Verfahrensgang
Tenor
Die Erzwingung der Duldungspflicht aus dem Beschluss des Oberlandesgerichts Stuttgart vom 25. Juli 2011 – 16 UF 284/10 – wird einstweilen für die Dauer des Verfassungsbeschwerdeverfahrens, längstens für die Dauer von sechs Monaten, ausgesetzt.
Das Land Baden-Württemberg hat dem Beschwerdeführer die notwendigen Auslagen im Verfahren auf Erlass einer einstweiligen Anordnung zu erstatten.
Tatbestand
I.
Der Beschwerdeführer wendet sich mit seiner Verfassungsbeschwerde gegen die gemäß § 178 Abs. 1 FamFG gerichtlich angeordnete Verpflichtung, an der Erstellung eines Abstammungsgutachtens mitzuwirken.
1. a) Der Beschwerdeführer ist nigerianischer Staatsangehöriger und mit einer Frau nigerianischer Staatsangehörigkeit verheiratet. Er ist Vater von vier Kindern.
Die Mutter des im Mai 2009 geborenen und vom Abstammungsverfahren betroffenen Kindes ist ebenfalls nigerianische Staatsangehörige. Sie reiste im März 2009 in die Bundesrepublik ein und stellte einen Asylantrag. Anfang Mai 2009 wurde die Kindesmutter in einer Gemeinschaftsunterkunft untergebracht und die zuständige Behörde stellte ihr eine Bescheinigung über die Aussetzung der Abschiebung (Duldung) aus. Am 22. Juni 2009 erkannte der Beschwerdeführer beim zuständigen Standesamt die Vaterschaft für das Kind an. Die Kindesmutter stimmte der Vaterschaftsanerkennung am 24. Juni 2009 zu. Aufgrund der Vaterschaftsanerkennung durch den Beschwerdeführer erwarb das Kind gemäß § 4 Abs. 3 Staatsangehörigkeitsgesetz die deutsche Staatsangehörigkeit. Die Kindesmutter erhielt daraufhin einen Anspruch auf Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis gemäß § 28 Abs. 1 Satz 1 Nr. 3 Aufenthaltsgesetz.
b) Mit Schriftsatz vom 12. Oktober 2009 focht das zuständige Regierungspräsidium die Vaterschaftsanerkennung des Beschwerdeführers beim Amtsgericht an und beantragte festzustellen, dass er nicht der Vater des Kindes ist.
c) Mit Beschluss vom 20. September 2010 wies das Amtsgericht nach mündlicher Anhörung der Verfahrensbeteiligten und Bestellung eines Verfahrensbeistands den Antrag des Regierungspräsidiums zurück.
Der Antrag sei gemäß § 1600 Abs. 3 BGB unbegründet, da im Zeitpunkt der letzten mündlichen Tatsachenverhandlung von einer sozial-familiären Beziehung zwischen dem Beschwerdeführer und dem Kind auszugehen sei.
d) Mit Beschluss vom 2. Dezember 2010 ordnete das Oberlandesgericht in dem aufgrund eines Antrags des Regierungspräsidiums eingeleiteten Beschwerdeverfahren die Einholung eines schriftlichen humangenetischen Abstammungsgutachtens an, wobei zu Untersuchungszwecken ein Mundschleimhautabstrich entnommen werden sollte.
Es seien Zweifel angebracht, ob die Feststellungen, die das Familiengericht getroffen habe, tatsächlich die Annahme einer sozial-familiären Beziehung zwischen den Beteiligten rechtfertigten. Es fehlten Feststellungen dazu, ob der vermeintliche Vater für das Kind tatsächliche Verantwortung getragen habe und daraus auch eine soziale Beziehung zwischen ihm und dem Kind entstanden sei, zumal die Beteiligten nie zusammengelebt hätten und hypothetische Annahmen außer Betracht bleiben müssten. Da die (lückenhaften) Feststellungen des Familiengerichts in der Beschwerdeinstanz durch die Beteiligten nicht angegriffen worden seien, sei von einer diesem Beschluss vorangestellten mündlichen Verhandlung auch keine weitere Sachaufklärung zu erwarten, so dass im Hinblick auf den Anfechtungsantrag des Regierungspräsidiums das Bestehen der Vaterschaft des Beschwerdeführers zu dem Kind entscheidungserheblich sei. Dieser Anordnung der Beweiserhebung stehe auch nicht der Beschluss des Bundesverfassungsgerichts vom 7. Oktober 2010 – 1 BvR 2509/10 – entgegen. In dem dort entschiedenen Fall sei, anders als in dem hier zu beurteilenden Anfechtungsverfahren, keine mündliche Verhandlung vorausgegangen, die zu einer Feststellung von Tatsachen über das Vorliegen einer sozial-familiären Beziehung hätten führen können. Darüber hinaus habe der Senat den mit der Beweiserhebung verbundenen körperlichen Eingriff dadurch erheblich abgeschwächt, dass anstelle einer Blutentnahme ein Mundschleimhautabstrich bei der Beweiserhebung als ausreichend angesehen werde.
e) Mit Schriftsatz vom 25. März 2011 erklärte der Beschwerdeführer seine Weigerung gegen die Umsetzung des Beweisbeschlusses vom 2. Dezember 2010 und beantragte, die Beschwerde des Regierungspräsidiums gegen den Beschluss des Amtsgerichts zurückzuweisen.
f) Mit Beschluss vom 25. Juli 2011 stellte das Oberlandesgericht fest, dass der Beschwerdeführer nicht berechtigt sei, seine Mitwirkung gemäß Beweisbeschluss des Senats vom 2. Dezember 2010 zur Einholung eines schriftlichen humangenetischen Abstammungsgutachtens zu verweigern. Ferner setzte das Oberlandesgericht zur Erzwingung der Mitwirkungsverpflichtung aus dem Beweisbeschluss des Senats vom 2. Dezember 2010 gegen den Beschwerdeführer ein Ordnungsgeld in Höhe von 500 EUR und für den Fall, dass dieses nicht beigetrieben werden kann, Ordnungshaft von fünf Tagen fest.
Soweit der Beschwerdeführer eine Nachrangigkeit der Einholung eines Abstammungsgutachtens gegenüber der Feststellung, inwiefern eine sozial-familiäre Beziehung vorliege, thematisiere, werde darauf verwiesen, dass bereits eine Sachverhaltsaufklärung und eine mündliche Verhandlung durch das erstinstanzliche Gericht stattgefunden habe und der Senat daher gerade – anders als in dem durch Beschluss des Bundesverfassungsgerichts vom 7. Oktober 2010 – 1 BvR 2509/10 – entschiedenen Fall – Feststellungen über das etwaige Bestehen einer sozial-familiären Beziehung vor Einholung des Gutachtens habe treffen können. Der Senat halte ein Weigerungsrecht des Beschwerdeführers nicht für gegeben. Die Würdigung eines erstinstanzlichen Gerichts zum etwaigen Vorliegen einer sozial-familiären Beziehung könne ein Beschwerdegericht nicht binden. Ein unzumutbarer Nachteil für beide Beteiligten aus der Art der Untersuchung sei nicht ersichtlich. Insbesondere drohten bei einem Mundschleimhautabstrich keine gesundheitlichen Schäden.
2. Mit seiner Verfassungsbeschwerde und dem Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung rügt der Beschwerdeführer eine Verletzung seiner Grundrechte aus Art. 2 und Art. 6 GG.
Entscheidungsgründe
II.
1. Der Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung hat Erfolg.
a) Nach § 32 BVerfGG kann das Bundesverfassungsgericht einen Zustand durch einstweilige Anordnung vorläufig regeln, wenn dies zur Abwehr schwerer Nachteile, zur Verhinderung drohender Gewalt oder aus einem anderen wichtigen Grund zum gemeinen Wohl dringend geboten ist. Dabei haben die Gründe, die für die Verfassungswidrigkeit der angegriffenen Entscheidung vorgetragen werden, grundsätzlich außer Betracht zu bleiben, es sei denn, der in der Hauptsache gestellte Antrag ist insgesamt unzulässig oder offensichtlich unbegründet. Bei offenem Ausgang des Hauptsacheverfahrens muss das Bundesverfassungsgericht die Folgen, die eintreten würden, wenn eine einstweilige Anordnung nicht erginge, die Verfassungsbeschwerde indes Erfolg hätte, gegenüber den Nachteilen abwägen, die entstünden, wenn die begehrte einstweilige Anordnung erlassen würde, der Verfassungsbeschwerde aber der Erfolg zu versagen wäre (vgl. BVerfGE 91, 320 ≪326≫; stRspr). Wegen der meist weittragenden Folgen, die eine einstweilige Anordnung in einem verfassungsgerichtlichen Verfahren auslöst, ist bei der Prüfung der Voraussetzungen des § 32 Abs. 1 BVerfGG ein strenger Maßstab anzulegen (vgl. BVerfGE 87, 107 ≪111≫; stRspr). Im Zuge der nach § 32 Abs. 1 BVerfGG gebotenen Folgenabwägung legt das Bundesverfassungsgericht seiner Entscheidung in aller Regel die Tatsachenfeststellungen und Tatsachenwürdigungen in den angegriffenen Entscheidungen zugrunde (vgl. hierzu etwa BVerfGE 34, 211 ≪216≫; 36, 37 ≪40≫).
b) Nach diesen Maßstäben ist hier der Erlass einer einstweiligen Anordnung geboten.
aa) Die Verfassungsbeschwerde ist allerdings mangels hinreichender Substantiierung gemäß § 23 Abs. 1 Satz 2 Halbsatz 1, § 92 BVerfGG unzulässig, soweit der Beschwerdeführer die Verletzung eines Grundrechts aus Art. 2 GG rügt. Aus der Verfassungsbeschwerde lässt sich nicht entnehmen, worin insoweit die Grundrechtsverletzung liegen soll.
bb) Soweit der Beschwerdeführer eine Verletzung eines Grundrechts aus Art. 6 GG rügt, ist die Verfassungsbeschwerde hingegen zulässig und nicht offensichtlich unbegründet.
Die gebotene Folgenabwägung ergibt, dass die Nachteile, die dem Beschwerdeführer im Falle der Ablehnung des Erlasses der begehrten einstweiligen Anordnung drohen, gewichtiger als die Nachteile sind, die im Falle ihres Erlasses entstehen könnten.
Erginge die beantragte einstweilige Anordnung nicht und erwiese sich die Verfassungsbeschwerde im Hauptsacheverfahren als begründet, müsste der Beschwerdeführer unter Verstoß gegen sein Elternrecht aus Art. 6 Abs. 2 Satz 1 GG womöglich die Durchführung der angeordneten Abstammungsuntersuchung dulden. Die Frage, ob das betroffene Kind vom Beschwerdeführer abstammt, würde gegen seinen Willen durch einen Abgleich genetischer Daten der Beteiligten geklärt werden. Dabei könnte die von den Fachgerichten angeordnete Abstammungsuntersuchung zu dem Ergebnis kommen, dass das Kind nicht vom Beschwerdeführer abstammt. Dies hätte zur Folge, dass die von dem Beschwerdeführer geltend gemachte sozial-familiäre Beziehung des Beschwerdeführers zu dem Kind erheblich gestört oder gar zerstört werden könnte. Vorliegend wurden durch das Amtsgericht Feststellungen zum Bestehen einer sozial-familiären Beziehung getroffen, die sich nach Auffassung des Oberlandesgerichts jedoch als lückenhaft erwiesen haben. Mangels weiterer Ermittlungen des Oberlandesgerichts kann derzeit nicht ausgeschlossen werden, dass die behauptete sozial-familiäre Beziehung – deren Existenz das Oberlandesgericht auf der Grundlage der unvollständigen Erhebungen des Amtsgerichts nicht als nachgewiesen ansah – tatsächlich besteht und durch das Ergebnis der Abstammungsuntersuchung erheblich beeinträchtigt werden könnte.
Demgegenüber führt der Erlass der einstweiligen Anordnung für den Fall, dass sich die Verfassungsbeschwerde im Hauptsacheverfahren als unbegründet erweist, lediglich dazu, dass die für erforderlich gehaltene Abstammungsuntersuchung später erfolgen würde.
2. Die Entscheidung über die Auslagenerstattung beruht auf § 34a Abs. 3 BVerfGG.
Unterschriften
Gaier, Paulus, Britz
Fundstellen
FamRZ 2011, 1925 |
FF 2012, 42 |