Verfahrensgang
Tenor
Der Beschluss des Oberlandesgerichts Celle vom 15. Dezember 2010 – 1 Ws 553/10 (StrVollz) – verletzt den Beschwerdeführer in seinem Grundrecht aus Artikel 19 Absatz 4 des Grundgesetzes. Er wird aufgehoben und die Sache wird an das Oberlandesgericht Celle zurückverwiesen.
Das Land Niedersachsen hat dem Beschwerdeführer die notwendigen Auslagen für das Verfassungsbeschwerdeverfahren zu erstatten.
Tatbestand
I.
1. Der Beschwerdeführer verbüßt eine lebenslange Freiheitsstrafe in der Justizvollzugsanstalt Celle.
Die Justizvollzugsanstalt erstellte für ihn am 31. März 2010 einen Vollzugsplan, der unter anderem die Feststellung enthielt, dass eine Verlegung in eine sozialtherapeutische Anstalt/Abteilung nicht geboten sei. Zur Eignung für Vollzugslockerungen wurde ausgeführt, dass Ausführungen nur zur Wahrnehmung unabweisbar notwendiger Angelegenheiten außerhalb des Vollzugs gewährt werden könnten. Hinsichtlich der Gewährung von weitergehenden Vollzugslockerungen bestünden Anhaltspunkte für eine Flucht- oder Missbrauchsgefahr. Der Beschwerdeführer sei für Vollzugslockerungen und Urlaub gemäß § 13 NJVollzG – Ausführungen ausgenommen – im Hinblick auf die Schwere des Delikts, strafrechtliche Vorbelastung und den in der Persönlichkeit liegenden Risiken wegen Flucht- und Missbrauchsgefahr nicht geeignet.
Als geplanter Zeitpunkt für die nächste Fortschreibung des Vollzugsplans wurde September 2010 angegeben.
2. Der Beschwerdeführer stellte Antrag auf gerichtliche Entscheidung, gerichtet auf die Verpflichtung der Justizvollzugsanstalt, den Vollzugsplan hinsichtlich Lockerungen und Verlegung in eine sozialtherapeutische Anstalt unter Berücksichtigung der Auffassung des Gerichts neu zu fassen. Die diesbezüglichen Planinhalte seien lediglich ergebnisfeststellender Art und nicht nachvollziehbar; hinsichtlich der Lockerungsungeeignetheit sei zudem von unzutreffenden tatsächlichen und rechtlichen Grundlagen ausgegangen worden. Darüber hinaus sei keine ordnungsgemäße Abwägung erfolgt.
3. Mit Beschluss vom 24. August 2010 – dem Prozessbevollmächtigten des Beschwerdeführers am 15. September 2010 zugegangen – wies das Landgericht den Antrag als unbegründet zurück.
4. Am 8. September 2010 erging ein neuer Vollzugsplan, der dem Beschwerdeführer am 30. September 2010 ausgehändigt wurde. Die Ausführungen zur Verlegung in eine sozialtherapeutische Anstalt und zu Vollzugslockerungen entsprachen denen im früheren Vollzugsplan vom 31. März 2010.
5. Am 15. Oktober 2010 erhob der Beschwerdeführer Rechtsbeschwerde.
6. Mit angegriffenem Beschluss vom 15. Dezember 2010 verwarf das Oberlandesgericht die Rechtsbeschwerde als unzulässig. Das erforderliche Rechtsschutzinteresse bestehe nicht mehr, da sich bereits vor Einlegen der Rechtsbeschwerde der Rechtsstreit in der Hauptsache erledigt habe. Die Fortschreibung des Vollzugsplans führe zur Annahme der Erledigung der Hauptsache, und zwar unabhängig davon, ob der neue Vollzugsplan die konkret angefochtene Regelung enthalte oder nicht. Es entspreche einhelliger Auffassung, dass bei Erledigung der Hauptsache vor Einlegung der Rechtsbeschwerde dieselbe unzulässig sei. In solchen Fällen komme allenfalls die nachträgliche Feststellung der Rechtswidrigkeit in Betracht. Da aber ein solcher Antrag in erster Instanz nicht gestellt worden sei, komme ein Übergang zur Feststellungsklage in der Rechtsbeschwerdeinstanz nicht mehr in Betracht. Die Rechtsbeschwerde setze das Fortwirken der zu überprüfenden Entscheidung voraus; § 115 Abs. 3 StVollzG gelte für das Rechtsbeschwerdeverfahren nicht. Anderenfalls müsste das Rechtsbeschwerdegericht erstmals über Zulässigkeit und Begründetheit des Feststellungsantrags entscheiden, was dem Wesen der Rechtsbeschwerde widerspreche und vom Beschwerdegericht, das keine tatsächlichen Feststellungen treffen dürfe, auch nicht zu leisten sei. Dem stünden auch die Entscheidungen des Bundesverfassungsgerichts vom 29. Dezember 2009 – 2 BvR 244/08 – und vom 5. August 2010 – 2 BvR 729/08 – nicht entgegen. Im Verfahren 2 BvR 244/08 habe das Bundesverfassungsgericht es gerade offen gelassen, ob in Konstellationen wie der vorliegenden eine Verletzung der Rechtsschutzgarantie vorliege. Im Verfahren 2 BvR 729/08 sei lediglich festgestellt worden, dass im Fall einer Fortschreibung nach der Entscheidung des Rechtsbeschwerdegerichts eine Verfassungsbeschwerde nicht unzulässig werde. Im Übrigen teile das Oberlandesgericht auch nicht die Auffassung des Hanseatischen Oberlandesgerichts Hamburg im Beschluss vom 13. Juni 2007 – 3 Vollz (Ws) 26-28/07 u.a. –, StraFo 2007, S. 390 ff. –, dass es sich bei einem Vollzugsplan und seiner Fortschreibung um denselben Streitgegenstand handle. Zudem sei es in dieser Entscheidung um die Frage gegangen, ob die Fortschreibung des Vollzugsplans nach Stellung des Antrags auf gerichtliche Entscheidung, aber vor einer Entscheidung durch das Landgericht zur Erledigung führe. Der Entscheidung sei keine Aussage darüber zu entnehmen, ob das Hanseatische Oberlandesgericht Hamburg auch im hier vorliegenden Fall, in dem der Vollzugsplan nach Entscheidung des Landgerichts, aber vor Erhebung der Rechtsbeschwerde fortgeschrieben worden sei, eine Erledigung verneine.
7. Mit der fristgerecht eingegangenen Verfassungsbeschwerde rügt der Beschwerdeführer eine Verletzung der Art. 1 Abs. 1, Art. 2 Abs. 2 Satz 2 in Verbindung mit Art. 104 Abs. 2 Satz 1, Art. 19 Abs. 4 GG.
Der Rechtsweg verkürze sich in verfassungsrechtlich unzulässiger Weise, wenn sich eine Rechtsbeschwerde bei einer Änderung des Vollzugsplans erledige und eine Umstellung auf ein Feststellungsinteresse nicht möglich sei. Dies habe zur Folge, dass die Justizvollzugsanstalt darüber entscheiden könne, ob sich ein Rechtsstreit erledige. Die Vollzugsplanfortschreibung sei in seinem Fall außerdem lediglich eine formale gewesen, da sie inhaltlich keine erheblichen Änderungen aufweise. Sie sei vor dem Abschluss des landgerichtlichen Verfahrens geändert worden, während die Aushändigung erst nach Abschluss der ersten Instanz erfolgt sei. Das zeige, dass eine Justizvollzugsanstalt es in der Hand habe, Vollzugsplanfortschreibungen auf Vorrat zu halten und bei Gelegenheit zu übergeben.
8. Das Niedersächsische Justizministerium hat zu der Verfassungsbeschwerde Stellung genommen. Nach § 9 Abs. 3 Satz 1 NJVollzG sei der Vollzugsplan in Einklang mit der Entwicklung der oder des Gefangenen und weiteren Erkenntnissen zur Persönlichkeit, insbesondere der Bereitschaft, an der Erreichung des Vollzugszieles nach § 5 Satz 1 NJVollzG mitzuarbeiten, fortzuschreiben. Gemäß § 9 Abs. 3 Satz 2 NJVollzG seien hierfür im Vollzugsplan angemessene Fristen vorzusehen. Da hiernach die Strafvollstreckungsbehörden kraft Gesetzes gehalten seien, bereits vor der Bekanntmachung des fortgeschriebenen Vollzugsplans die angemessene Frist zu dessen Fortschreibung festzulegen, sei die Fortschreibung des Vollzugsplanes nicht geeignet, als Instrument unzulässiger Verkürzung des Rechtsweges zu dienen. Zum Zeitpunkt der Fortschreibung des Vollzugsplans sei die Strafvollstreckungsbehörde nicht in der Lage, abzuschätzen, ob eine Gefangene oder ein Gefangener einen Antrag auf gerichtliche Entscheidung stelle. Aus diesem Grund treffe die Behauptung des Beschwerdeführers, die Strafvollstreckungsbehörde habe es beliebig in der Hand, den Rechtsweg zu verkürzen, nicht zu. Darüber hinaus erschienen die Umstände des vorliegenden Einzelfalles nicht geeignet, das Oberlandesgericht zu veranlassen, von seiner Rechtsprechung und der herrschenden Meinung abzuweichen. Im Rahmen der gesetzlich vorgesehenen und hier im Abstand von sechs Monaten gebotenen Fortschreibung des Vollzugsplans habe die Strafvollstreckungsbehörde die Entwicklung der oder des Gefangenen und weitere Erkenntnisse zur Persönlichkeit zu berücksichtigen. Dies bedeute, dass die jeweilige Fortschreibung des Vollzugsplans grundsätzlich auf einer geänderten Tatsachengrundlage beruhe. Dies gelte auch wenn, wie hier, im fortgeschriebenen Vollzugsplan Lockerungen weiterhin verweigert würden. Eine Wiederholungsgefahr oder eine gegenwärtige Beschwer durch den angefochtenen, aber zwischenzeitlich überholten Vollzugsplan vom 31. März 2010 sei nicht anzuerkennen.
Ein fortbestehendes Rechtsschutzinteresse des Beschwerdeführers könne auch nicht unter dem Gesichtspunkt der Beseitigung eines tiefgreifenden Grundrechtseingriffs angenommen werden. Dem Vollzugsplan vom 31. März 2010 komme eine solche fortdauernde beeinträchtigende Wirkung nicht zu, denn ihm komme – anders als dem Vollzugsplan in dem Fall, der dem Beschluss der 3. Kammer des Zweiten Senats vom 5. August 2010 – 2 BvR 729/08 – zugrunde gelegen habe – keinerlei Bedeutung für die Frage der Aussetzung des Strafrests zur Bewährung zu. Der Beschwerdeführer verbüße eine lebenslange Freiheitsstrafe wegen Mordes, deren Mindestverbüßungsdauer bis zum 29. Mai 2017 reiche. Anschließend sei eine Freiheitsstrafe von zwei Jahren wegen Vergewaltigung notiert. Es sei daher nicht ersichtlich, dass aufgrund dieser Umstände das Oberlandesgericht ein fortbestehendes Rechtsschutzbedürfnis habe annehmen müssen.
Entscheidungsgründe
II.
Die Verfassungsbeschwerde wird zur Entscheidung angenommen, weil dies zur Durchsetzung der Grundrechte des Beschwerdeführers angezeigt ist (§ 93a Abs. 2 Buchstabe b BVerfGG). Die Voraussetzungen für eine stattgebende Kammerentscheidung (§ 93c Abs. 1 BVerfGG) liegen vor. Die für die Beurteilung der Verfassungsbeschwerde maßgeblichen verfassungsrechtlichen Grundsätze sind durch die Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts geklärt. Die Verfassungsbeschwerde ist zulässig und in einem die Kammerzuständigkeit begründenden Sinne (§ 93c Abs. 1 Satz 1 BVerfGG) offensichtlich begründet.
1. Der Zulässigkeit der fristgemäß eingegangenen Verfassungsbeschwerde steht nicht entgegen, dass zwischenzeitlich eine Fortschreibung des Vollzugsplans erfolgt ist (vgl. BVerfG, Beschluss der 3. Kammer des Zweiten Senats vom 5. August 2010 – 2 BvR 729/08 –, juris). Unerheblich ist auch, dass der frühestmögliche Entlassungszeitpunkt für den Beschwerdeführer erst in etlichen Jahren erreicht sein wird, denn auch unter dieser Voraussetzung verbessert sich die Prognosebasis mit der Dauer der möglichen Bewährung in Vollzugslockerungen. Die Rechtsauffassung, die das Oberlandesgericht seinen Entscheidungen zugrundegelegt hat, gewährleistet im Übrigen auch keine wirksame Überprüfung der Vollzugsplanung für den Beschwerdeführer beim Näherrücken des möglichen Entlassungszeitpunkts (s. u. 2.b)bb); vgl. zur Bedeutung des Gesichtspunkts, dass bei gewichtigen Grundrechtsverstößen ein nach Erledigung fortbestehendes Interesse an der Gewährung verfassungsgerichtlichen Rechtsschutzes anzunehmen ist, wenn die direkte Belastung sich nach dem typischen Verfahrensablauf auf eine Zeitspanne beschränkt, in der der Betroffene eine verfassungsgerichtliche Entscheidung kaum erlangen kann, bei angenommener Erledigung einer Vollzugsplanung BVerfG, a.a.O., m.w.N.).
2. Indem das Oberlandesgericht die Rechtsbeschwerde des Beschwerdeführers als unzulässig verworfen hat, hat es dessen Anspruch auf effektiven Rechtsschutz aus Art. 19 Abs. 4 GG verletzt.
a) Art. 19 Abs. 4 GG gewährleistet effektiven und möglichst lückenlosen richterlichen Rechtsschutz gegen Akte der öffentlichen Gewalt (vgl. BVerfGE 67, 43 ≪58≫; stRspr). Dabei fordert Art. 19 Abs. 4 GG keinen Instanzenzug. Eröffnet das Prozessrecht aber eine weitere Instanz, so gewährleistet Art. 19 Abs. 4 GG dem Bürger auch insoweit eine wirksame gerichtliche Kontrolle (vgl. BVerfGE 40, 272 ≪274 f.≫; 54, 94 ≪96 f.≫; 122, 248 ≪271≫; stRspr). Die Rechtsmittelgerichte dürfen ein von der jeweiligen Rechtsordnung eröffnetes Rechtsmittel nicht durch die Art und Weise, in der sie die gesetzlichen Voraussetzungen für den Zugang zu einer Sachentscheidung auslegen und anwenden, ineffektiv machen und für den Beschwerdeführer leerlaufen lassen; der Zugang zu den in der Verfahrensordnung eingeräumten Instanzen darf nicht von unerfüllbaren oder unzumutbaren Voraussetzungen abhängig gemacht oder in einer durch Sachgründe nicht mehr zu rechtfertigenden Weise erschwert werden (vgl. BVerfGE 96, 27 ≪39≫; 117, 244 ≪268≫; 122, 248 ≪271≫).
Der rechtsuchende Bürger muss zudem erkennen können, welches Rechtsmittel für ihn in Betracht kommt und unter welchen rechtlichen Voraussetzungen es zulässig ist (vgl. BVerfGE 49, 148 ≪164≫; 54, 277 ≪292 f.≫; 87, 48 ≪65≫; 107, 395 ≪416≫; 108, 341 ≪349≫; BVerfGK 2, 213 ≪218≫; 6, 72 ≪76≫). Er darf nicht mit einem für ihn nicht übersehbaren „Annahmerisiko” und dessen Kostenfolgen belastet werden (vgl. BVerfGE 49, 148 ≪164≫; 54, 277 ≪293≫; BVerfGK 6, 72 ≪76≫; 16, 362 ≪366≫).
Geht es um den Rechtsschutz in Strafvollzugssachen, so ist bei der Anwendung dieser Maßstäbe zu berücksichtigen, dass die Rechtsschutzsuchenden hier typischerweise nach Bildungsstand, materiellen Ressourcen und Kommunikationsmöglichkeiten für den Umgang mit den Kompliziertheiten der Rechtsordnung nicht gut gerüstet sind (vgl. BVerfGK 10, 509 ≪516≫). Wenn ein Gericht geltende Rechtsvorschriften in einer Weise auszulegen gedenkt, die für den Rechtsschutzsuchenden mit erheblichen Schwierigkeiten verbunden ist, muss es prüfen, ob hinreichend gewichtige Gründe die Erschwerung des Rechtsschutzes rechtfertigen. Nur wenn solche hinreichend gewichtigen Gründe vorliegen, kann die Erschwerung dem Rechtsschutzsuchenden zumutbar sein (vgl. BVerfGK, a.a.O.).
b) Diesen verfassungsrechtlichen Anforderungen wird der angegriffene Beschluss nicht gerecht.
aa) Das Oberlandesgericht hat sich auf die Annahme gestützt, dass ein gegen eine Vollzugsplanfestsetzung gerichtetes Rechtsschutzbegehren sich mit der Fortschreibung des Vollzugsplans auch dann erledigt, wenn die angefochtene Festsetzung im fortgeschriebenen Vollzugsplan unverändert geblieben ist. Zugleich hat es angenommen, dass ein Fortsetzungsfeststellungsantrag im Verfahren der Rechtsbeschwerde (§§ 116 ff. StVollzG) nicht zulässigerweise gestellt werden kann. Während die erstere Annahme umstritten ist (a.A. Hanseatisches OLG Hamburg, Beschluss vom 13. Juni 2007 – 3 Vollz (Ws) 26-28/07 u.a. –, StraFo 2007, S. 390 ff.), entspricht die letztere der einhelligen obergerichtlichen Rechtsauffassung (vgl. BVerfG, Beschluss der 3. Kammer des Zweiten Senats vom 29. Dezember 2009 – 2 BvR 244/08 –, juris, m.w.N.; aus jüngerer Zeit OLG Hamm, Beschluss vom 3. März 2011 – 1 Vollz (Ws) 27/11 u.a. –, juris). Dabei wird regelmäßig angenommen, dass für den Fall des Eintritts der Erledigung im Zeitraum zwischen erstinstanzlicher Entscheidung und Einlegung der Rechtsbeschwerde diese als unzulässig zu verwerfen ist, während bei Erledigungseintritt nach Einlegung der Rechtsbeschwerde das Gericht nur noch die Erledigung auszusprechen und über die Kosten zu entscheiden hat (vgl. BVerfG, a.a.O., m.w.N.). Es bedarf keiner Entscheidung, wie diese Rechtsauffassungen unter verfassungsrechtlichen Gesichtspunkten je für sich zu beurteilen sind. Jedenfalls in ihrer Kombination führen sie zu einer erheblichen Erschwerung des Rechtsschutzes.
bb) (1) Als Folge des Zusammenwirkens beider Annahmen ist auch insoweit, als Vollzugspläne typischerweise nach Abschluss des erstinstanzlichen, aber vor Abschluss der zweiten Gerichtsinstanz fortgeschrieben werden, typischerweise keine obergerichtliche Sachentscheidung mehr zu erlangen. Das Korrektiv, mit dem für solche Fallgruppen von Verfassungs wegen einem systematischen Wegfall der Rechtsschutzmöglichkeit für gewichtige Grundrechtseingriffe – sei es überhaupt oder für eine an sich vorgesehene zweite Instanz – entgegenzuwirken ist, nämlich die Anerkennung eines fortbestehenden Rechtsschutzinteresses bei typischerweise vor Rechtsschutzgewährung eintretender Erledigung (vgl. BVerfGE 110, 77 ≪86≫; 117, 71 ≪122 f.≫; zur Anwendbarkeit bei Erledigung einer Vollzugsplanfortschreibung BVerfG, Beschluss der 3. Kammer des Zweiten Senats vom 29. Dezember 2009 – 2 BvR 244/08 –, juris), kann infolgedessen nicht mehr greifen, weil der Zugang zur Rechtsbeschwerdeinstanz mit der dargestellten Doktrin ganz unabhängig von der Frage eines fortbestehenden Rechtsschutzinteresses schon auf einer früheren Ebene versperrt wird.
Auf eine in dem genannten Zeitraum eintretende Erledigung kann eine Justizvollzugsanstalt gezielt hinwirken, indem sie ihren Fortschreibungsrhythmus dem Ablauf etwaiger gerichtlicher Verfahren anpasst. Durch die Kombination von Rechtsauffassungen, auf die das Oberlandesgericht sich stützt, wird sie in weitem Umfang in den Stand versetzt, eine obergerichtliche Überprüfung der Rechtmäßigkeit der Festsetzungen im Vollzugsplan zu verhindern, weil sie es in der Hand hat, durch terminlich entsprechend platzierte Fortschreibungen des Vollzugsplans jeder Rechtsbeschwerde die Erfolgsaussicht zu entziehen, ohne der Beschwer abzuhelfen und damit implizit einzuräumen, dass die Position des Gefangenen zutreffend war. Die gesetzliche Verpflichtung, Vollzugspläne mit einer Angabe zum Zeitpunkt der Fortschreibung zu versehen (§ 9 Abs. 3 Satz 2 NJVollzG; vgl. § 7 Abs. 3 Satz 2 StVollzG), steht dem angesichts der Möglichkeiten, Fortschreibungsfristen und gerichtliche Entscheidungsrhythmen aneinander anzupassen, und angesichts der Flexibilitäten, die ungeachtet der grundsätzlichen Einklagbarkeit einer gebotenen Vollzugsplanfortschreibung (vgl. Arloth, StVollzG, 3. Aufl. 2011, § 7 Rn. 12, m.w.N.) faktisch in der Umsetzung der entsprechenden Terminplanung bestehen, nur sehr begrenzt im Wege.
(2) Bereits die Eröffnung einer solchen Einwirkungsmöglichkeit muss – unabhängig davon, ob im Einzelfall tatsächlich ein auf Verhinderung von Rechtsschutz gerichtetes Handeln der Justizvollzugsanstalt vorliegt – erhebliche Bedenken im Hinblick auf Art. 19 Abs. 4 GG wecken (vgl. bereits BVerfG, Beschluss der 3. Kammer des Zweiten Senats vom 29. Dezember 2009 – 2 BvR 244/08 –, juris, Rn. 10). Da auch bei inhaltlich nicht veränderten Fortschreibungen eine Erledigung angenommen wird, kann ein Vollzugsplan im Extremfall über Jahre hinweg inhaltlich unverändert bleiben, ohne dass der betroffene Gefangene eine Chance hätte, die Sache einer obergerichtlichen Klärung zuzuführen. Damit unterscheidet sich diese Konstellation erheblich von Fällen, in denen sich die angegriffene Maßnahme dadurch erledigt, dass die Justizvollzugsanstalt dem Begehren des Gefangenen nachkommt. Sie unterscheidet sich auch von Fällen, in denen die Erledigung durch eine Maßnahme erfolgt, die der Betroffene im Grundsatz mit Aussicht auf Erfolg gerade auch unter dem Gesichtspunkt angreifen kann, dass sie – mit ihrem erledigenden Gehalt – überhaupt ergriffen wurde. Während der Gefangene sich etwa gegen eine Verlegung in eine andere Justizvollzugsanstalt, die unter Umständen gleichfalls mit Erledigungswirkungen verbunden ist, in der Weise zur Wehr setzen kann, dass er unabhängig von deren weiteren Modalitäten die Verlegung als solche mit einem Antrag nach § 109 StVollzG angreift, wird im Fall der Erledigung durch Vollzugsplanfortschreibung ein von den Inhalten der Fortschreibung unabhängiger Angriff auf die Fortschreibung als solche in der Regel aussichtslos sein, denn mit der regelmäßigen Fortschreibung der Vollzugsplanung als solcher, unabhängig von deren Inhalten, verletzt die Justizvollzugsanstalt keine Rechte des Gefangenen, sondern erfüllt eine gesetzliche Pflicht. Die Zuschreibung einer änderungsunabhängigen Erledigungswirkung in Bezug auf Rechtsschutzanliegen, die die vorausgegangene Fassung des Vollzugsplans betreffen, begründet daher im Zusammenwirken mit der Annahme, dass § 115 Abs. 3 StVollzG nicht für das Rechtsbeschwerdeverfahren gilt, in besonderer Weise die Gefahr eines für die betroffenen Gefangenen nicht beherrschbaren systemischen Versagens der durch § 116 StVollzG grundsätzlich auch für die Vollzugsplanung eröffneten gerichtlichen Kontrolle durch die Rechtsbeschwerdeinstanz.
(3) Zudem ist es einem Gefangenen, vor allem unter den Bedingungen des Strafvollzuges, in denen nur eingeschränkter Zugang zu anwaltlicher Vertretung und juristischen Veröffentlichungen besteht, kaum noch möglich, zu erkennen, auf welche Weise er – auch verfassungsgerichtlichen – Rechtsschutz erlangen kann. Bei einer Vollzugsplanfortschreibung während des erstinstanzlichen Verfahrens kann er einen Fortsetzungsfeststellungsantrag noch in der ersten Instanz stellen. Verneint das Landgericht dessen Zulässigkeit, wird in der Rechtsbeschwerde durch das Oberlandesgericht überprüft, ob der Fortsetzungsfeststellungsantrag zu Recht als unzulässig betrachtet wurde (vgl. OLG Brandenburg, Beschluss vom 16. Mai 2011 – 1 Ws (Vollz) 30/11 –, juris). Ergeht die Entscheidung des Oberlandesgerichts zuungunsten des Gefangenen, kann er, sofern eine Verletzung seiner Grundrechte in Rede steht, Verfassungsbeschwerde erheben. Erfolgt die Vollzugsplanfortschreibung, nachdem die Rechtsbeschwerde bereits anhängig gemacht wurde, entscheidet das Oberlandesgericht nur noch über die Kosten nach § 121 Abs. 2 Satz 2 StVollzG (s.o. unter aa)). In diesem Zusammenhang kann bei der Entscheidung über die Kostentragung geprüft werden, ob die Rechtsbeschwerde ohne das erledigende Ereignis zum Erfolg geführt hätte, so dass zumindest mittelbar die materielle Rechtslage zu bewerten sein kann (vgl. KG, Beschluss vom 24. Juni 1981 – 2 Ws 27/81 Vollz –, StV 1982, S. 79; ohne Ausführungen zu den Erfolgsaussichten hingegen OLG München, Beschluss vom 18. November 1985 – 1 Ws 876/85 – NStZ 1986, S. 96). Auch gegen eine derartige Kostenentscheidung kann gegebenenfalls Verfassungsbeschwerde erhoben werden, sofern damit nicht in kostenrechtlicher Einkleidung mittelbar Sachfragen zur verfassungsrechtlichen Prüfung gestellt werden, die nach dem Verfassungsprozessrecht einer inhaltlichen Prüfung gerade nicht mehr zugänglich sind (vgl. BVerfG, Beschluss der 3. Kammer des Zweiten Senats vom 29. Dezember 2009 – 2 BvR 2309/09 –, juris; BVerfG, Beschluss der 3. Kammer des Zweiten Senats vom 29. Oktober 2008 – 2 BvR 1203/07 –, juris, jew. m.w.N.). Ergeht die Vollzugsplanfortschreibung hingegen nach dem erstinstanzlichen Beschluss, aber vor Erhebung der Rechtsbeschwerde, führt nach der Kombination der Rechtsauffassungen, auf die das Oberlandesgericht sich gestützt hat, die eintretende Erledigung zu einer Auswechselung der zulässigen Rechtsbehelfe und der zugehörigen laufenden Rechtsbehelfsfristen: Die erstinstanzliche Entscheidung der Strafvollstreckungskammer wird durch die erledigende Vollzugsplanfortschreibung unversehens zur letztinstanzlichen, gegen die nicht mehr die Rechtsbeschwerde, stattdessen nun aber, weil der Rechtsweg erschöpft ist, sogleich die Verfassungsbeschwerde zulässig ist. Allerdings wird die Frist hierfür, setzt man deren Beginn dem Wortlaut des § 93 Abs. 1 Satz 1 BVerfGG gemäß mit dem Zugang der anzugreifenden Entscheidung an, bei Erledigungseintritt und Kenntniserlangung von der Erledigung schon mehr oder weniger weitgehend abgelaufen sein. Ob eine derartige Einwirkungsmöglichkeit einer Behörde auf die Möglichkeiten des Rechtsschutzes gegen ihre eigenen Maßnahmen bereits ihrer Struktur nach die Grenze des rechtsstaatlich Hinnehmbaren – nicht zuletzt auch die Grenzen des Kafkaesken (vgl. BVerfGK 10, 509 ≪516≫) – überschreitet, kann offenbleiben. Jedenfalls stellt für den Bereich des Strafvollzuges die prozessuale Rechtslage, die sich aus der hier zu beurteilenden Dogmenkombination ergibt, unter Berücksichtigung der bei Strafgefangenen typischerweise gegebenen besonderen Schwierigkeiten im Umgang mit Kompliziertheiten der Rechtsordnung (vgl. BVerfGK, a.a.O.) eine nicht mehr hinzunehmende Erschwerung des Rechtsschutzes dar.
(4) Auch wenn man annehmen wollte, dass hinreichend gewichtige Gründe eine derartige mit der gewählten Auslegung des einfachen Rechts verbundene Erschwerung des Rechtsschutzes rechtfertigen könnten, ist das Oberlandesgericht jedenfalls seiner Pflicht, zu prüfen, ob derartige gewichtige, seine Auslegung rechtfertigende Gründe hier vorliegen (vgl. BVerfGK 10, 509 ≪516≫), nicht nachgekommen. Der bloße Umstand, dass eine den Rechtsschutzsuchenden weniger belastende Auslegung, weil sie mit einer Abweichung von vorhandener obergerichtlicher Rechtsprechung verbunden wäre, der zu treffenden Entscheidung nur auf dem Weg einer Vorlage nach § 121 Abs. 2 Nr. 2 GVG zugrundegelegt werden könnte, stellt keinen Sachgrund dar, der eine ansonsten nicht gerechtfertigte Erschwerung des Rechtsschutzes durch eine bestimmte Auslegung des einfachen Rechts legitimieren könnte. Die Rechtsauffassungen, aus deren Kombination sich die Erschwerung des Rechtsschutzes ergibt, im Lichte des Gewichts dieser Erschwerung zu überdenken, hätte umso näher gelegen, als sie keineswegs zwingend erscheinen (vgl. etwa zur Möglichkeit der Umstellung auf einen Fortsetzungsfeststellungsantrag auch noch in der Revisionsinstanz BVerwG, Urteil vom 2. April 2008 – 8 C 7.07 –, LKV 2008, S. 411 ≪411≫; BVerwG, Urteil vom 25. Juni 2009 – 3 C 11.08 –, juris, Rn. 13; zu der Frage, ob dem in strafvollzuglichen Angelegenheiten die systematische Stellung des § 115 Abs. 3 StVollzG entgegensteht, OLG Hamm, Beschluss vom 27. Dezember 1977 – 1 Vollz (Ws) 37/77 –, juris).
c) Ob durch die angegriffenen Entscheidungen weitere Grundrechte des Beschwerdeführers verletzt worden sind – insbesondere ob ein Verstoß gegen Art. 101 Abs. 1 GG wegen Verletzung einer Vorlagepflicht (§ 121 Abs. 2 Nr. 2 GVG) im Hinblick auf die Entscheidung des Oberlandesgerichts Hamburg vom 13. Juni 2007 – 3 Vollz (Ws) 26-28/07 u.a. –, StraFo 2007, S. 390 ff., vorliegt –, kann angesichts des bereits festgestellten Verstoßes gegen Art. 19 Abs. 4 GG offenbleiben.
III.
1. Der angegriffene Beschluss des Oberlandesgerichts beruht auf dem festgestellten Grundrechtsverstoß. Er ist daher gemäß § 95 Abs. 2 BVerfGG aufzuheben; die Sache ist an das Oberlandesgericht zurückzuverweisen.
2. Die Entscheidung über die Auslagenerstattung beruht auf § 34a Abs. 2 BVerfGG.
Unterschriften
Lübbe-Wolff, Huber, Kessal-Wulf
Fundstellen
Haufe-Index 3577972 |
StV 2013, 454 |