Verfahrensgang
OLG Celle (Beschluss vom 15.05.2006; Aktenzeichen 2 Ws 116/06) |
LG Hannover (Beschluss vom 23.01.2006; Aktenzeichen 34a KLs 22/05) |
Tenor
Die Verfassungsbeschwerde wird nicht zur Entscheidung angenommen.
Damit erledigt sich der Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung.
Gründe
Die Nichtannahme der Verfassungsbeschwerde beruht auf dem Gesichtspunkt, dass der angegriffene Beschluss des Oberlandesgerichts vom 15. Mai 2006 jedenfalls im Ergebnis zutreffend davon ausgegangen ist, dass das Beschleunigungsgebot in Haftsachen – zumindest bislang – nicht verletzt wurde.
1. Eine Verfahrensverzögerung folgt vor allem nicht aus dem Umstand, dass die Wortprotokolle der Telefongespräche nicht bereits mit Anklageerhebung zur Verfügung standen. Diese lagen mit dem Beginn der Hauptverhandlung vor. Es ist nicht ersichtlich, dass sich diese aufgrund der Erstellung der Wortprotokolle verzögert hat.
2. Auch die weiträumige Terminierung der Hauptverhandlung hat jedenfalls bis zum jetzigen Zeitpunkt nicht zu Verfahrensverzögerungen geführt.
a) Die Hauptverhandlung fand seit dem 8. Dezember 2005 bis zum 22. Juni 2006 an 23 Tagen statt, wobei ein weiterer Sitzungstag wegen Erkrankung eines Richters ausfiel. Das ergibt eine geplante Sitzungsfrequenz von rund 3,7 Tagen pro Monat.
b) Nach der Rechtsprechung der Fachgerichte ist es in so genannten Umfangsverfahren grundsätzlich geboten, zumindest an zwei Tagen in der Woche Termin zur Hauptverhandlung anzuberaumen. Dieser Ansatz trägt den verfassungsrechtlichen Vorgaben des Grundrechts der persönlichen Freiheit Rechnung. Bei absehbar umfangreichen Verfahren wie dem vorliegenden, in denen sich der Angeklagte in Untersuchungshaft befindet, fordert das Beschleunigungsgebot in Haftsachen stets eine vorausschauende, auch größere Zeiträume umgreifende Hauptverhandlungsplanung mit mehr als nur einem durchschnittlichen Hauptverhandlungstag pro Woche (Beschluss der 3. Kammer des Zweiten Senats des Bundesverfassungsgerichts vom 29. Dezember 2005 – 2 BvR 2057/05 –, StV 2006, S. 81 ≪85≫; vgl. auch OLG Celle, Beschluss vom 23. März 2001 – 32 HEs 1/01 –, NdsRpfl 2001, S. 196 unter Hinweis auf ggf. anzuberaumende Sondersitzungstage).
c) Allerdings diente das in der Hauptverhandlung angeordnete Selbstleseverfahren gemäß § 249 Abs. 2 StPO der Entlastung der Hauptverhandlungstermine und damit einer Verfahrensbeschleunigung. Wird aber durch die vorgenommene Verfahrensgestaltung im Ergebnis eine Konzentration des Prozessstoffes erreicht, der derjenigen einer zweimal wöchentlichen Verhandlung entspricht, liegt eine Verletzung des Beschleunigungsgrundsatzes fern. Insoweit kommt es in diesem Verfahrensstadium nicht darauf an, ob die Belastungssituation der Kammer eine höhere Verhandlungsdichte zugelassen hätte.
3. Im Hinblick auf die Beachtung des Beschleunigungsgebots in Haftsachen bedenklich erscheint hingegen die vom Landgericht vorgesehene weiträumige Terminierung auch für die Zeit nach Abschluss des Selbstleseverfahrens. Aufgrund der wertsetzenden Bedeutung des Grundrechts der persönlichen Freiheit (Art. 2 Abs. 2 Satz 2 GG) dürfen erst noch bevorstehende Verzögerungen von völlig ungewisser Dauer nicht anders behandelt werden als bereits eingetretene (vgl. Beschluss der 3. Kammer des Zweiten Senats des Bundesverfassungsgerichts vom 29. November 2005 – 2 BvR 1737/05 –, StV 2006, S. 87 ≪89≫ mit Hinweisen zur fachgerichtlichen Rechtsprechung). Allerdings ist die im Raum stehende Verletzung des Beschleunigungsgebots noch nicht derart verfestigt, dass hierdurch bedingte Verfahrensverzögerungen schon jetzt eindeutig absehbar wären.
a) Die Durchsicht der beigezogenen Strafakten hat ergeben, dass die Kammer immer bemüht war, anderweitig freigewordene Termine für noch anhängige Verfahren zu nutzen. Auch im vorliegenden Verfahren gab der Vorsitzende in der Sitzung vom 2. Juni 2006 bekannt, dass er wegen Erledigung einer anderen Sache fünf weitere Termine anberaumen wolle, die im Zeitraum vom Juni bis Oktober 2006 liegen. Die Nutzung solcher zusätzlichen Termine würde einer künftigen justizbedingten Verfahrensverzögerung entgegenwirken und der Gewährleistung des Beschleunigungsgebots dienen.
b) Sollten die gegenwärtige Anzahl von Sitzungstagen im Monat beibehalten werden und nicht zeitnah weitere Verhandlungstage für das vorliegende Verfahren zur Verfügung gestellt werden können, bestehen erhebliche Bedenken, ob den Erfordernissen des Beschleunigungsgebots noch genügt ist. Für diesen Fall wird auch zu prüfen sein, ob dem Beschleunigungsgebot nicht auch auf andere Weise Rechnung getragen werden kann, z.B. indem die Dauer der jeweiligen Sitzung deutlich über den üblichen Rahmen hinaus erweitert wird. Soweit die Verteidiger die ihnen mittelfristig angebotenen Zusatztermine ablehnen, stellt sich auch die Frage, inwieweit die Verteidiger mit Blick auf das Beschleunigungsgebot verpflichtet werden können, andere – weniger dringliche – Termine zu verschieben, um eine Beschleunigung dieses bereits lang dauernden Verfahrens zu erreichen.
Diese Entscheidung ist unanfechtbar.
Unterschriften
Broß, Osterloh, Mellinghoff
Fundstellen
Haufe-Index 1974850 |
StV 2006, 645 |