Verfahrensgang
OLG Frankfurt am Main (Beschluss vom 13.12.2011; Aktenzeichen 3 Ws 1097/11) |
LG Wiesbaden (Beschluss vom 26.09.2011; Aktenzeichen 1 StVK 42/11) |
Tenor
Der Beschluss der Strafvollstreckungskammer des Landgerichts Wiesbaden vom 26. September 2011 – 1 StVK 42/11 – und der Beschluss des Oberlandesgerichts Frankfurt am Main vom 13. Dezember 2011 – 3 Ws 1097/11 – verletzen den Beschwerdeführer in seinem Grundrecht aus Artikel 2 Absatz 2 Satz 2 in Verbindung mit Artikel 104 Absatz 1 Satz 1 des Grundgesetzes.
Die Beschlüsse werden aufgehoben. Die Sache wird an das Landgericht Wiesbaden zurückverwiesen.
Das Land Hessen hat dem Beschwerdeführer die notwendigen Auslagen zu erstatten.
Damit erledigt sich der Antrag auf Bewilligung von Prozesskostenhilfe und Beiordnung des Rechtsanwalts Sch.
Tatbestand
A.
Die Verfassungsbeschwerde betrifft die Anforderungen an einen Beschluss zur Anordnung der Fortdauer der Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus.
I.
1. Der Beschwerdeführer wurde durch Urteil des Landgerichts Gießen vom 14. April 1992 wegen Brandstiftung, begangen im Zustand verminderter Schuldfähigkeit, zu einer Freiheitsstrafe von einem Jahr und sechs Monaten verurteilt. Daneben wurde die Unterbringung des Beschwerdeführers in einem psychiatrischen Krankenhaus gemäß § 63 StGB angeordnet. Bereits zuvor war der Beschwerdeführer, der bis zu diesem Zeitpunkt lediglich zweimal im Zusammenhang mit Straßenverkehrsdelikten in Erscheinung getreten war, durch Urteil des Landgerichts Hanau vom 10. Juni 1991 wegen Brandstiftung, vier Fällen der versuchten Brandstiftung, Tierquälerei und Fahrens ohne Fahrerlaubnis in Tateinheit mit Trunkenheit im Verkehr zu einer Freiheitsstrafe von zwei Jahren verurteilt worden, deren Vollstreckung zunächst zur Bewährung ausgesetzt worden war. Aufgrund der Verurteilung durch das Landgericht Gießen vom 14. April 1992 wurde die Strafaussetzung zur Bewährung widerrufen und der Beschwerdeführer in der Klinik für forensische Psychiatrie H. untergebracht.
2. Nach einer erfolgreich verlaufenen Erprobung des Beschwerdeführers wurde durch Beschluss der Strafvollstreckungskammer des Landgerichts Marburg vom 17. März 1997 die weitere Vollstreckung der Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus sowie die Vollstreckung des Restes der verhängten Freiheitsstrafe mit Wirkung zum 31. März 1997 zur Bewährung ausgesetzt. Dem Beschwerdeführer wurde im Rahmen des Beschlusses unter anderem aufgegeben, Alkohol und andere berauschende Mittel, deren Konsum jeweils der Begehung der den Vorverurteilungen zugrundeliegenden Taten vorausgegangen war, strikt zu meiden.
3. Trotz der erteilten Weisung konsumierte der Beschwerdeführer in der Folgezeit immer wieder Alkohol, was zu erneutem aggressiven Verhalten führte. Im März 1998 verletzte er unter Alkoholeinfluss vorsätzlich eine Kuh eines Nachbarn mit einer Mistgabel. Aufgrund der fortbestehenden Alkoholerkrankung unterzog sich der Beschwerdeführer in der Zeit von 1998 bis 2001 zweimal einer stationären Entgiftung, was allerdings weder zu einer dauerhaften Krankheitseinsicht noch zu einer erfolgreichen Bekämpfung der Alkoholsucht führte.
4. Aufgrund der gröblichen und beharrlichen Verstöße des Beschwerdeführers gegen die erteilte Weisung, keinen Alkohol zu konsumieren, wurde die Aussetzung der Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus schließlich durch Beschluss der Strafvollstreckungskammer des Landgerichts Marburg vom 19. März 2002 widerrufen. Eine weitere Erprobung zur Vorbereitung einer möglichen bedingten Entlassung aus der Klinik für forensische Psychiatrie H. in der Zeit von Oktober 2005 bis Mai 2006 musste aufgrund von Weisungsverstößen des Beschwerdeführers, der im Verdacht stand, wiederum Alkohol konsumiert und eine Tierquälerei begangen zu haben, abgebrochen werden. Der Behandlungsverlauf war in der Folge durch eine stark ablehnende Grundhaltung des Beschwerdeführers gegenüber therapeutischen Angeboten geprägt. Eine kriminaltherapeutische Behandlung sowie die Aufarbeitung der beiden gescheiterten Entlassungsversuche waren aufgrund der passiv-vermeidenden Grundhaltung des Beschwerdeführers nicht möglich. Am 6. Mai 2010 wurde er schließlich in die Klinik für forensische Psychiatrie nach E. verlegt.
5. Nachdem der Beschwerdeführer auch dort zunächst durch eine verweigernd-passive Haltung gegenüber therapeutischen Angeboten aufgefallen war und bis August 2010 die Teilnahme an arbeitstherapeutischen, ergotherapeutischen und sporttherapeutischen Angeboten verweigert hatte, nahm er ab diesem Zeitpunkt jeweils einen arbeits- und einen ergotherapeutischen Termin pro Woche wahr und steigerte die Teilnahme seit März 2011 auf drei Termine pro Woche. Eine kriminaltherapeutische Behandlung und eine damit verbundene Reflexion und kritische Auseinandersetzung mit den gescheiterten Entlassungsversuchen sowie eine Deliktsaufarbeitung lehnte der Beschwerdeführer – mit Ausnahme einer kurzfristigen Teilnahme an entsprechenden Gesprächen im August und September 2010 – weiterhin ab.
6. Im Rahmen eines forensisch-psychiatrischen Prognosegutachtens vom 26. April 2011 führte die Klinik für forensische Psychiatrie in E. aus, der Beschwerdeführer weise eine mangelhafte Krankheitseinsicht auf. Er externalisiere Verantwortung und lehne jegliche Art der Eigenverantwortung ab. Er begebe sich immer wieder in eine ängstlich-vermeidende Verweigerungshaltung. Im Falle einer Entlassung aus der Klinik für forensische Psychiatrie könne von einer erneuten Überforderung des Beschwerdeführers ausgegangen werden. Die psychisch emotionale Drucksituation lasse den erneuten Alkohol- und Substanzkonsum ebenso wie das Ausagieren über Handlungen im Sinne der Indexdelinquenz erwarten.
7. Die Strafvollstreckungskammer des Landgerichts Wiesbaden ordnete daraufhin nach Anhörung des Beschwerdeführers und der Staatsanwaltschaft mit angegriffenem Beschluss vom 26. September 2011 die Fortdauer der Unterbringung des Beschwerdeführers in einem psychiatrischen Krankenhaus an. Ausweislich der Stellungnahme der Klinik für forensische Psychiatrie E. fehle es weiterhin an einem Therapieerfolg und einer darauf beruhenden positiven Kriminalprognose. Im Falle einer Entlassung seien infolge von Überforderung erneut Alkoholkonsum sowie ein Ausagieren über Handlungen im Sinne der Indexdelinquenz zu erwarten. Die Kammer sei daher – auch nach Anhörung des Beschwerdeführers – zu der Überzeugung gelangt, dass der bestehenden Gefahr der Begehung weiterer erheblicher Taten durch den Beschwerdeführer gegenwärtig nur durch die Anordnung der Fortdauer der Unterbringung begegnet werden könne. Die Verhältnismäßigkeit sei weiterhin gewahrt.
8. Der Beschwerdeführer erhob gegen diesen Beschluss sofortige Beschwerde. Die Strafvollstreckungskammer des Landgerichts Wiesbaden habe sich nicht ausreichend mit der Frage auseinandergesetzt, ob im Falle der Entlassung des Beschwerdeführers weitere erhebliche Straftaten zu erwarten seien. Zudem sei keine zureichende Befassung mit dem Grundsatz der Verhältnismäßigkeit der weiteren Unterbringung erfolgt. Die Strafvollstreckungskammer habe kritiklos die Stellungnahme der Klinik für forensische Psychiatrie E. übernommen und diese in keiner Weise hinterfragt.
9. Das Oberlandesgericht Frankfurt am Main verwarf die sofortige Beschwerde mit ebenfalls angegriffenem Beschluss vom 13. Dezember 2011 als unbegründet. Die Tatsache, dass die Strafvollstreckungskammer im Rahmen der angegriffenen Entscheidung vom 26. September 2011 nicht näher ausgeführt habe, welche Straftaten von dem Beschwerdeführer im Falle seiner Entlassung zu erwarten seien, sei unschädlich. Es verstehe sich von selbst, dass es sich dabei um Taten im Sinne des Einweisungsdelikts (Brandstiftung, Tierquälerei) handele, da der Beschwerdeführer schon vor der Anlassverurteilung mehrfach solche Taten begangen habe und deswegen verurteilt worden sei. Zudem stehe er im Verdacht, während der beiden gescheiterten Entlassungsversuche deliktnahes Verhalten gezeigt zu haben. Die weitere Unterbringung des Beschwerdeführers in einem psychiatrischen Krankenhaus sei zudem auch verhältnismäßig. Bei der in diesem Zusammenhang gebotenen Güterabwägung sei die verweigernde Haltung des Beschwerdeführers, der nahezu jegliche, auf die Vermeidung künftiger Delinquenz abzielende Behandlung abgelehnt habe, mit einzustellen.
II.
Der Beschwerdeführer sieht sich durch die angegriffenen Beschlüsse in seinem Grundrecht aus Art. 2 Abs. 2 Satz 2 in Verbindung mit Art. 104 Abs. 1 Satz 1 GG verletzt. Den angegriffenen Beschlüssen sei keine zureichende Sachverhaltsaufklärung vorausgegangen. Weder die Strafvollstreckungskammer des Landgerichts Wiesbaden noch das Oberlandesgericht Frankfurt am Main hätten sich mit der Art der zu erwartenden weiteren Straftaten, deren Erheblichkeit oder dem Grad der Wahrscheinlichkeit, mit welchem weitere Straftaten zu erwarten seien, befasst. Die Anordnung der Fortdauer der Unterbringung des Beschwerdeführers sei zudem nicht mehr verhältnismäßig. Die insofern durch das Oberlandesgericht Frankfurt am Main angestellten Erwägungen seien nicht geeignet, eine Verhältnismäßigkeit der weiteren Unterbringung des Beschwerdeführers zu begründen, nachdem dieser angesichts einer Verurteilung zu einer Freiheitsstrafe von einem Jahr und sechs Monaten nunmehr insgesamt fast 16 Jahre in einem psychiatrischen Krankenhaus untergebracht sei. Das Gericht stelle pauschal fest, dass weiterhin Brandstiftungs- und Tierquälereidelikte zu erwarten seien, mache aber keinerlei Ausführungen dazu, auf welche Erkenntnisse sich diese Annahme stütze. Dies sei aber erforderlich, nachdem der Beschwerdeführer letztmalig im Jahr 1991 im Zusammenhang mit Brandstiftungsdelikten in Erscheinung getreten sei. Die Gefahr der Begehung weiterer Delikte der Tierquälerei durch den Beschwerdeführer sei nicht geeignet, die Annahme einer Gefahr weiterer erheblicher Straftaten zu begründen. Die weitere Unterbringung sei daher nicht verhältnismäßig.
III.
1. Das Hessische Ministerium der Justiz, für Integration und Europa hat sich zur Unterbringung des Beschwerdeführers in tatsächlicher Hinsicht geäußert und im Übrigen von einer Stellungnahme abgesehen. Der Generalbundesanwalt beim Bundesgerichtshof hält die Verfassungsbeschwerde für unbegründet. Die angegriffenen Entscheidungen trügen den Anforderungen an die Begründung entsprechender Entscheidungen Rechnung und wahrten insbesondere die an die Verhältnismäßigkeitsprüfung zu stellenden Anforderungen. Die verfassungsrechtlich geforderte Konkretisierung der Art und der Wahrscheinlichkeit der im Falle einer Entlassung zu erwartenden rechtswidrigen Taten sei in der gebotenen Ausführlichkeit vorgenommen worden. In Anbetracht der Schwere der zu erwartenden Taten und des bestehenden Gefährdungspotentials sei es zudem vertretbar, den Beschwerdeführer weiterhin in der Maßregel unterzubringen. Dies gelte insbesondere mit Blick auf die durch das Gutachten belegte erhebliche Wahrscheinlichkeit für künftige vergleichbare Delinquenz. Der Anordnung der Fortdauer der Unterbringung stehe vor diesem Hintergrund auch nicht die Dauer des bisherigen Maßregelvollzugs entgegen.
2. Dem Bundesverfassungsgericht haben die Akten 403 Js 14245/91 BS der Staatsanwaltschaft Gießen vorgelegen.
Entscheidungsgründe
B.
Die Voraussetzungen für eine stattgebende Kammerentscheidung nach § 93c Abs. 1 Satz 1 in Verbindung mit § 93a Abs. 2 BVerfGG sind erfüllt. Das Bundesverfassungsgericht hat die für die Beurteilung der Verfassungsbeschwerde maßgeblichen verfassungsrechtlichen Fragen bereits entschieden (§ 93c Abs. 1 Satz 1 BVerfGG; vgl. BVerfGE 70, 297) und die Annahme der Verfassungsbeschwerde ist zur Durchsetzung des Grundrechts des Beschwerdeführers aus Art. 2 Abs. 2 Satz 2 in Verbindung mit Art. 104 Abs. 1 Satz 1 GG angezeigt (§ 93a Abs. 2 Buchstabe b BVerfGG). Die Verfassungsbeschwerde ist offensichtlich begründet (§ 93c Abs. 1 Satz 1 BVerfGG).
I.
Die angegriffenen Beschlüsse verletzen den Beschwerdeführer in seinem Grundrecht aus Art. 2 Abs. 2 Satz 2 in Verbindung mit Art. 104 Abs. 1 Satz 1 GG.
1. a) Die Freiheit der Person darf nur aus besonders gewichtigen Gründen und unter strengen formellen Gewährleistungen eingeschränkt werden (Art. 2 Abs. 2, Art. 104 Abs. 1 GG). Zu diesen wichtigen Gründen gehören in erster Linie solche des Strafrechts und des Strafverfahrensrechts. Eingriffe in die persönliche Freiheit auf diesem Gebiet dienen vor allem dem Schutz der Allgemeinheit (vgl. BVerfGE 22, 180 ≪219≫; 45, 187 ≪223≫; 58, 208 ≪224 f.≫); zugleich haben die gesetzlichen Eingriffstatbestände freiheitsgewährleistende Funktion, da sie die Grenzen zulässiger Einschränkung der Freiheit der Person bestimmen. Das gilt auch für die Regelung der Unterbringung eines schuldunfähigen oder erheblich vermindert schuldfähigen Straftäters, von dem infolge seines Zustandes erhebliche rechtswidrige Taten zu erwarten sind, in einem psychiatrischen Krankenhaus gemäß § 63 StGB.
b) Die freiheitssichernde Funktion des Art. 2 Abs. 2 GG hat auch verfahrensrechtliche Bedeutung. Unverzichtbare Voraussetzung eines rechtsstaatlichen Verfahrens ist, dass Entscheidungen, die den Entzug der persönlichen Freiheit betreffen, auf zureichender richterlicher Sachaufklärung beruhen (vgl. BVerfGE 58, 208 ≪222≫) und eine in tatsächlicher Hinsicht genügende Grundlage haben, die der Bedeutung der Freiheitsgarantie entspricht (vgl. BVerfGE 58, 208 ≪230≫).
Erst eine hinreichende Tatsachengrundlage setzt den Richter in den Stand, darüber zu entscheiden, ob die Vollstreckung der Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus zur Bewährung auszusetzen ist (§ 67d Abs. 2 StGB). Nur auf dieser Grundlage kann er die von ihm geforderte Prognose künftiger Straffälligkeit stellen sowie die Verantwortbarkeit einer Erprobung des Untergebrachten in Freiheit und die Verhältnismäßigkeit einer weiteren Unterbringung prüfen.
c) Der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit ist in die Entscheidung über die Aussetzungsreife der Maßregel nach § 67d Abs. 2 StGB einzubeziehen (integrative Betrachtung). Die Beurteilung hat sich darauf zu erstrecken, ob und welche Art rechtswidriger Taten von dem Untergebrachten drohen, wie ausgeprägt das Maß der Gefährdung ist (Häufigkeit und Rückfallfrequenz) und welches Gewicht den bedrohten Rechtsgütern zukommt. Dabei ist die von dem Untergebrachten ausgehende Gefahr hinreichend zu konkretisieren; die Art und der Grad der Wahrscheinlichkeit zukünftiger rechtswidriger Taten ist zu bestimmen; deren bloße Möglichkeit vermag die weitere Maßregelvollstreckung nicht zu rechtfertigen. Bei allem ist auf die Besonderheiten des jeweiligen Einzelfalles einzugehen. Zu erwägen sind das frühere Verhalten des Untergebrachten und von ihm bislang begangene Taten. Abzuheben ist aber auch auf die seit der Anordnung der Maßregel veränderten Umstände, die für die künftige Entwicklung bestimmend sind (vgl. BVerfGE 70, 297 ≪314 f.≫; BVerfGK 16, 501 ≪506≫).
Der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit gebietet, die Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus nach § 63 StGB nur solange zu vollstrecken, wie der Zweck der Maßregel dies unabweisbar erfordert und zu seiner Erreichung den Untergebrachten weniger belastende Maßnahmen – im Rahmen der Aussetzung der Vollstreckung zur Bewährung (§ 67d Abs. 2, §§ 68a, 68b StGB) – nicht genügen. Je länger die Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus andauert, umso strenger sind die Voraussetzungen für die Verhältnismäßigkeit des Freiheitsentzuges. Der im Einzelfall unter Umständen nachhaltige Einfluss des gewichtiger werdenden Freiheitsanspruchs wird jedoch dort an Grenzen stoßen, wo es im Blick auf die Art der von dem Untergebrachten drohenden Taten, deren Bedeutung und deren Wahrscheinlichkeit vor dem staatlichen Schutzauftrag für die Rechtsgüter des Einzelnen und der Allgemeinheit unvertretbar erscheint, den Untergebrachten in die Freiheit zu entlassen (vgl. BVerfGE 70, 297 ≪315≫).
d) Das zunehmende Gewicht des Freiheitsanspruchs wirkt sich bei langdauernden Unterbringungen auch auf die an die Begründung einer Entscheidung nach § 67d Abs. 2 StGB zu stellenden Anforderungen aus. In diesen Fällen engt sich der Bewertungsrahmen des Strafvollstreckungsrichters ein; mit dem stärker werdenden Freiheitseingriff wächst die verfassungsgerichtliche Kontrolldichte. Dies erfordert, dass der Richter seine Entscheidung eingehend begründet, sich also nicht mit knappen, allgemeinen Wendungen begnügt, sondern seine Bewertung anhand der dargestellten einfachrechtlichen Maßstäbe substantiiert offenlegt. Erst dadurch wird es möglich, im Rahmen verfassungsgerichtlicher Kontrolle nachzuvollziehen, ob die von dem Täter ausgehende Gefahr seinen Freiheitsanspruch gleichsam aufzuwiegen vermag (vgl. BVerfGE 70, 297 ≪315 f.≫).
2. Die angegriffenen Beschlüsse der Strafvollstreckungskammer des Landgerichts Wiesbaden und des Oberlandesgerichts Frankfurt am Main genügen diesen Anforderungen nicht.
Angesichts der Dauer der Unterbringung des Beschwerdeführers in einem psychiatrischen Krankenhaus sowie des Charakters der Anlass zur Unterbringung gebenden Taten hätten in den Beschlüssen die einzelnen, die Fortdauer der Unterbringung tragenden Umstände substantiiert dargelegt und gewichtet werden müssen, um festzustellen, ob diese das Freiheitsgrundrecht des Beschwerdeführers auch zukünftig aufwiegen können.
a) Die angegriffenen Beschlüsse sind unzureichend begründet und werden bereits hierdurch dem Gewicht des fortdauernden Eingriffs in das Freiheitsgrundrecht des Beschwerdeführers nicht gerecht. Weder die Strafvollstreckungskammer des Landgerichts Wiesbaden noch das Oberlandesgericht Frankfurt am Main haben hinreichende Ausführungen dahingehend gemacht, welche Art erheblicher rechtswidriger Taten vom Beschwerdeführer drohen und wie ausgeprägt das Maß der Gefährdung ist. Der angegriffene Beschluss der Strafvollstreckungskammer erschöpft sich in der Feststellung, dass „Handlungen im Sinne der Indexdelinquenz” weiterhin zu erwarten seien. Insoweit wird die Stellungnahme der V. Klinik für forensische Psychiatrie E. vom 26. April 2011 wortgleich wiedergegeben. Durch das Oberlandesgericht Frankfurt am Main erfolgte auf die sofortige Beschwerde des Beschwerdeführers lediglich eine Konkretisierung insoweit, dass es sich bei „Handlungen im Sinne der Indexdelinquenz” um Taten im Sinne des Einweisungsdelikts (Brandstiftung, Tierquälerei) handeln würde.
aa) Dem Urteil des Landgerichts Gießen, in dem die Unterbringung des Beschwerdeführers in einem psychiatrischen Krankenhaus angeordnet wurde, lag ausschließlich eine Brandstiftung zugrunde. Die durch das Oberlandesgericht Frankfurt am Main angeführte Tierquälerei war zwar Gegenstand einer Vorverurteilung des Beschwerdeführers aus dem Jahr 1991, nicht aber Gegenstand der der Einweisung zugrundeliegenden Verurteilung, auch wenn durch die abgeurteilte Tat Tiere zu Schaden gekommen sind. Vor diesem Hintergrund hätte es einer Auseinandersetzung mit der Frage bedurft, mit welcher Wahrscheinlichkeit im Falle einer Entlassung des Beschwerdeführers mit der Begehung weiterer Brandstiftungen zu rechnen ist. Hierzu bestand insbesondere wegen des insoweit unauffälligen Verhaltens des Beschwerdeführers während der mehrjährigen Entlassungszeiträume Veranlassung.
Zwar musste sowohl die durch Beschluss der Strafvollstreckungskammer des Landgerichts Marburg vom 17. März 1997 dem Beschwerdeführer gewährte Bewährung widerrufen als auch ein erneuter Entlassungsversuch im Zeitraum Oktober 2005 bis Mai 2006 abgebrochen werden. Anlass für den Widerruf beziehungsweise den Abbruch der Maßnahme waren aber nicht erneute Handlungen im Sinne des Einweisungsdelikts. Der Widerruf der Aussetzung der Unterbringung erfolgte aufgrund des weisungswidrigen Alkoholkonsums des Beschwerdeführers, der unter Alkoholeinfluss eine Kuh mit einer Mistgabel verletzt hatte. Im Fall des Abbruchs der Erprobungsmaßnahme war Anlass eine lediglich vermutete erneute Tierquälerei, die der Beschwerdeführer bestreitet. Darüber hinaus war Ursache für den Abbruch wiederum der Alkoholkonsum des Beschwerdeführers und dessen dadurch bedingtes aggressives Verhalten, welches allerdings nicht näher konkretisiert wird. Sowohl während der Bewährungsentlassung von April 1997 bis zum Januar 2002 als auch während der Erprobungsphase von Oktober 2005 bis Mai 2006 ist der Beschwerdeführer in Bezug auf Brandstiftungsdelikte nicht einschlägig in Erscheinung getreten. Die pauschale Annahme einer fortbestehenden Gefahr erneuter Brandstiftungen ist daher nicht ausreichend. Stattdessen hätte eine konkrete Bestimmung des Grades der Wahrscheinlichkeit künftiger Brandstiftungsdelikte erfolgen müssen. Soweit die zur Verfügung stehenden Beurteilungsgrundlagen hierfür unzureichend waren, hätte es weiterer Sachverhaltsaufklärung bedurft.
bb) Soweit das Oberlandesgericht Frankfurt am Main die Anordnung der Fortdauer der Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus auch mit der Gefahr der Begehung weiterer Delikte der Tierquälerei begründet, mag zwar eine höhere Wahrscheinlichkeit weiterer Straftaten aufgrund der dargestellten Vorkommnisse gegeben sein. Es handelt sich bei der Tierquälerei allerdings um eine Straftat, die gemäß § 17 Tierschutzgesetz mit Geldstrafe oder Freiheitsstrafe bis zu drei Jahren bestraft wird und allenfalls dem Bereich der mittleren Kriminalität zuzuordnen ist. Da auch insoweit die von dem Beschwerdeführer ausgehende Gefahr weiterer Delikte nicht konkretisiert wird, genügt vorliegend – ungeachtet der Frage, ob der Verstoß gegen § 17 Tierschutzgesetz generell als Straftat von erheblicher Bedeutung im Sinne des § 63 StGB angesehen werden kann – der bloße Verweis auf die Möglichkeit der Begehung weiterer Tierquälereien nicht, die Fortdauer der Unterbringung des Beschwerdeführers in einem psychiatrischen Krankenhaus zu begründen.
b) Darüber hinaus wäre es angesichts der langjährigen Unterbringung erforderlich gewesen, im Rahmen der angegriffenen Beschlüsse eine sorgfältige Abwägung zwischen dem Freiheitsanspruch des Beschwerdeführers und den Sicherungsinteressen der Allgemeinheit vorzunehmen. Die Strafvollstreckungskammer des Landgerichts Wiesbaden hat eine nachvollziehbare Verhältnismäßigkeitsprüfung nicht vorgenommen, sondern lediglich festgestellt, dass die Verhältnismäßigkeit gewahrt sei. Das Oberlandesgericht Frankfurt am Main begründet die Verhältnismäßigkeit der Fortdauer der Unterbringung des Beschwerdeführers mit dessen verweigernder Haltung im Rahmen der Unterbringung und dem damit verbundenen Ausbleiben einer Aufarbeitung des Geschehenen. Diese Ausführungen sind jedoch aufgrund der der Verurteilung zugrundeliegenden Straftat, für die der Beschwerdeführer – unter Annahme einer verminderten Schuldfähigkeit gemäß § 21 StGB – zu einer Freiheitsstrafe von einem Jahr und sechs Monaten verurteilt wurde, sowie der Tatsache, dass der Vollzug der Unterbringung die verhängte Freiheitsstrafe bereits um mehr als das Zehnfache übersteigt, nicht ausreichend, um die Verhältnismäßigkeit der Fortdauer der Unterbringung zu begründen. Insoweit wäre darzulegen gewesen, warum trotz des zunehmenden Gewichts des Freiheitsanspruchs des Beschwerdeführers angesichts der langandauernden Unterbringung unverändert das Interesse an einer Fortdauer der Unterbringung überwiegt.
II.
1. Die Beschlüsse der Strafvollstreckungskammer des Landgerichts Wiesbaden und des Oberlandesgerichts Frankfurt am Main sind aufzuheben. Die Sache ist an das Landgericht Wiesbaden zurückzuverweisen (§ 95 Abs. 2 BVerfGG).
2. Die Entscheidung über die Erstattung der notwendigen Auslagen beruht auf § 34a Abs. 2 BVerfGG.
Unterschriften
Gerhardt, Hermanns, Müller
Fundstellen
StV 2014, 148 |
R&P 2013, 96 |