Verfahrensgang
LG Hamburg (Beschluss vom 20.10.2011; Aktenzeichen 604 Qs 70/11) |
AG Hamburg (Beschluss vom 27.08.2011; Aktenzeichen 130 VRJs 15/05) |
Tenor
1. Der Beschluss des Amtsgerichts Hamburg vom 27. August 2011 – 130 VRJs 15/05 – und der Beschluss des Landgerichts Hamburg vom 20. Oktober 2011 – 604 Qs 70/11 – verletzen den Beschwerdeführer in seinem Grundrecht aus Artikel 2 Absatz 2 Satz 2 des Grundgesetzes in Verbindung mit Artikel 104 Absatz 1 des Grundgesetzes.
2. Der Beschluss des Landgerichts Hamburg vom 20. Oktober 2011 – 604 Qs 70/11 – wird aufgehoben. Die Sache wird an das Landgericht Hamburg zur erneuten Entscheidung zurückverwiesen.
3. Die Freie und Hansestadt Hamburg hat dem Beschwerdeführer seine notwendigen Auslagen zu erstatten.
Tatbestand
Die Verfassungsbeschwerde richtet sich gegen Entscheidungen nach § 67d Abs. 2 Satz 1 StGB über die Fortdauer der Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus.
I.
1. Der 1980 geborene Beschwerdeführer wurde mit Urteil des Amtsgerichts Hamburg – Jugendschöffengericht – vom 16. Oktober 2001 unter Anwendung von Jugendstrafrecht des gemeinschaftlichen Diebstahls, des Diebstahls, des Betrugs und der Körperverletzung schuldig- und im Übrigen freigesprochen. Zugleich wurde nach § 63 StGB die Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus angeordnet. Die Unterbringung wird seit dem 27. April 2001 (bis zum 12. April 2002 auf der Grundlage von § 81 StPO bzw. § 126a StPO) vollzogen.
Die Anordnung der Unterbringung nach § 63 StGB beruhte auf der Feststellung, dass der Beschwerdeführer rechtswidrige Taten im Zustand der Schuldunfähigkeit beziehungsweise der verminderten Schuldfähigkeit begangen habe und infolge seines Zustandes weitere erhebliche rechtswidrige Taten zu erwarten seien. Dabei stützte sich das Gericht auf die psychiatrischen Prognosegutachten der Sachverständigen Dr. N. und Dr. P., die beim Beschwerdeführer übereinstimmend eine endogene Psychose aus dem schizophrenen Formenkreis diagnostiziert hatten, die – wenn sie nicht regelmäßig medikamentös behandelt werde – zu weiteren schwerwiegenden Gewalttaten führen werde. Außerhalb einer geschlossenen Einrichtung habe der Beschwerdeführer jedoch bislang jegliche medikamentöse Behandlung sofort abgesetzt; weder Krankheitseinsicht noch Behandlungsbereitschaft seien vorhanden.
2. Im Rahmen der turnusmäßigen Überprüfungsverfahren nach § 67e Abs. 1 Satz 2, Abs. 2 StGB ordnete das Amtsgericht Hamburg mit Beschlüssen vom 29. April 2003, 5. Juli 2004, 15. September 2005, 7. Februar 2007, 21. April 2008, 8. Juni 2009 und 14. August 2010 jeweils die Fortdauer der Unterbringung an. Dabei lagen den Fortdauerbeschlüssen ausschließlich Stellungnahmen der behandelnden Klinik zugrunde. Die Stellungnahme eines externen psychiatrischen Sachverständigen zur Frage der Aussetzungsreife der Unterbringung wurde während des gesamten Zeitraums nicht eingeholt.
3. Am 27. Mai 2011 gab die behandelnde psychiatrische Klinik erneut eine Stellungnahme zur Vorbereitung der Entscheidung nach § 67e Abs. 1 Satz 2 StGB ab. Darin wurde ausgeführt, dass es im Jahr zuvor zu zwei Konfliktsituationen gekommen sei: Am 14. Juni 2010 habe sich der Beschwerdeführer im Anschluss an eine Anhörung „paranoid und aufgewühlt” gezeigt und erklärt, dass alle gegen ihn seien. Erst am 23. Juni 2010 habe er dann angegeben, seine Meinung geändert zu haben. Die zweite ernsthafte Eskalation habe sich im September 2010 während eines Sommerfestes ereignet. Hier habe sich der Beschwerdeführer von einem Mitpatienten provoziert gefühlt, sich mehrfach entwertend über diesen geäußert und „sogar bedrohlich mit einer Schere herumgefuchtelt”. In der Nachbesprechung habe sich der Beschwerdeführer aber reflexionsfähig gezeigt und differenziert über seine Gefühle in der Konfliktsituation gesprochen. Ansonsten habe er sich überwiegend in einer stabilen Verfassung präsentiert. Er sei in Gesprächen authentisch offen gewesen, habe Kooperationsbereitschaft demonstriert und eine durchaus reifende Kritikfähigkeit gezeigt. Besonders bezeichnend sei ein spürbarer Zuwachs an reifen Alltagsstrategien und Einstellungen. Übernachtungsurlaube und Stadtausgänge sowie die Arbeit in einer Möbelrestaurierungswerkstatt seien stets ohne Beanstandungen verlaufen. Insgesamt sei ein hinreichend stabiler und erfreulicher Verlauf zu konstatieren. Die durchgeführten Lockerungen seien ohne Komplikationen verlaufen, die Medikamenteneinnahme sei durchgehend zuverlässig, und die in der Vergangenheit absolvierten psychoedukativen Gruppenangebote hätten zu einer verbesserten Krankheits- und Behandlungseinsicht geführt. Die Drogenabstinenz werde durch regelmäßige Kontrollen belegt. Die früher fast durchgängig latent paranoide Haltung falle wesentlich seltener auf. Unabhängig von der psychotischen Erkrankung hätten die prosozialen Verhaltensweisen und Denkmuster zugenommen. Aus dem Gesagten gehe hervor, dass eine bedingte Aussetzung der Unterbringung noch nicht befürwortet werden könne.
4. Mit Schriftsatz vom 27. Juni 2011 beantragte der Verteidiger des Beschwerdeführers die Einholung eines externen Sachverständigengutachtens. Die Stellungnahme der Klinik verhalte sich an keiner Stelle zu der Frage, ob und gegebenenfalls welche erheblichen Straftaten vom Beschwerdeführer zu erwarten seien.
5. Mit Beschluss vom 27. August 2011 ordnete das Amtsgericht Hamburg die Fortdauer der Unterbringung an. Im Rahmen der mündlichen Anhörung des Beschwerdeführers am 15. August 2011 sei die Stellungnahme vom 27. Mai 2011 in Gegenwart der behandelnden Ärzte eingehend erörtert worden. Aufgrund der Stellungnahme und der ergänzenden Angaben der Ärzte sei bei dem Beschwerdeführer noch immer ein Krankheitsbild festzustellen, das sich jedoch weiter erheblich gebessert habe; eine paranoide Haltung sei nur noch vereinzelt festzustellen. Auch die Krankheits- und Behandlungseinsicht habe sich positiv weiterentwickelt. Der Beschwerdeführer sei nur noch vereinzelt durch Regelverstöße und unangemessenes Verhalten aufgefallen. Er erkenne verstärkt eigenes Fehlverhalten und eigene Anteile bei aufgetretenen Problemen. Angesichts der nicht vorhandenen Zustimmung des Beschwerdeführers zu einer Unterbringung in einer betreuten Wohnform außerhalb der Klinik und seines uneinsichtigen Beharrens auf einer selbstbestimmten Entscheidung über die Wohnform sowie der damit fehlenden Möglichkeit zur Erprobung weiterer Lockerungen könne aus ärztlicher Sicht die Entlassung aus dem Maßregelvollzug nicht empfohlen werden. Von dem Beschwerdeführer seien „aus diesem Grund” noch erhebliche rechtswidrige Taten zu erwarten. Diese Einschätzung mache sich das Gericht zu Eigen. Ergänzend werde auf die schriftliche Stellungnahme der Klinik vom 27. Mai 2011 Bezug genommen.
6. Mit Schriftsatz vom 22. September 2011 legte der Verteidiger des Beschwerdeführers sofortige Beschwerde ein. Aufgrund der langen Unterbringungsdauer sei von Verfassungs wegen die Begutachtung des Beschwerdeführers durch einen externen Sachverständigen erforderlich. Zudem lege der Beschluss des Amtsgerichts nicht dar, ob infolge eines aktuellen Krankheitszustandes vom Beschwerdeführer erhebliche rechtswidrige Taten zu erwarten seien. Es treffe auch nicht zu, dass der Beschwerdeführer uneinsichtig auf einer selbstbestimmten Wohnform außerhalb der Klinik beharrt hätte. Vielmehr halte er – wie auch der angehörte Arzt – eine betreute Wohngemeinschaft für geeignet; dort sei jedoch derzeit kein Platz frei. Selbst wenn er jedoch auf einer selbstbestimmten Wohnform beharrt hätte, dürfte hieraus nicht geschlossen werden, dass von ihm erhebliche rechtswidrige Taten zu erwarten seien und er deshalb für die Allgemeinheit gefährlich sei.
7. Mit Beschluss vom 20. Oktober 2011 verwarf das Landgericht Hamburg die sofortige Beschwerde als unbegründet. Die Unterbringung des Beschwerdeführers könne weder für erledigt erklärt noch zur Bewährung ausgesetzt werden. Nach der Einschätzung der behandelnden Ärzte bestehe aufgrund des Krankheitsbildes die Gefahr der Begehung weiterer erheblicher Straftaten, auch wenn der Beschwerdeführer aufgrund der bisher durchgeführten Behandlungsmaßnahmen eine verbesserte Krankheits- und Behandlungseinsicht zeige. Wegen mangelnder Mitwirkung des Beschwerdeführers habe ein schlüssiges Konzept für ein Leben in Freiheit bisher nicht erstellt werden können. Dies sei auch angesichts erfolgreich absolvierter Vollzugslockerungen ein wesentliches Entlassungshindernis. Insgesamt sei die Vollstreckung der Maßregel trotz Berücksichtigung des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes und einer Reihe von Fortschritten weiterhin geboten. Es erscheine jedoch erforderlich, „demnächst weitere Maßnahmen zu ergreifen, um eine verbesserte Grundlage dafür zu erhalten, ob eine Aussetzung der Maßregel zu erwägen” sei. Dazu „dürfte die Einschaltung eines (externen) Gutachters gehören”.
Entscheidungsgründe
II.
Mit der Verfassungsbeschwerde rügt der Beschwerdeführer eine Verletzung seines Freiheitsgrundrechts aus Art. 2 Abs. 2 Satz 2 GG in Verbindung mit Art. 104 Abs. 1 GG. Die Gerichte hätten die vom Bundesverfassungsgericht entwickelten und seit 2007 auch in § 463 Abs. 4 StPO geregelten Anforderungen an die Sachverhaltsaufklärung durch Einholung externer Sachverständigengutachten missachtet. Der Beschwerdeführer sei bereits seit mehr als zehn Jahren untergebracht. Ein Gutachten eines externen Sachverständigen zur Frage der Fortdauer der Unterbringung sei während der gesamten Zeit nicht eingeholt worden. Obwohl der Verteidiger des Beschwerdeführers die Einholung eines externen Sachverständigengutachtens ausdrücklich mit Schriftsatz vom 30. Mai 2011 beantragt habe, sei das Amtsgericht diesem Antrag ohne jegliche Begründung nicht nachgekommen. Auch der Beschluss des Landgerichts verhalte sich mit keinem Wort zu der Sollvorschrift des § 463 Abs. 4 StPO, die nach jeweils fünf Jahren vollzogener Unterbringung im psychiatrischen Krankenhaus eine externe Begutachtung vorsehe. In den beiden angegriffenen Beschlüssen habe sich genau diejenige Gefahr repetitiver und routinemäßiger Beurteilung realisiert, vor der die vom Bundesverfassungsgericht aufgestellten Grundsätze und die Vorschrift des § 463 Abs. 4 StPO schützen sollten.
III.
Die Präses der Behörde für Justiz und Gleichstellung der Freien und Hansestadt Hamburg hat von einer Stellungnahme abgesehen. Dem Bundesverfassungsgericht haben die Akten des Strafverfahrens und das Vollstreckungsheft vorgelegen.
IV.
Die Kammer nimmt die Verfassungsbeschwerde zur Entscheidung an, weil dies zur Durchsetzung der Grundrechte des Beschwerdeführers angezeigt ist (§ 93a Abs. 2 Buchstabe b BVerfGG), und gibt ihr statt. Zu dieser Entscheidung ist sie berufen, weil die maßgeblichen verfassungsrechtlichen Fragen durch das Bundesverfassungsgericht bereits entschieden sind und die Verfassungsbeschwerde zulässig und offensichtlich begründet ist (§ 93b Satz 1 i.V.m. § 93c Abs. 1 Satz 1 BVerfGG).
Die angegriffenen Beschlüsse verletzen den Beschwerdeführer in seinem Grundrecht aus Art. 2 Abs. 2 Satz 2 GG in Verbindung mit Art. 104 Abs. 1 GG. Sie genügen nicht den aus dem Gewicht des Freiheitsanspruchs des Beschwerdeführers folgenden Sachaufklärungs- und Begründungsanforderungen.
1. Die Freiheit der Person darf nur aus besonders gewichtigen Gründen und unter Beachtung strenger formeller Gewährleistungen eingeschränkt werden (Art. 2 Abs. 2 Satz 2, Art. 104 Abs. 1 GG).
a) Es ist unverzichtbare Voraussetzung eines rechtsstaatlichen Verfahrens, dass Entscheidungen, die – wie Entscheidungen über die Fortdauer der Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus nach § 67e Abs. 1 Satz 2 StGB – den Entzug der persönlichen Freiheit betreffen, auf zureichender richterlicher Sachaufklärung beruhen und eine in tatsächlicher Hinsicht genügende Grundlage haben (vgl. nur BVerfGE 70, 297 ≪307 ff.≫; BVerfGK 15, 287 ≪294 ff.≫; zuletzt BVerfG, Beschluss der 3. Kammer des Zweiten Senats vom 19. Juli 2011 – 2 BvR 2413/10 –, juris, jeweils m.w.N.).
Geht es um Prognoseentscheidungen, bei denen geistige und seelische Anomalien in Frage stehen, folgt aus diesem Aufklärungsgebot in der Regel die Pflicht des Gerichts, einen erfahrenen Sachverständigen hinzuzuziehen. Dies gilt insbesondere dort, wo die Gefährlichkeit eines in einem psychiatrischen Krankenhaus Untergebrachten zu beurteilen ist; denn die Umstände, die diese bestimmen, sind für den Richter oft schwer erkennbar und abzuwägen (BVerfGE 70, 297 ≪309≫). Daraus folgt zwar noch nicht, dass bei jeder nach § 67e Abs. 1 Satz 2, Abs. 2 StGB turnusmäßig vorzunehmenden Überprüfung der Unterbringung von Verfassungs wegen zwingend ein ärztliches Sachverständigengutachten einzuholen wäre. Nicht bei jeder Überprüfung der Unterbringung muss der gleiche Aufwand veranlasst sein (vgl. BVerfGE 70, 297 ≪309≫; BVerfGK 15, 287 ≪295≫). Bestehen keine zwingenden gesetzlichen Vorgaben, hängt es von dem sich nach den Umständen des einzelnen Falles bestimmenden pflichtgemäßen Ermessen des Richters ab, in welcher Weise er die Aussetzungsreife prüft. Immer ist allerdings eine für den Einzelfall hinreichende Gründlichkeit bei der Entscheidungsfindung zu gewährleisten (BVerfGE 70, 297 ≪309 f.≫).
b) Mit zunehmender Dauer des Freiheitsentzugs steigen die verfassungsrechtlichen Anforderungen an die Sachverhaltsaufklärung und die Begründungstiefe einer Überprüfungsentscheidung; zugleich wächst mit dem stärker werdenden Freiheitseingriff auch die verfassungsgerichtliche Kontrolldichte. Befindet sich der Untergebrachte seit langer Zeit in ein und demselben psychiatrischen Krankenhaus, ist es daher in der Regel geboten, von Zeit zu Zeit einen anstaltsfremden Sachverständigen hinzuzuziehen, um der Gefahr repetitiver Routinebeurteilungen vorzubeugen (vgl. BVerfGE 70, 297 ≪311, 316≫; 109, 133 ≪162≫; 117, 71 ≪105, 106≫; BVerfGK 5, 40 ≪43≫; 15, 287 ≪295≫) und um auszuschließen, dass Belange der Anstalt oder die Beziehung zwischen Untergebrachtem und Therapeuten das Gutachten beeinflussen (vgl. BVerfGE 109, 133 ≪164≫).
c) Dieses verfassungsrechtliche Gebot ist seit dem Jahr 2007 durch die Vorschrift des § 463 Abs. 4 StPO konkretisiert. Danach soll das Gericht im Rahmen der Überprüfungen nach § 67e StGB nach jeweils fünf Jahren vollzogener Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus das Gutachten eines Sachverständigen einholen (§ 463 Abs. 4 Satz 1 StPO), der weder im Rahmen des Vollzugs der Unterbringung mit der Behandlung der untergebrachten Person befasst war (§ 463 Abs. 4 Satz 2 Variante 1 StPO) noch in dem psychiatrischen Krankenhaus arbeitet, in dem sich die untergebrachte Person befindet (§ 463 Abs. 4 Satz 2 Variante 2 StPO).
Die Einhaltung der Vorgaben aus § 463 Abs. 4 Satz 1 und 2 StPO ist ein Verfassungsgebot (BVerfGK 15, 287 ≪298≫). Art. 104 Abs. 1 GG nimmt den schon in Art. 2 Abs. 2 Satz 3 GG enthaltenen Gesetzesvorbehalt auf und verstärkt ihn dergestalt, dass er die Einhaltung der Formvorschriften eines freiheitsbeschränkenden Gesetzes zum Verfassungsgebot erhebt. Die Verletzung des freiheitsschützenden Gesetzes wird damit zu einem Verfassungsverstoß, dem der Betroffene mit der Verfassungsbeschwerde entgegentreten kann (vgl. BVerfGE 65, 317 ≪321 f.≫; BVerfGK, 15, 287 ≪298≫).
d) Die einfachgesetzliche Absicherung des Freiheitsgrundrechts durch § 463 Abs. 4 StPO schließt es allerdings nicht aus, dass das Gericht verpflichtet sein kann, im Rahmen seiner Sachaufklärungspflicht bei der Überprüfung der Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus von Verfassungs wegen bereits vor Erreichen der Fünf-Jahres-Frist einen externen Sachverständigen hinzuzuziehen (zutreffend: OLG Zweibrücken, Beschluss vom 10. Juni 2008 – 1 Ws 154/08 –, juris). Umgekehrt ist nach der Neuregelung ein externes Gutachten als Grundlage einer nach fünf Jahren zu treffenden Überprüfungsentscheidung nur in sehr eng begrenzten Ausnahmefällen entbehrlich, wie schon die Ausgestaltung der das Freiheitsgrundrecht sichernden Verfahrensnorm als Sollvorschrift zeigt. Sie schließt ein Abweichen von der Regel nicht generell aus, erhöht allerdings die Begründungslast der Vollstreckungsgerichte für ein solches Abweichen (BVerfGK 15, 287 ≪297≫).
2. Die angegriffenen Entscheidungen tragen diesen Anforderungen an die Sachverhaltsaufklärung und an die Begründung von Entscheidungen, die das Freiheitsgrundrecht betreffen, nicht hinreichend Rechnung.
a) Die angegriffenen Entscheidungen genügen, indem sie sich maßgeblich auf die Stellungnahme der behandelnden Klinik vom 27. Mai 2011 stützen, nicht den verfassungsrechtlichen Anforderungen an die Qualität gerichtlicher Sachverhaltserforschung.
Die Gerichte hätten vor ihren Entscheidungen das Gutachten eines anstaltsfremden Sachverständigen zur Frage einholen müssen, ob vom Beschwerdeführer außerhalb des Maßregelvollzugs noch die Begehung rechtswidriger Taten zu erwarten ist (vgl. § 67d Abs. 2 Satz 1, Abs. 6 StGB). Der Beschwerdeführer befand sich im Zeitpunkt der Entscheidung des Amtsgerichts seit mehr als zehn Jahren im Vollzug der Unterbringung in ein und demselben psychiatrischen Krankenhaus. Eine Begutachtung zur Frage der Notwendigkeit der Fortdauer der Unterbringung durch einen externen, nicht mit der Klinik verbundenen Sachverständigen hatte bis dahin während der gesamten Unterbringungszeit nicht stattgefunden. Im Hinblick auf die – gerade auch gemessen am Strafrahmen der vom Beschwerdeführer erfüllten Tatbestände – erhebliche Unterbringungsdauer hätte sich den Gerichten die Notwendigkeit einer externen Begutachtung auch unabhängig von der ausdrücklichen Bestimmung des § 463 Abs. 4 StPO, den die Fachgerichte trotz eines vorherigen, ausdrücklich auf diese Vorschrift gestützen Antrags nicht einmal angesprochen, geschweige denn geprüft haben, aufdrängen müssen.
b) Die angegriffenen Entscheidungen tragen in ihren Begründungen dem Gewicht des Freiheitsanspruchs des Beschwerdeführers auch im Übrigen nicht hinreichend Rechnung.
Die Begründungen der Beschlüsse des Amts- und des Landgerichts erschöpfen sich weitgehend in einer unkritischen Wiedergabe der Stellungnahme der behandelnden Klinik vom 27. Mai 2011 und einer Bezugnahme auf deren Empfehlung. Eine Überprüfung der Stellungnahme auf innere Konsistenz und eine den bisherigen Therapieverlauf, den aktuellen Zustand des Beschwerdeführers sowie Art und Maß der von ihm derzeit ausgehenden Gefahr in den Blick nehmende eigenständige Abwägung ist den Gründen nicht zu entnehmen.
c) Dass das Landgericht abschließend angeregt hat, „demnächst” einen externen Gutachter zu beauftragen, ändert an dem bestehenden Aufklärungs- und Begründungsdefizit der getroffenen Entscheidung nichts.
3. Die Entscheidung über die Aufhebung und Zurückverweisung beruht auf § 95 Abs. 2 BVerfGG. Das Bundesverfassungsgericht muss nicht sämtliche angegriffenen verfassungswidrigen Entscheidungen aufheben, sondern kann die Sache auch an ein Gericht höherer Instanz zurückverweisen. Das ergibt sich aus der dem Bundesverfassungsgericht in § 95 Abs. 2 BVerfGG eingeräumten Befugnis, in den Fällen des § 90 Abs. 2 Satz 1 BVerfGG die Sache an „ein zuständiges Gericht” – das somit nicht notwendig das Gericht der Eingangsinstanz sein muss – zurückzuverweisen; dem Bundesverfassungsgericht ist insofern ein Gestaltungsspielraum eingeräumt, der je nach der Art der festgestellten Verfassungsverletzung und unter Berücksichtigung von Gründen der Prozesswirtschaftlichkeit in unterschiedlicher Weise genutzt werden kann. Aufhebung und Zurückverweisung müssen lediglich so weit greifen, wie dies zur Beseitigung des festgestellten Verfassungsverstoßes nötig ist (vgl. BVerfG, Beschluss der 2. Kammer des Zweiten Senats vom 9. Juli 1995 – 2 BvR 1180/94 –, juris). Sind – wie hier – für die neue Beurteilung weitere Tatsachenfeststellungen nötig, muss die Zurückverweisung grundsätzlich in eine Instanz erfolgen, die außer zur Rechts- auch zur Tatsachenüberprüfung und -neufeststellung befugt ist. Danach reicht es hier aus, die Sache an das Beschwerdegericht zurückzuverweisen, das nach § 308 Abs. 2 StPO zu eigenen Sachverhaltsfeststellungen nicht nur berechtigt, sondern auch verpflichtet ist (BVerfG, Beschluss der 3. Kammer des Zweiten Senats vom 19. Juli 2011 – 2 BvR 2413/10 –, juris).
Die Anordnung der Auslagenerstattung folgt aus § 34a Abs. 2 BVerfGG.
Unterschriften
Lübbe-Wolff, Huber, Kessal-Wulf
Fundstellen