Verfahrensgang
Tenor
1. Die Beschlüsse des Amtsgerichts Koblenz vom 1. Dezember 2004 – 20 F 414/04 – und des Oberlandesgerichts Koblenz vom 4. Januar 2005 – 13 UF 962/04 – verletzen das betroffene Kind in seinen Grundrechten aus Artikel 6 Absatz 2 und Artikel 2 Absatz 1 in Verbindung mit Artikel 103 Absatz 1 des Grundgesetzes. Die beiden Entscheidungen werden aufgehoben und die Sache an das Oberlandesgericht Koblenz zurückverwiesen. Im Übrigen wird die Verfassungsbeschwerde nicht zur Entscheidung angenommen.
2. Das Land Rheinland-Pfalz hat dem Beschwerdeführer seine notwendigen Auslagen zu erstatten.1. Der Körperschaftsteuerbescheid und der Bescheid über den einheitlichen Gewerbesteuermessbetrag für das Jahr 1994 sowie der Bescheid über die gesonderte Feststellung von Besteuerungsgrundlagen gemäß § 47 KStG zum 31. Dezember 1994, jeweils vom … in Gestalt der Einspruchsentscheidung vom … werden dahin gehend geändert, dass hinsichtlich der Veräußerung des Grundstücks H Straße xxx in X nur noch eine verdeckte Gewinnausschüttung in Höhe von x.xxx.xxx,xx DM (statt bisher x.xxx.xxx,xx DM) angesetzt wird. Die Berechnung der festzusetzenden Steuern und der festzustellenden Besteuerungsgrundlagen wird dem Beklagten übertragen. Im übrigen wird die Klage abgewiesen.
Tatbestand
I.
1. Der Beschwerdeführer wendet sich, handelnd im Namen und im Interesse seines 11-jährigen Sohnes N., gegen Beschlüsse des Amtsgerichts und des Oberlandesgerichts Koblenz, mit denen die Rückführung des Kindes nach Belgien auf der Grundlage des Haager Übereinkommens über die zivilrechtlichen Aspekte internationaler Kindesentführung vom 25. Oktober 1980 (HKiEntÜ) angeordnet beziehungsweise die Beschwerde hiergegen verworfen wurde, sowie gegen Beschlüsse aus dem sich anschließenden Vollstreckungsverfahren.
a) Aus der 1997 geschiedenen Ehe des Beschwerdeführers mit der Kindesmutter – Antragstellerin des Ausgangsverfahrens – gingen eine 1989 geborene Tochter sowie der am 11. Mai 1994 geborene N. hervor. Die elterliche Sorge steht beiden Eltern gemeinsam zu, allerdings wurde der gewöhnliche Aufenthaltsort der Kinder durch Entscheidung des Tribunal de grande instance in Sarreguemines/Frankreich vom 24. Juli 1997 – bestätigt durch Entscheidung der Cour d'appel in Metz/Frankreich vom 22. Juni 1999 – bei der Mutter festgelegt, die zunächst in Frankreich, seit Sommer 2004 in T./Belgien lebt. Am 4. September 2004 holte der Beschwerdeführer das vorliegend betroffene Kind N. bei der Mutter zur Ausübung des Umgangsrechts ab, brachte es jedoch in der Folge nicht mehr aus Deutschland zurück.
b) Die Kindesmutter rief zunächst das Familiengericht St. Wendel an. Dieses erklärte sich, ebenso wie das Familiengericht Saarbrücken, an das es die Sache abgegeben hatte, für unzuständig. Das Saarländische Oberlandesgericht bestimmte mit Beschluss vom 16. September 2004 – 9 WF 100/04 – das Familiengericht Saarbrücken als zuständiges Gericht. Dieses bestellte dem betroffenen Kind am 23. September 2004 eine Verfahrenspflegerin, gab jedoch die Sache im Anhörungstermin am selben Tag an das Amtsgericht Koblenz ab, nachdem sich herausgestellt hatte, dass der Beschwerdeführer mit dem betroffenen Kind im Bezirk des Oberlandesgerichts Koblenz wohnhaft war.
Mit Schreiben vom 12. Oktober 2004 teilte das Amtsgericht Koblenz – ausschließlich – der Verfahrenspflegerin mit, dass „die Pflegerbestellung durch den Wohnsitzwechsel des Kindes gegenstandslos geworden” sei. Einen anderen Verfahrenspfleger bestellten in der Nachfolge weder das Amts- noch das Oberlandesgericht.
c) Mit Beschluss vom 1. Dezember 2004 entsprach das Amtsgericht Koblenz nach Anhörung der Eltern, des betroffenen Kindes, seiner Schwester sowie einer Vertreterin des Jugendamtes dem Rückführungsantrag der Kindesmutter und verpflichtete den Beschwerdeführer, das Kind unverzüglich zurückzuführen. Für den Fall, dass er dieser Verpflichtung nicht bis zum 15. Dezember 2004 nachkomme, verpflichtete es den Beschwerdeführer, das Kind an die Kindesmutter oder eine von ihr bestimmte Person zum Zwecke der Rückführung nach Belgien herauszugeben; insoweit ermächtigte das Gericht den Vollstreckungsbeamten zur Anwendung unmittelbaren Zwanges, zu dem Betreten der Wohnung des Beschwerdeführers und der Hinzuziehung von polizeilichen Vollzugsorganen. Dem Beschwerdeführer wurde für den Fall der Zuwiderhandlung gegen die Verpflichtung aus dem Beschluss die Auferlegung eines Zwangsgeldes in Höhe von 1.000 EUR, ferner die Festsetzung von Zwangshaft bis zu 6 Monaten angedroht. Das Gericht verneinte insbesondere das Vorliegen einer Ausnahme von der Verpflichtung zur sofortigen Rückgabe des Kindes nach Art. 13 HKiEntÜ.
Mit Beschluss vom 4. Januar 2005 wies das Oberlandesgericht nach Anhörung des Beschwerdeführers, der Kindesmutter, des betroffenen Kindes und seiner Schwester die gegen diesen Beschluss eingelegte Beschwerde des Beschwerdeführers zurück, wobei es die Frist zur freiwilligen Rückführung verlängerte. Der Beschwerdeführer hatte den familiengerichtlichen Beschluss unter anderem mit der Begründung angegriffen, dass dem Kind kein Verfahrenspfleger bestellt worden sei. Hierzu führte das Oberlandesgericht aus, dass die Interessen des Kindes ausreichend durch das Jugendamt vertreten seien.
d) In der Nachfolge kam es aufgrund der Weigerung des Kindes, nach Belgien zurückzukehren, zu mehreren Vollstreckungsversuchen der Kindesmutter. Sie unternahm diese auf der Grundlage der Rückführungsentscheidung und weiterer daran anknüpfender und sämtlich ebenfalls vom Beschwerdeführer mit seiner Verfassungsbeschwerde angegriffener Vollstreckungsentscheidungen des Amtsgerichts und des Oberlandesgerichts. Mit Ausnahme des Beschlusses des Amtsgerichts Koblenz vom 20. Mai 2005, durch den das Gericht den Gerichtsvollzieher ermächtigte, notfalls auch Gewalt gegen das Kind durch die Mutter anwenden zu lassen, waren sämtliche Vollstreckungsbeschlüsse und Beschwerdeentscheidungen hierzu ausschließlich gegen den Beschwerdeführer, nicht aber gegen das Kind gerichtet.
2. Mit seiner Verfassungsbeschwerde macht der Beschwerdeführer geltend, er sei wegen eines Interessenwiderstreites zwischen dem Kind und seinen gesetzlichen Vertretern ausnahmsweise befugt, sein Kind vor dem Bundesverfassungsgericht zu vertreten. Bis zur Bestellung des notwendigen Ergänzungspflegers, die er – zugleich im Wege einstweiliger Anordnung – mit Schriftsatz vom 5. Juli 2005 beim Vormundschaftsgericht beantragt habe, könne er als die Sorge ausübende Person die Interessen seines Kindes im verfassungsgerichtlichen Verfahren wahrnehmen. Die Bestellung eines Ergänzungspflegers sei notwendig, da die Kindesmutter keine Veranlassung habe, gegen die ihr günstigen Entscheidungen Verfassungsbeschwerde einzulegen. Die Tatsache, dass das Kind nachhaltig seinen Willen geäußert habe, beim Vater zu bleiben, rechtfertige die Bestellung eines Ergänzungspflegers, der die Interessen des Kindes wahrnehme.
Es bestünden Anhaltspunkte dafür, dass die Hauptsacheentscheidungen gegen die Grundrechte des Kindes verstießen. Die Gerichte hätten unter Verstoß gegen Art. 2 Abs. 1, Art. 1 Abs. 1, Art. 103 Abs. 1 GG dem Kind in der Hauptsache keinen Verfahrenspfleger zur Seite gestellt. Allein die fehlende Bestellung des Verfahrenspflegers führe nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts, unabhängig von der Frage der Kausalität, zur Aufhebung der angegriffenen Entscheidungen. Es könne auch nicht ausgeschlossen werden, dass im Falle einer Pflegerbestellung die Rückführung des Kindes abgelehnt werde. Die Erwägung des Oberlandesgerichts, die Interessen des Kindes seien durch das Jugendamt ausreichend vertreten, verstoße gegen die Grundrechte des Kindes. Das Jugendamt könne nicht die Aufgaben eines Verfahrenspflegers wahrnehmen, da es auch im Rahmen der gerichtlichen Anhörung die gesamte Familie zu unterstützen habe, was es auch, wie aus einem Bericht ersichtlich, getan habe. Auch sei kein Vertreter des Jugendamtes bei der Verhandlung vor dem Oberlandesgericht anwesend gewesen. Ein Verfahrenspfleger hätte Gespräche allein mit dem Kind geführt, um dessen Willen und Interesse zu ermitteln und darzustellen. Deshalb habe der Gesetzgeber in § 50 KJHG [richtig: FGG] die Bestellung eines Verfahrenspflegers ungeachtet der gesetzlich bestimmten Anhörung des Jugendamtes vorgesehen. Das Oberlandesgericht habe nicht hinreichend konkret begründet, warum ein Verfahrenspfleger nicht notwendig sei, so dass schon ein Ermessensfehlgebrauch vorliege.
Dieselben Erwägungen würden auch für die Vollstreckungsverfahren gelten, in denen der Wille und die Interessen des Kindes aus denselben Gründen nicht hinreichend zur Geltung gebracht worden seien.
Die angegriffenen Beschlüsse verstießen auch gegen Art. 2 Abs. 1 in Verbindung mit Art. 1 Abs. 1 GG, weil sie sich über den entgegenstehenden Willen des Kindes hinwegsetzten und das Kindeswohl nachhaltig gefährdeten. Die Gerichte hätten nicht ausreichend begründet, dass das Kind noch nicht die erforderliche Reife erreicht habe, die es ausreichend urteilsfähig erscheinen lasse. Gerichte gingen grundsätzlich davon aus, dass Kinder vom vollendeten 10. Lebensjahr an die erforderliche Reife zur Beurteilung ihres Wohles zuerkannt werde. Das Oberlandesgericht habe sich mit seiner Feststellung, das Kind habe fraglos seinen Wunsch nach Verbleib beim Vater möglichst sicher begründen wollen, in Widerspruch dazu gesetzt, dass es meinte, deutliche Anhaltspunkte über das Äußern aktueller Wünsche zum Verbleib beim Vater nicht feststellen zu können. Die Gerichte hätten den Bericht des Jugendamtes nicht berücksichtigt, der detailliert die Wünsche des Kindes wiedergegeben habe. Erforderlich sei lediglich, dass das Kind die Ernsthaftigkeit seiner Weigerung deutlich mache.
Das Persönlichkeitsrecht des Kindes sei auch dadurch betroffen, dass zum einen Zwangsgelder gegen den Beschwerdeführer mit dem Ziel angeordnet worden seien, den Kindeswillen zu brechen, und zum anderen Gewalt gegen das Kind angewandt werden könne. Der Widerstand des Kindes gegen die Vollstreckungsmaßnahmen hätte die Gerichte zu einer erneuten konkreteren Prüfung einer Kindeswohlgefährdung veranlassen müssen.
Der Beschwerdeführer beantragte zugleich den Erlass einer einstweiligen Anordnung. Insoweit begehrte er, die Vollstreckung aus den Beschlüssen zu untersagen. Dem Antrag stehe nicht entgegen, dass über die Bestellung eines Ergänzungspflegers noch nicht entschieden sei. Vor den Fachgerichten würde keine rechtzeitige Entscheidung mehr erreicht, um die faktische Vollziehung des Herausgabebeschlusses zu verhindern.
Nach Einlegung der Verfassungsbeschwerde teilte der Beschwerdeführer noch mit, dass das Kind am gleichen Tage weggelaufen sei. Es habe einen Abschiedsbrief geschrieben. Dessen Text lautet: „Ich schreibe dir diesen Brief aus hass und aus Angst. Ich bin sehr enttäuscht dass du mich zurück bringst. Ich will lieber sterben als zurück”. Gegen 24.00 Uhr habe er, der Beschwerdeführer, erfahren, dass das Kind beim 20-jährigen Sohn des Beschwerdeführers sei. Die Polizei habe das Kind zwangsweise in die Kinder- und Jugendpsychiatrie eingewiesen. Mit Beschluss vom 8. Juli 2005 genehmigte das Amtsgericht Hermeskeil vorläufig die Unterbringung des Kindes zum Zwecke der Begutachtung in einer geschlossenen Einrichtung, längstens jedoch für 6 Wochen. Das Gericht stützte sich hierbei ausweislich der Entscheidungsgründe auf ein ärztliches Attest des Chefarztes der Kinder- und Jugendpsychiatrie K., aus dem sich ergebe, dass akute Selbstgefährdung bestehe, die nur durch stationäre Behandlung gemindert werden könne. Es sei deshalb anzunehmen, dass der Zustand des Kindes mit ambulanten Mitteln nicht zu stabilisieren sei und die bestehenden Gefahren, insbesondere die Suizidgefahr, nicht mit anderen Mitteln beseitigt werden könne.
Mit Beschluss vom 21. Juli 2005 ordnete das Amtsgericht Hermeskeil dem Kind für das Verfahren zur Erhebung einer Verfassungsbeschwerde einen Ergänzungspfleger bei.
3. Mit Beschluss vom 22. Juli 2005 setzte das Bundesverfassungsgericht im Wege der einstweiligen Anordnung die Vollziehung des Rückführungsbeschlusses des Amtsgerichts vom 1. Dezember 2004 in der Fassung des Beschlusses des Oberlandesgerichts vom 4. Januar 2005 einstweilen aus und ordnete für die Dauer des Verfahrens das Verbleiben des betroffenen Kindes beim Beschwerdeführer an, es sei denn, das Kind sei zu seinem Schutze unterzubringen.
Mit Schreiben vom 8. August 2005 genehmigte der für das Kind bestellte Ergänzungspfleger die Verfassungsbeschwerde. Zur Begründung teilte er mit, dass er mit dem das Kind behandelnden Arzt in der Klinik gesprochen habe, der das Kind als einen lebensbejahenden, intelligenten Jungen geschildert habe. Anschließend habe er mit dem Kind gesprochen. Den Inhalt dieses Gesprächs gab er im Wesentlichen wie folgt wieder: Das Kind sei über den Beschluss des Bundesverfassungsgerichts mehr als erleichtert gewesen, da es befürchtet habe, nach der Entlassung aus der stationären Behandlung wieder nach Belgien zu müssen. Er habe sich durch den Umzug nach Belgien überrumpelt gefühlt. Er wolle nicht in Belgien wohnen, sondern, wenn er schon „ein neues Leben” anfangen müsse, in Deutschland bei seinem Vater. Er wisse ganz genau, was er wolle. Auf die Vollstreckungsversuche des Gerichtsvollziehers angesprochen habe das Kind spontan einen Vogel gezeigt und erklärt, man müsse sich durchsetzen, wenn man etwas haben wolle. Er wolle, dass sein Vater das Recht habe, was seine Mutter jetzt habe. Erst wenn der Vater dieses durchsetzbare Recht habe, sei er bereit, auch die Mutter zu besuchen. Auf seinen Brief angesprochen habe das Kind erklärt, dass es zu keiner Zeit vorgehabt habe, sich etwas anzutun. Es habe das getan, damit Bewegung in die Sache komme.
Das Tribunal de première instance Marche-en-Famenne/Belgien hat mit Entscheidung vom 20. September 2005 den Aufenthalt und Wohnsitz des betroffenen Kindes bei der Kindesmutter belassen und das Umgangsrecht des Beschwerdeführers mit dem Kind einstweilen ausgesetzt.
Mit Beschluss vom 17. Januar 2006 hat das Bundesverfassungsgericht die einstweilige Anordnung vom 22. Juli 2005 für die Dauer von 6 Monaten, längstens jedoch bis zur Entscheidung über die Verfassungsbeschwerde wiederholt.
4. Die Verfassungsbeschwerde ist der rheinland-pfälzischen Landesregierung und der Beteiligten des Ausgangsverfahrens zugestellt worden. Die Kindesmutter hat hierauf mit Schriftsatz vom 26. Januar 2006 beantragt, die Vollziehung des Beschlusses des Amtsgerichts Koblenz vom 1. Dezember 2004 in der Fassung des Beschlusses des Oberlandesgerichts Koblenz vom 4. Januar 2005 wieder herzustellen und darauf hinzuwirken, dass das betroffene Kind zu ihr zurückgeführt wird.
Entscheidungsgründe
II.
Die Kammer nimmt die Verfassungsbeschwerde im Umfang ihrer Zulässigkeit zur Entscheidung an, weil dies zur Durchsetzung der Rechte des betroffenen Kindes aus Art. 6 Abs. 2 und Art. 2 Abs. 1 in Verbindung mit Art. 103 Abs. 1 GG geboten ist. Die Voraussetzungen für eine stattgebende Kammerentscheidung liegen vor (§ 93 a Abs. 2 b, § 93 c Abs. 1 Satz 1 und 2 BVerfGG). Das Bundesverfassungsgericht hat die für die Entscheidung maßgeblichen verfassungsrechtlichen Fragen bereits entschieden. Soweit sie zulässig ist, ist die Verfassungsbeschwerde auch offensichtlich begründet.
1. Die Verfassungsbeschwerde ist indes unzulässig, soweit der Beschwerdeführer sich gegen die Beschlüsse des Amtsgerichts und des Oberlandesgerichts Koblenz im Vollstreckungsverfahren richtet.
a) Mit Ausnahme des Beschlusses des Amtsgerichts Koblenz vom 20. Mai 2005, durch den das Gericht den Gerichtsvollzieher ermächtigte, notfalls auch Gewalt gegen das Kind durch die Mutter anwenden zu lassen, sind sämtliche Vollstreckungsbeschlüsse und Rechtsmittelentscheidungen hierzu ausschließlich gegen den Beschwerdeführer, nicht aber gegen das Kind gerichtet, in dessen Namen und Interesse die Verfassungsbeschwerde erhoben wurde und dessen Grundrechte und grundrechtsgleichen Rechte daher Prüfungsgegenstand des vorliegenden Verfahrens sind. Insoweit fehlt es an einer hinreichenden Darlegung eigener unmittelbarer Betroffenheit des Kindes (§ 90 Abs. 1 BVerfGG), jedenfalls aber an einer substantiierten Darlegung einer möglichen Verletzung seiner Grundrechte (§ 23 Abs. 1 Satz 2, § 92 BVerfGG).
b) Hinsichtlich des Beschlusses des Amtsgerichts vom 20. Mai 2005 kommt der Verfassungsbeschwerde keine grundsätzliche verfassungsrechtliche Bedeutung zu (§ 93 a Abs. 2 a BVerfGG). Es kann dahinstehen, ob das Kind durch diesen Beschluss in seinen Grundrechten verletzt wird und daher eine Annahme zur Durchsetzung seiner Grundrechte angezeigt ist (§ 93 a Abs. 2 b BVerfGG), weil der auf den Rückführungsentscheidungen fußende Beschluss infolge deren Aufhebung wegen Verfassungswidrigkeit nicht mehr als Grundlage von Vollstreckungsmaßnahmen dienen kann.
2. Im Übrigen ist die Verfassungsbeschwerde zulässig.
a) Der Beschwerdeführer war trotz der bestehenden gemeinsamen elterlichen Sorge für das Kind befugt, dieses bei der Einlegung der Verfassungsbeschwerde bis zur Bestellung des – aufgrund des zwischen den Kindeseltern bestehenden Interessenkonflikts erforderlichen (vgl. BVerfGE 72, 122 ≪133 ff.≫) – Ergänzungspflegers zu vertreten. Denn das Kind, das sich selbst noch nicht zu schützen vermochte, musste vor Schaden bewahrt werden. Dieser drohte, da das Kind die Rückführungsentscheidung, die sich auf seinen tatsächlichen Aufenthalt auswirkt und damit einen wichtigen Teilbereich des für es bestehenden Sorgerechtsverhältnisses berührt und daher sein Persönlichkeitsrecht verletzen könnte, wegen seiner Minderjährigkeit nicht selbst angreifen konnte (vgl. BVerfGE 72, 122 ≪136≫; vgl. auch BVerfG, Beschluss der 1. Kammer des Ersten Senats vom 13. Oktober 1994 – 1 BvR 1799/94 –, NJW 1995, S. 2023).
b) Die Verfassungsbeschwerde ist auch fristgerecht eingelegt (§ 93 Abs. 1 Satz 1 BVerfGG), da der für das Kind am 21. Juli 2005 bestellte Ergänzungspfleger die Verfassungsbeschwerde mit am 9. August 2005 eingegangenen Schriftsatz genehmigt hat. Hinsichtlich des Beginns des Laufes der Frist ist auf dessen Kenntnis von den angegriffenen Entscheidungen und nicht auf die des Beschwerdeführers abzustellen (vgl. BVerfGE 75, 201 ≪215≫; 99, 145 ≪156≫).
3. Im Umfang ihrer Zulässigkeit ist die Verfassungsbeschwerde auch offensichtlich begründet, weil das Amtsgericht Koblenz die vom Amtsgericht Saarbrücken bestellte Verfahrenspflegerin durch formloses, den anderen Beteiligten nach Aktenlage nicht mitgeteiltes und auch nicht näher begründetes Schreiben davon in Kenntnis gesetzt hat, „dass die Pflegerbestellung durch den Wohnsitzwechsel des Kindes gegenstandslos geworden ist” und es in der Folge – ebenso wie das Oberlandesgericht Koblenz – unterlassen hat, dem Kind einen Verfahrenspfleger zu bestellen. Diese Verfahrensausgestaltung verletzt die Grundrechte des Kindes aus Art. 6 Abs. 2 und Art. 2 Abs. 1 in Verbindung mit Art. 103 Abs. 1 GG.
a) Der Grundrechtsschutz bestimmt auch die Gestaltung und Anwendung des Verfahrensrechts (vgl. BVerfGE 53, 30 ≪65≫; 55, 171 ≪182≫; 79, 51 ≪66≫; 99, 145 ≪162≫). Aus der verfassungsrechtlichen Verankerung des Kindeswohls in Art. 6 Abs. 2 und Art. 2 Abs. 1 GG in Verbindung mit dem Anspruch auf rechtliches Gehör (Art. 103 Abs. 1 GG) kann sich die Pflicht ergeben, das Kindeswohl verfahrensrechtlich dadurch zu sichern, dass dem Kind bereits im familiengerichtlichen Verfahren ein Pfleger zur Wahrung seiner Interessen zur Seite gestellt wird. Denn die Rückführungsentscheidung ist für das Wohl des Kindes von erheblicher Bedeutung, weil sie sein soziales Umfeld bestimmt und das Kind aus der unmittelbaren Zuwendung des es gegenwärtig betreuenden Elternteiles lösen kann. Deswegen fordern der Grundrechtsschutz des Kindes und sein Anspruch auf rechtliches Gehör eine Verfahrensgestaltung, die eine eigenständige Wahrnehmung der Kindesbelange sicherstellt. Diese Aufgabe obliegt grundsätzlich den Eltern. Haben die Eltern jedoch – etwa durch die rechtswidrige Entführung ihres Kindes – jeweils zu erkennen gegeben, dass sie vornehmlich ihre eigenen Interessen durchsetzen wollen, so könnten ihre Interessen in einen Konflikt zu denen ihres Kindes geraten. In diesem Fall muss dem Kind die Möglichkeit eingeräumt werden, sein eigenes Interesse, das möglicherweise weder von den Eltern noch von dem Gericht zutreffend erkannt und formuliert wird, in einer den Anforderungen des rechtlichen Gehörs entsprechenden Eigenständigkeit im Verfahren geltend zu machen. Dies geschieht bei einem Kind, dessen Alter und Reife eine eigene Wahrnehmung seiner Verfahrensrechte nicht erlaubt, durch einen Vertreter, den § 50 FGG als Verfahrenspfleger vorsieht. In einer solchen Situation keinen Pfleger zu bestellen, verletzt die Grundrechte des Kindes aus Art. 6 Abs. 2 und Art. 2 Abs. 1 in Verbindung mit Art. 103 Abs. 1 GG (vgl. BVerfGE 99, 145 ≪163≫). Diese für den Fall gegenläufiger Kindesentführungen oder Rückführungsanträge aufgestellten allgemeinen Grundsätze für die Bestellung eines Verfahrenspflegers beanspruchen auch in anderen Verfahren über die Kindesrückführung Geltung, wenn daran zu zweifeln ist, dass die Eltern das Verfahren auch wirklich im Interesse des Kindes führen.
Das Haager Kindesentführungsübereinkommen geht zwar typisierend und verfassungsrechtlich unbedenklich (vgl. BVerfGE 99, 145 ≪158 f.≫) davon aus, dass der zurückgelassene Elternteil trotz seiner typischerweise hohen emotionalen Belastung regelmäßig mit seinem Rückführungsantrag das wohlverstandene Kindesinteresse wahrnimmt. Liegen aber im Einzelfall konkrete Umstände für die Annahme vor, dass dieser Elternteil die Interessen des Kindes aus dem Blick verlieren könnte, so ist von Verfassungs wegen die Bestellung eines Verfahrenspflegers zwingend geboten.
b) An diesem Maßstab gemessen, hätten die Fachgerichte dem Kind vorliegend einen Verfahrenspfleger bestellen müssen.
Aus dem Bericht des Jugendamtes vom 29. Oktober 2004 ergibt sich, dass es zwischen dem Beschwerdeführer und der Kindesmutter in der Vergangenheit schon einige Sorgerechts- und Umgangsverfahren gegeben hat. Damit liegt es nahe, dass hier eine Situation vorlag, in der die Kindeseltern in einer angespannten Beziehung zueinander standen, die die Wahrnehmung fremder Interessen, nämlich der des Kindes, für beide Elternteile erschwerte. Hinzu kommt, dass bereits vor der Rückführungsentscheidung des Amtsgerichts Koblenz zwischen den Kindeseltern der wechselseitige Vorwurf einer Urkundenfälschung beziehungsweise der Falschaussage über die Echtheit einer Urkunde im Raume stand, die sich zudem gerade mit der Festlegung des Aufenthaltsortes des Kindes befasst haben soll. In dieser Situation besteht Grund zu der Annahme, dass die Kindeseltern vornehmlich ihre eigenen Interessen und nicht die des Kindes wahrnehmen wollten. Im vorgenannten Bericht des Jugendamtes wird ferner das Kind als sehr aufgeschlossen, aufgeweckt und selbständig geschildert und es wurde mitgeteilt, dass es nicht nach Belgien ziehen wolle. Der Junge könne klar und deutlich seine Wünsche und Vorstellungen äußern. Er habe Angst, sein Umfeld beim Vater zu verlieren, außerdem habe er Angst vor seiner Mutter und spreche davon, von dieser geschlagen zu werden. Auch in der Anhörung vor dem Amtsgericht am 17. November 2004 äußerte das Kind, dass es weiter beim Beschwerdeführer bleiben wolle. In der Anhörung vor dem Oberlandesgericht am 23. Dezember 2004 wiederholte es sein Vorbringen. Unbeschadet einer möglichen Beeinflussung durch den Beschwerdeführer hat sich das damals 10-jährige Kind hier deutlich, über Monate hinweg kontinuierlich und mit zumindest nachvollziehbarer Begründung, insbesondere aus Anlass des Umzuges der Kindesmutter nach Belgien, dahingehend geäußert, lieber beim Vater bleiben zu wollen.
c) Die Beteiligung des Jugendamtes vermochte – entgegen der im Beschluss des Oberlandesgerichts Koblenz vom 4. Januar 2005 vertretenen Auffassung – die Bestellung eines Verfahrenspflegers für das Kind schon deshalb nicht zu ersetzen, weil das Jugendamt neben seiner Verpflichtung auf das Kindeswohl nach §§ 16 ff. SGB VIII einen Beratungs- und Hilfsauftrag auch gegenüber den Kindeseltern wahrzunehmen hat und daher kein reiner Interessenvertreter des betroffenen Kindes sein kann.
4. Die Zurückverweisung gibt dem Oberlandesgericht Koblenz insbesondere Gelegenheit, nach Bestellung eines Verfahrenspflegers für das Kind erneut von Amts wegen die Frage zu prüfen, ob das sich der Rückführung widersetzende und inzwischen 12-jährige Kind bereits ein Alter und eine Reife erlangt hat, angesichts derer es angebracht erscheint, seinem Willen zu folgen (Art. 13 Abs. 2 HKiEntÜ). Dies bedarf weiterer tatrichterlicher Aufklärung, weil dafür die konkreten Umstände des Einzelfalls maßgeblich sind und die Abwägung nicht an starren Altersgrenzen ausgerichtet werden kann (vgl. BVerfG, Beschluss der 3. Kammer des Zweiten Senats vom 3. Mai 1999 – 2 BvR 6/99 –, NJW 1999, S. 3622 ≪3623≫).
5. Die Entscheidung über die Auslagenerstattung beruht auf § 34 a Abs. 2 und 3 BVerfGG. Die Anordnung voller Auslagenerstattung ist angezeigt, weil die vom Beschwerdeführer ebenfalls angegriffenen Entscheidungen im Vollstreckungsverfahren durch die Aufhebung der Rückführungsentscheidung gegenstandslos werden.
Diese Entscheidung ist unanfechtbar (§ 93 d Abs. 1 Satz 2 BVerfGG).
Unterschriften
Papier, Hohmann-Dennhardt, Hoffmann-Riem
Fundstellen
Haufe-Index 2366969 |
FamRZ 2006, 1261 |
FamRBint 2007, 8 |
ZKJ 2007, 108 |