Entscheidungsstichwort (Thema)
Räumungsschutz bei Suizidgefahr
Beteiligte
Rechtsanwalt Bernd-Michael Jetter |
Verfahrensgang
LG Stuttgart (Zwischenurteil vom 15.06.2001; Aktenzeichen 2 T 220/01) |
Tenor
Die gegen den Beschwerdeführer gerichtete Zwangsvollstreckung hinsichtlich des Räumungsanspruchs aus dem Urteil des Landgerichts Stuttgart vom 20. Juli 2000 – 25 O 104/00 – wird einstweilen für die Dauer des Verfassungsbeschwerde-Verfahrens, längstens für die Dauer von sechs Monaten, untersagt.
Gründe
Die Verfassungsbeschwerde richtet sich gegen die Versagung von Räumungsschutz nach § 765 a ZPO wegen Suizidgefahr. Das Landgericht ging aufgrund des von ihm eingeholten Sachverständigengutachtens davon aus, dass eine erhebliche Suizidgefahr des Beschwerdeführers bestehe, verneinte die Voraussetzungen für eine sittenwidrige Härte im Sinne des § 765 a ZPO aber im Hinblick darauf, dass der Beschwerdeführer in der Lage sei, frei zu bestimmen, ob er sich seiner derzeitigen persönlichen und wirtschaftlichen Situation durch Suizid entziehen wolle. Der Beschwerdeführer sieht darin eine Verletzung seines Grundrechts aus Art. 2 Abs. 2 Satz 1 GG.
Die Verfassungsbeschwerde ist nach den vorgelegten Unterlagen weder offensichtlich unzulässig noch offensichtlich unbegründet. Bei offenem Ausgang des Verfassungsbeschwerde-Verfahrens hängt die Entscheidung darüber, ob eine einstweilige Anordnung ergeht oder nicht, von einer Folgenabwägung ab. Dabei müssen die Folgen, die eintreten würden, wenn eine einstweilige Anordnung nicht erginge, die Verfassungsbeschwerde aber Erfolg hätte, mit den Nachteilen abgewogen werden, die entstünden, wenn die einstweilige Anordnung erlassen würde, der Verfassungsbeschwerde aber der Erfolg zu versagen wäre (vgl. BVerfGE 94, 334 ≪347≫; 96, 120 ≪128 f.≫; stRspr).
Im vorliegenden Fall fällt diese Folgenabwägung zugunsten des Beschwerdeführers aus. Erginge die einstweilige Anordnung nicht, erwiese sich die Verfassungsbeschwerde aber später als begründet, besteht nach dem bisherigen Erkenntnisstand die konkrete Gefahr einer Selbsttötung des Beschwerdeführers. In der vorgelegten amtsärztlichen Stellungnahme vom 15. Mai 2001 wird ausdrücklich bestätigt, dass im Falle der Zwangsräumung „absolut mit einer Suizidhandlung gerechnet werden” müsse. Erginge die einstweilige Anordnung, hätte die Verfassungsbeschwerde aber später keinen Erfolg, verzögerte sich die Durchsetzung des Räumungstitels für die Gläubigerin. Nach ihren – dem angegriffenen Beschluss zu entnehmenden und danach nicht näher spezifizierten – Angaben im Ausgangsverfahren drohten ihr durch eine Verschiebung des Räumungstermins unter anderem erhebliche wirtschaftliche Schäden. Nach dem vorliegenden Erkenntnisstand ist jedoch davon auszugehen, dass die dem Beschwerdeführer drohenden Nachteile insgesamt schwerer wiegen als diejenigen der Gläubigerin.
Wegen der besonderen Dringlichkeit der Entscheidung hat die Kammer nach § 32 Abs. 2 Satz 2 BVerfGG von einer vorherigen Anhörung der Beteiligten und Äußerungsberechtigten abgesehen.
Unterschriften
Papier, Hömig, Hohmann-Dennhardt
Fundstellen