Entscheidungsstichwort (Thema)
Verfassungsmäßigkeit der Selbstverbrauchsteuer. tatbestandliche Rückanknüpfung
Leitsatz (redaktionell)
1. Die Selbstverbrauchsteuer ist verfassungsgemäß.
2. Eine Grundrechtsverletzung kann nicht darin gesehen werden, daß sich die §§ 30, 27 Abs. 15 UStG i. d. F. des Steueränderungsgesetzes 1973 (BGBl. I S. 676) Wirkung für eine Investitionsentscheidung zumessen, die bereits zu einem Zeitpunkt getroffen wurde, als noch nicht einmal die Gesetzesinitiative auf den Weg gebracht worden war. In der Regelung der §§ 30, 27 Abs. 15 UStG i. d. F. des StÄndG 1973 ist keine Rückbewirkung von Rechtsfolgen, sondern eine tatbestandliche Rückanknüpfung zu sehen.
3. Der Gesetzgeber hat die tatbestandliche Rückanknüpfung gerade so weit zeitlich zurückverlegt, daß der Ankündigungseffekt vermieden werden konnte, und damit das Vertrauen der Investoren nur so weit beeinträchtigt, wie es zur Erreichung des Gesetzeszwecks unerläßlich war.
Normenkette
GG Art. 2 Abs. 1, Art. 3 Abs. 1, Art. 14, 20 Abs. 3; UStG 1967 §§ 30, 27 Abs. 15; StÄndG 1973 Art. 6 § 1 Nr. 11 Buchst. e, Nr. 12
Verfahrensgang
BFH (Beschluss vom 04.10.1989; Aktenzeichen V R 144/84) |
FG Düsseldorf (Urteil vom 27.04.1984; Aktenzeichen XIII/XV 406/77 U) |
Gründe
Die Verfassungsbeschwerde hat keine hinreichende Aussicht auf Erfolg. Es ist nicht ersichtlich, daß der Umsatzsteuerbescheid 1974 und die zu ihm ergangenen weiteren Entscheidungen die Beschwerdeführerin in einem Grundrecht oder grundrechtsgleichen Recht verletzen.
1. Eine Grundrechtsverletzung kann insbesondere nicht darin gesehen werden, daß sich die im Umsatzsteuerbescheid angewendeten §§ 30, 27 Abs. 15 des Umsatzsteuergesetzes i.d.F. des Steueränderungsgesetzes (StÄndG) 1973 (BGBl. I S. 676) Wirkung für eine Investitionsentscheidung der Beschwerdeführerin zumessen, die bereits zu einem Zeitpunkt getroffen wurde, als noch nicht einmal die Gesetzesinitiative auf den Weg gebracht worden war.
In der Regelung der §§ 30, 27 Abs. 15 UStG i.d.F. des StÄndG 1973 ist keine Rückbewirkung von Rechtsfolgen, sondern eine tatbestandliche Rückanknüpfung i.S. der Rechtsprechung des Senats zu sehen. Die Normen messen sich nämlich nicht etwa in zeitlicher Hinsicht Geltung bereits für den 9. Mai 1973 zu. Vielmehr machen sie das nach ihrer Verkündung liegende Eintreten von Rechtsfolgen (Pflicht zur Zahlung von Selbstverbrauchsteuer) von Gegebenheiten aus der Zeit vor ihrer Verkündung abhängig (vgl. dazu BVERFGE 63, 343 ≪353 ff.≫; 72, 200 ≪242 f.≫; 76, 256 ≪345 ff.≫).
Die verfassungsrechtliche Zulässigkeit einer solchen tatbestandlichen Rückanknüpfung ist an demjenigen Grundrecht zu messen, das mit der Verwirklichung des betreffenden Tatbestandsmerkmals vor Verkündung der Norm ins Werk gesetzt wurde. In die damit erforderliche grundrechtliche Bewertung fließen die allgemeinen rechtsstaatlichen Grundsätze des Vertrauensschutzes, der Rechtssicherheit und der Verhältnismäßigkeit ein (BVERFGE 72, 200 ≪242 f.≫).
Mit ihrer Investitionsentscheidung hat die Beschwerdeführerin vorrangig über die räumliche Lage ihres Betriebes disponiert und damit ihr Eigentumsgrundrecht aus Art. 14 GG ausgeübt, das nach Maßgabe des Art. 19 Abs. 3 GG auch ihr als inländischer juristischer Person des Privatrechts zusteht. Die verfassungsrechtliche Beurteilung hängt demnach davon ab, ob der Schutz des Vertrauens der Beschwerdeführerin darauf, für ihre im Eigentumsgrundrecht verankerte Entscheidung nicht mit einer zusätzlichen Selbstverbrauchsteuer belastet zu werden, Vorrang verdient vor dem Gemeinwohlanliegen, das der Bundesgesetzgeber mit der tatbestandlichen Rückanknüpfung an den Beginn des 9. Mai 1973 verfolgte.
Dieses gesetzgeberische Anliegen bestand darin, den sog. Ankündigungseffekt zu vermeiden. Es lag im wirtschaftspolitischen Einschätzungsspielraum des Gesetzgebers, im Frühjahr 1973, gestützt auf ein Sondergutachten des Sachverständigenrates, eine unerwünschte Konjunkturüberhitzung zu konstatieren, welche die Gefahr einer weiteren inflationellen Entwicklung mit sich brachte. Die Inflationsrate hatte Ende April 1973 mit 7,5 v.H. den in der Nachkriegszeit bis dahin höchsten Stand erreicht. Die Regierungs- und Oppositionsparteien waren sich über die Notwendigkeit drastischer Maßnahmen zur Beschneidung der Investitionsnachfrage einig (vgl. Bundesfinanzhof, Bundessteuerblatt 1981 II, 595 ≪598 f.≫). Nach seinem Ermessen konnte der Gesetzgeber dem mit steuerlichen Mitteln zu begegnen suchen, die u.a. Investoren zu einem Aufschub ihrer Investitionspläne bewegen sollten.
Eine zusätzliche Steuer auf Investitionsmaßnahmen mußte, sollte sie nicht nur ihren Zweck nicht verfehlen, sondern im Gegenteil einen Investitionsschub auslösen, Investitionsentscheidungen bereits von dem Zeitpunkt an erfassen, ab dem frühestens die Pläne für die zusätzliche Steuer an die Öffentlichkeit dringen konnten. Da mit einem Bekanntwerden der geplanten steuerlichen Maßnahme bereits am Tage des Kabinettsbeschlusses zu rechnen war, konnte der Gesetzgeber davon ausgehen, daß der Ankündigungseffekt sicher nur ausgeschlossen werden könne, wenn der Steuertatbestand auf den Beginn dieses Tages rückbezogen werde. Um der Rechtssicherheit und Praktikabilität willen war der Gesetzgeber nicht gehalten, die Steuerbarkeit auf die exakte Uhrzeit der Bekanntgabe des Kabinettsbeschlusses an die Öffentlichkeit zurückzubeziehen. In Anbetracht dessen läßt sich nicht feststellen, daß dem Vertrauen der Beschwerdeführerin auf den bisherigen Rechtszustand aus verfassungsrechtlichen Gründen Vorrang vor dem mit der tatbestandlichen Rückanknüpfung verfolgten Gemeinwohlinteresse zukäme (vgl. BVERFGE 30, 250 ≪268≫).
2. Eine andere Bewertung ergibt sich auch nicht deshalb, weil das Gesetz im vorliegenden Fall ausnahmsweise zu einer Belastung geführt hat, die durch das gesetzgeberische Anliegen nicht gerechtfertigt gewesen wäre. Allerdings belegten die §§ 30, 27 Abs. 15 UStG i.d.F. des StÄndG 1973 die Beschwerdeführerin mit einer Selbstverbrauchsteuer, ohne daß diese überhaupt die Möglichkeit gehabt hätte, vor ihrer Investitionsentscheidung die steuerliche Belastung in Betracht zu ziehen und mit Rücksicht auf diese eine Verschiebung ihrer Baumaßnahme zu erwägen.
Dennoch hätte es der Beschwerdeführerin offengestanden, alsbald nach Bekanntwerden des Stabilitätsprogramms der Bundesregierung ihren Bauantrag zurückzuziehen und diesen nach Ablauf der Geltungsdauer der Selbstverbrauchsteuer erneut zu stellen. Darin hätte entgegen der Auffassung der Beschwerdeführerin keine Umgehung des gesetzlichen Tatbestandes gesehen werden können; vielmehr hätte die zeitlich begrenzte Einführung der Selbstverbrauchsteuer dann ihren Zweck erfüllt, nämlich zu bewirken, daß Investitionsvorhaben verschoben werden.
3. Die Ansicht der Beschwerdeführerin geht fehl, sie werde unter Verstoß gegen Art. 3 Abs. 1 GG im Vergleich zu solchen Investoren diskriminiert, die kurz vor dem 9. Mai 1973 ihren Bauantrag gestellt, sich aber ansonsten in der gleichen Lage befunden hätten. Denn die gesetzliche Fixierung eines Termins bringt es notwendig mit sich, daß Personen allein deshalb, weil sie den maßgeblichen Tatbestand in denkbar knappstem zeitlichen Abstand erfüllen, unterschiedlichen Rechtsregimen unterliegen. Darin kann zumindest dann keine Verletzung des allgemeinen Gleichheitssatzes gesehen werden, wenn der Termin nicht völlig willkürlich, sondern aus sachlichen Gründen festgelegt wurde. So lag es hier: Der Gesetzgeber hat die tatbestandliche Rückanknüpfung gerade so weit zeitlich zurückverlegt, daß der Ankündigungseffekt vermieden werden konnte, und damit das Vertrauen der Investoren nur so weit beeinträchtigt, wie es zur Erreichung des Gesetzeszwecks unerläßlich war.
4. Schließlich hat die Verfassungsbeschwerde auch insoweit keine hinreichende Aussicht auf Erfolg, als die Beschwerdeführerin bemängelt, daß der Revisionsentscheidung des Bundesfinanzhofs keine Begründung beigegeben wurde. Das Bundesverfassungsgericht hat bereits entschieden, daß jedenfalls eine letztinstanzliche Gerichtsentscheidung nicht stets und immer begründet werden muß (vgl. BVERFGE 50, 287 ≪289 f.≫).
Diese Entscheidung ist unanfechtbar.
Fundstellen
Haufe-Index 1513772 |
NJW 1992, 2877 |
NVwZ 1992, 1185 |
JuS 1993, 521 |