Verfahrensgang
Tenor
Der Beschluss des Oberlandesgerichts Düsseldorf vom 20. Juli 2006 – II-4 UF 110/06 – verletzt die Beschwerdeführer in ihrem Grundrecht aus Artikel 2 Absatz 1 des Grundgesetzes.
Der Beschluss wird aufgehoben und die Sache zur erneuten Entscheidung an das Oberlandesgericht Düsseldorf zurückverwiesen.
Das Land Nordrhein-Westfalen hat den Beschwerdeführern ihre notwendigen Auslagen im Verfassungsbeschwerdeverfahren zu erstatten.
Tatbestand
I.
Die Beschwerdeführer begehren als Großeltern die Übertragung der Vormundschaft für ihr Enkelkind D., hilfsweise die Übertragung der Pflegschaft.
1. Die Beschwerdeführer sind die Großeltern des am 30. August 2004 geborenen Kindes D. Die Eltern des Kindes haben am 16. Februar 2005 geheiratet. Der Kindesvater ist der Sohn der Beschwerdeführer. Für die Kindesmutter ist eine Betreuerin bestellt, für den Kindesvater ist die – im fachgerichtlichen Verfahren noch bestehende – Betreuung zwischenzeitlich aufgehoben.
Die Kindesmutter hat – aus einer vorangegangenen Beziehung – ein weiteres Kind, die am 14. Juni 2000 geborene Tochter L. In einem die Tochter L. betreffenden Verfahren vor dem Amtsgericht stellte der Sachverständige L. in seinem Gutachten vom 10. Januar 2005 fest, dass der Kindesvater nicht erziehungsfähig und auch die Kindesmutter nicht befähig sei, auch nur eines ihrer Kinder zu betreuen oder zu erziehen.
a) Das Amtsgericht entzog der Kindesmutter durch einstweilige Anordnung vom 7. September 2004 die elterliche Sorge für D. und übertrug dieses Recht dem Jugendamt des Kreises V. als „Pfleger”. Dieses entschied, dass D. in einer Pflegefamilie leben soll. D. lebt seit dem 14. September 2004 in der Pflegefamilie B.
b) Am 30. August 2005 wandten sich die Beschwerdeführer an das Amtsgericht mit dem Wunsch, die Vormundschaft oder zumindest die Pflegschaft für D. zu erhalten, nachdem der Antrag der Beschwerdeführerin zu 2) vom 9. November 2004 auf Übertragung der Vormundschaft für D. auf sie und Herausgabe von D. zur Pflege abschlägig beschieden worden war. Mit Beschluss vom 7. April 2006 wies das Amtsgericht den Antrag im Wesentlichen mit der Begründung zurück, die Betreuungssituation von D. habe sich seit Abschluss des Vorverfahrens nicht geändert. Die regelmäßig durchgeführten Hausbesuche hätten vielmehr ergeben, dass D. in der Pflegefamilie B. kindgerecht betreut werde und eine tragfähige Beziehung zu seinen Pflegeeltern entwickelt habe.
c) Die hiergegen gerichtete Beschwerde wies das Oberlandesgericht mit Beschluss vom 20. Juli 2006 zurück und führte zur Begründung im Wesentlichen aus, die Voraussetzungen nach § 1915 Abs. 1, § 1887 BGB für ein Einschreiten des Gerichts lägen nicht vor. Der Senat habe bereits in seinem Beschluss vom 15. Juli 2005 im Vorverfahren darauf hingewiesen, dass das Verwandtschaftsverhältnis der Beschwerdeführer zu D. für sich allein kein ausreichender Grund sei, eine bestehende Vormundschaft aus Gründen des Kindeswohls aufzuheben, nachdem es die Beschwerdeführer versäumt hätten, sich rechtzeitig und möglichst vor der Geburt von D. um eine Vormundschaft zu bewerben. Der Senat habe im vorliegenden Verfahren keine Veranlassung, von dieser Ansicht abzuweichen. Es diene nicht dem Wohl des Kindes, es aus seiner vertrauten Pflegefamilie herauszunehmen, in der es praktisch seit seiner Geburt gelebt habe, um es in Zukunft bei seinen Großeltern leben zu lassen, über deren Erziehungseignung keine gesicherten Erkenntnisse vorlägen. Auf diesen Gesichtspunkt habe schon die Verfahrenspflegerin von D. hingewiesen.
Der Senat sei – wie schon im Vorverfahren – der Ansicht, dass D. in seiner Pflegefamilie gut aufgehoben sei. Die Pflegeeltern hätten drei eigene Kinder aufgezogen. Die Pflegemutter habe zudem langjährige Erfahrung mit der Betreuung von Pflegekindern. Die Behauptung der Beschwerdeführer, D. habe zu seinen Pflegeeltern keine Eltern-Kind-Beziehung entwickelt, treffe nicht zu. Die Pflegeeltern eigneten sich auch vom Alter her besser als Ersatzeltern für D. als die Beschwerdeführer, die immerhin schon 50 und 51 Jahre alt und damit in einem Alter seien, das sie nicht (mehr) für die Erziehung eines Kleinkindes prädestiniere. Insgesamt gesehen lägen daher keine Umstände vor, die es aus Gründen des Kindeswohls gebieten würden, den bisherigen bewährten Zustand zu ändern und den Beschwerdeführern die Vormundschaft beziehungsweise Pflegschaft für D. zu übertragen.
Der Anhörungsrüge der Beschwerdeführer war gleichfalls kein Erfolg beschieden.
2. Mit ihrer Verfassungsbeschwerde rügen die Beschwerdeführer sinngemäß eine Verletzung von Art. 2 Abs. 1 GG, weil die Fachgerichte ihre nahe Verwandtenstellung als Großeltern bei der Auswahl des Vormunds für D. ebenso wenig beachtet hätten wie den Wunsch der Eltern, D. solle in der Familie bei ihnen als Großeltern aufwachsen.
Weiter sei eine Verletzung von Art. 103 Abs. 1 GG gegeben. Eine Sachaufklärung ihrer Erziehungseignung sei weder in der ersten noch in der zweiten Instanz erfolgt. Ihre angezweifelte Eignung und Förderfähigkeit hätte durch ein vom Gericht zu veranlassendes Sachverständigengutachten aufgeklärt werden müssen.
3. Die Verfassungsbeschwerde wurde der Landesregierung von Nordrhein-Westfalen, dem Kreisjugendamt V., den Eltern des Kindes und den Pflegeeltern zur Stellungnahme zugestellt.
Dem Bundesverfassungsgericht haben die Akten des Ausgangsverfahrens, des vorangegangenen Verfahrens 7 F 447/04 und der beiden nachfolgenden Verfahren 7 F 440/06 und 7 F 30/07 sowie des Verfahrens zur Entziehung der elterlichen Sorge und Übertragung der Vormundschaft 7 F 264/04 einschließlich der Bestellung des Jugendamts zum Vormund 9 VII 26/05 vorgelegen.
Entscheidungsgründe
II.
Die Kammer gibt der Verfassungsbeschwerde statt, soweit die Beschwerdeführer sich gegen die Verletzung von Art. 2 Abs. 1 GG durch den Beschluss des Oberlandesgerichts vom 20. Juli 2006 wenden.
Die Annahme der Verfassungsbeschwerde ist zur Durchsetzung des Rechts der Beschwerdeführer aus Art. 2 Abs. 1 GG geboten (§ 93a Abs. 2 Buchstabe b BVerfGG). Zu dieser Entscheidung ist die Kammer berufen, weil die maßgeblichen verfassungsrechtlichen Fragen durch das Bundesverfassungsgericht bereits entschieden sind und die insoweit zulässige – insbesondere ausreichend substantiiert begründete (§ 92 BVerfGG) – Verfassungsbeschwerde offensichtlich begründet ist (§ 93c Abs. 1 BVerfGG).
1. Die Verfassungsbeschwerde ist – soweit die Beschwerdeführer eine Verletzung von Art. 2 Abs. 1 GG geltend machen – zulässig. Die Beschwerdeführer haben den Rechtsweg erschöpft und die Monatsfrist des § 93 Abs. 1 BVerfGG gewahrt.
Soweit die Beschwerdeführer eine Verletzung des rechtlichen Gehörs rügen, ist die Verfassungsbeschwerde jedoch unzulässig. Den Beschwerdeführern ist der Einwand der Subsidiarität entgegenzuhalten. Wer es im fachgerichtlichen Verfahren unterlässt, einen Verfahrensmangel zu rügen, begibt sich der Möglichkeit, diesen Verstoß mit der Verfassungsbeschwerde als Grundrechtsverletzung geltend zu machen (vgl. BVerfGE 16, 124 ≪127≫; 83, 216 ≪228 ff.≫; 84, 203 ≪208≫).
Die Beschwerdeführer rügen die fehlende Berücksichtigung ihres Vortrags, zur Frage ihrer Erziehungseignung und Förderfähigkeit sei die Einholung eines Sachverständigengutachtens notwendig. Die Beschwerdeführer haben zwar eine Anhörungsrüge erhoben. Gegenstand der Anhörungsrüge war jedoch nicht der Vorwurf der Nichtbeachtung ihres Vortrags zur Notwendigkeit der Einholung eines Sachverständigengutachtens über ihre Erziehungseignung. Die Beschwerdeführer haben daher im fachgerichtlichen Verfahren nicht alle ihnen zumutbaren Möglichkeiten zur Beseitigung oder Abwehr einer von ihnen angenommenen Verletzung des rechtlichen Gehörs ergriffen. Im Übrigen haben die Beschwerdeführer auch keinen hierauf gerichteten förmlichen Beweisantrag gestellt.
2. Die Verfassungsbeschwerde ist – soweit sie zulässig ist – begründet.
Der angegriffene Beschluss des Oberlandesgerichts vom 20. Juli 2006 verletzt die Beschwerdeführer in ihrem Recht aus Art. 2 Abs. 1 GG und den Schutz der Familie aus Art. 6 Abs. 1 GG.
a) Die von den Fachgerichten getroffenen tatsächlichen Feststellungen und die von ihnen im Einzelnen vorgenommene Abwägung hat das Bundesverfassungsgericht nicht nachzuprüfen. Ebenso ist es grundsätzlich den Fachgerichten überlassen, welchen verfahrensrechtlichen Weg sie wählen, um zu den für ihre Entscheidung notwendigen Erkenntnissen zu gelangen (vgl. BVerfGE 79, 51 ≪62≫). Der verfassungsgerichtlichen Prüfung unterliegt jedoch, ob fachgerichtliche Entscheidungen auf einer grundsätzlich unrichtigen Anschauung von der Bedeutung und Tragweite eines Grundrechts beruhen (vgl. BVerfGE 18, 85 ≪92 f.≫). Die Intensität dieser Prüfung hängt davon ab, in welchem Maße von der Entscheidung Grundrechte beeinträchtigt werden (vgl. BVerfGE 83, 130 ≪145≫ m.w.N.).
b) Das Bundesverfassungsgericht hat wiederholt entschieden, dass Art. 6 Abs. 1 GG den Staat verpflichtet, die aus Eltern und Kindern bestehende Familiengemeinschaft sowohl im immateriell-persönlichen wie auch im materiell-wirtschaftlichen Bereich als eigenständig und selbstverantwortlich zu respektieren (vgl. BVerfGE 10, 59 ≪83≫; 13, 331 ≪347≫; 24, 119 ≪135≫; 28, 104 ≪112≫). Ebenso hat es mehrfach klargestellt, dass Art. 6 Abs. 2 GG den Vorrang der Eltern bei der Verantwortung für das des Schutzes und der Hilfe bedürftige Kind garantiert (vgl. BVerfGE 24, 119 ≪138≫ m.w.N.). Diese Verfassungsgrundsätze gebieten eine bevorzugte Berücksichtigung der Familienangehörigen bei der Auswahl von Pflegern und Vormündern, sofern keine Interessenkollision besteht oder der Zweck der Fürsorgemaßnahme aus anderen Gründen die Bestellung eines Dritten verlangt.
c) Nach Auffassung des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte umfasst das Familienleben im Sinne des Art. 8 EMRK zumindest – auch – nahe Verwandte – zum Beispiel Großeltern und Enkel –, da sie innerhalb der Familie eine beachtliche Rolle spielen können. Die Achtung des so verstandenen Familienlebens begründet für den Staat die Verpflichtung, in einer Weise zu handeln, die die normale Entwicklung dieser Beziehung ermöglicht (vgl. EGMR, Urteil vom 13. Juni 1979, NJW 1979, S. 2449 ≪2452≫). Hieraus folgt, dass die Gerichte bei der Auswahl eines Vormunds bestehende Familienbande zwischen Großeltern und Enkeln zu beachten haben.
Die Europäische Menschenrechtskonvention und ihre Zusatzprotokolle sind völkerrechtliche Verträge. Die Konvention überlässt es den Vertragsparteien, in welcher Weise sie ihrer Pflicht zur Beachtung der Vertragsvorschriften genügen (EGMR, Urteil vom 6. Februar 1976, Series A No. 20, Ziffer 50 – Swedish Engine Drivers Union; EGMR, Urteil vom 21. Februar 1986, Series A No. 98, Ziffer 84 – James u.a.; vgl. Geiger, Grundgesetz und Völkerrecht, 3. Aufl. 2002, S. 405; Ehlers, in: ders. ≪Hrsg.≫, Europäische Grundrechte und Grundfreiheiten, 2003, § 2 Rn. 2 f.). Der Bundesgesetzgeber hat den genannten Übereinkommen jeweils mit förmlichem Gesetz gemäß Art. 59 Abs. 2 GG zugestimmt (Gesetz über die Konvention zum Schutze der Menschenrechte und Grundfreiheiten vom 7. August 1952, BGBl II S. 685; die Konvention ist gemäß der Bekanntmachung vom 15. Dezember 1953, BGBl 1954 II S. 14 am 3. September 1953 für die Bundesrepublik Deutschland in Kraft getreten; Neubekanntmachung der Konvention in der Fassung des 11. Zusatzprotokolls in BGBl 2002 II S. 1054). Damit hat er sie in das deutsche Recht transformiert und einen entsprechenden Rechtsanwendungsbefehl erteilt. Innerhalb der deutschen Rechtsordnung stehen die Europäische Menschenrechtskonvention und ihre Zusatzprotokolle – soweit sie für die Bundesrepublik Deutschland in Kraft getreten sind – im Range eines Bundesgesetzes (vgl. BVerfGE 74, 358 ≪370≫; 82, 106 ≪120≫).
Diese Rangzuweisung führt dazu, dass deutsche Gerichte die Konvention wie anderes Gesetzesrecht des Bundes im Rahmen methodisch vertretbarer Auslegung zu beachten und anzuwenden haben. Die Gewährleistungen der Europäischen Menschenrechtskonvention und ihrer Zusatzprotokolle sind in der deutschen Rechtsordnung aufgrund dieses Ranges in der Normenhierarchie kein unmittelbarer verfassungsrechtlicher Prüfungsmaßstab (vgl. Art. 93 Abs. 1 Nr. 4a GG, § 90 Abs. 1 BVerfGG). Ein Beschwerdeführer kann insofern vor dem Bundesverfassungsgericht nicht unmittelbar die Verletzung eines in der Europäischen Menschenrechtskonvention enthaltenen Menschenrechts mit einer Verfassungsbeschwerde rügen (vgl. BVerfGE 74, 102 ≪128≫ m.w.N.; BVerfGK 3, 4 ≪8≫). Die Gewährleistungen der Konvention beeinflussen jedoch die Auslegung der Grundrechte und rechtsstaatlichen Grundsätze des Grundgesetzes. Der Konventionstext und die Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte können auf der Ebene des Verfassungsrechts als Auslegungshilfen für die Bestimmung von Inhalt und Reichweite von Grundrechten und rechtsstaatlichen Grundsätzen des Grundgesetzes dienen, sofern dies nicht zu einer – von der Konvention selbst nicht gewollten (vgl. Art. 53 EMRK) – Einschränkung oder Minderung des Grundrechtsschutzes nach dem Grundgesetz führt (vgl. BVerfGE 74, 358 ≪370≫; 83, 119 ≪128≫; Beschluss der 3. Kammer des Zweiten Senats des Bundesverfassungsgerichts vom 20. Dezember 2000 – 2 BvR 591/00 –, NJW 2001, S. 2245 ≪2246 f.≫).
d) Diesen Anforderungen genügt die angegriffene Entscheidung des Oberlandesgerichts vom 20. Juli 2006 nicht.
aa) Das Amtsgericht hat der Mutter des Kindes D. bislang allein im Wege der einstweiligen Anordnung vorläufig die elterliche Sorge entzogen und diese damit auch nur vorläufig auf das Jugendamt als Vormund des Kindes D. übertragen.
Die Entscheidung über die Entziehung der elterlichen Sorge und Übertragung der Vormundschaft für ein Kind im Wege der einstweiligen Anordnung ist eine vorläufige Regelung. Es kann dahinstehen, ob und in welchem Maße hierbei berechtigte Interessen Dritter – etwa Verwandter – Berücksichtigung finden müssen. Diese sind jedenfalls in dem Verfahren über die endgültige Entziehung der elterlichen Sorge und der endgültigen Bestellung eines Vormunds bei der Auswahl des Vormunds für das Kind D. zu berücksichtigen.
bb) Gemäß § 1697 BGB kann das Familiengericht in dem Fall, dass aufgrund einer von ihm veranlassten Maßnahme eine Vormundschaft oder Pflegschaft anzuordnen ist, diese Anordnung treffen und den Vormund oder Pfleger auswählen. Soweit nichts anderes bestimmt ist, stehen diese Entscheidungen unter dem Vorbehalt des Kindeswohls sowie den berechtigten Interessen der Beteiligten, § 1697a BGB. Dabei hat das Familiengericht – wie auch das Vormundschaftsgericht – bei der Auswahl mehrerer geeigneter Personen u.a. den mutmaßlichen Willen der Eltern, die persönlichen Bindungen des Mündels und die Verwandtschaft oder Schwägerschaft mit dem Mündel zu beachten, § 1779 BGB.
Nach § 1779 Abs. 2 BGB soll das Vormundschaftsgericht eine Person auswählen, die nach ihren persönlichen Verhältnissen und ihrer Vermögenslage sowie den sonstigen Umständen zur Führung der Vormundschaft geeignet ist. Nach der Neufassung der Vorschrift aufgrund des Kindschaftsreformgesetzes vom 16. Dezember 1997 (BGBl I S. 2942) sind bei der Auswahl unter mehreren geeigneten Personen der mutmaßliche Wille der Eltern, die Verwandtschaft oder Schwägerschaft mit dem Kind sowie dessen religiöses Bekenntnis zu berücksichtigen. Vorschläge und Wünsche der Eltern sind demnach – jedenfalls dann – nicht bindend, wenn das Kindeswohl mit der Bestellung gefährdet wäre. Die vorzugsweise Berücksichtigung von Familienangehörigen und Verwandten des Kindes ist nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts verfassungsrechtlich geboten, sofern keine Interessenkollision besteht oder der Zweck der Fürsorgemaßnahme aus anderen Gründen die Bestellung eines Dritten verlangt (vgl. BVerfGE 33, 236 ≪238 f.≫). Es gilt auch weithin als Selbstverständlichkeit, dass bei intakten Familien- und Verwandtschaftsbeziehungen Kinder dann, wenn ihre Eltern aus welchen Gründen auch immer als Sorgeberechtigte ausscheiden, von Großeltern oder anderen nahen Verwandten aufgenommen und großgezogen werden, sofern deren Verhältnisse dies ermöglichen. Darin dokumentieren sich gewachsene Familienbeziehungen, Verbundenheit und Verantwortungsbewusstsein. Sind diese Verwandten zur Führung der Vormundschaft geeignet im Sinne von § 1779 Abs. 2 BGB, so dürfen sie nicht etwa deswegen übergangen werden, weil ein außenstehender Dritter noch besser dazu geeignet wäre, beispielsweise im Hinblick auf eine optimale geistige Förderung des Kindes.
Andere Personen kommen als Vormund nur in Betracht, wenn ein nach den aufgezeigten Grundsätzen geeigneter Verwandter oder Verschwägerter nicht vorhanden ist. Auch eine Bestellung des Jugendamtes gemäß § 1791b Abs. 1 BGB ist nur zulässig, wenn eine als Einzelvormund geeignete Person nicht vorhanden ist.
cc) Den vorgenannten Grundsätzen wird die angegriffene Entscheidung nicht gerecht. Das Oberlandesgericht stellt in seiner Entscheidung vom 20. Juli 2006 darauf ab, dass der Antrag der Beschwerdeführer auf einen Wechsel des Vormunds zielt. Ein Wechsel des Vormunds ist aber nur dann anzunehmen, wenn ein solcher endgültig bestellt ist. Liegt der Bestellung des Vormunds wie hier eine vorläufige Entziehung der elterlichen Sorge zugrunde, teilt die Bestellung des Vormunds das rechtliche Schicksal dieser „Grundlagenentscheidung”. Die erstmalige endgültige Bestellung steht im Zusammenhang mit der endgültigen Entziehung der elterlichen Sorge. Die Bestellung als Vormund auf der Grundlage einer vorläufigen Sorgerechtsentziehung kann dann auch nur als vorläufig angesehen werden.
Das Oberlandesgericht hat in seinem Beschluss vom 20. Juli 2006 verkannt, dass Grundlage der Vormundbestellung eine vorläufige Sorgerechtsentziehung ist, somit die erstmalige endgültige Bestellung eines Vormunds – noch – zu erfolgen hat, in dessen Rahmen gerade die Verwandtenstellung der Beschwerdeführer als Großeltern Berücksichtigung finden muss. Das Oberlandesgericht hat damit die Bedeutung und Tragweite der persönlichen Beziehungen der Beschwerdeführer als Großeltern zu ihrem Enkelkind D. verkannt, den Schutz der Familie nicht hinreichend berücksichtigt und folglich Art. 2 Abs. 1 GG verletzt.
Bei der Bestellung eines Vormunds für das Kind D. wird – unter Beachtung des Kindeswohls – der Wille der Eltern ebenso zu beachten sein wie die nahe Verwandtenstellung der Beschwerdeführer zu ihrem Enkelkind. Zwar muss auch in Verfahren mit Amtsermittlungsgrundsatz dem erkennenden Gericht überlassen bleiben, welchen Weg es im Rahmen der gesetzlichen Vorschriften für geeignet hält, um zu den für seine Entscheidung notwendigen Erkenntnissen zu gelangen (vgl. BVerfGE 79, 51 ≪62≫). Das gerichtliche Verfahren muss in seiner Ausgestaltung jedoch geeignet und angemessen sein, um der Durchsetzung der materiellen Grundrechtspositionen wirkungsvoll zu dienen (vgl. BVerfGE 84, 34 ≪49≫). Die Gerichte müssen ihr Verfahren so gestalten, dass sie möglichst zuverlässig die Grundlage einer am Kindeswohl orientierten Entscheidung erkennen können. Die Fachgerichte sind danach zwar verfassungsrechtlich nicht stets gehalten, ein Sachverständigengutachten einzuholen (vgl. BVerfGE 55, 171 ≪182≫). Wenn sie aber von der Beiziehung eines Sachverständigen absehen, müssen sie anderweitig über eine möglichst zuverlässige Entscheidungsgrundlage verfügen (vgl. BVerfG, 1. Kammer des Ersten Senats, Beschlüsse vom 18. Januar 2006 – 1 BvR 526/04 –, FamRZ 2006, S. 605 ≪606≫; vom 26. September 2006 – 1 BvR 1827/06 –, NJW 2007, S. 1266 ≪1267≫; vom 19. Dezember 2007 – 1 BvR 2681/07 –, FamRZ 2008, S. 492 ≪493≫).
Soweit das Oberlandesgericht darauf abstellt, dass über die Erziehungsfähigkeit der Beschwerdeführer keine gesicherten Erkenntnisse vorlägen und sich die Pflegeeltern auch vom Alter her besser als Ersatzeltern für das Kind eigneten als die Beschwerdeführer, die in einem Alter seien, das sie nicht (mehr) für die Erziehung eines Kleinkindes prädestiniere, ist darauf hinzuweisen, dass zur Schaffung einer vollständigen Erkenntnislage bislang ein Sachverständigengutachten nicht eingeholt worden ist und angesichts des Altersunterschieds zwischen den Beschwerdeführern und den Pflegeeltern von zwei und drei Jahren das Argument, ihr Alter prädestiniere die Beschwerdeführer nicht mehr für die Erziehung eines Kleinkindes, wenig tragfähig erscheint.
3. Die Verletzung des Rechts der Beschwerdeführer auf Beachtung ihrer nahen Verwandtenstellung bei der Auswahl des Vormunds für ihr Enkelkind D. durch die angegriffene Entscheidung des Oberlandesgerichts vom 20. Juli 2006 ist nach § 95 Abs. 1 Satz 1 BVerfGG festzustellen. Der Beschluss des Oberlandesgerichts ist aufzuheben und die Sache zur erneuten Entscheidung an das Oberlandesgericht zurückzuverweisen (§ 95 Abs. 2 BVerfGG).
Die Anordnung der Auslagenerstattung folgt aus § 34a Abs. 2 BVerfGG.
Unterschriften
Hohmann-Dennhardt, Gaier, Kirchhof
Fundstellen
NJW 2009, 1133 |
FamRZ 2009, 291 |
FF 2009, 131 |
FamRB 2009, 73 |
Jugendhilfe 2009, 221 |
ZKJ 2009, 252 |
FK 2009, 214 |