Verfahrensgang
OVG der Freien Hansestadt Bremen (Beschluss vom 02.07.2007; Aktenzeichen 1 A 21/07) |
OVG der Freien Hansestadt Bremen (Beschluss vom 02.07.2007; Aktenzeichen 1 S 15/07) |
VG Bremen (Beschluss vom 05.01.2007; Aktenzeichen 7 K 1774/06) |
VG Bremen (Beschluss vom 29.12.2006; Aktenzeichen 7 K 1774/06) |
Tenor
1. Der Beschluss des Verwaltungsgerichts der Freien Hansestadt Bremen vom 29. Dezember 2006 – 7 K 1774/06 – und der Beschluss des Oberverwaltungsgerichts der Freien Hansestadt Bremen vom 2. Juli 2007 – 1 S 15/07 – verletzen die Beschwerdeführer in ihrem Grundrecht aus Artikel 3 Absatz 1 in Verbindung mit Artikel 20 Absatz 3 des Grundgesetzes. Sie werden aufgehoben. Die Sache wird an das Verwaltungsgericht der Freien Hansestadt Bremen zurückverwiesen. Damit wird der Beschluss des Verwaltungsgerichts der Freien Hansestadt Bremen vom 5. Januar 2007 – 7 K 1774/06 – gegenstandslos.
2. Im Übrigen wird die Verfassungsbeschwerde nicht zur Entscheidung angenommen.
3. Die Freie Hansestadt Bremen hat den Beschwerdeführern 2/3 ihrer notwendigen Auslagen zu erstatten.
4. Der Wert des Gegenstandes der anwaltlichen Tätigkeit wird für das Verfassungsbeschwerdeverfahren auf 8.000 € (in Worten: achttausend Euro) festgesetzt.
Gründe
Die Verfassungsbeschwerde betrifft die Versagung von Prozesskostenhilfe in einem verwaltungsgerichtlichen Verfahren um die Befreiung von der Schulpflicht.
I.
1. Die Beschwerdeführer sind Eheleute und die Eltern zweier in den Jahren 1996 und 1999 geborener, schulpflichtiger Söhne. Im Jahre 2005 zogen die Beschwerdeführer mit ihrer Familie nach Bremen. Im Januar 2006 beantragten sie bei der Schulaufsicht, ihre Kinder von der Schulpflicht zu befreien. Schulbesuch erzeuge bei ihren Kindern einen Leidensdruck, auf den sie mit psychosomatischen Beschwerden reagierten. Ihre Kinder fühlten sich durch andere Schüler und deren Verhaltensweisen gestört; sie wollten ohne dieses schulische Umfeld selbstbestimmt lernen. Auch könnten ihre Kinder zu Hause besser und effektiver lernen als in öffentlichen Schulen oder privaten Ersatzschulen. Das zeige das Beispiel anderer Länder, in denen “Homeschooling” akzeptiert sei.
Der Senator für Bildung und Wissenschaft lehnte den Befreiungsantrag ab. Nach erfolglosem Widerspruchsverfahren erhoben die Beschwerdeführer Klage beim Verwaltungsgericht und beantragten, die beklagte Stadt unter Aufhebung der entgegenstehenden Bescheide zu verpflichten, ihre Kinder von der Schulpflicht zu befreien.
2. Mit Urteil vom 8. November 2006 wies das Verwaltungsgericht die Klage ab, ließ aber die Berufung zum Oberverwaltungsgericht zu. Die Klage sei unbegründet. Die Beschwerdeführer hätten keinen Rechtsanspruch auf Befreiung ihrer Kinder von der allgemeinen Schulpflicht. Zur Zulassung der Berufung führte das Gericht unter Bezugnahme auf § 131 Abs. 3 Nr. 1 VwGO (§ 131 VwGO wurde aufgehoben durch Gesetz von 1996, gemeint ist § 124 Abs. 2 Nr. 3 VwGO) lediglich aus, die Rechtssache habe “über den Einzelfall hinausgehende grundsätzliche Bedeutung”.
Über die gegen das Urteil eingelegte Berufung ist noch nicht entschieden.
3. Mit Beschluss vom 29. Dezember 2006 lehnte das Verwaltungsgericht den bereits bei Klageerhebung gestellten Antrag der Beschwerdeführer auf Bewilligung von Prozesskostenhilfe und Beiordnung eines Rechtsanwalts für das Klageverfahren ab. Die Voraussetzungen für die Bewilligung von Prozesskostenhilfe lägen nicht vor, da die Klage keine Aussicht auf Erfolg habe (§ 166 VwGO in Verbindung mit § 114 Satz 1 ZPO). Zur Begründung verwies das Verwaltungsgericht auf die Gründe seines in der Sache ergangenen Urteils vom November 2006.
4. Der gegen diesen Beschluss des Verwaltungsgerichts eingelegten Beschwerde der Beschwerdeführer half das Verwaltungsgericht mit Beschluss vom 5. Januar 2007 nicht ab. Das Oberverwaltungsgericht wies sie mit Beschluss vom 2. Juli 2007 zurück. Das Verwaltungsgericht sei zu Recht davon ausgegangen, dass die Rechtsverfolgung keine hinreichende Aussicht auf Erfolg gehabt habe.
5. Mit einem weiteren Beschluss vom selben Tage lehnte das Oberverwaltungsgericht auch den Antrag der Beschwerdeführer ab, ihnen Prozesskostenhilfe für das Berufungsverfahren zu bewilligen und ihnen einen Rechtsanwalt beizuordnen. Zur Begründung führte das Oberverwaltungsgericht aus:
Die Rechtsverfolgung habe keine hinreichende Aussicht auf Erfolg. Die entscheidungserheblichen Rechtsfragen seien einfach und geklärt. Eine weitere Aufklärung des Sachverhalts sei nicht erforderlich. Für eine Bewilligung von Prozesskostenhilfe sei deshalb auch unter Berücksichtigung von Art. 3 Abs. 1 GG in Verbindung mit dem Rechtsstaatsgrundsatz kein Raum.
Die Erfolgsaussichten in dem beschriebenen Sinne seien hier nicht schon deshalb zu bejahen, weil das Verwaltungsgericht in seinem angefochtenen Urteil die Berufung wegen grundsätzlicher Bedeutung zugelassen habe. Die Entscheidung des Verwaltungsgerichts binde das Oberverwaltungsgericht nur hinsichtlich der Zulässigkeit des Rechtsmittels als solcher, nicht hinsichtlich der dafür gegebenen Begründung. Auch das verwaltungsgerichtliche Urteil lasse im Übrigen nicht erkennen, dass die Rechtssache eine bisher höchstrichterlich oder obergerichtlich nicht beantwortete Frage betreffe.
II.
Mit ihrer Verfassungsbeschwerde rügen die Beschwerdeführer eine Verletzung der verfassungsrechtlich verbürgten Rechtsschutzgleichheit durch die die Prozesskostenhilfe betreffenden Beschlüsse des Verwaltungsgerichts und des Oberverwaltungsgerichts.
1. Der Beschluss des Verwaltungsgerichts vom 29. Dezember 2006 überspanne die Anforderungen an die Erfolgsaussichten der Rechtsverfolgung und verkenne damit die Bedeutung der verfassungsrechtlich garantierten Rechtsschutzgleichheit. Der Zweck der Prozesskostenhilfe, dem Unbemittelten den weitgehend gleichen Zugang zu Gericht zu ermöglichen wie dem Bemittelten, werde so deutlich verfehlt. Zur Begründung führen die Beschwerdeführer unter anderem aus:
a) Das Verwaltungsgericht habe die Berufung zugelassen, weil die Rechtssache über den Einzelfall hinausgehende grundsätzliche Bedeutung habe. Damit sei die Verneinung der Erfolgsaussicht für das erstinstanzliche Hauptsacheverfahren bei der Entscheidung über die Prozesskostenhilfe nicht mehr möglich. Wenn das Verwaltungsgericht davon ausgegangen sei, dass die Berufung ohne jede Erfolgsaussicht sei, hätte es die Berufung nicht zulassen dürfen. Denn das Tatbestandsmerkmal “grundsätzliche Bedeutung” in § 131 VwGO (richtig § 124 VwGO) solle dem Berufungsgericht die Möglichkeit eröffnen, den Lebenssachverhalt umfassend zu bewerten und zu beurteilen. Das beinhalte die Möglichkeit, abweichend vom erstinstanzlichen Urteil zu entscheiden.
b) Den verfassungsrechtlichen Anforderungen habe das Verwaltungsgericht darüber hinaus auch deshalb nicht genügt, weil es den Antrag auf Bewilligung von Prozesskostenhilfe allein mit der Begründung abgelehnt habe, dass die Klage aus den Gründen seines eineinhalb Monate zuvor ergangenen Urteils keine hinreichende Aussicht auf Erfolg biete. Diese Begründung werde dem Zweck der Prozesskostenhilfe nicht gerecht. Wäre nämlich Maßstab des Tatbestandsmerkmals “Aussicht auf Erfolg” (§ 114 ZPO) der tatsächliche Erfolg der Hauptsache, so könne Prozesskostenhilfe regelmäßig nur bewilligt werden, wenn der Antragsteller ihrer gar nicht bedürfe. Die Prozesskostenhilfe solle indes nicht den Erfolg in der Hauptsache “prämieren”, sondern Rechtsschutz ermöglichen. Hiervon könne aber keine Rede sein, wenn über einen spruchreifen Bewilligungsantrag erst eineinhalb Monate nach der Hauptsache entschieden werde und die Entscheidung zudem mit einer Verkennung der Bewilligungsvoraussetzungen einhergehe. Wenn das Gericht schon über den Antrag erst nach dem Urteil zur Hauptsache entscheide, müsse es sich in die Situation vor der Hauptsacheentscheidung hineinversetzen.
c) Der Beschluss des Verwaltungsgerichts verstoße auch deshalb gegen das Gebot der Rechtsschutzgleichheit, weil das Verwaltungsgericht zumindest im Zeitpunkt der Versendung der Ladung zur mündlichen Verhandlung die Erfolgsaussichten der Klage noch für offen gehalten habe, was die Bewilligung von Prozesskostenhilfe gerechtfertigt hätte. Denn es habe ihre, der Beschwerdeführer, Anwesenheit und Befragung als für die Entscheidung notwendig angesehen und ihr Erscheinen in der mündlichen Verhandlung angeordnet. Die nach mehrstündiger Verhandlung gewonnene Erkenntnis, dass die Klage im Ergebnis keinen Erfolg habe, habe kein Grund sein dürfen, der Klage die Erfolgsaussichten nachträglich abzusprechen.
d) Dem Gebot der weitgehenden Angleichung der Situation Unbemittelter und Bemittelter laufe es ferner zuwider, Prozesskostenhilfe zu verweigern, wenn eine Beweisaufnahme ernsthaft in Betracht komme und keine konkreten und nachvollziehbaren Anhaltspunkte dafür vorlägen, dass diese mit großer Wahrscheinlichkeit zum Nachteil des Antragstellers ausgehen werde. So habe es hier gelegen.
e) Schließlich verkenne ein Fachgericht die Bedeutung der Rechtsschutzgleichheit, wenn es § 114 Satz 1 ZPO dahin auslege, dass auch schwierige, noch nicht geklärte Rechtsfragen im Prozesskostenhilfeverfahren durchentschieden werden könnten (Bezugnahme auf BVerfGE 81, 347). Auch das sei hier der Fall. Über die Frage des “Homeschoolings” aus nicht religiösen Motiven sei bislang noch nicht höchstrichterlich entschieden worden.
2. Das Oberverwaltungsgericht habe mit seiner Entscheidung über Prozesskostenhilfe für das Berufungsverfahren ebenfalls gegen das Gebot der Rechtsschutzgleichheit verstoßen. Das Verwaltungsgericht habe die Berufung wegen grundsätzlicher Bedeutung zugelassen und damit dokumentiert, dass die Berufung Erfolgsaussichten habe. Würde man bei einer zugelassenen Berufung die Frage der Erfolgsaussicht im Rahmen der Bewilligung von Prozesskostenhilfe erneut einer Prüfung durch das Berufungsgericht unterwerfen, würde § 124 VwGO leer laufen. Denn danach werde dem Verwaltungsgericht die Möglichkeit gegeben, über die Durchführung eines Berufungsverfahrens zu entscheiden. Diese Möglichkeit dürfe dem Verwaltungsgericht nicht im Rahmen des Nebenverfahrens über die Prozesskostenhilfe wieder genommen werden. Auch für die Parteien sei es unzumutbar, dass ihnen das Recht verwehrt werde, die Berufung durchzuführen, obwohl sie die Hürde des Zulassungsverfahrens genommen hätten.
Das Oberverwaltungsgericht habe zudem ausgeführt, der einem Schulbesuch entgegenstehende Wille der Kinder könne kein Argument für die begehrte Befreiung sein, da dann diese Frage in das Belieben der Eltern gestellt würde. Dabei habe das Oberverwaltungsgericht aber die Frage ungeprüft gelassen, wie mit einem tatsächlich entgegenstehenden Willen der Kinder umzugehen sei. Denn in ihrem Fall würden die Kinder nicht lediglich von den Eltern instrumentalisiert. Es gehe um die verfassungsrechtlich gebotene Berücksichtigung des Kindeswohls, womit schwierige Tatsachen- und Rechtsfragen aufgeworfen seien.
Das Oberverwaltungsgericht verneine die hinreichende Erfolgsaussicht weiter damit, das Bundesverfassungsgericht habe bereits entschieden, dass die staatliche Schulpflicht verfassungsgemäß sei und “Homeschooling” nicht zugelassen werden müsse. Der vorliegende Fall weiche aber erheblich von dem Sachverhalt ab, über den das Bundesverfassungsgericht entschieden habe. Ihre Kinder seien nicht von gesellschaftlichen Kontakten ausgeschlossen. Sie spielten regelmäßig im Fußballverein, sängen im Chor, der Ältere musiziere mit anderen Kindern, Jugendlichen und Erwachsenen in einem Blechblasorchester, der Jüngere nehme seit längerem an einem Comic-Kurs für Kinder und Jugendliche teil, sie besuchten Freunde und bewegten sich “normal” außerhalb der Familie. Eine Abschottung finde nicht statt. Auch hätten staatliche Behörden in der Vergangenheit bei ihnen den Heimunterricht überwacht und im Rahmen einer Kooperationsvereinbarung kontrolliert, ob die Erfüllung des staatlichen Lehrplans durch die Eltern sichergestellt werde. International werde der deutsche Sonderweg der Schulpflicht – unter anderem in einem UN-Bericht – kritisch gesehen. Die Frage des Heimunterrichts werde gesellschaftlich heftig diskutiert. Ihr Fall sei mehrfach Gegenstand öffentlicher Berichterstattung gewesen. Es sei daher schwierig zu beurteilen, ob die vom Bundesverfassungsgericht statuierten Regeln für die Kinder religiös motivierter Schulverweigerer auch für Fälle wie ihren zu gelten hätten. Dies ergebe sich auch aus einem privaten Rechtsgutachten.
III.
Die Kammer nimmt die Verfassungsbeschwerden zur Entscheidung an, weil dies zur Durchsetzung der Grundrechte der Beschwerdeführer angezeigt ist (§ 93a Abs. 2 Buchstabe b BVerfGG), soweit sie sich gegen die Versagung der Prozesskostenhilfe durch das Verwaltungsgericht sowie die dazu ergangene Beschwerdeentscheidung des Oberlandesgerichts richtet. Die Voraussetzungen für eine stattgebende Kammerentscheidung liegen insoweit vor (§ 93c BVerfGG): Die maßgeblichen verfassungsrechtlichen Fragen sind geklärt, und die Verfassungsbeschwerde ist hierzu offensichtlich begründet. Sie ist hingegen nicht zur Entscheidung anzunehmen, soweit sich die Beschwerdeführer auch gegen die Versagung der Prozesskostenhilfe für den Berufungsrechtszug wenden.
1. Die Rüge einer Verletzung des Rechts der Beschwerdeführer auf Rechtsschutzgleichheit (Art. 3 Abs. 1 in Verbindung mit Art. 20 Abs. 3 GG) durch den Beschluss des Verwaltungsgerichts greift durch.
a) Die Grundgesetznormen des Art. 3 Abs. 1 in Verbindung mit Art. 20 Abs. 3 GG gebieten Rechtsschutzgleichheit im Sinne einer weitgehenden Angleichung der Situation von Bemittelten und weniger Bemittelten bei der Verwirklichung des Rechtsschutzes (vgl. BVerfGE 81, 347 ≪356≫). Im Lichte dieses Gebots ist es unbedenklich, die Bewilligung von Prozesskostenhilfe von der hinreichenden Erfolgsaussicht der beabsichtigten Rechtsverfolgung abhängig zu machen. Die Prüfung der Erfolgsaussicht soll jedoch nicht dazu dienen, die Rechtsverfolgung selbst in das Nebenverfahren der Prozesskostenhilfe vorzuverlagern und dieses an die Stelle des Hauptsacheverfahrens treten zu lassen. Das Prozesskostenhilfeverfahren soll den Rechtsschutz, den der Rechtsstaatsgrundsatz fordert, nicht selbst bieten, sondern nur zugänglich machen (vgl. BVerfGE 81, 347 ≪357≫).
Auslegung und Anwendung des § 114 ZPO obliegen allerdings in erster Linie den Fachgerichten. Verfassungsrecht wird nur verletzt, wenn die angegriffene Entscheidung Fehler erkennen lässt, die auf einer grundsätzlich unrichtigen Anschauung von der Bedeutung der Rechtsschutzgleichheit beruhen. Die Gerichte überschreiten insoweit den Entscheidungsspielraum, der ihnen bei der Auslegung des Tatbestandsmerkmals der hinreichenden Erfolgsaussicht zukommt, wenn sie einen Auslegungsmaßstab verwenden, durch den einer weniger bemittelten Partei im Vergleich zur bemittelten die Rechtsverfolgung unverhältnismäßig erschwert wird. Das ist namentlich dann der Fall, wenn durch eine Überspannung der Anforderungen an die Erfolgsaussicht der Zweck der Prozesskostenhilfe deutlich verfehlt wird (vgl. BVerfGE 81, 347 ≪357 f.≫).
b) Gemessen an diesen Grundsätzen hält die verwaltungsgerichtliche Entscheidung über die Ablehnung von Prozesskostenhilfe einer verfassungsrechtlichen Prüfung nicht stand. Das Verwaltungsgericht hat bei der Auslegung des § 114 ZPO einen Maßstab verwendet, durch den die Rechtsverfolgung unverhältnismäßig erschwert wurde. Es hat die Anforderungen an die Erfolgsaussicht überspannt und den Zweck der Prozesskostenhilfe damit deutlich verfehlt.
Das Verwaltungsgericht hat erst nach Erlass des Urteils in der Hauptsache über den Prozesskostenhilfeantrag entschieden. Es hat den Antrag allein mit dem Hinweis auf die Gründe seines in der Sache ergangenen Urteils abgelehnt.
Wird ein Prozesskostenhilfeantrag aber lediglich mit der Begründung abgelehnt, dass “die Berufung aus den Gründen des Urteils … keine hinreichende Aussicht auf Erfolg bietet”, so ist dies nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts in der Regel unvereinbar mit dem Gebot der Rechtsschutzgleichheit (vgl. BVerfG, 3. Kammer des Ersten Senats, Beschluss vom 26. Juni 2003 – 1 BvR 1152/02 –, JURIS). Die genannte Begründung wird dem Zweck der Prozesskostenhilfe, auch Unbemittelten den Zugang zum Rechtsschutz zu ermöglichen, nicht gerecht. Wäre nämlich Maßstab des Tatbestandsmerkmals “Aussicht auf Erfolg” (§ 114 ZPO) der tatsächliche Erfolg der Prozessführung in der Hauptsache, so könnte Prozesskostenhilfe regelmäßig nur bewilligt werden, wenn der Unbemittelte ihrer gar nicht bedarf. Ihm würden im Falle einer erfolgreichen Prozessführung keine Gerichtskosten auferlegt; zur zweckentsprechenden Rechtsverfolgung notwendige Aufwendungen würden ihm nicht erstattet, da der Erfolg in der Hauptsache regelmäßig mit der Kostentragungspflicht des Unterliegenden einhergeht (vgl. § 154 Abs. 1 VwGO). Folgerichtig soll die Prozesskostenhilfe nicht den Erfolg in der Hauptsache prämieren, sondern nur den Rechtsschutz im Verfahren ermöglichen.
Mit der Verweisung des Prozesskostenhilfe-Beschlusses auf das zuvor ergangene Urteil werden die Anforderungen der Art. 3 Abs. 1 in Verbindung mit Art. 20 Abs. 3 GG an die Auslegung des Merkmals der “hinreichenden Erfolgsaussicht” hier jedenfalls deshalb verfehlt, weil das in Bezug genommene Urteil das Geschehen in der mündlichen Verhandlung würdigt, die erst nach der Bewilligungsreife des Prozesskostenhilfe-Antrags stattfand (vgl. BVerfG, 1. Kammer des Ersten Senats, Beschluss vom 13. Juli 2005 – 1 BvR 175/05 –, JURIS, zur Bezugnahme auf eine Hauptsacheentscheidung mit darin enthaltener Beweiswürdigung).
Eine Verkennung des Maßstabs für die Bewilligung von Prozesskostenhilfe spiegelt sich überdies darin wider, dass das Verwaltungsgericht das Prozesskostenhilfegesuch abgelehnt hat, obwohl es in dem vor Ablehnung des Antrags ergangenen Urteil die Berufung zugelassen hat.
Lässt ein Gericht die Berufung zu, weil es vom Vorliegen eines der Zulassungsgründe des § 124 Abs. 2 VwGO ausgeht, und hat es zudem das Erscheinen eines Rechtsschutzsuchenden zum Zwecke seiner ausführlichen Befragung in der mündlichen Verhandlung ausdrücklich für ratsam gehalten, so tritt klar zu Tage, dass das Gericht die Erfolgsaussichten der Klage für noch offen hält (vgl. BVerfG, 3. Kammer des Ersten Senats, Beschluss vom 26. Juni 2003 – 1 BvR 1152/02 –, JURIS). Dies rechtfertigt dann auch die Bewilligung von Prozesskostenhilfe. Demgegenüber darf die nach einer mehrstündigen mündlichen Verhandlung gewonnene Erkenntnis, dass die Klage im Ergebnis keine Aussicht auf Erfolg habe, unter dem Gesichtspunkt der Rechtsschutzgleichheit von Bemittelten und Unbemittelten kein Grund sein, der Klage die Erfolgsaussichten – gewissermaßen nachträglich – abzusprechen.
c) Die angegriffene Entscheidung des Verwaltungsgerichts beruht auf dem dargelegten Grundrechtsverstoß. Es ist nicht ausgeschlossen, dass das Verwaltungsgericht bei Beachtung der sich aus Art. 3 Abs. 1 in Verbindung mit Art. 20 Abs. 3 GG ergebenden Anforderungen zu einem anderen Ergebnis gekommen wäre.
2. Die Beschwerdeentscheidung des Oberverwaltungsgerichts verkennt ebenfalls das Gebot der Rechtsschutzgleichheit, weil sie die Entscheidung des Verwaltungsgerichts zu Unrecht bestätigt. Die Verfassungsbeschwerde enthält bezüglich des Vorgehens gegen diesen Beschluss keine eigenständige Begründung. Gleichwohl fehlt es ihr insoweit nicht an der erforderlichen Substantiierung (vgl. § 23 Abs. 1 Satz 2, § 92 BVerfGG); denn der Angriff gegen den Beschluss des Verwaltungsgerichts ist ersichtlich auch auf die zugehörige Beschwerdeentscheidung bezogen.
3. Soweit sich die Verfassungsbeschwerde gegen die Entscheidung des Oberverwaltungsgerichts über Prozesskostenhilfe für das Berufungsverfahren richtet, wird sie nicht zur Entscheidung angenommen. Der Beschluss des Oberverwaltungsgerichts ist mit dem Gebot der Rechtsschutzgleichheit vereinbar. Es trifft nicht zu, dass § 124 VwGO vollständig leer liefe, wenn bei einer zugelassenen Berufung die Frage der Erfolgsaussicht im Rahmen der Bewilligung von Prozesskostenhilfe einer Prüfung durch das Berufungsgericht unterworfen wird. Das Prozesskostenhilfe-Verfahren für die Berufung stellt ein selbständiges Nebenverfahren dar, so dass die Berufungszulassung durch das Verwaltungsgericht insoweit keine Bindungswirkung entfaltet (vgl. für eine zivilprozessuale Revisionszulassung BGH, Beschluss vom 11. September 2002 – VIII ZR 235/02 –, JURIS; Beschluss vom 24. Juni 2003 – VI ZR 130/03 –, JURIS).
Von einer weiteren Begründung wird insoweit gemäß § 93d Abs. 1 Satz 3 BVerfGG abgesehen.
4. Danach ist die angegriffene Entscheidung des Verwaltungsgerichts über die Versagung der Prozesskostenhilfe wegen der Verletzung des Grundrechts aus Art. 3 Abs. 1 GG in Verbindung mit dem Rechtsstaatsprinzip mit der zugehörigen Entscheidung des Beschwerdegerichts aufzuheben; die Sache ist an das Verwaltungsgericht zurückzuweisen (§ 93c Abs. 2 in Verbindung mit § 95 Abs. 2 BVerfGG). Die auf die Beschwerde hin ergangene Nichtabhilfeentscheidung des Verwaltungsgerichts vom 5. Januar 2007 ist damit gegenstandslos. Die Entscheidung über die Auslagenerstattung beruht auf § 34a Abs. 2 BVerfGG. Die Festsetzung des Gegenstandswertes für die anwaltliche Tätigkeit ist auf § 37 Abs. 2 Satz 2 RVG in Verbindung mit den Grundsätzen für die Festsetzung des Gegenstandswertes im verfassungsgerichtlichen Verfahren gestützt (vgl. BVerfGE 79, 365 ≪368≫).
Unterschriften
Bryde, Eichberger, Schluckebier
Fundstellen
Haufe-Index 1890579 |
FamRZ 2008, 581 |
HRA 2008, 5 |