Verfahrensgang
Tenor
Für das Verfassungsbeschwerdeverfahren wird der Gegenstandswert der anwaltlichen Tätigkeit der Bevollmächtigten des Beschwerdeführers zu I. auf 140.000 EUR (in Worten: einhundertvierzigtausend Euro), der Beschwerdeführer zu II. auf 180.000 EUR (in Worten: einhundertachtzigtausend Euro) und des Beschwerdeführers zu III. auf 80.000 EUR (in Worten: achtzigtausend Euro) festgesetzt. Für das Verfahren betreffend den Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung wird der Gegenstandswert der anwaltlichen Tätigkeit der Bevollmächtigten des Beschwerdeführers zu I. auf 4.000 EUR (in Worten: viertausend Euro) und der Beschwerdeführer zu II. auf 8.000 EUR (in Worten: achttausend Euro) festgesetzt.
Tatbestand
I.
1. a) Der Beschwerdeführer zu I. wurde als einer von vier Angeklagten durch das Landgericht München II nach vorangegangener Verständigung mit Urteil vom 9. März 2010 wegen gemeinschaftlichen gewerbs- und bandenmäßigen Betruges in 259 tatmehrheitlichen Fällen in Tateinheit mit vier Fällen der Beihilfe zum vorsätzlichen unerlaubten Betreiben eines Bankgeschäfts zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von sechs Jahren verurteilt.
b) Die Beschwerdeführer zu II. wurden durch das Landgericht München II nach vorangegangener Verständigung mit Urteil vom 27. April 2010 wegen gemeinschaftlichen gewerbsmäßigen Betruges in 27 tatmehrheitlichen Fällen jeweils in Tateinheit mit vorsätzlichem gemeinschaftlichen unerlaubten Betreiben eines Bankgeschäfts zu Gesamtfreiheitsstrafen von drei Jahren und sechs Monaten (Beschwerdeführer zu II. 1)) und drei Jahren und vier Monaten (Beschwerdeführer zu II. 2)) verurteilt.
c) Der Beschwerdeführer zu III., ein Polizeibeamter, wurde als einer von zwei Angeklagten durch das Landgericht Berlin nach vorangegangener Verständigung mit Urteil vom 15. März 2011 wegen zweier Fälle des schweren Raubes und wegen Sachbeschädigung zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von zwei Jahren verurteilt, deren Vollstreckung zur Bewährung ausgesetzt wurde.
d) Die Revisionen der Beschwerdeführer wurden vom Bundesgerichtshof jeweils durch Beschluss nach § 349 Abs. 2 StPO als unbegründet verworfen.
2. Alle vier Beschwerdeführer legten gegen die sie betreffenden Entscheidungen Verfassungsbeschwerde ein, die Beschwerdeführer zu I. und II. darüber hinaus mittelbar gegen § 257c StPO. Die Beschwerdeführer zu II. werden vor dem Bundesverfassungsgericht durch denselben Bevollmächtigten vertreten.
3. Mit Beschlüssen vom 22. Mai 2012 und vom 21. Juni 2012 hat die 1. Kammer des Zweiten Senats auf Antrag der sich zu dieser Zeit in Strafhaft befindenden Beschwerdeführer zu I. und II. die Vollstreckung aus den angegriffenen Urteilen des Landgerichts München II bis zur Entscheidung über die Verfassungsbeschwerden, längstens für sechs Monate, einstweilen ausgesetzt und die notwendigen Auslagen der Beschwerdeführer zu I. und II. für das Verfahren der einstweiligen Anordnung jeweils dem Freistaat Bayern auferlegt. Mit Beschlüssen vom 22. Oktober 2012 und vom 5. Dezember 2012 hat der Senat auf Antrag der Beschwerdeführer zu I. und II. die einstweiligen Anordnungen wiederholt.
4. Mit Urteil vom 19. März 2013 verband der Zweite Senat des Bundesverfassungsgerichts die Verfahren zur gemeinsamen Entscheidung.
Der Senat stellte hinsichtlich der Beschwerdeführer zu I. und II. fest, dass diese durch die sie betreffenden Beschlüsse des Bundesgerichtshofs und die Urteile des Landgerichts München II in ihrem Grundrecht aus Art. 2 Abs. 1 in Verbindung mit Art. 20 Abs. 3 GG verletzt werden, hob die Beschlüsse des Bundesgerichtshofs auf, soweit sie die Beschwerdeführer betreffen, und verwies die Sachen jeweils in diesem Umfang an den Bundesgerichtshof zurück. Im Übrigen wies der Senat die Verfassungsbeschwerden der Beschwerdeführer zu I. und II. zurück. Die notwendigen Auslagen der Beschwerdeführer zu I. und II. wurden jeweils zur Hälfte der Bundesrepublik Deutschland und dem Freistaat Bayern auferlegt.
Hinsichtlich des Beschwerdeführers zu III. stellte der Senat fest, dass dieser durch den ihn betreffenden Beschluss des Bundesgerichtshofs und das Urteil des Landgerichts Berlin in seinen Grundrechten aus Art. 1 Abs. 1 und Art. 2 Abs. 1 in Verbindung mit Art. 20 Abs. 3 GG verletzt wird, hob die Entscheidungen auf, soweit sie den Beschwerdeführer zu III. betreffen, und verwies die Sache in diesem Umfang an das Landgericht Berlin zurück. Die notwendigen Auslagen des Beschwerdeführers zu III. wurden jeweils zur Hälfte der Bundesrepublik Deutschland und dem Land Berlin auferlegt.
Entscheidungsgründe
II.
Mit Schriftsatz vom 27. März 2013 beantragte der Bevollmächtigte des Beschwerdeführers zu I., Rechtsanwalt Prof. Dr. W…, auch im Namen des weiteren Bevollmächtigten Prof. Dr. Dr. h.c. mult. Sch…, den Gegenstandswert im Verfahren 2 BvR 2628/10 für die Verfassungsbeschwerde auf nicht unter 100.000 EUR und für die einstweilige Anordnung auf nicht unter 25.000 EUR festzusetzen.
Mit Schriftsatz vom 28. März 2013 beantragte der Bevollmächtigte der Beschwerdeführer zu II., Rechtsanwalt Prof. Dr. W…, den Gegenstandswert im Verfahren 2 BvR 2883/10 für die Verfassungsbeschwerde auf nicht unter 100.000 EUR und für die einstweilige Anordnung auf nicht unter 32.000 EUR festzusetzen.
Mit Schriftsatz vom 2. Juli 2013 beantragte der Bevollmächtigte des Beschwerdeführers zu III., Rechtsanwalt Sch…, den Gegenstandswert für das Verfahren 2 BvR 2155/11 festzusetzen.
III.
1. Im Verfassungsbeschwerdeverfahren ist der Gegenstandswert gemäß § 37 Abs. 2 Satz 2 in Verbindung mit § 14 Abs. 1 RVG im Einzelfall unter Berücksichtigung aller Umstände, vor allem des Umfangs und der Schwierigkeit der anwaltlichen Tätigkeit, der Bedeutung der Angelegenheit und der Einkommens- und Vermögensverhältnisse des Auftraggebers, nach billigem Ermessen zu bestimmen; er beträgt mindestens 4.000 EUR (vgl. zu den einzelnen Bemessungskriterien BVerfGE 79, 365 ≪366 ff.≫).
Verfassungsbeschwerden mehrerer Auftraggeber müssen, auch wenn sie gegen denselben Akt der öffentlichen Gewalt gerichtet sind und demgemäß im Antrag übereinstimmen, nicht denselben Gegenstandswert haben, denn mit der Verfassungsbeschwerde kann nur die subjektive Beschwer des jeweiligen Beschwerdeführers in einem Grundrecht oder grundrechtsähnlichen Recht geltend gemacht werden. Diese subjektive verfassungsrechtliche Beschwer bestimmt den Gegenstandswert des Verfahrens. Im Falle der Vertretung mehrerer Beschwerdeführer, die gemeinschaftlich Verfassungsbeschwerde erheben, handelt es sich jedoch um dieselbe Angelegenheit, weshalb die Werte der jeweiligen subjektiven Interessen gemäß § 22 Abs. 1 RVG zusammengerechnet werden (vgl. BVerfGE 96, 251 ≪257 f.≫).
Das Verfahren betreffend den Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung nach § 32 BVerfGG bildet nach § 17 Nr. 4 Buchstabe b RVG eine eigene Angelegenheit, für die der Gegenstandswert gesondert festzusetzen ist.
2. Die Bedeutung der Sache ist in subjektiver Hinsicht nicht nur anhand der unmittelbar verfolgten Ziele des Auftraggebers zu bemessen, sondern auch nach den weiteren Auswirkungen auf seine wirtschaftlichen Verhältnisse, auf seine Stellung und sein Ansehen (vgl. BVerfGE 79, 365 ≪367≫).
Im vorliegenden Verfahren war das Ziel der Beschwerdeführer, eine Aufhebung ihrer Verurteilung zu zeitigen Freiheitsstrafen – im Falle der Beschwerdeführer zu I. und II. im nicht mehr bewährungsfähigen Bereich – zu erreichen, im Vergleich zu anderen Verfassungsbeschwerden aus dem Bereich des Strafrechts und des Strafverfahrensrechts von überdurchschnittlichem Gewicht. Besondere Auswirkungen auf die wirtschaftlichen Verhältnisse, die Stellung und das Ansehen der Beschwerdeführer, die über dasjenige hinausgehen, was jede Vollstreckung einer Freiheitsstrafe mit sich bringt, sind im Fall der Beschwerdeführer zu I. und II. nicht ersichtlich. Für den Beschwerdeführer zu III. hat die Verhängung einer Freiheitsstrafe von zwei Jahren trotz Aussetzung der Vollstreckung zur Bewährung den Verlust der Beamtenrechte zur Folge (vgl. § 24 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 BeamtStG). Dies rechtfertigt für das Verfassungsbeschwerdeverfahren eine nach Strafhöhe und Auswirkungen der Verurteilung gestaffelte Anhebung des gesetzlichen Mindestwertes von 4.000 EUR auf 30.000 EUR für den Beschwerdeführer zu I. und auf jeweils 20.000 EUR für die Beschwerdeführer zu II. und III. Im Verfahren 2 BvR 2883/10 ergibt sich somit aufgrund des Vorhandenseins zweier Beschwerdeführer ein Gesamtwert von 40.000 EUR.
Für die Verfahren der einstweiligen Anordnung, die allein den Aufschub der Vollstreckung der gegen die Beschwerdeführer zu I. und II. verhängten Freiheitsstrafen zum Ziel hatten, erscheint dagegen jeweils der gesetzliche Mindestwert von 4.000 EUR pro Beschwerdeführer angemessen. Im Verfahren 2 BvR 2883/10 ergibt sich somit ein Gesamtwert von 8.000 EUR.
3. Neben den subjektiven Interessen des Auftraggebers muss auch der objektiven Bedeutung des verfassungsgerichtlichen Verfahrens, die über die übliche Rechtsschutzfunktion der dritten Gewalt deutlich hinausgeht, bei der Bemessung des Gegenstandswerts Rechnung getragen werden. Weist die objektive Seite des Falles im Verhältnis zum subjektiven Interesse eigenständiges Gewicht auf, führt das regelmäßig zu einer Erhöhung des Ausgangswerts, und zwar – je nach Wichtigkeit – bis zu einer Vervielfachung. Je stärker die Flächenwirkung der angestrebten Entscheidung ist und je größer die Zahl der denkbaren Fälle ist, für die sie relevant sein kann, desto höher wird ihr Wert zu veranschlagen sein. Die objektive Bedeutung ist dagegen geringer zu veranschlagen, wenn die verfassungsgerichtliche Entscheidung in der Sache nicht abschließender Natur ist, also den Ausgangsstreit nicht endgültig erledigt. Ebenso ist in diesem Zusammenhang der „Erfolg” der Verfassungsbeschwerde zu berücksichtigen (vgl. BVerfGE 79, 365 ≪367 ff.≫).
Der Senat hat sich in seinem Urteil grundlegend mit der Verfassungsmäßigkeit des seit mehr als drei Jahrzehnten verbreiteten Phänomens der Verständigung im Strafprozess auseinandergesetzt. Die Entscheidung betrifft potentiell jedes Strafverfahren und ist daher für die strafprozessuale Praxis von erheblicher Bedeutung. Wertmindernd zu berücksichtigen ist allerdings, dass das Urteil aufgrund der Zurückverweisung an den Bundesgerichtshof beziehungsweise an das Landgericht Berlin nicht zu einer endgültigen Erledigung der Ausgangsverfahren geführt hat. Auch hatten die Verfassungsbeschwerden nur hinsichtlich der Grundrechtsverletzungen im gerichtlichen Verfahren Erfolg, nicht dagegen im Hinblick auf die ebenfalls gerügte Verfassungswidrigkeit des § 257c StPO. Danach erscheint hier im Hauptsacheverfahren eine Vervierfachung der nach der subjektiven Bedeutung sich ergebenden Werte auf 120.000 EUR für den Beschwerdeführer zu I., 160.000 EUR für die Beschwerdeführer zu II. und 80.000 EUR für den Beschwerdeführer zu III. angemessen.
Für das Verfahren der einstweiligen Anordnung ist zu berücksichtigen, dass die hierauf gerichteten Anträge zwar in vollem Umfang erfolgreich waren, eine Klärung verfassungsrechtlich relevanter Fragen jedoch ausschließlich im Hauptsacheverfahren stattgefunden hat. Eine Werterhöhung aufgrund der objektiven Bedeutung erscheint daher insoweit nicht gerechtfertigt.
4. Umfang und Schwierigkeit der anwaltlichen Tätigkeit müssen in Relation zu der Bedeutung der Sache gesehen werden. Weil mit dem wachsenden Gewicht einer Sache regelmäßig auch die Belastung des Verfahrensbevollmächtigten steigt, führte eine von der Bedeutung der Sache losgelöste Einschätzung der anwaltlichen Tätigkeit gleichsam zu einer zweifachen Berücksichtigung ein und desselben Gesichtspunkts. Ist der anwaltliche Arbeitsaufwand von Zeit und Intensität her der Bedeutung der Sache angemessen, muss es daher bei der bisherigen Bewertung bleiben. Geht der Aufwand darüber hinaus, bedingt entweder durch die Eigenart der Angelegenheit oder durch besonders sorgfältige oder gehaltvolle Arbeit, rechtfertigt das eine Werterhöhung, wie auf der anderen Seite nachlässige Arbeit oder eine im Verhältnis zu ihrem Gewicht wenig Aufwand erfordernde Sache eine Wertreduzierung gebietet (vgl. BVerfGE 79, 365 ≪369≫).
In den Verfassungsbeschwerdeverfahren 2 BvR 2628/10 und 2 BvR 2883/10 entsprachen Aufwand und Qualität der anwaltlichen Tätigkeit der hohen Bedeutung der Sache. Dagegen blieb der anwaltliche Aufwand im Verfahren 2 BvR 2155/11 hinter der Bedeutung der Sache zurück, da in den Schriftsätzen keine nennenswerte Auseinandersetzung mit der verfassungsrechtlichen Problematik der Verständigung erfolgte. Da indes sämtlichen Bevollmächtigten durch die mündliche Verhandlung zusätzlicher Aufwand entstanden ist, erscheint im Verfahren 2 BvR 2155/11 im Ergebnis eine Beibehaltung des bisher errechneten Gegenstandswerts und in den Verfassungsbeschwerdeverfahren 2 BvR 2628/10 und 2 BvR 2883/10 eine geringfügige Anhebung um jeweils 20.000 EUR gerechtfertigt.
5. Die Berücksichtigung der Einkommens- und Vermögensverhältnisse des Beschwerdeführers dient ebenfalls nur der Korrektur des bereits gefundenen Wertes unter sozialen Aspekten. Durchschnittliche Vermögens- und Einkommensverhältnisse führen somit zu keiner Wertänderung, sondern nur solche, die deutlich aus dem Rahmen fallen. Das Bundesverfassungsgericht ermittelt allerdings nicht von sich aus die wirtschaftlichen Verhältnisse des jeweiligen Beschwerdeführers, sondern verwertet nur die Informationen, die ihm anlässlich des Verfahrens oder mit dem Antrag auf Gegenstandswertfestsetzung zuteil geworden sind (vgl. BVerfGE 79, 365 ≪370≫).
Im vorliegenden Verfahren ist zu den Einkommens- und Vermögensverhältnissen der Beschwerdeführer nichts vorgetragen oder sonst bekannt geworden, das sich auf die Festsetzung des Gegenstandswerts auswirken müsste.
Unterschriften
Voßkuhle, Lübbe-Wolff, Gerhardt, Landau, HuberHermanns, Müller, Kessal, Wulf
Fundstellen