Verfahrensgang
KG Berlin (Beschluss vom 03.03.2003; Aktenzeichen 4 VAs 4/03) |
Tenor
Die Verfassungsbeschwerde wird nicht zur Entscheidung angenommen.
Damit erledigt sich der Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung.
Gründe
Die Verfassungsbeschwerde betrifft die unterschiedliche Entlohnung der Arbeit von Strafgefangenen und (erwachsenen) Untersuchungsgefangenen.
1. Der Beschwerdeführer, der sich inzwischen in Strafhaft befindet, war Untersuchungsgefangener und verrichtete während dieser Zeit ihm zugewiesene Arbeit, für die er ein Arbeitsentgelt erhielt. Sein Antrag, eine Nachberechnung auf der Grundlage des einem Strafgefangenen zustehenden Arbeitsentgelts vorzunehmen und ihm – wie einem Strafgefangenen – einen Anspruch auf bezahlten Urlaub zuzubilligen, wurde durch Bescheid des zuständigen Teilanstaltsleiters der Justizvollzugsanstalt Moabit mit der Begründung abgelehnt, dass die Gesetzeslage eine Gleichbehandlung von Untersuchungsgefangenen und Strafgefangenen ausschließe. Sein hiergegen gerichteter Antrag auf gerichtliche Entscheidung blieb ohne Erfolg. Mit der Verfassungsbeschwerde wendet sich der Beschwerdeführer gegen die den Bescheid des Teilanstaltsleiters bestätigende Entscheidung des Kammergerichts. Er macht geltend, dass die unterschiedliche Bemessung des Arbeitsentgelts für Straf- und Untersuchungsgefangene gegen den Gleichheitsgrundsatz und gegen die Unschuldsvermutung verstoße.
2. Die Voraussetzungen, unter denen eine Verfassungsbeschwerde zur Entscheidung anzunehmen ist (§ 93a Abs. 2 BVerfGG), liegen nicht vor. Der Verfassungsbeschwerde kommt keine grundsätzliche Bedeutung zu. Ihre Annahme ist auch nicht zur Wahrung von Grundrechten oder grundrechtsgleichen Rechten des Beschwerdeführers angezeigt, denn sie hat keine hinreichende Aussicht auf Erfolg (vgl. BVerfGE 90, 22 ≪25 f.≫; 96, 245 ≪248≫).
a) Nachdem das Bundesverfassungsgericht in seiner Entscheidung zur Entlohnung der Pflichtarbeit von Strafgefangenen (BVerfGE 98, 169) die in § 200 Abs. 1 a.F. StVollzG vorgesehene Bemessung des Arbeitsentgelts für Strafgefangene auf der Grundlage von 5 v.H. der Bezugsgröße nach § 18 des Vierten Buches Sozialgesetzbuch für mit dem Resozialisierungsgebot aus Art. 2 Abs. 1 i.V.m. Art. 1 Abs. 1 und Art. 20 Abs. 1 GG unvereinbar erklärt hatte, wurde mit dem 5. Gesetz zur Änderung des Strafvollzugsgesetzes vom 27. Dezember 2000 zum 1. Januar 2001 eine Neuregelung der § 43 und § 200 StVollzG in Kraft gesetzt (BGBI I 2000 S. 2043; zur nun geltenden Gesetzeslage vgl. auch die Übersicht bei Schöch, in: Kaiser/Schöch, Strafvollzug, 5. Aufl. 2002, § 7, Rn. 144 ff.). Der Vomhundertsatz der sozialversicherungsrechtlichen Bezugsgröße, der der Entgeltbemessung zugrundezulegen ist, wurde von fünf auf neun erhöht (§ 200 StVollzG). Das Arbeitsentgelt wurde außerdem ergänzt um eine nicht geldliche Form der Anerkennung geleisteter Arbeit: Zusätzlich zum Entgelt wird die Arbeit von Gefangenen nunmehr durch Freistellung von der Arbeit anerkannt, die auch als Urlaub aus der Haft (Arbeitsurlaub) genutzt oder auf den Entlassungszeitpunkt angerechnet werden kann (§ 43 Abs. 1 und Abs. 6 bis 11 StVollzG; zur Vereinbarkeit der Neuregelung mit dem verfassungsrechtlichen Resozialisierungsgebot siehe Beschluss der 3. Kammer des Zweiten Senats des Bundesverfassungsgerichts vom 24. März 2002 – 2 BvR 2175/01 –, NJW 2002, S. 2023). Die Neuregelung gilt im Wesentlichen auch für Gefangene in Jugendstrafanstalten (§ 176 Abs. 1 StVollzG) und, soweit es um die geldliche Komponente geht, für junge und heranwachsende Untersuchungsgefangene (§ 177 Satz 4 StVollzG). Auf erwachsene Untersuchungsgefangene erstreckt sie sich dagegen nicht. Der Bemessung ihres Arbeitsentgelts sind unverändert nur 5 v.H. der Bezugsgröße nach § 18 Viertes Buch Sozialgesetzbuch zugrundezulegen (§ 177 Satz 2 StVollzG). Auch ist für diese Gefangenengruppe die Anerkennung von Arbeit durch Freistellung nach Maßgabe des § 43 Abs. 6 bis 11 StVollzG nicht vorgesehen (§ 177 Satz 3 StVollzG).
b) Art. 3 Abs. 1 GG gebietet, Gleiches gleich und Ungleiches seiner Eigenart entsprechend verschieden zu behandeln (BVerfGE 42, 64 ≪72≫; 71, 255 ≪271≫; stRspr). Eine unterschiedliche Behandlung muss sich daher auf Unterschiede in den Sachverhalten zurückführen lassen, die es rechtfertigen, sie als im Hinblick auf die fragliche Behandlung ungleich anzusehen. Art. 3 Abs. 1 GG ist verletzt, wenn für eine vom Gesetzgeber vorgenommene Differenzierung ein einleuchtender Grund nicht auffindbar ist (vgl. BVerfGE 42, 374 ≪388≫; 76, 256 ≪329≫; stRspr). Innerhalb dieser Grenzen ist es Sache des Gesetzgebers, diejenigen Sachverhalte auszuwählen, an die er dieselbe Rechtsfolge knüpft, die er also im Rechtssinn als gleich ansehen will (BVerfGE 75, 108 ≪157≫; 103, 310 ≪318≫).
c) Nach diesen Maßstäben hat das Kammergericht zu Recht angenommen, es liege kein Verstoß gegen den allgemeinen Gleichheitssatz darin, dass nach dem gesetzgeberischen Regelungskonzept die Arbeit von erwachsenen Untersuchungsgefangenen nicht in gleicher Weise entgolten wird wie die Arbeit von Strafgefangenen. Die vorgenommene Differenzierung knüpft an Unterschiede in der Funktion von Untersuchungs- und Strafhaft an, deren Berücksichtigung bei der Bemessung des Arbeitsentgelts im politischen Ermessen des Gesetzgebers liegt.
Die Untersuchungshaft nach den Grundsätzen des Erwachsenenvollzugs dient der Sicherung des Strafverfahrens und einer eventuellen Strafvollstreckung und ist auf diesen Sicherungszweck beschränkt. Für dessen Verwirklichung kommt es nicht darauf an, dass der Untersuchungsgefangene Arbeit verrichtet. Untersuchungsgefangene sind daher, anders als Strafgefangene, jedenfalls im Erwachsenenvollzug zur Arbeit nicht verpflichtet (zur abweichenden einfachgesetzlichen Regelung der Rechtsstellung junger und heranwachsender Untersuchungsgefangener siehe nur Eisenberg, Jugendgerichtsgesetz, 10. Aufl. 2004, § 93, Rn. 10 ff. und § 110, Rn. 7, sowie Calliess/Müller-Dietz, Strafvollzugsgesetz, 9. Aufl. 2002, § 177, Rn. 1).
Der Strafvollzug ist dagegen vom verfassungsrechtlich verankerten Resozialisierungsgebot geprägt (vgl. BVerfGE 98, 169, ≪200≫). Arbeit im Strafvollzug ist, wie das Kammergericht hervorgehoben hat, für das Resozialisierungskonzept des Strafvollzugsgesetzes von zentraler Bedeutung. Die Verpflichtung des Strafgefangenen zur Arbeit (§ 41 Abs. 1 StVollzG) soll die Entwicklung beruflicher Fähigkeiten sowie ein positives Verhältnis zur Arbeit fördern und ihn damit auf ein eigenverantwortetes und straffreies Leben in Freiheit vorbereiten. Die Anerkennung von Arbeit im Strafvollzug muss daher geeignet sein, dem Strafgefangenen den Wert regelmäßiger Arbeit für ein künftiges Leben in Gestalt eines greifbaren Vorteils vor Augen zu führen (BVerfGE 98, 169 ≪201≫; Beschluss der 3. Kammer des Zweiten Senats des Bundesverfassungsgerichts vom 24. März 2002 – 2 BvR 2175/01 –, NJW 2002, S. 2023).
Mit Rücksicht auf die unterschiedliche Bedeutung, die der Arbeit nach der Zweckbestimmung von Untersuchungs- und Strafhaft zukommt, war der Gesetzgeber nicht gehalten, die von erwachsenen Untersuchungsgefangenen geleistete Arbeit in gleicher Weise wie die Arbeit von Strafgefangenen anzuerkennen (vgl. auch OLG Celle, Beschluss vom 25. April 2001 – 2 VAs 4/01 – JURIS –, OLG Stuttgart, Beschluss vom 4. Juli 2003 – 4 VAs 15/03 –, Die Justiz, S. 34, a.A. Calliess/Müller-Dietz, a.a.O.).
d) Eine andere verfassungsrechtliche Beurteilung folgt auch nicht aus der für Untersuchungsgefangene geltenden Unschuldsvermutung. Die rechtsstaatliche Unschuldsvermutung schützt den Beschuldigten vor Nachteilen, die Schuldspruch oder Strafe gleichkommen, denen aber kein rechtsstaatliches prozessordnungsgemäßes Verfahren zur Schuldfeststellung und Strafbemessung vorausgegangen ist (vgl. BVerfGE 74, 358 ≪371≫; 82, 106 ≪114 f.≫). Aus ihr folgt – auch bezüglich der Bemessung des Arbeitsentgelts – nicht, dass die Situation des Untersuchungsgefangenen der des Strafgefangenen angeglichen werden müsste. Dem Untersuchungsgefangenen wird mit der Bemessung des Entgelts für von ihm geleistete Arbeit weder Schuld zugewiesen noch eine Strafe auferlegt.
Auch hinsichtlich der Angemessenheit des Arbeitsentgelts im Vergleich zu denjenigen erwachsenen Untersuchungsgefangenen, für die das Strafverfahren mit Freispruch oder Einstellung endet (vgl. Feest/Joester, in: Feest ≪Hrsg.≫, Strafvollzugsgesetz, 4. Aufl. 2000, § 177, Rn. 3; Calliess/Müller-Dietz, a.a.O.) ist ein Verfassungsverstoß nicht ersichtlich. Dem Grundsatz, dass der Untersuchungsgefangene gerade auch im Hinblick darauf, dass er noch nicht verurteilt ist, allein den unvermeidlichen Beschränkungen unterworfen werden darf (BVerfGE 15, 288 ≪295≫; 42, 95 ≪100≫; stRspr), wird hinsichtlich der Arbeit dadurch Rechnung getragen, dass eine Arbeitspflicht für ihn nicht besteht.
3. Von einer weiteren Begründung wird gemäß § 93d Abs. 1 Satz 3 BVerfGG abgesehen.
Diese Entscheidung ist unanfechtbar.
Unterschriften
Jentsch, Broß, Lübbe-Wolff
Fundstellen
Haufe-Index 1262417 |
NJW 2004, 3030 |
NStZ 2004, 514 |
ZAP 2004, 597 |
NJW-Spezial 2004, 328 |
NPA 2005, 0 |
ZfStrVo 2004, 246 |
Polizei 2004, 237 |