Verfahrensgang
Tenor
Die Urteile des Arbeitsgerichts Zwickau vom 20. Oktober 1995 – 10 Ca 3163/94 P – und des Sächsischen Landesarbeitsgerichts vom 14. Mai 1996 – 7 Sa 92/96 – verletzen den Beschwerdeführer in seinem Grundrecht aus Artikel 12 Absatz 1 in Verbindung mit Artikel 33 Absatz 2 des Grundgesetzes. Das Urteil des Landesarbeitsgerichts wird aufgehoben. Die Sache wird an das Landesarbeitsgericht zurückverwiesen.
Im übrigen wird die Verfassungsbeschwerde verworfen.
Der Freistaat Sachsen hat dem Beschwerdeführer die notwendigen Auslagen zu erstatten.
Tatbestand
I.
Die Verfassungsbeschwerde betrifft die ordentliche Kündigung eines aus dem öffentlichen Dienst der Deutschen Demokratischen Republik übernommenen Lehrers wegen mangelnder persönlicher Eignung.
1. a) Der Beschwerdeführer war seit 1964 als Lehrer im Schuldienst der Deutschen Demokratischen Republik beschäftigt. Arbeitgeber war nach dem Beitritt der im Ausgangsverfahren beklagte Freistaat Sachsen. Im Februar 1991 erklärte der Beschwerdeführer in dem ihm von dem beklagten Freistaat vorgelegten Fragebogen, daß er weder offiziell noch inoffiziell, hauptamtlich oder sonstwie für das Ministerium für Staatssicherheit der Deutschen Demokratischen Republik (MfS) gearbeitet habe.
Ein Bericht des Bundesbeauftragten für die Unterlagen des Staatssicherheitsdienstes von Februar 1994 ergab, daß der Beschwerdeführer zusammen mit seiner Ehefrau im März 1981 eine schriftliche „Verpflichtung” abgegeben habe, wonach er bereit sei, dem MfS zeitweilig ein Zimmer seiner Wohnung zur Verfügung zu stellen.
Der beklagte Freistaat kündigte das Arbeitsverhältnis des Beschwerdeführers im Juni 1994 außerordentlich fristlos wegen Tätigkeit des Beschwerdeführers für das MfS und der unvollständigen Auskunftserteilung im Fragebogen.
b) Das Arbeitsgericht stellte fest, daß das Arbeitsverhältnis des Beschwerdeführers zwar nicht durch die außerordentliche Kündigung aufgelöst worden sei. Der Beklagte habe nicht bewiesen, daß der Beschwerdeführer für das MfS tätig geworden sei. Die deswegen unwirksame außerordentliche Kündigung sei aber in eine ordentliche Kündigung umzudeuten, die gemäß § 1 Abs. 2 KSchG sozial gerechtfertigt sei. Schon die Erklärung der Bereitschaft, künftig für das MfS als inoffizieller Mitarbeiter tätig zu werden, begründe erhebliche Zweifel an der persönlichen Eignung des Beschwerdeführers für eine Tätigkeit im öffentlichen Dienst. Dies gelte auch für eine Verpflichtung zur Bereitstellung einer konspirativen Wohnung. Auch dadurch habe der Beschwerdeführer an der umfassenden Kontrolle und Unterdrückung der Bevölkerung durch das MfS mitgewirkt. Es sei daher unerheblich, ob die Wohnung vielleicht nie für Treffs in Anspruch genommen worden sei. Die Zweifel an der Loyalität des Beschwerdeführers gegenüber der rechtsstaatlichen Verfassung würden dadurch verstärkt, daß der Beschwerdeführer in dem Erklärungsbogen von Februar 1991 die Unterzeichnung der Verpflichtungserklärung verschwiegen und ausdrücklich angegeben habe, nie für das MfS gearbeitet zu haben. Der Beschwerdeführer habe durch die wahrheitswidrige Versicherung, keine Verpflichtungserklärung gegenüber dem MfS abgegeben zu haben, zu erkennen gegeben, daß er auch gegenwärtig für eine Tätigkeit im öffentlichen Dienst ungeeignet sei.
c) Das Landesarbeitsgericht wies die Berufung des Beschwerdeführers zurück. Dem Beschwerdeführer fehle die persönliche Eignung für eine Beschäftigung als Lehrer. Die Bereitstellung einer konspirativen Wohnung sei nicht anders zu bewerten als die Verpflichtung, Informationen zu liefern. Das MfS habe einen Teil seiner Aufgaben nur mit Hilfe derartiger konspirativer Wohnungen erfüllen können. Der Beschwerdeführer könne sich in diesem Zusammenhang auch nicht auf eine bestimmte Zwangslage berufen. Die Behauptung, die Erklärung in Berlin im Ministerium für Volksbildung unterzeichnet zu haben, habe der Beschwerdeführer nicht unter Beweis gestellt, so daß von der Richtigkeit der Ortsbezeichnung Schönberg auf der Erklärung ausgegangen werden müsse. Die Einlassung des Beschwerdeführers erscheine auch völlig unglaubwürdig. Der Beschwerdeführer habe nicht plausibel erklärt, warum das Ministerium für Volksbildung Interesse an der konspirativen Nutzung seiner Wohnung in Schönberg gehabt haben solle. Seine Behauptung, die Unterzeichnung der Verpflichtungserklärung habe erst seinen Auslandseinsatz ermöglicht, spreche ebenfalls nicht zugunsten des Beschwerdeführers. Er habe diesen Umstand nicht unter Beweis gestellt und sei auch nicht gezwungen worden, sich für einen Auslandseinsatz zu bewerben.
Auch eine Interessenabwägung falle zu Lasten des Beschwerdeführers aus. Der Beschwerdeführer habe nicht zu erkennen gegeben, daß er nunmehr den freiheitlich-demokratischen Rechtsstaat uneingeschränkt unterstütze. Vielmehr habe er gezeigt, daß er bis zuletzt versucht habe, seine Unterstützung für das MfS zu verheimlichen. So habe er sich anläßlich seiner Anhörung vom 6. Mai 1994 nicht an die Abgabe einer Verpflichtungserklärung erinnern können. Erst bei der zweiten Anhörung vom 18. Mai 1994 seien ihm plötzlich sogar die genauen Umstände der Verpflichtung geläufig gewesen. Im Kündigungsprozeß habe er zudem immer wieder behauptet, ihm sei nicht bekannt gewesen, daß er unter dem Decknamen „Richter” geführt worden sei. Diesen Decknamen hätten er und seine Ehefrau nach der Verpflichtungserklärung aber selbst gewählt. Der Beschwerdeführer habe damit zu erkennen gegeben, daß er es in bezug auf Auskünfte, die für den Arbeitgeber ersichtlich von großer Bedeutung seien, nicht ehrlich meine.
d) Das Bundesarbeitsgericht wies die Nichtzulassungsbeschwerde des Beschwerdeführers zurück.
e) Mit seiner fristgerecht eingegangenen Verfassungsbeschwerde rügt der Beschwerdeführer unter anderem eine Verletzung von Art. 12 Abs. 1 in Verbindung mit Art. 33 Abs. 2 GG.
aa) Die Auffassung des Landesarbeitsgerichts, wonach allein die Unterzeichnung einer Verpflichtungserklärung 13 Jahre vor Ausspruch der Kündigung Zweifel an seiner Verfassungstreue begründe, welche von ihm im Verfahren auszuräumen seien, sei unvereinbar mit Bedeutung und Tragweite des Grundrechts auf freie Wahl des Arbeitsplatzes. Eine Auflösung von Arbeitsverhältnissen allein wegen der Abgabe einer Verpflichtungserklärung, aus der keine weiteren Kontakte mit dem MfS resultierten, habe auch der Einigungsvertrag nicht vorgesehen.
bb) Auch die Schlußfolgerungen, die das Landesarbeitsgericht daraus gezogen habe, daß er sich in der Anhörung vom 6. Mai 1994 nicht an die Abgabe der Verpflichtungserklärung habe erinnern, bei der zweiten Anhörung am 18. Mai 1994 aber Aufklärung über die möglichen Umstände ihres Zustandekommens habe leisten können, seien nicht nachvollziehbar. Seinen dies erläuternden Vortrag (Unterzeichnung im Ministerium für Volksbildung; Zusammenhang mit seinem Auslandseinsatz) habe das Landesarbeitsgericht nicht berücksichtigt.
2. Zu der Verfassungsbeschwerde haben das Sächsische Staatsministerium der Justiz namens der Sächsischen Staatsregierung, der Vorsitzende des Zweiten Senats des Bundesarbeitsgerichts und der Deutsche Gewerkschaftsbund Stellung genommen.
Das Sächsische Staatsministerium der Justiz hält die Verfassungsbeschwerde für unbegründet. Die nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts gebotene Gesamtwürdigung der Persönlichkeit des Beschwerdeführers sei von den Fachgerichten durchgeführt worden. Das Landesarbeitsgericht habe eine Einzelfallprüfung vorgenommen und dabei die für und gegen den Beschwerdeführer sprechenden Punkte abgewogen.
Entscheidungsgründe
II.
1. Die Verfassungsbeschwerde ist unzulässig, soweit sie sich gegen den Beschluß des Bundesarbeitsgerichts richtet. Der Beschwerdeführer legt nicht dar, inwiefern er durch die Entscheidung über die Nichtzulassungsbeschwerde in Grundrechten oder grundrechtsgleichen Rechten verletzt sein soll.
2. Im übrigen ist die Annahme der Verfassungsbeschwerde zur Durchsetzung der Berufsfreiheit des Beschwerdeführers aus Art. 12 Abs. 1 in Verbindung mit Art. 33 Abs. 2 GG angezeigt (§ 93 a Abs. 2 Buchstabe b BVerfGG). Die Urteile des Arbeitsgerichts und des Landesarbeitsgerichts verletzen den Beschwerdeführer in dem genannten Grundrecht. Die für diese Beurteilung maßgeblichen Fragen hat das Bundesverfassungsgericht bereits entschieden (§ 93 c Abs. 1 Satz 1 BVerfGG).
a) Art. 12 Abs. 1 GG schützt unter anderem die freie Wahl des Arbeitsplatzes. Diese umfaßt neben der Entscheidung für eine konkrete Beschäftigung auch den Willen des Einzelnen, den Arbeitsplatz beizubehalten. Das Grundrecht entfaltet seinen Schutz gegen alle staatlichen Maßnahmen, die diese Wahlfreiheit beschränken (vgl. dazu im einzelnen BVerfGE 84, 133 ≪146≫; 92, 140 ≪150≫). Soweit es um Arbeitsverhältnisse des öffentlichen Dienstes geht, trifft Art. 33 Abs. 2 GG eine ergänzende Regelung. Die Urteile des Arbeitsgerichts und des Landesarbeitsgerichts greifen, soweit sie die ordentliche Kündigung des Arbeitsverhältnisses des Beschwerdeführers bestätigen, in diese Rechte des Beschwerdeführers ein.
b) Die Arbeitsplatzwahl kann ebenso wie die anderen Gewährleistungen des Art. 12 Abs. 1 GG durch Gesetz beschränkt werden. Bei der Auslegung und Anwendung von arbeitsrechtlichen Kündigungsvorschriften im öffentlichen Dienst müssen die Gerichte allerdings den Schutz beachten, den Art. 12 Abs. 1 GG insofern gewährt. Steht zugleich die Eignung für den öffentlichen Dienst in Rede, tritt Art. 33 Abs. 2 GG ergänzend hinzu. Diese Rechte sind verletzt, wenn ihre Bedeutung und Tragweite bei der Auslegung und Anwendung der arbeitsrechtlichen Vorschriften grundsätzlich verkannt wird. Dagegen ist es nicht Sache des Bundesverfassungsgerichts zu kontrollieren, wie die Gerichte den Schutz im einzelnen auf der Grundlage des einfachen Rechts gewähren und ob ihre Auslegung den bestmöglichen Schutz sichert (BVerfGE 92, 140 ≪152 f.≫).
c) Die persönliche Eignung eines Arbeitnehmers kann jedoch nur aufgrund einer Prognose festgestellt werden, die eine konkrete und einzelfallbezogene Würdigung der gesamten Persönlichkeit des Mitarbeiters voraussetzt (BVerfGE 92, 140 ≪155≫). Die Arbeitsgerichte verkennen Bedeutung und Tragweite des Grundrechts auf freie Wahl des Arbeitsplatzes, wenn sie aus der Antwort eines Arbeitnehmers schlußfolgern, diese sei geeignet, das Vertrauen des öffentlichen Arbeitgebers in seine charakterliche Integrität zu zerstören, ohne eine abschließende Würdigung der besonderen Umstände des Einzelfalles vorzunehmen (vgl. BVerfGE 96, 171 ≪185 f.≫).
d) Diesen Maßstäben werden die Urteile des Arbeitsgerichts und des Landesarbeitsgerichts nicht gerecht.
Die Beurteilung der Eignung des Beschwerdeführers beruht auf einer Würdigung, die der Bedeutung und Tragweite seiner Grundrechte nicht gerecht wird. So messen die Gerichte dem Umstand, daß die Wohnung möglicherweise überhaupt nicht vom MfS in Anspruch genommen wurde, im Zusammenhang des § 1 Abs. 2 Satz 1 KSchG keinerlei Bedeutung bei. Das Arbeitsgericht geht der Frage, inwiefern der Beschwerdeführer die Fragen nach einer Mitarbeit für das MfS wahrheitswidrig beantwortet hat, nicht weiter nach, obwohl die vom Beschwerdeführer zugesagte „Unterstützung” des MfS nur in der zeitweiligen Überlassung eines Zimmers seiner Wohnung bestand.
Das Landesarbeitsgericht stützt seine Entscheidung maßgeblich darauf, daß der Beschwerdeführer das MfS durch seine Verpflichtung zur Überlassung eines Zimmers unterstützt habe, und betrachtet es als unerheblich, daß der Vorgang über ein Jahrzehnt zurückliege und der Beschwerdeführer keinen weiteren Beitrag zur Unterstützung des MfS geleistet habe. Als belastend für den Beschwerdeführer sieht das Landesarbeitsgericht es an, daß dieser bis zuletzt versucht habe, seine Unterstützung für das MfS zu verheimlichen. Die Behauptung des Beschwerdeführers, er habe sich zunächst an die Verpflichtungserklärung nicht erinnern können, sieht es als widerlegt an, ohne dessen Vorbringen zu diesem Punkt zu würdigen.
Unterschriften
Steiner, Jaeger, Kühling
Fundstellen
Haufe-Index 1113487 |
ZBR 1998, 356 |