Verfahrensgang
ArbG Neubrandenburg (Vorlegungsbeschluss vom 09.04.2008; Aktenzeichen 1 Ca 1008/07) |
Tenor
Die Vorlage ist unzulässig.
Gründe
Die Vorlage des Arbeitsgerichts Neubrandenburg betrifft die Frage, ob die Regelung des § 622 Abs. 2 Satz 2 des Bürgerlichen Gesetzbuchs (BGB) in der Fassung der Bekanntmachung vom 2. Januar 2002 (BGBl I S. 42) mit Art. 3 Abs. 1 und Art. 3 Abs. 3 GG vereinbar ist. § 622 Abs. 2 Satz 1 BGB sieht verlängerte Kündigungsfristen für die arbeitgeberseitige Kündigung von Arbeitnehmern vor, deren Arbeitsverhältnis zwei Jahre oder länger bestanden hat. § 622 Abs. 2 Satz 2 BGB schränkt dies dahingehend ein, dass nur solche Beschäftigungszeiten anzurechnen sind, die in einem Lebensalter von über 25 Jahren erbracht wurden.
I.
Der am 18. Januar 1978 geborene, ledige Kläger des Ausgangsverfahrens ist seit dem 10. August 1999 bei dem Beklagten als Bäcker beschäftigt. Der Beklagte beschäftigt Arbeitnehmer unstreitig nur in einem so geringen Umfang, dass die gemäß § 23 Abs. 1 KSchG für die Anwendung des Kündigungsschutzgesetzes erforderliche Betriebsgröße nicht erreicht ist. Im Backbereich setzte der Beklagte außer dem Kläger einen Auszubildenden ein. Diesen stellte der Beklagte nach dem Ende der Ausbildung ab dem 1. September 2007 als Bäcker ein. Das mit dem Kläger bestehende Arbeitsverhältnis kündigte er mit einem dem Kläger am 31. August 2007 zugegangenen Schreiben ordentlich zum 30. September 2007.
Gegen diese Kündigung wendet sich der Kläger im Ausgangsverfahren. Sie sei unwirksam, weil sie auf sachfremden Motiven beruhe und zudem treuwidrig sei. Zumindest wirke die Kündigung nur mit einer Frist von drei Monaten zum Monatsende, das heißt erst zum 30. November 2007. Die der Anwendung des § 622 Abs. 2 Satz 1 Nr. 3 BGB entgegenstehende Regelung des § 622 Abs. 2 Satz 2 BGB benachteilige ihn ohne sachliche Rechtfertigung nur wegen seines jungen Alters. Darin liege ein Verstoß gegen das allgemeine europarechtliche Verbot der Altersdiskriminierung sowie gegen die Richtlinie 2000/78/EG.
II.
Das Arbeitsgericht beschloss, den Rechtsstreit auszusetzen und die Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts darüber einzuholen, “ob § 622 Abs. 2 Satz 2 BGB gegen den Gleichbehandlungsgrundsatz verstößt”.
Die Kündigung sei wirksam. Daher komme es für den Ausgang des Rechtsstreits (genauer gesagt: nur noch für die Frage, wann das Arbeitsverhältnis geendet hat) darauf an, welche Kündigungsfrist der Beklagte habe einhalten müssen. Nach § 622 Abs. 2 Satz 2 in Verbindung mit § 622 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 BGB gelte eine Kündigungsfrist von einem Monat zum Monatsende, da der Kläger nach Vollendung seines 25. Lebensjahres zum Zeitpunkt des Ausspruchs der Kündigung nur gut vier Jahre beim Beklagten tätig gewesen sei. § 622 Abs. 2 Satz 2 BGB sei allerdings nicht mit Art. 3 Abs. 1 und mit Art. 3 Abs. 3 Satz 1 GG in Einklang zu bringen.
Gemäß Art. 3 Abs. 1 GG seien alle Menschen vor dem Gesetz gleich. § 622 Abs. 2 Satz 2 BGB unterscheide jedoch hinsichtlich längerer Kündigungsfristen zwischen Menschen, die vor und nach der Vollendung ihres 25. Lebensjahres in einen Betrieb eingetreten sind. Wer wie der Kläger mit 21 Jahren in einen Betrieb eintrete, erlange erst nach sechs Jahren Betriebszugehörigkeitsdauer (nach Vollendung des 27. Lebensjahres) die erste Stufe der Verlängerung der Kündigungsfristen. Demgegenüber erreiche diese Stufe ein Arbeitnehmer, der mit über 25 Jahren die Arbeit in einem Betrieb aufnehme, schon nach zwei Jahren. Diese unterschiedliche Behandlung durch den Gesetzgeber könne zwar auf die historische Entwicklung der Verlängerung von gesetzlichen Kündigungsfristen zurückzuführen sein, habe aber heute keinen sachlichen Grund mehr.
In Art. 3 Abs. 3 Satz 1 GG sei zwar nicht ausdrücklich eine Benachteiligung im Hinblick auf das Lebensalter aufgeführt. Sinn und Zweck dieser Norm sei es jedoch, Menschen vor einer Benachteiligung wegen Umständen zu schützen, auf die sie selbst keinen Einfluss haben. Dazu gehöre auch das jeweilige Lebensalter. Dementsprechend habe auch der Gesetzgeber in § 1 des Allgemeinen Gleichbehandlungsgesetzes (AGG) festgelegt, dass es Ziel dieses Gesetzes sei, Benachteiligungen unter anderem auch aus Gründen des Alters zu verhindern und zu beseitigen. Als unzulässige Benachteiligung im Sinne dieser Norm habe der Gesetzgeber in § 2 Abs. 1 AGG ausdrücklich eine Benachteiligung in Bezug auf die Beschäftigungs- und Arbeitsbedingungen einschließlich der Arbeitsentgelte und Entlassungsbedingungen festgelegt. § 622 Abs. 2 Satz 2 BGB enthalte aber gerade eine solche Benachteiligung.
III.
Die Vorlage ist unzulässig.
1. Nach der ständigen Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts genügt ein Vorlagebeschluss dem Begründungserfordernis des § 80 Abs. 2 Satz 1 BVerfGG nur, wenn ihm mit hinreichender Deutlichkeit zu entnehmen ist, dass und aus welchen Gründen das Gericht bei Gültigkeit der Vorschrift zu einem anderen Ergebnis kommen würde als im Falle ihrer Ungültigkeit (vgl. BVerfGE 105, 61 ≪67≫). Das Gericht muss sich mit der Rechtslage auseinandersetzen, die in Rechtsprechung und Literatur vertretenen Auffassungen berücksichtigen und auf unterschiedliche Auslegungsmöglichkeiten eingehen, soweit diese für die Entscheidungserheblichkeit von Bedeutung sein können. Die Darlegungen zur Verfassungswidrigkeit der Norm müssen den verfassungsrechtlichen Prüfungsmaßstab nennen und die für die Überzeugung des Gerichts maßgebenden Erwägungen nachvollziehbar und umfassend darlegen (vgl. BVerfGE 88, 70 ≪74≫). Dabei muss das Gericht jedenfalls auf naheliegende tatsächliche und rechtliche Gesichtspunkte eingehen. Insbesondere kann es erforderlich sein, die Gründe zu erörtern, die im Gesetzgebungsverfahren als für die gesetzgeberische Entscheidung maßgebend genannt worden sind (vgl. BVerfGE 86, 71 ≪77 f.≫; stRspr).
2. Diesen Anforderungen genügt die Vorlage in mehrfacher Hinsicht nicht.
a) Der Vorlagebeschluss legt nicht hinreichend dar, dass die Vereinbarkeit der zur Prüfung gestellten Norm mit dem Grundgesetz für die Entscheidung erheblich ist.
Das Arbeitsgericht setzt sich nicht mit der in der fachgerichtlichen Rechtsprechung und im Schrifttum verbreiteten Auffassung auseinander, die Regelung des § 622 Abs. 2 Satz 2 BGB sei mit europarechtlichen Vorgaben unvereinbar und dürfe deshalb von den nationalen Gerichten nicht angewandt werden (vgl. LAG Berlin-Brandenburg, Urteil vom 24. Juli 2007 – 7 Sa 561/07 –, NZA-RR 2008, S. 17; Spilger, in: KR, 8. Aufl. 2007, § 622 BGB Rn. 56; Annuß, BB 2006, S. 325 ≪326≫; Löwisch, BB 2006, S. 2189; Schleusener, NZA 2007, S. 358 ≪359 f.≫; Hamacher/Ulrich, NZA 2007, S. 657 ≪663≫; Temming, NZA 2007, S. 1193 ≪1199≫; Kamanabrou, RdA 2007, S. 199 ≪206 f.≫; gegen eine Unanwendbarkeit der Norm: LAG Düsseldorf, Beschluss vom 21. November 2007 – 12 Sa 1311/07 –, juris; LAG Rheinland-Pfalz, Urteil vom 31. Juli 2008 – 10 Sa 295/08 –, juris; Thüsing, RdA 2008, S. 51 ≪52≫; Tavakoli/Westhauser, DB 2008, S. 702 ≪707≫; Müller-Thele/Neu, MDR 2008, S. 537 ≪541 f.≫; vgl. zur gegenwärtigen Diskussion auch Fischermeier, in: Dornbusch/Fischermeier/Löwisch, Fachanwaltskommentar Arbeitsrecht, § 622 BGB Rn. 2; Linck, in: Schaub, Arbeitsrechts-Handbuch, 12. Aufl. 2007, § 126 Rn. 19; Müller-Glöge, in: ErfK, 9. Aufl. 2009, § 622 BGB Rn. 9; Waltermann, NZA 2005, S. 1265 ≪1270≫; Reichold/Hahn/Heinrich, NZA 2005, S. 1270 ≪1275≫; Preis, NZA 2006, S. 401 ≪408≫; Willemsen/Schweibert, NJW 2006, S. 2583 ≪2586≫; von Roetteken, jurisPR-ArbR 40/2008 Anm. 3). Zwar besteht bei strittiger gemeinschaftsrechtlicher und verfassungsrechtlicher Rechtslage aus der Sicht des deutschen Verfassungsrechts keine feste Rangfolge unter den vom Fachgericht gegebenenfalls einzuleitenden Zwischenverfahren nach Art. 234 Abs. 2, 3 EG und Art. 100 Abs. 1 GG. Wenn aber auch ohne Vorlage an den Gerichtshof der Europäischen Gemeinschaften feststehen sollte, dass das Gesetz dem europäischen Gemeinschaftsrecht widerspricht und deshalb wegen des Anwendungsvorrangs des Gemeinschaftsrechts nicht angewandt werden darf, dann ist das Gesetz nicht mehr entscheidungserheblich im Sinne von Art. 100 Abs. 1 Satz 1 GG (vgl. BVerfGE 116, 202 ≪214 f.≫; LAG Schleswig-Holstein, Urteil vom 28. Mai 2008 – 3 Sa 31/08 –, juris; Schleusener, NZA 2007, S. 358 ≪360 f.≫). Da eine derartige Beurteilung für § 622 Abs. 2 Satz 2 BGB jedenfalls nicht ausgeschlossen erscheint, hätte das Arbeitsgericht die europarechtliche Rechtslage nicht vollständig übergehen dürfen.
Die notwendige Prüfung der eventuellen Unanwendbarkeit der Vorschrift wegen Unvereinbarkeit mit Europarecht konnte nicht durch die Erwägungen des Vorlagebeschlusses ersetzt werden, die sich auf das der Umsetzung europarechtlicher Vorgaben dienende Allgemeine Gleichbehandlungsgesetz beziehen. Dieses Gesetz kommt als Prüfungsmaßstab für die Wirksamkeit der gleichrangigen Norm des § 622 Abs. 2 Satz 2 BGB von vornherein nicht in Betracht (vgl. Hamacher/Ulrich, NZA 2007, S. 657 ≪663≫; Müller-Thele/Neu, MDR 2008, S. 537 ≪540≫).
b) Unabhängig davon fehlt es an einer den Zulässigkeitsanforderungen des § 80 Abs. 2 Satz 1 BVerfGG genügenden Begründung der Verfassungswidrigkeit der Norm. Das Arbeitsgericht hat lediglich in wenigen Worten mitgeteilt, dass es keinen sachlichen Grund für die in § 622 Abs. 2 Satz 2 BGB angelegte Differenzierung von Arbeitnehmergruppen sieht und dass Art. 3 Abs. 3 GG auch auf den Differenzierungsgrund des Alters erstreckt werden sollte. Eine umfassende, mögliche Rechtfertigungsgründe für die Ungleichbehandlung unter Berücksichtigung der gesetzgeberischen Motive in Erwägung ziehende Prüfung der verfassungsrechtlichen Rechtslage (vgl. LAG Düsseldorf, Beschluss vom 21. November 2007 – 12 Sa 1311/07 –, juris; LAG Rheinland-Pfalz, Urteil vom 31. Juli 2008 – 10 Sa 295/08 –, juris; Schleusener, NZA 2007, S. 358 ≪360≫; vgl. auch Tavakoli/Westhauser, DB 2008, S. 702 ≪706 f.≫ unter Bezugnahme auf BVerfGE 62, 256 und 82, 126) ist dem Vorlagebeschluss nicht zu entnehmen.
Diese Entscheidung ist unanfechtbar.
Unterschriften
Papier, Bryde, Schluckebier
Fundstellen