Art. 3 Abs. 3 und Art. 19 Abs. 4 GG. Durch den Aufbau einer Gendatei werde ein „gläserner Mensch” geschaffen. Deshalb sei an die Verhältnismäßigkeitsprüfung ein besonders strenger Maßstab anzulegen. Dem trage schon die gesetzliche Regelung nicht ausreichend Rechnung. Die Aufzählung von Regelbeispielen für Straftaten von erheblicher Bedeutung entspreche nicht dem Bestimmtheitsgebot. Dies folge etwa bei der Anknüpfung an eine Verurteilung wegen eines Verbrechens daraus, dass bei einer Vielzahl von Verbrechen kaum molekulargenetisch auswertbare Spuren hinterlassen würden. Unverhältnismäßig sei es, eine molekulargenetische Untersuchung für künftige Strafverfahren anzuordnen, wenn sich der Betroffene noch auf Jahre hinaus im Strafvollzug befinde. Hinsichtlich der Prüfung einer vorzeitigen Haftentlassung sei in § 454 Abs. 2 StPO die Einholung eines Sachverständigengutachtens zur Prüfung der Gefahrenprognose vorgeschrieben; in § 2 DNA-IFG i.V.m. § 81g StPO fehle eine entsprechende Bestimmung. Der Gesetzgeber habe auch keine hinreichenden Vorkehrungen vor unangemessener Datenverwendung getroffen.
Selbst wenn man von der Verfassungsmäßigkeit der gesetzlichen Eingriffsermächtigung ausgehe, sei er in seinem Recht auf informationelle Selbstbestimmung verletzt. Die Anordnung der Maßnahme, obwohl er sich seit Dezember 1993 fast ununterbrochen in Haft befinde, sei unverhältnismäßig. In einem solchen Fall komme dem Verhalten in der Justizvollzugsanstalt erhöhte Bedeutung zu; dies sei von den Fachgerichten nicht ausreichend berücksichtigt worden. In einem rechtsstaatlichen Verfahren hätten sich die Gerichte sachverständiger Unterstützung bedienen müssen. Soweit sie darauf abstellten, dass er „organisierter Angehöriger der gewaltbereiten rechten Szene” sei, sei nicht ersichtlich, woraus sich diese Erkenntnis ergebe.
Die Verweigerung der Verteidigerbestellung verstoße gegen Art. 19 Abs. 4 GG. Ihm sei von Verfassungs wegen auch außerhalb eines konkreten Strafverfahrens ein Verteidiger zu bestellen, weil durch Schwierigkeiten im Prognosebereich offensichtlich sei, dass er sich nicht selbst verteidigen könne.
3. Die Verfassungsbeschwerde 2 BvR 2061/00
a) Anlass für die Anordnung der Maßnahme nach § 2 Abs. 1 DNA-IFG i.V.m. § 81g StPO gegen den Beschwerdeführer zu 3. war dessen rechtskräftige Verurteilung wegen fünf Verbrechen der Vergewaltigung und eines Vergehens der vorsätzlichen Körperverletzung, jeweils in Tateinheit mit Freiheitsberaubung. Wegen dieser Taten war der Beschwerdeführer zu 3. am 6. August 1998 zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von sieben Jahren verurteilt, und außerdem war seine Sicherungsverwahrung angeordnet worden. Deshalb beschloss das Amtsgericht die Maßnahme gemäß § 2 Abs. 1 DNA-IFG i.V.m. § 81g Abs. 3 StPO. Wegen der Art und Ausführung der abgeurteilten Taten und der Persönlichkeit des Beschwerdeführers zu 3. bestehe Grund zu der Annahme, dass gegen ihn künftig erneut Strafverfahren wegen vergleichbarer Taten zu führen sein würden. Entgegen seinem Einwand sei § 2 DNA-IFG nicht verfassungswidrig. Der Bundesgesetzgeber habe von seiner konkurrierenden Gesetzgebungskompetenz Gebrauch gemacht. Es handele sich nicht um eine Maßnahme zur Gefahrenabwehr, sondern zur Beweissicherung für künftige Strafverfahren.
b) Das Landgericht verwarf die Beschwerde des Beschwerdeführers zu 3. gegen diesen Beschluss unter Bezugnahme auf die Gründe des angefochtenen Beschlusses.
c) Der Beschwerdeführer zu 3. sieht sich in seinem Recht auf informationelle Selbstbestimmung aus Art. 2 Abs. 1 i.V.m. Art. 1 Abs. 1 GG verletzt. Der Anordnung der Maßnahme liege keine verfassungsmäßige gesetzliche Ermächtigung zugrunde. Dem Bundesgesetzgeber fehle die Gesetzgebungskompetenz hierfür. Zukünftige Straftaten seien Gefahren im polizeirechtlichen Sinne. § 81g StPO i.V.m. § 2 DNA-IFG diene der Abwehr solcher Gefahren. Die Regelungskompetenz für das Polizeirecht liege jedoch bei den Ländern (Art. 70 GG). Auch eine Annexkompetenz des Bundesgesetzgebers bestehe nicht. Zweckmäßigkeitserwägungen genügten nicht zur Begründung einer Gesetzgebungskompetenz des Bundes.
Entscheidungsgründe
B.
Die Kammer nimmt die Verfassungsbeschwerde des Beschwerdeführers zu 1. zur Entscheidung an, weil dies zur Durchsetzung seiner Rechte angezeigt ist (§§ 93b, 93a Abs. 2 Buchstabe b BVerfGG). Die zulässige Verfassungsbeschwerde ist in einer die Entscheidungszuständigkeit der Kammer ergebenden Weise offensichtlich begründet; die für die Beurteilung maßgeblichen Fragen hat das Bundesverfassungsgericht bereits entschieden (§ 93c Abs. 1 Satz 1 BVerfGG). Die Gerichte des Ausgangsverfahrens haben die Bedeutung und Tragweite des Grundrechts des Beschwerdeführers auf informationelle Selbstbestimmung aus Art. 2 Abs. 1 i.V.m. Art. 1 Abs. 1 GG (vgl. BVerfGE 65, 1 ≪41 ff.≫) grundlegend verkannt.
Die Verfassungsbeschwerden der Beschwerdeführer zu 2. und zu 3. werden nicht zur Entscheidung angenommen, weil insoweit ein Annahmegrund gemäß § 93a Abs. 2 BVerfGG nicht vorliegt. Den Verfassungsbeschwerden kommt keine grundsätzliche Bedeutung zu, da die maßgeblichen verfassungsrechtlichen Fragen entschieden sind. Die Annahme der Verfassungsbeschwerden der Beschwerdeführer zu 2. und zu 3. ist auch nicht zur Durchsetzung ihrer Rechte angezeigt (§ 93a Abs. 2 Buchstabe b BVerfGG); denn ihre Verfassungsbeschwerden haben keine Aussicht auf Erfolg.
I.
Die angegriffenen Maßnahmen finden in § 2 DNA-IFG i.V.m. § 81g StPO eine gesetzliche Grundlage.
1. Die Regelung ist formell verfassungsgemäß. Sie wurde vom Bundesgesetzgeber aufgrund seiner konkurrierenden Gesetzgebungszuständigkeit für das gerichtliche Verfahren in Strafsachen erlassen. Art. 74 Abs. 1 Nr. 1 GG weist dem Bund die konkurrierende Gesetzgebungszuständigkeit u.a. für „das Strafrecht und den Strafvollzug” sowie „das gerichtliche Verfahren” zu. Diese Kompetenzregelung enthält in ihrem Wortlaut keine Einschränkung dahin, dass Maßnahmen, die sich auf zukünftige Strafverfahren beziehen, von der Zuweisung der konkurrierenden Gesetzgebungskompetenz nicht erfasst sein sollen. Für die Zuordnung eines Gesetzes zu einer Kompetenzregel ist nur der Gegenstand des Gesetzes maßgeblich, nicht sein Anknüpfungspunkt (vgl. BVerfGE 4, 60 ≪67 ff.≫; 68, 319 ≪327 f.≫) und auch nicht die Frage seiner inhaltlichen Rechtmäßigkeit (vgl. BVerfGE 88, 203 ≪313≫; ausführlich Marion Albers, Die Determination polizeilicher Tätigkeit in den Bereichen der Straftatenverhütung und der Verfolgungsvorsorge, Berlin, 2001, S. 265 ff.).
Insoweit ist es ohne Belang, ob der Bundesgesetzgeber inhaltlich befugt ist, strafverfahrensrechtliche Normen zu schaffen, die schon eingreifen, bevor der Anfangsverdacht einer Straftat vorliegt. Wird die Kompetenzfrage anhand des Ziels und der Rechtsfolgen der Maßnahmen (vgl. BVerfGE 2, 213 ≪221≫) beurteilt, so ist von der Feststellung, Speicherung und (zukünftigen) Verwendung des DNA-Identifizierungsmusters nach § 2 DNA-IFG i.V.m. § 81g StPO das Strafverfahren betroffen; denn diese Maßnahmen sollen die Beweisführung in künftigen Strafverfahren erleichtern (vgl. BTDrucks 13/11116, S. 8; BGH, StV 1999, S. 302 f.; Senge, NJW 1999, S. 253 ≪255≫; Volk, NStZ 1999, S. 165 ≪166 f.≫). Die strafverfahrensrechtliche Einordnung ergibt sich auch systematisch aus der Verknüpfung des § 2 Abs. 1 DNA-IFG mit § 81g StPO, der im Regelungszusammenhang mit §§ 81e, 81f StPO steht. Dadurch wird die Beschaffung des DNA-Identifizierungsmusters in verschiedenen Konstellationen jeweils zur Beweisführung in anhängigen oder zukünftigen Strafverfahren genutzt. Damit liegt inhaltlich ein einheitliches strafprozessuales Gesetzeswerk vor (vgl. BVerfGE 23, 113 ≪124≫), mag auch eine Teilregelung in einem Spezialgesetz erfolgt sein (vgl. Lorenz Schulz, Die DNA-Analyse im Strafverfahren, in: Jahrbuch für Recht und Ethik, Bd. 7, 1999, S. 195 ≪204≫). Die Funktion, künftige Straftaten präventiv abzuwehren, kommt den Vorschriften weder nach ihrem Wortlaut noch nach ihrem Zweck zu. Künftige Straftaten können sie im Regelfall auch tatsächlich nicht verhindern (vgl. HansOLG Hamburg, OLGSt DNA-IFG § 2 Nr. 4). Dienen die Vorschriften ausschließlich der Beweisbeschaffung zur Verwendung in Strafverfahren, so sind sie dem Strafverfahrensrecht zuzuordnen (vgl. BVerfGE 36, 193 ≪203≫; 36, 314 ≪319≫; 48, 367 ≪373≫). § 2 DNA-IFG ist demnach – unbeschadet der Vorschriften über eine nachträgliche Verwendungsänderung (vgl. §§ 477 ff. StPO i.d.F. des StVÄG 1999) – auf Zwecke der (künftigen) Strafverfolgung, nicht auf Zwecke der Gefahrenabwehr ausgerichtet. Daher handelt es sich um „genuines Strafprozessrecht” (Rogall in: SK-StPO, 21. Lfg. 2000, § 81g Rn. 1; krit. Paeffgen, StV 1999, S. 625 ≪626≫) oder jedenfalls um „Strafverfolgungsmaßnahmen im weiteren Sinne” (BGH, StV 1999, S. 302 ≪303≫). Die Gesetzgebungskompetenz des Bundes ist deshalb unmittelbar aus Art. 74 Abs. 1 Nr. 1 GG zu entnehmen (vgl. BVerfGE 30, 1 ≪29≫).
2. Die Regelung des § 2 DNA-IFG i.V.m. § 81g StPO verstößt inhaltlich nicht gegen Verfassungsrecht.
a) Der absolut geschützte Kernbereich der Persönlichkeit (vgl. BVerfGE 34, 238 ≪245≫; 80, 367 ≪373 f.≫ m.w.N.), in den auch aufgrund eines Gesetzes nicht eingegriffen werden dürfte, ist nicht betroffen. Dies gilt jedenfalls, solange sich die Eingriffsermächtigung nur auf den nicht-codierenden, zu etwa 30 % aus Wiederholungseinheiten bestehenden Anteil der DNA bezieht (vgl. Beschluss der 2. Kammer des Zweiten Senats des Bundesverfassungsgerichts vom 2. August 1996 – 2 BvR 1511/96 –, NJW 1996, S. 3071 ≪3072 f.≫; s.a. Benfer, StV 1999, S. 402 ≪403≫), ausschließlich die Feststellung des DNA-Identifizierungsmusters zum Zweck der Identitätsfeststellung in künftigen Strafverfahren vorgenommen und das Genmaterial nach der Feststellung des DNA-Identifizierungsmusters vernichtet wird. Die mit Hilfe des allein festgestellten und gespeicherten DNA-Identifizierungsmusters erreichbare Code-Individualität wird in forensischer Sicht am besten durch ihre Nähe zum Daktylogramm verdeutlicht. Durch dessen Bestimmung und Speicherung wird der Kernbereich der Persönlichkeit nicht betroffen. Dafür ist nicht von Belang, dass der mit dem „genetischen Fingerabdruck” erreichbare Beweiswert denjenigen des herkömmlichen Fingerabdrucks und serologischer Verfahren („biochemischer Fingerabdruck”) sowie anderer Identifikationsmethoden weit übertrifft (vgl. zum Beweiswert näher Schmitter in: Vordermayer/von Heintschel-Heinegg, Handbuch für den Staatsanwalt, 2000, Teil A Kap. 5 Rn. 7 ff.) und der Vergleich von DNA-Identifizierungsmustern für die Praxis erhebliche technische Vorteile bei der Spurenuntersuchung bietet (vgl. Burr, Das DNA-Profil im Strafverfahren unter Berücksichtigung der Rechtsentwicklung in den USA ≪1995≫, S. 40 ff.; Foldenauer, Genanalyse im Strafverfahren ≪1995≫, S. 21 ff., 38 ff.; Kopf, Selbstbelastungsfreiheit und Genomanalysen im Strafverfahren ≪1999≫, S. 69 ff.; Messer/Siebenbürger in: Vordermayer/von Heintschel-Heinegg, Handbuch a.a.O., Teil A Kap. 1 Rn. 127). Entscheidend ist, dass durch die Feststellung des DNA-Identifizierungsmusters anhand des Probenmaterials, das gemäß § 81g Abs. 2 StPO anschließend zu vernichten ist, Rückschlüsse auf persönlichkeitsrelevante Merkmale wie Erbanlagen, Charaktereigenschaften oder Krankheiten des Betroffenen, also ein Persönlichkeitsprofil, nicht ermöglicht werden (vgl. BTDrucks 13/10791, S. 5; Rath/Brinkmann, NJW 1999, S. 2697 ≪2699 f.≫; Markwardt/Brodersen, NJW 2000, S. 692 ff.).
b) Die Feststellung, Speicherung und (künftige) Verwendung des DNA-Identifizierungsmusters greifen allerdings in das durch Art. 2 Abs. 1 GG i.V.m. Art. 1 Abs. 1 GG verbürgte Grundrecht auf informationelle Selbstbestimmung ein (vgl. Benfer, StV 1999, S. 402; allgemein zu Informationseingriffen Chirino Sánchez, Das Recht auf Informationelle Selbstbestimmung und seine Geltung im Strafverfahren am Beispiel der neuen Ermittlungsmethoden in der Strafprozessordnung, 1999, S. 185 ff.). Dieses Recht gewährleistet die aus dem Gedanken der Selbstbestimmung folgende Befugnis des Einzelnen, grundsätzlich selbst zu entscheiden, wann und innerhalb welcher Grenzen persönliche Lebenssachverhalte offenbart werden (vgl. BVerfGE 65, 1 ≪41 f.≫; 78, 77 ≪84≫). Es gewährt seinen Trägern Schutz gegen unbegrenzte Erhebung, Speicherung, Verwendung oder Weitergabe der auf sie bezogenen, individualisierten oder individualisierbaren Daten (vgl. BVerfGE 65, 1 ≪43≫; 67, 100 ≪143≫). Diese Verbürgung darf nur im überwiegenden Interesse der Allgemeinheit und unter Beachtung des Grundsatzes der Verhältnismäßigkeit durch Gesetz oder aufgrund eines Gesetzes eingeschränkt werden; die Einschränkung darf nicht weiter gehen als es zum Schutze öffentlicher Interessen unerlässlich ist (vgl. BVerfGE 65, 1 ≪44≫; 67, 100 ≪143≫).
Dem Schrankenvorbehalt für Eingriffe in das Recht auf informationelle Selbstbestimmung (vgl. BVerfGE 65, 1 ≪44≫) trägt die gesetzliche Regelung in § 2 DNA-IFG i.V.m. § 81g StPO ausreichend Rechnung. Sie bezweckt die Erleichterung der Aufklärung künftiger Straftaten von erheblicher Bedeutung und dient damit einer an rechtsstaatlichen Garantien ausgerichteten Rechtspflege, der ein hoher Rang zukommt (vgl. BVerfGE 77, 65 ≪76≫; 80, 367 ≪375≫).
Die gesetzliche Regelung nach § 2 DNA-IFG i.V.m. § 81g StPO genügt auch den rechtsstaatlichen Erfordernissen der Normklarheit und Justitiabilität (vgl. BVerfGE 47, 239 ≪252≫; s.a. BVerfGE 65, 1 ≪46≫). Dazu reicht es aus, dass sie mit herkömmlichen juristischen Methoden ausgelegt werden kann (vgl. BVerfGE 65, 1 ≪54≫; 78, 205 ≪212 f.≫). Dies ist insbesondere für die Anknüpfung der Maßnahmen an Straftaten von erheblicher Bedeutung anzunehmen. Dieser Begriff wird auch in anderen strafverfahrensrechtlichen Regelungen verwendet (vgl. §§ 98a Abs. 1, 110a Abs. 1, 163e StPO) und von der Rechtsprechung bezüglich nicht spezialgesetzlich geregelter Ermittlungsmethoden als Begrenzungsmerkmal verwendet (vgl. BGHSt – GSSt – 42, 139 ≪157≫); er ist zudem im Polizeirecht der Länder anzutreffen (vgl. etwa Art. 30 Abs. 5 des Bayerischen Polizeiaufgabengesetzes, dazu Roese in: Schmidbauer/Steiner/Roese, Bayerisches Polizeiaufgabengesetz, 1999, Art. 30 Rn. 13 f.; § 36 Abs. 1 SächsPolG, dazu Verfassungsgerichtshof des Freistaates Sachsen, LKV 1996, S. 273 ≪284≫). Durch die hierzu ergangene Rechtsprechung kann der Begriff näher konkretisiert werden.
Nach überwiegender Auffassung muss eine Straftat von erheblicher Bedeutung mindestens dem Bereich der mittleren Kriminalität zuzurechnen sein, den Rechtsfrieden empfindlich stören und dazu geeignet sein, das Gefühl der Rechtssicherheit der Bevölkerung erheblich zu beeinträchtigen (vgl. BTDrucks 13/10791, S. 5; Kleinknecht/Meyer-Goßner, StPO, 44. Aufl., § 98a Rn. 5; Rudolphi in: SK-StPO, § 98a Rn. 10; Senge, NJW 1999, S. 253 ≪254≫). Dabei grenzen die in der Vorschrift genannten Regelbeispiele den unbestimmten Rechtsbegriff weiter ein. Dadurch wird dem Bestimmtheitsgebot hinreichend Rechnung getragen (vgl. Graf, Rasterfahndung und organisierte Kriminalität, 1997, S. 265 ff.; krit. Lindemann, KJ 2000, S. 86 ff.). Entgegen der Annahme des Beschwerdeführers zu 2. kommt es für die Frage der Erheblichkeit der Bedeutung einer Straftat nicht auf die Wahrscheinlichkeit der Spurenverursachung durch bestimmte Arten von Straftaten an; diese ist vielmehr von Fall zu Fall unter dem Gesichtspunkt der Erforderlichkeit der Maßnahme zu prüfen (vgl. LG Berlin, NJW 2000, S. 752; LG Freiburg, NStZ 2000, S. 165; LG Koblenz, StV 1999, S. 141; Eisenberg, Beweisrecht der StPO, 3. Aufl., Rn. 1687k; Senge in: KK-StPO, 4. Aufl., § 81g Rn. 4).
Die vorsorgliche Beweisbeschaffung nach § 2 DNA-IFG i.V.m. § 81g StPO verstößt auch nicht gegen das Übermaßverbot. Sie knüpft an eine vorangegangene Verurteilung des Betroffenen wegen einer Straftat von erheblicher Bedeutung an und setzt die auf bestimmte Tatsachen gestützte Prognose voraus, dass gegen ihn künftig weitere Strafverfahren wegen Straftaten von erheblicher Bedeutung zu führen sein werden. Auf diese Weise wird die Maßnahme auf besondere Fälle beschränkt. Das Interesse des Betroffenen an effektivem Grundrechtsschutz wird dabei durch den Richtervorbehalt gemäß §§ 81g Abs. 3, 81a Abs. 2 StPO berücksichtigt, der die Gerichte zur Einzelfallprüfung zwingt.
Das Rehabilitationsinteresse des Betroffenen gegenüber der Gefahr sozialer Abstempelung (vgl. BVerfGE 65, 1 ≪48≫) wird durch die Anknüpfung des § 2 Abs. 1 DNA-IFG an die Tilgungsfristen des Bundeszentral- oder Erziehungsregisters hinreichend beachtet; hinzu kommt die Bestimmung des § 33 Abs. 2 Nr. 2 BKAG, wonach eine Datensperrung anzuordnen ist, wenn bei der Einzelfallbearbeitung festgestellt wird, dass die Kenntnis der Daten zur Erfüllung der dem Bundeskriminalamt obliegenden Aufgaben nicht mehr erforderlich ist.
Schließlich enthält § 81g Abs. 2 StPO eine strenge Zweckbindung und das Gebot der Vernichtung des gesamten entnommenen Zellmaterials (vgl. Rath/Brinkmann, NJW 1999, S. 2697 ≪2698 f.≫). Dadurch wird ein Missbrauch, insbesondere durch Untersuchungen im codierenden Bereich der DNA, verhindert. Die verbleibende Möglichkeit der Speicherung des DNA-Identifizierungsmusters beim Bundeskriminalamt (§ 3 Satz 1 DNA-IFG) und die über § 3 Satz 2 DNA-IFG eröffneten Nutzungs- und Verarbeitungsmöglichkeiten sind als vom Gesetzgeber im öffentlichen Interesse geschaffene Maßnahmen der Vorsorge für eine künftige Strafverfolgung von Verfassungs wegen nicht zu beanstanden (vgl. zur Gefahrenvorsorge nach § 11 Abs. 1 Nr. 1 BZRG Beschluss der 3. Kammer des Zweiten Senats des Bundesverfassungsgerichts vom 8. August 1990 – 2 BvR 417/89 –, StV 1991, S. 556 ≪557≫). Dies gilt auch für die Auskunftserteilung aus der im April 1998 beim Bundeskriminalamt aufgrund § 8 Abs. 6 BKAG eingerichteten DNA-Identifizierungsdatei (vgl. §§ 32, 33 BKAG).
II.
Die Auslegung und Anwendung des § 2 Abs. 1 DNA-IFG i.V.m. § 81g StPO durch die Fachgerichte ist nur im Fall des Beschwerdeführers zu 1. verfassungsrechtlich zu beanstanden. In den Fällen der Beschwerdeführer zu 2. und zu 3. kann eine Verletzung spezifischen Verfassungsrechts nicht festgestellt werden.
1. Eine tragfähig begründete Entscheidung setzt im Fall des Eingriffs in das Recht auf informationelle Selbstbestimmung voraus, dass ihr eine zureichende Sachaufklärung (vgl. BVerfGE 70, 297 ≪309≫), insbesondere durch Beiziehung der verfügbaren Straf- und Vollstreckungsakten, des Bewährungshefts und zeitnaher Auskünfte aus dem Bundeszentralregister (vgl. LG Würzburg, StV 2000, S. 12), vorausgegangen ist und in den Entscheidungsgründen die bedeutsamen Umstände abgewogen wurden. Dabei ist stets eine auf den Einzelfall bezogene Entscheidung erforderlich; die bloße Wiedergabe des Gesetzeswortlauts reicht nicht aus (vgl. LG Zweibrücken, StV 2000, S. 304).
a) Eine rechtliche Bindung an eine von einem anderen Gericht zur Frage der Strafaussetzung zur Bewährung getroffene Sozialprognose besteht nicht, zumal die Gründe der früheren Verurteilung einschließlich der Tatsachenfeststellungen nicht in Rechtskraft erwachsen (vgl. BGHSt 43, 106 ff.). Das Gericht, das die Maßnahme nach § 2 DNA-IFG i.V.m. § 81g StPO anordnet, entscheidet zudem aufgrund eines anderen Maßstabs und spricht eine andersartige Rechtsfolge aus als das Gericht, das über die Strafaussetzung zu befinden hat (vgl. LG Göttingen, NJW 2000, S. 751 f.; LG Ingolstadt, NJW 2000, S. 749 ff.; Markwardt/Brodersen, NJW 2000, S. 692, 693 f.; Messer/Siebenbürger, a.a.O., Rn. 130). Aus denselben Gründen fehlt eine rechtliche Bindung des für die Anordnung der Feststellung des DNA-Identifizierungsmusters zuständigen Gerichts an die Gefährlichkeitsprognose in einer vorangegangenen Entscheidung über die Anordnung einer Maßregel, wie sie etwa gegen den Beschwerdeführer zu 2. verhängt wurde.
Jedoch sind im Rahmen der Gefahrenprognose im Sinne des § 81g Abs. 1 StPO Umstände in den Abwägungsvorgang einzustellen, die gleichermaßen bei einer Sozialprognose für die Strafaussetzung zur Bewährung oder einer Gefahrenprognose bei der Verhängung einer Maßregel bestimmend sein können. Dies gilt etwa für die Rückfallgeschwindigkeit, den Zeitablauf seit der früheren Tatbegehung (vgl. LG Hannover, Beschluss vom 3. September 1999 – 49 Qs 138/99 –, StV 1999, S. 590 ≪LS≫; AG Stade, StV 2000, S. 304 f.), das Verhalten des Betroffenen in der Bewährungszeit oder einen Straferlass, seine Motivationslage bei der früheren Tatbegehung, seine Lebensumstände (vgl. LG Berlin, StV 2000, S. 303; LG Hannover, StV 2000, S. 302 f.) und seine Persönlichkeit. Dabei darf allerdings der nach dem Gesetzeszweck unterschiedliche Prognosemaßstab nicht aus den Augen verloren werden (vgl. LG Berlin, StV 2000, S. 303; LG Bremen, StV 2000, S. 303 f.; LG Hannover, StV 2000, S. 302 f.; LG Nürnberg-Fürth, StV 2000, S. 71 f.; LG Tübingen, StV 2000, S. 114; Schulz, a.a.O., S. 199). Die Annahme einer Wiederholungsgefahr im Sinne von § 2 DNA-IFG i.V.m. § 81g StPO kann deshalb im Einzelfall auch dann gerechtfertigt sein, wenn zuvor eine Strafaussetzung zur Bewährung erfolgt war (vgl. Markwardt/Brodersen, a.a.O., S. 694). In Fällen gegenläufiger Prognosen durch verschiedene Gerichte entsteht regelmäßig ein erhöhter Begründungsbedarf für die nachfolgende gerichtliche Entscheidung (vgl. Graalmann-Scheerer, Kriminalistik 2000, S. 328 ≪334≫).
b) Notwendig und ausreichend für die Anordnung der Maßnahme nach § 2 DNA-IFG i.V.m. § 81g StPO ist, dass wegen der Art oder Ausführung der bereits abgeurteilten Straftat, der Persönlichkeit des Verurteilten oder sonstiger Erkenntnisse Grund zu der Annahme besteht, dass gegen ihn künftig erneut Strafverfahren wegen Straftaten von erheblicher Bedeutung zu führen sind. Zwar wird keine erhöhte Wahrscheinlichkeit für einen Rückfall gefordert (vgl. LG Hannover, NStZ 2000, S. 221 mit Anm. Kauffmann). Jedoch setzt die Maßnahme voraus, dass sie im Hinblick auf die Prognose der Gefahr der Wiederholung auf schlüssigen, verwertbaren (vgl. Rogall in: SK-StPO, § 81g Rn. 15 und Anh. zu § 81g Rn. 11) und in der Entscheidung nachvollziehbar dokumentierten Tatsachen beruht und auf dieser Grundlage die richterliche Annahme der Wahrscheinlichkeit künftiger Straftaten von erheblicher Bedeutung belegt, für die das DNA-Identifizierungsmuster einen Aufklärungsansatz durch einen (künftigen) Spurenvergleich bieten kann. Dafür ist das Freibeweisverfahren geeignet, in dem die Aufklärungspflicht gilt (vgl. BVerfGE 70, 297 ≪309≫). Die Anordnung der Maßnahme kann nur auf Umstände gestützt werden, denen Aussagekraft für die Wahrscheinlichkeit einer künftigen Tatbegehung zukommt (vgl. LG Nürnberg-Fürth, StV 2000, S. 71 f.; LG Tübingen, StV 2000, S. 114). Allein die Annahme, eine Rückfallgefahr eines vor langer Zeit verurteilten Betroffenen sei „nicht sicher auszuschließen” (LG Bremen, StV 2000, S. 303 f.), kann einen Eingriff in das Recht auf informationelle Selbstbestimmung nicht rechtfertigen. Es bedarf vielmehr positiver, auf den Einzelfall bezogener Gründe für die Annahme einer Wiederholungsgefahr.
2. Diesem Maßstab genügen die vom Beschwerdeführer zu 1. mit der Verfassungsbeschwerde angegriffenen Entscheidungen offensichtlich nicht.
a) Die Begründung des Amtsgerichts erschöpft sich, neben einer Wiedergabe des Gesetzeswortlauts, in der schlichten Bezeichnung der Vorverurteilungen des Beschwerdeführers.
Daraus ist bereits nicht ersichtlich, dass es sich bei den Anlasstaten um Straftaten von erheblicher Bedeutung handelt. Mag es sich zum Teil auch um Regelbeispielsfälle gehandelt haben, so entbindet diese Tatsache nicht von der einzelfallbezogenen Prüfung der Erheblichkeit. Die Regelbeispiele, denen der Begriff der Straftat von erheblicher Bedeutung übergeordnet ist, belegen nicht, dass bei Erfüllung des Regeltatbestands ausnahmslos eine Straftat von erheblicher Bedeutung vorliege (vgl. Messer/Siebenbürger, a.a.O., Rn. 122). Vielmehr ist bei Hinweisen darauf, dass eine Ausnahme von der Regel in Betracht kommt, wiederum eine auf den Einzelfall bezogene Prüfung erforderlich. Erörterungsbedarf besteht beispielsweise dann, wenn milde Strafen verhängt wurden und die Vollstreckung von Freiheitsstrafen zur Bewährung ausgesetzt wurde, weil auch die Verteidigung der Rechtsordnung die Strafvollstreckung nicht geboten hatte (vgl. § 56 Abs. 3 StGB). Die wiederholte Strafaussetzung zur Bewährung zugunsten des Beschwerdeführers zu 1. hätte deshalb Anlass zur Prüfung gegeben, ob die abgeurteilten Taten von erheblicher Bedeutung waren. Sodann wäre angesichts der Unterschiedlichkeit von Art und Gewicht der abgeurteilten Taten zu prüfen gewesen, auf welche Art von Straftaten sich die Negativprognose bezieht und ob diese wiederum die Kategorie der Straftaten von erheblicher Bedeutung betrifft. An einer solchen Prüfung fehlt es.
Vor allem das Amtsgericht hat die Negativprognose nicht tragfähig begründet. Die Aufzählung allein des Inhalts des Bundeszentralregisters lässt vermuten, dass eine weiter gehende Sachaufklärung, die schon wegen der günstigen Sozialprognosen in den Bewährungsentscheidungen angezeigt war, unterblieben ist. Der allgemeine Hinweis auf die trotz der verhängten Bewährungsstrafe nicht näher erläuterte „Schwere der begangenen Straftat” und das daraus angeblich herzuleitende „hohe Maß an krimineller Energie” konnten nicht die Aufklärung und Prüfung aller bedeutsamen Umstände einschließlich derjenigen, die gegen eine Negativprognose sprechen, ersetzen. Zumindest hätten die Gründe der gegenläufigen Prognoseentscheidungen berücksichtigt werden müssen. Dies gilt auch deshalb, weil die Anlassverurteilung zur Zeit der Anordnung der Feststellung des DNA-Identifizierungsmusters bereits mehrere Jahre zurücklag und die Strafe erlassen worden war.
b) Mit dem Hinweis auf „die zutreffenden Gründe des angefochtenen Beschlusses” hat das Landgericht den offensichtlichen Mangel der Entscheidung des Ermittlungsrichters aufrecht erhalten. Auch allgemeine Hinweise auf die „Kriminalstatistik” oder nicht weiter belegte kriminologische Erkenntnisse ersetzen die gebotene Einzelfallprüfung nicht.
3. a) Die von den Beschwerdeführern zu 2. und zu 3. angegriffenen Entscheidungen tragen demgegenüber den verfassungsrechtlichen Erfordernissen einer zureichenden Sachaufklärung und tragfähigen Entscheidungsbegründung hinreichend Rechnung. Sie stützen sich auf aussagekräftige Indizien und würdigen den Einzelfall. Dabei kam den Feststellungen der früheren Urteile, auch wenn diese nicht in Rechtskraft erwachsen sind, jedenfalls indizielle Beweisbedeutung zu, die die Gerichte der beiden Ausgangsverfahren ihren Entscheidungen zugrunde legen konnten.
Die vom Beschwerdeführer zu 3. angegriffenen Entscheidungen konnten knapp begründet werden; denn sie enthielten schon im Hinblick auf die frühere Gefahrenprognose bei der Anordnung der Sicherungsverwahrung (§ 66 Abs. 1 Nr. 3 StGB) tragfähige Gründe für die Annahme der Wahrscheinlichkeit künftiger Strafverfahren. Insoweit ist auch die Begründung der Beschwerdeentscheidung des Landgerichts, die sich in einer Bezugnahme auf die tragfähige Entscheidung des Ermittlungsrichters erschöpft, verfassungsrechtlich nicht zu beanstanden.
b) Ein unauflöslicher Widerspruch der Maßnahme gemäß § 2 Abs. 1 DNA-IFG i.V.m. § 81g StPO zu dem aus Art. 1 Abs. 1 und Art. 2 Abs. 1 GG i.V.m. dem Rechtsstaatsprinzip des Grundgesetzes abzuleitenden Resozialisierungsgebot besteht auch in Fällen eines längeren Straf- oder Maßregelvollzugs nicht; denn Straftaten von erheblicher Bedeutung, insbesondere Taten, die gegen Leib oder Leben anderer Personen gerichtet sind und dabei Spuren entstehen lassen, die dem Vergleich anhand des DNA-Identifizierungsmusters zugänglich sind, können auch während des Vollzugs von Strafen und Maßregeln oder bei einer zur Zeit der Anordnung der Maßnahme nicht vorhersehbaren Vollzugsunterbrechung begangen werden.
c) Der vom Beschwerdeführer zu 2. beantragten Hinzuziehung eines Sachverständigen, die nach dem Gesetz nicht zwingend vorgeschrieben ist, bedurfte es nicht (vgl. LG Duisburg, StraFo 1999, S. 202 ≪203≫); denn es ging nicht darum, geistige oder seelische Anomalien aufzuklären (vgl. BVerfGE 70, 297 ≪309≫).
III.
Die von den Beschwerdeführern zu 2. und 3. angegriffenen Entscheidungen verstoßen nicht gegen den Verfassungsgrundsatz der Verhältnismäßigkeit, der verlangt, dass die Maßnahme zur Erreichung des angestrebten Zwecks geeignet und erforderlich ist und der mit ihr verbundene Eingriff nicht außer Verhältnis zur Bedeutung der Sache und zur Stärke des Tatverdachts steht. Es lässt sich angesichts der Aburteilung des Beschwerdeführers zu 2. wegen mehrerer Straftaten, die gegen Leib und Leben der Tatopfer gerichtet waren, nicht feststellen, dass der Eingriff in sein Recht auf informationelle Selbstbestimmung unangemessen ist. Gleiches gilt im Falle des Beschwerdeführers zu 3., der wegen einer Reihe von Verbrechen gegen die sexuelle Selbstbestimmung verurteilt worden war.
IV.
Die Beanstandung der Ablehnung der Beiordnung eines Rechtsanwalts durch den Beschwerdeführer zu 2. ist unbegründet. Zwar ist dann, wenn der Gesetzgeber den herkömmlichen Bereich des gerichtlichen Verfahrens in Strafsachen (Art. 74 Abs. 1 Nr. 1 GG) auf Vorfeldmaßnahmen ausdehnt, auch der rechtsstaatlichen Ausgestaltung dieses Verfahrensbereichs angemessen Rechnung zu tragen. Über die Erforderlichkeit der gerichtlichen Bestellung eines Verteidigers ist im Blick auf den Anspruch des Betroffenen auf ein rechtsstaatliches Verfahren (vgl. BVerfGE 38, 105 ≪111 ff.≫) daher auch in diesem Bereich von Fall zu Fall zu entscheiden. Dem tragen die vom Beschwerdeführer zu 2. angegriffenen Entscheidungen jedoch angemessen Rechnung. Danach war die Beiordnung eines Rechtsanwalts auch nicht wegen der Schwierigkeit der Sachlage geboten; denn die Prognoseentscheidung wies angesichts der Art, der Zahl, der Begehungsweise und der Tatmotivation der gegen Leib und Leben anderer Personen gerichteten Straftaten des Beschwerdeführers zu 2. im Vergleich mit anderen Fällen keine besondere Schwierigkeit auf.
C.
Wegen fehlender Erfolgsaussicht der Verfassungsbeschwerde ist der Antrag des Beschwerdeführers zu 2. auf Bewilligung von Prozesskostenhilfe unter Beiordnung einer Rechtsanwältin entsprechend § 114 ZPO zurückzuweisen.
D.
Die Entscheidung über die Erstattung der notwendigen Auslagen des Beschwerdeführers zu 1. beruht auf § 34a Abs. 2 BVerfGG.
Von einer weiteren Begründung wird abgesehen (§ 93d Abs. 1 Satz 3 BVerfGG).
Diese Entscheidung ist unanfechtbar.
Unterschriften
Limbach, Hassemer, Broß
Fundstellen
NJW 2001, 879 |
NStZ 2001, 328 |
JA 2001, 926 |
NJ 2001, 132 |
NPA 2001 |
StV 2001, 145 |
LL 2001, 498 |
NK 2001, 38 |