Entscheidungsstichwort (Thema)
Wettbewerbsrechtliche Verurteilung eines Optikers wegen des Angebots der berührungslosen Augeninnendruckmessung und und computergesteuterten Gesichtsfeldmessung
Beteiligte
Rechtsanwälte Prof. Dr. Konrad Redeker und Koll. |
Verfahrensgang
Tenor
1. Das Urteil des Bundesgerichtshofs vom 10. Dezember 1998 – I ZR 137/96 – verletzt die Beschwerdeführerin in ihrem Grundrecht aus Artikel 12 Absatz 1 des Grundgesetzes. Es wird aufgehoben.
Das Verfahren wird an den Bundesgerichtshof zurückverwiesen.
2. Die Bundesrepublik Deutschland hat der Beschwerdeführerin die ihr entstandenen notwendigen Auslagen zu erstatten.
Tatbestand
I.
Die Beschwerdeführerin, die ein Optikergeschäft betreibt, wendet sich gegen eine wettbewerbsrechtliche Verurteilung wegen ihres Angebots der berührungslosen Augeninnendruckmessung und Gesichtsfeldprüfung mittels Computermessung.
1. Gemäß § 1 Abs. 1 des Gesetzes über die berufsmäßige Ausübung der Heilkunde ohne Bestallung (Heilpraktikergesetz) vom 17. Februar 1939 (RGBl I S. 251; BGBl III 2122-2), geändert durch Art. 53 EGStGB vom 2. März 1974 (BGBl I S. 469) – HeilprG –, bedarf der Erlaubnis, wer die Heilkunde ausüben will, ohne als Arzt bestallt zu sein. Nach § 1 Abs. 2 HeilprG ist Ausübung der Heilkunde im Sinne dieses Gesetzes jede berufs- oder gewerbsmäßig vorgenommene Tätigkeit zur Feststellung, Heilung oder Linderung von Krankheiten, Leiden oder Körperschäden bei Menschen, auch wenn sie im Dienste von anderen ausgeübt wird.
2. Die Zentrale zur Bekämpfung unlauteren Wettbewerbs e.V. beanstandete das Angebot und die Durchführung von berührungslosen Augeninnendruckmessungen (Tonometrie), Gesichtsfeldprüfungen mittels Computermessung (automatische Perimetrie), Prüfungen des Dämmerungssehens und der Blendempfindlichkeit im Optikergeschäft der Beschwerdeführerin sowie – die Prüfung des Gesichtsfeldes ausgenommen – die Werbung für diese Leistungen als einen Verstoß gegen § 1 des Gesetzes gegen den unlauteren Wettbewerb – UWG – in Verbindung mit § 1 Abs. 2 HeilprG. Sie begehrte von der Beschwerdeführerin Unterlassung, weil es sich dabei um Augenärzten vorbehaltene Heilbehandlungen handele. Sie hat hilfsweise verlangt, diese Tätigkeiten und die Werbung hierfür zu verbieten, wenn die Kunden vor der Durchführung der Maßnahme bzw. in der Werbung nicht darauf hingewiesen werden, dass nur eine Untersuchung durch den Augenarzt zuverlässig einen krankhaften Befund am Auge ausschließen könne und/oder wenn die Beschwerdeführerin den Kunden nach Durchführung der Maßnahme sinngemäß mitteile, es habe sich ein normaler Befund ergeben.
Das Landgericht hat dem Unterlassungsbegehren im Wesentlichen stattgegeben. Das Oberlandesgericht hat das Urteil des Landgerichts teilweise abgeändert und der Beschwerdeführerin nur noch insoweit untersagt, Tonometrie und Perimetrie anzubieten, durchzuführen sowie hierfür zu werben, als sie die Kunden zuvor nicht darauf hinweist, dass nur eine Untersuchung durch den Augenarzt zuverlässig einen krankhaften Befund ausschließen kann.
Der Bundesgerichtshof hat im Wesentlichen das Urteil des Landgerichts wieder hergestellt. Das Anbieten und Durchführen der Tonometrie und der automatischen Perimetrie sowie die Werbung für diese Dienstleistungen stellten einen Verstoß gegen § 1 UWG in Verbindung mit § 1 Abs. 2 HeilprG dar. Da die Begriffsbestimmung für die Heilkundeausübung nach § 1 Abs. 2 HeilprG ihrem Wortlaut nach sehr weit gefasst sei, erfordere die im Blick auf Art. 12 Abs. 1 GG gebotene verfassungskonforme Auslegung Einschränkungen. Vom Ausübungsverbot würden nur Tätigkeiten erfasst, die ärztliche Fachkenntnisse voraussetzten und gesundheitliche Schädigungen zur Folge haben könnten, wobei auch nur mittelbare Gesundheitsgefährdungen genügten, etwa dadurch, dass frühzeitiges Erkennen ernster Leiden verzögert werden könne, sofern die Wahrscheinlichkeit einer solchen Gefährdung nicht nur geringfügig sei. Von der Tonometrie und der automatischen Perimetrie könnten gesundheitliche Gefahren ausgehen, weil ein Kunde, der keine subjektiven Beschwerden habe, tatsächlich aber an einer Augenkrankheit leide, wegen eines angeblich normalen Befundes davon abgehalten werden könnte, einen Arzt aufzusuchen. Der vom Oberlandesgericht für ausreichend gehaltene Hinweis, dass nur eine Untersuchung durch den Augenarzt zuverlässig einen krankhaften Befund ausschließen könne, führe zu keiner anderen Beurteilung, da davon auszugehen sei, dass viele Betroffene bei einem unauffälligen Befund doch mit einem Gefühl trügerischer Sicherheit darauf vertrauten, dass schon alles in Ordnung sei. Damit sei die naheliegende Gefahr verbunden, dass schwere Erkrankungen des Auges, die bereits im Frühstadium einer Behandlung bedürften, zunächst unerkannt blieben.
3. Mit ihrer fristgerecht erhobenen Verfassungsbeschwerde rügt die Beschwerdeführerin die Verletzung ihrer Grundrechte aus Art. 12 Abs. 1, Art. 5 und Art. 3 Abs. 1 GG durch die angegriffene Entscheidung des Bundesgerichtshofs. Das Verbot des Angebots und der Durchführung der Tonometrie und der automatischen Perimetrie verletze sie in ihrer Berufsausübungsfreiheit. Für dieses Verbot fehle es bereits an der hinreichend bestimmten gesetzlichen Ermächtigungsgrundlage. Darüber hinaus sei das Verbot unverhältnismäßig; die Gefahren der Untersuchungen seien gering, ihre Vorteile erheblich. Selbst wenn der Hinweis, dass nur eine Untersuchung durch den Augenarzt zuverlässig einen krankhaften Befund ausschließen könne, nicht ausreiche, um Gefahren für die Kunden auszuschließen, hätte der Bundesgerichtshof sich mit der Frage auseinandersetzen müssen, ob ein modifizierter Hinweis anstelle eines generellen Tätigkeitsverbots in Betracht gekommen wäre.
4. Zu der Verfassungsbeschwerde haben sich unter anderem das Bundesverwaltungsgericht und die Berufsverbände der Augenärzte und der Augenoptiker geäußert.
a) Nach der Stellungnahme des Bundesverwaltungsgerichts sind in der Rechtsprechung des Gerichts Zweifel an der hinreichenden Bestimmtheit von § 1 HeilprG nicht aufgetreten. Ob sich auf der Grundlage dieser Vorschrift das Verbot der Tonometrie und der automatischen Perimetrie durch den Optiker rechtfertigen lasse, erscheine sehr zweifelhaft. Es sei allgemein bekannt, dass der überhöhte Augeninnendruck, der ein wesentlicher Risikofaktor für das Entstehen eines Glaukoms sei, keine Beschwerden verursache. Es sei nicht zu erkennen, welcher Anlass für einen subjektiv beschwerdefreien Kunden bestehen sollte, einen Augenarzt aufzusuchen. Es erscheine weit wahrscheinlicher, dass durch die der Beschwerdeführerin untersagten Untersuchungen Anzeichen für eine bestehende oder drohende Augenerkrankung aufgedeckt und der dann erforderlichen ärztlichen Überprüfung zugeführt würden, als dass umgekehrt ein Kunde durch ein im Normbereich liegendes Untersuchungsergebnis von einem ansonsten in Betracht gezogenen Arztbesuch abgehalten würde.
b) Nach Auffassung des Zentralverbandes der Augenoptiker ist der Nutzen von Tonometrie und Perimetrie hoch. Die große Zahl leicht erreichbarer Augenoptikerbetriebe ermögliche es, dass breite Bevölkerungskreise ohne Wartezeiten den wichtigsten Risikofaktor für das Vorliegen eines Glaukoms ermitteln lassen könnten. Die Gefahr, dass sich Kunden mit „normalem” Messergebnis in Sicherheit wögen, sei gering, weil die Augenoptiker ihre Kunden umfassend und konkret darüber informierten, dass auch ein normaler Messwert nicht bedeute, dass eine Erkrankung ausgeschlossen werden könne. Im Allgemeinen werde kein Arzt vorsorglich aufgesucht, weil die Bevölkerung über die Gefahren eines Glaukoms nicht aufgeklärt sei und Augenärzte die Glaukom-Vorsorgeuntersuchung meist nicht als Kassenleistung anböten.
c) Nach der Stellungnahme des Bundesverbandes Deutscher Augenoptiker sind sowohl die Tonometrie als auch die Perimetrie rein physikalisch-technische Messverfahren und stellen damit keine Ausübung der Heilkunde dar. Mit einem Verbot der optometrischen Messungen durch den Optiker würde sich die bestehende Screening-Situation verschlechtern.
d) Nach Ansicht des Berufsverbandes der Augenärzte Deutschlands e.V. haben Augeninnendruckmessung und überschwellige Schnellperimetrie nur einen begrenzten Nutzen. Die Ergebnisse müssten ärztlich befundet werden. In Kürze werde für bestimmte Risikogruppen die Früherkennung von Glaukomen in den Leistungskatalog der gesetzlichen Krankenkassen aufgenommen. Die in Aussicht genommene Früherkennungsuntersuchung solle aus einer Kombination von Augeninnendruckmessung und Sehnervbeurteilung bestehen.
Entscheidungsgründe
II.
Die Kammer nimmt die Verfassungsbeschwerde zur Entscheidung an, weil dies zur Durchsetzung der in § 90 Abs. 1 BVerfGG genannten Rechte angezeigt ist (§ 93 a Abs. 2 Buchstabe b BVerfGG). Auch die weiteren Voraussetzungen des § 93 c Abs. 1 BVerfGG sind gegeben. Die angegriffene Entscheidung verletzt die Beschwerdeführerin in ihrer Berufsausübungsfreiheit (Art. 12 Abs. 1 GG). Die Beschwerdeführerin kann sich als juristische Person des Privatrechts auf Art. 12 Abs. 1 GG berufen (vgl. BVerfGE 21, 261 ≪266≫; 97, 228 ≪253≫).
1. Das Bundesverfassungsgericht hat die maßgeblichen verfassungsrechtlichen Fragen bereits entschieden. Eingriffe in die Freiheit der Berufsausübung erfordern danach nicht nur eine gesetzliche Grundlage, sondern sind nur dann mit Art. 12 Abs. 1 GG vereinbar, wenn sie durch hinreichende Gründe des Gemeinwohls gerechtfertigt werden, wenn die gewählten Mittel zur Erreichung des verfolgten Zwecks geeignet und auch erforderlich sind und wenn bei einer Gesamtabwägung zwischen der Schwere des Eingriffs und dem Gewicht der ihn rechtfertigenden Gründe die Grenze der Zumutbarkeit noch gewahrt wird (vgl. BVerfGE 30, 292 ≪316 ff.≫; 61, 291 ≪312≫; 68, 155 ≪171≫; 99, 202 ≪211≫). Im Sinne dieser Rechtsprechung ist das Ziel des Heilpraktikergesetzes, die Volksgesundheit durch einen Erlaubniszwang für Heilbehandler ohne Bestallung zu schützen, durch Art. 12 Abs. 1 GG gedeckt. Bei der Gesundheit der Bevölkerung handelt es sich um ein besonders wichtiges Gemeinschaftsgut, zu dessen Schutz eine solche subjektive Berufszulassungsschranke nicht außer Verhältnis steht (vgl. BVerfGE 78, 179 ≪192≫).
2. Grundlage der angegriffenen Entscheidung sind § 1 HeilprG und § 1 UWG. Auslegung und Anwendung dieser Bestimmungen können vom Bundesverfassungsgericht – abgesehen von Verstößen gegen das Willkürverbot – nur darauf überprüft werden, ob sie Auslegungsfehler enthalten, die auf einer grundsätzlich unrichtigen Anschauung von der Bedeutung des betroffenen Grundrechts, insbesondere vom Umfang seines Schutzbereichs, beruhen. Das ist der Fall, wenn die von den Fachgerichten vorgenommene Auslegung der Normen die Tragweite des Grundrechts nicht hinreichend berücksichtigt oder im Ergebnis zu einer unverhältnismäßigen Beschränkung der grundrechtlichen Freiheiten führt (vgl. BVerfGE 18, 85 ≪92 f., 96≫; 85, 248 ≪257 f.≫; 87, 287 ≪323≫).
So liegt es hier. Die angegriffene Entscheidung wird dem Maßstab des Art. 12 Abs. 1 GG nicht gerecht.
a) Entgegen der Auffassung der Beschwerdeführerin handelt es sich bei § 1 HeilprG um eine hinreichend bestimmte gesetzliche Verbotsregelung. Dies beruht – wie auch das Bundesverwaltungsgericht in seiner Stellungnahme ausführt – darauf, dass der Begriff „Ausübung der Heilkunde” ausdrücklich definiert ist. Dass die Begriffsbestimmung in § 1 Abs. 2 HeilprG von der Rechtsprechung im Hinblick auf Art. 12 Abs. 1 GG verfassungskonform restriktiv ausgelegt wird, überschreitet nicht den Rahmen üblicher Gesetzesauslegung und ist in Bezug auf die Bestimmtheit der Regelung nicht zu beanstanden. Ebenso entspricht es Wortlaut und Sinn von § 1 HeilprG, solche Verrichtungen, die – für sich gesehen – ärztliche Fachkenntnisse nicht voraussetzen, als Ausübung der Heilkunde zu qualifizieren, wenn sie mittelbar die Gesundheit gefährden, beispielsweise weil frühzeitiges Erkennen ernster Leiden verzögert wird.
b) Der Bundesgerichtshof hält eine solche mittelbare Gefahr trotz der vom Oberlandesgericht angeordneten Hinweispflicht für gegeben. Dabei handelt es sich um eine Würdigung eines tatsächlichen Sachverhalts, die Sache der Fachgerichte ist und vom Bundesverfassungsgericht nicht nachgeprüft wird (vgl. BVerfGE 18, 85 ≪92≫). Unter verfassungsrechtlichen Gesichtspunkten kommt es nur darauf an, ob das generelle Verbot der Tonometrie und der Perimetrie sowie die Werbung hierfür die Beschwerdeführerin in ihrer Berufsausübungsfreiheit verletzt. Dies ist hier der Fall. Wird der Eingriff in die Berufsausübungsfreiheit in Gestalt eines Tätigkeitsverbots nur mit mittelbaren Gefahren für die Volksgesundheit begründet, entfernen sich Verbot und Schutzgut so weit voneinander (vgl. hierzu BVerfGE 85, 248 ≪261≫), dass bei der Abwägung besondere Sorgfalt geboten ist. Die Gefahren müssen hinlänglich wahrscheinlich und die gewählten Mittel eindeutig erfolgversprechend sein. Diesen Anforderungen genügt die angegriffene Entscheidung nicht.
aa) Vorliegend lassen sich kaum vernünftige Erwägungen des Gemeinwohls dafür finden, Angebot und Ankündigung von Tonometrie und Perimetrie generell zu verbieten und den aufklärenden Hinweisen, dass ein krankhafter Befund zuverlässig nur durch einen Augenarzt ausgeschlossen werden kann, kein Gewicht beizumessen.
Allein die Möglichkeit, dass ein gebotener Arztbesuch unterbleibt, kann nicht ausreichen, um eine mittelbare Gesundheitsgefährdung zu begründen. Diese Gefahr besteht immer, wenn der Patient nicht unter Beschwerden leidet. Wie das Bundesverwaltungsgericht ausgeführt hat, erscheint es plausibel, dass die Wahrscheinlichkeit einer Aufdeckung von vorhandenen oder drohenden Augenerkrankungen nach Durchführung von Tonometrie und Perimetrie durch Augenoptiker – also der Nutzen – größer ist als die Gefahr, dass ein in Wahrheit erkrankter Kunde im Anschluss an eine bei ihm ohne Befund gebliebene Optiker-Untersuchung von einem Besuch beim Augenarzt absieht. Dem in letzterer Hinsicht verbleibenden Risiko kann gerade durch den vom Oberlandesgericht angeordneten aufklärenden Hinweis ausreichend begegnet werden.
Zwar hat das Oberlandesgericht aufgrund der ihm vorliegenden ärztlichen Gutachten festgestellt, dass sowohl Tonometrie als auch Perimetrie nur eine begrenzte Aussagekraft haben: Ein durch Tonometrie festgestellter erhöhter Augeninnendruck sei ein Indiz für ein Glaukom, mehr jedoch nicht. Auch hinsichtlich der Perimetrie gebe ein aus statistischer Sicht im Normbereich liegender Befund noch keine Garantie dafür, dass es sich im Einzelfall um ein unversehrtes Gesichtsfeld handele. Umgekehrt müsse eine Abweichung von der Norm nicht krankheitsbedingt sein. Hinsichtlich dieser begrenzten Aussagekraft unterscheiden sich die genannten Untersuchungen aber nicht von anderen Messungen im Gesundheitssektor. Die Ergebnisse der Messungen zu befunden, bleibt vornehmlich Aufgabe des Arztes. Plausibel erscheint allerdings, dass beim Optiker festgestellte Indizien – wie der erhöhte Augeninnendruck – einem gesundheitsbewussten Menschen Anlass geben, sich von einem Augenarzt untersuchen zu lassen. Bei diesen Patienten kann auch heute schon, selbst wenn es sich um gesetzlich Versicherte handelt, kassenärztlich abgerechnet werden, weil es nicht um eine Vorsorgeuntersuchung, sondern um die Abklärung eines Krankheitsverdachts geht. Die in der Stellungnahme des Berufsverbandes der Augenärzte Deutschlands e.V. angekündigte Änderung des Leistungskatalogs braucht insoweit nicht abgewartet zu werden. Außerdem kann bei unauffälligen Messergebnissen die verbleibende Restunsicherheit, auf die der Kunde vom Optiker hingewiesen wird, zu einer Abklärung beim Augenarzt führen. Danach ist es eher fernliegend, das Verbot der Messungen durch den Optiker als einen Beitrag zur Verbesserung der Volksgesundheit zu werten. Dazu hätte es der Darlegung bedurft, dass die Anzahl der beschwerdefreien Personen, die bisher vorsorglich die Augenärzte konsultiert hat, sich durch das Angebot der Optiker stärker vermindert als die Zahl derjenigen wächst, die nach der Messung durch einen Optiker den Arzt aufsucht. Erst dann wäre überhaupt ein hinlänglicher Bezug zu den der Volksgesundheit drohenden Gefahren hergestellt.
bb) Jedenfalls ist das generelle Verbot der Tonometrie und Perimetrie durch Optiker sowie das diesbezügliche Werbeverbot zum Schutz der Gesundheit der Bevölkerung nicht erforderlich. Der Schutz der Gesundheit der Kunden kann durch die Untersuchung einerseits und durch den vom Oberlandesgericht geforderten aufklärenden Hinweis vor ihrer Durchführung andererseits weit besser gewährleistet werden. Ein Teil der problematischen Fälle wird bei solchen Personen aufgedeckt, die sich zuvor nicht veranlasst sahen, einen Augenarzt aufzusuchen. Bei den übrigen Personen stellt der Optiker zwar keine signifikante Normabweichung fest, weckt aber durch seine Belehrung bei den Betroffenen Problembewusstsein und fördert damit die Möglichkeiten der Früherkennung durch den Arzt. Damit verträgt sich die Annahme des Bundesgerichtshofs nicht, dass viele Betroffene bei einem unauffälligen Befund mit einem Gefühl trügerischer Sicherheit darauf vertrauten, dass schon alles in Ordnung sei. Der Bundesgerichtshof unterschätzt die warnende Belehrung und begründet nicht, inwiefern dieser beschwerdefreie Personenkreis ohne die Untersuchung nicht ohnedies in einer trügerischen Sicherheit lebt. Die naheliegende Gefahr, dass schwere Erkrankungen des Auges, die bereits im Frühstadium einer Behandlung bedürfen, zunächst unerkannt bleiben, ist ohne die Untersuchung durch den Optiker noch größer, der immerhin einen gewissen Anteil richtig erkennt. Erst durch den Hinweis des Optikers wird den Übrigen die generelle Gefährdung bewusst werden, die für bestimmte Risikogruppen eine Vorsorgeuntersuchung angeraten sein lässt. Hierauf und auf das fehlende Problembewusstsein in der Öffentlichkeit hat auch der Berufsverband der Augenärzte Deutschlands e.V. hingewiesen. Danach ist es kein erfolgversprechendes Mittel, Messungen, die an aufklärende Hinweise gebunden sind, zu verbieten, solange den beschwerdefreien Personen das Risiko weitgehend unbekannt ist.
c) Die angegriffene Entscheidung beruht auf dem dargelegten Verstoß gegen Art. 12 Abs. 1 GG, da nicht auszuschließen ist, dass der Bundesgerichtshof im Ausgangsverfahren anders entschieden hätte, wenn er § 1 HeilprG und § 1 UWG verfassungskonform ausgelegt hätte. Die angegriffene Entscheidung ist daher aufzuheben, damit dies nachgeholt werden kann.
3. Auf die übrigen gerügten Verfassungsverstöße ist nicht mehr einzugehen, weil die darauf gestützte Verfassungsbeschwerde darüber hinaus keinen weiter gehenden Erfolg haben könnte.
4. Die Entscheidung über die Auslagenerstattung folgt aus § 34 a Abs. 2 BVerfGG.
Unterschriften
Kühling, Jaeger, Hömig
Fundstellen
Haufe-Index 565176 |
NJW 2000, 2736 |