Verfahrensgang
KG Berlin (Beschluss vom 02.08.2006; Aktenzeichen (4) 1 HEs 59/05 (42-49/06)) |
AG Berlin-Tiergarten (Entscheidung vom 25.04.2005; Aktenzeichen 351 Gs 1771/05) |
AG Berlin-Tiergarten (Beschluss vom 14.03.2005; Aktenzeichen 351 Gs 838/05) |
AG Berlin-Tiergarten (Beschluss vom 29.11.2004; Aktenzeichen 351 Gs 4749/04) |
AG Berlin-Tiergarten (Entscheidung vom 26.11.2004; Aktenzeichen 351 Gs 4711/04) |
Tenor
Die Verfassungsbeschwerden werden zur gemeinsamen Entscheidung verbunden.
Der Beschluss des Kammergerichts vom 2. August 2006 – (4) 1 HEs 59/05 (42 – 49/06) – verletzt die Beschwerdeführer in ihren Grundrechten aus Artikel 2 Absatz 2 Satz 2 des Grundgesetzes.
Der Beschluss wird aufgehoben. Die Sache wird an das Kammergericht zurückverwiesen.
Damit erledigen sich die Anträge auf Erlass einer einstweiligen Anordnung.
Das Land Berlin hat den Beschwerdeführern ihre notwendigen Auslagen zu erstatten.
Tatbestand
A.
Die Beschwerdeführer wenden sich mit ihren Verfassungsbeschwerden gegen die Aufrechterhaltung von Untersuchungshaft.
I.
1. Ihnen wird zur Last gelegt, als Mitglied einer Bande mit Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge unerlaubt Handel getrieben und solche unerlaubt eingeführt zu haben.
Der Beschwerdeführer zu 1. befindet sich auf Grund des Haftbefehls des Amtsgerichts Tiergarten vom 26. November 2004 seit diesem Tage in Untersuchungshaft.
Am 29. November 2004 erging durch das Amtsgericht Tiergarten gegen den tags zuvor vorläufig festgenommenen Beschwerdeführer zu 4. Haftbefehl, der seit dem gleichen Tage vollzogen wird. Am 14. März 2005 erließ das Amtsgericht Tiergarten einen Ergänzungsbeschluss zu diesem Haftbefehl.
Ferner erließ das Amtsgericht Tiergarten am 25. April 2005 gegen die Beschwerdeführer zu 2. und 3. Haftbefehle. Sie wurden am 26. April 2005 festgenommen und befinden sich seither ununterbrochen in Untersuchungshaft.
Als Haftgrund wurde jeweils Fluchtgefahr angeführt.
2. Unter dem 16. Dezember 2005 erstellte die Staatsanwaltschaft Berlin die Anklageschrift, die sich gegen insgesamt zwölf Personen richtete.
Das Landgericht Berlin eröffnete mit Beschluss vom 7. Februar 2006 das Hauptverfahren und ließ die Anklageschrift mit geringfügigen Änderungen zu.
Termine zur Hauptverhandlung fanden zunächst am 2., 9., 16., 23. und 30. März, dem 6., 13. und 27. April sowie dem 9. und 11. Mai 2006 statt.
Das Verfahren gegen die Angeklagte A. wurde am ersten Sitzungstag, das gegen den Angeklagten P. am fünften Sitzungstag zur gesonderten Verhandlung und Entscheidung abgetrennt. Gegen den Angeklagten P. erging am 11. April 2006 ein Urteil.
Nach dem 11. Mai 2006 erkrankte der Vorsitzende Richter, woraufhin das Landgericht mit Beschluss vom 16. Mai 2006 gemäß § 229 Abs. 3 StPO feststellte, dass die Unterbrechungsfristen des § 229 Abs. 1 und 2 StPO seit dem 12. Mai 2006 gehemmt seien.
Mit Schriftsatz vom 7. Juni 2006 stellte die Mitangeklagte F., die sich nicht in Untersuchungshaft befand, gegen den Vorsitzenden Richter und den Berichterstatter, die Gespräche über eine einvernehmliche Beendigung des Verfahrens gegen den Beschwerdeführer zu 1. und die Mitangeklagte F. geführt hatten, ein Ablehnungsgesuch.
Dieses Gesuch wurde mit Beschluss des Landgerichts Berlin vom 13. Juni 2006 als unbegründet zurückgewiesen.
Mit Schriftsatz vom gleichen Tag nahm die Verteidigerin der Mitangeklagten F. zu den ihr übermittelten dienstlichen Erklärungen Stellung.
Der Beschwerdeführer zu 3. lehnte die drei Berufsrichter am 15. Juni 2006 ab.
Die Hauptverhandlung wurde am 22. Juni 2006 in neuer Besetzung fortgesetzt, nachdem der Vorsitzende Richter wegen einer längerfristigen Erkrankung ausgeschieden und der Ergänzungsrichter in den Spruchkörper nachgerückt war.
Zu Beginn der Hauptverhandlung vom 22. Juni 2006 brachten die Beschwerdeführer zu 1. und 2. jeweils einen Ablehnungsantrag gegen die beiden noch verbliebenen Berufsrichter, die an den Gesprächen zum Zwecke einer Verfahrensabsprache teilgenommen hatten, an. Die Mitangeklagte F. schloss sich dem Ablehnungsantrag des Beschwerdeführers zu 1. an.
Mit Beschluss vom 30. Juni 2006 stellte das Landgericht Berlin fest, dass die Ablehnungsgesuche begründet seien und setzte die Hauptverhandlung aus.
Das Präsidium des Landgerichts Berlin löste mit Beschluss vom 3. Juli 2006 die für das Verfahren gegen die Beschwerdeführer zuständige Strafkammer auf und wies das Verfahren einer anderen Strafkammer zu.
Dort wurde das gegen die Angeklagte A. abgetrennte Verfahren wieder mit den vorliegenden Strafverfahren verbunden.
Mit Schreiben vom 10. Juli 2006 teilte der Vorsitzende dieser Strafkammer mit, dass erwogen werde, mit der Hauptverhandlung am 27. September 2006 zu beginnen. Unter dem 27. Juli 2006 erfolgte die Ladung zu der am 27. September 2006 beginnenden Hauptverhandlung. Für die Monate Oktober 2006 bis Februar 2007 wurde zu jeweils zwei Hauptverhandlungsterminen pro Woche geladen.
3. Das Kammergericht ordnete mit Beschluss vom 2. August 2006 die Fortdauer der Untersuchungshaft an. Es sah bei den Beschwerdeführern und den anderen sich in Haft befindlichen Mitangeklagten einen dringenden Tatverdacht hinsichtlich der ihnen in den Haftbefehlen vorgeworfenen Taten nach wie vor als gegeben an. Ferner nahm es bei sämtlichen inhaftierten Angeklagten Fluchtgefahr an. Insoweit nahm das Kammergericht auf seine vorangegangenen Beschlüsse vom 17. Juni und 14. November 2005 Bezug. Ferner hätten wichtige Gründe im Sinne des § 121 Abs. 1 StPO ein Urteil immer noch nicht zugelassen. Das Kammergericht verwies zunächst auf seine Ausführungen in den Beschlüssen vom 17. Juni, 4. Oktober und 14. November 2005 sowie vom 11. Januar und 9. Februar 2006, wonach das Verfahren mit der in Haftsachen gebotenen Beschleunigung geführt worden sei und keine Verzögerungen bei der Bearbeitung eingetreten seien. Die Behandlung des Verfahrens nach Erlass des Eröffnungsbeschlusses habe teilweise zu Verzögerungen geführt. Es sei zwar nicht zu beanstanden, dass die Strafkammer mit der Hauptverhandlung erst am 2. März 2006 begonnen habe. Auch bedürfe es keiner Erörterung, ob es durch die Anberaumung von nur einem Sitzungstag wöchentlich in dem Zeitraum vom 2. März bis zum 13. April sowie – nach einer Unterbrechung – vom 27. April bis zum 11. Mai 2006 und durch die von einzelnen Verteidigern als zu kurz beanstandete Länge einzelner Termine zu einer Verzögerung des Verfahrens gekommen sei. Bereits wegen des Umfangs des Verfahrens und der Beweisaufnahme hätte nämlich die Hauptverhandlung auch bei der Durchführung weiterer oder länger andauernder Termine auf keinen Fall bis zum Mai oder Juni, als schließlich ihre Aussetzung angeordnet worden sei, abgeschlossen werden können. Auch die durch die Unterbrechung der Hauptverhandlung gemäß § 229 Abs. 3 StPO vom 12. Mai bis zum 21. Juni 2006 eingetretene Verzögerung sei deshalb nicht von Bedeutung. Hinzu komme, dass der Eintritt der Erkrankung nicht vorhersehbar gewesen sei und ein unabwendbares Ereignis dargestellt habe. Das Verfahren sei aber beträchtlich verzögert worden, weil die Hauptverhandlung durch Beschluss vom 30. Juni 2006 ausgesetzt worden sei. Diese Verfahrensverzögerung sei nicht von den Angeklagten zu vertreten. Sie habe ihre Ursache in dem Verhalten der abgelehnten Berufsrichter während des Prozesses. Dieser Umstand stehe jedoch der Annahme eines wichtigen Grundes im Sinne des § 121 Abs. 1 StPO nicht von vornherein entgegen. Vielmehr sei er unter Berücksichtigung der gebotenen engen Auslegung des wichtigen Grundes einer Bewertung im Einzelfall zu unterziehen. Ausweislich der Gründe des landgerichtlichen Beschlusses vom 30. Juni 2006 habe der Ablehnung kein gänzlich unvermeidbares, aber doch ein eher als leicht zu bewertendes Fehlverhalten der beiden abgelehnten Richter zu Grunde gelegen. Der Umstand, dass keine weiteren Ergänzungsrichter bereit gestanden hätten, die für die abgelehnten Richter hätten eintreten können, falle nicht entscheidend ins Gewicht. Es sei nicht vorhersehbar gewesen, dass gleich mehrere Berufsrichter aus der Hauptverhandlung ausscheiden würden. Eine „vorsorgliche” Bestellung gleich mehrerer Ergänzungsrichter sei – auch unter Berücksichtigung des Umfangs des Verfahrens und der voraussichtlich langen Dauer der Hauptverhandlung – zur Sicherstellung eines dem Beschleunigungsgebot Rechnung tragenden Verfahrensablaufs nicht geboten gewesen. Das Verfahren über die Ablehnungsgesuche sei ohne Verzögerung durchgeführt worden. Auch das weitere Verfahren bis zur Neuterminierung der Hauptverhandlung habe zu keinen Verzögerungen geführt. Das Präsidium habe bereits am ersten Werktag nach dem Ablehnungsbeschluss die Schließung der bislang mit dem Verfahren befassten Strafkammer und den Übergang der Verfahren auf die 35. große Strafkammer beschlossen. Dort seien die Akten schon am Folgetag eingegangen und unverzüglich bearbeitet worden, wie sich aus dem Schreiben des Vorsitzenden vom 10. Juli 2006 ergebe. Auch seien bereits mit Verfügung vom 27. Juli 2006 Termine für die Hauptverhandlung unter Ansetzung von wöchentlich zwei Sitzungstagen bestimmt worden. Kürzere Unterbrechungen seien lediglich für die Zeit zwischen dem 20. Dezember 2006 und dem 8. Januar 2007 sowie zwischen dem 31. Januar und dem 14. Februar 2007 beabsichtigt. Diese kürzeren Unterbrechungen seien durch die Feiertage gerechtfertigt. Dies gelte auch für die Zeit vom 27. September bis zum 16. Oktober 2006, in der die Herbstferien der Berliner Schulen stattfänden.
Eine Verzögerung von annähernd drei Monaten – gerechnet ab dem Zeitpunkt der Aussetzung der Hauptverhandlung – ergebe sich allerdings daraus, dass mit der neuerlichen Hauptverhandlung erst am 27. September 2006 begonnen werden könne. Der Ansetzung eines früheren Termins habe aber als wichtiger Grund entgegengestanden, dass sich die Berufsrichter der nunmehr zuständigen Strafkammer erstmals und vollständig in den sehr umfangreichen Prozessstoff einarbeiten müssten. Im Übrigen lasse die Terminierung den Abschluss des Verfahrens in einem überschaubaren Zeitraum erwarten. Das nur leichte Fehlverhalten der abgelehnten Berufsrichter, das Erfordernis der Einarbeitung der nunmehr zuständigen Strafkammer in den umfangreichen Verfahrensstoff und die für die Unterbrechungen der neuerlichen Hauptverhandlung maßgeblichen Umstände, rechtfertigten die Fortdauer der Untersuchungshaft bei allen Angeklagten. Dabei werde nicht verkannt, dass die Dauer der Untersuchungshaft von mittlerweile etwa einem Jahr und acht Monaten bzw. etwa einem Jahr und drei Monaten sehr lang sei und sie sich wegen der Notwendigkeit der erneuten Durchführung der Hauptverhandlung unter Berücksichtigung der bisherigen Terminierung voraussichtlich um mehr als sechs Monate verlängern werde. Diese Zeitdauer führe jedoch nicht dazu, den weiteren Vollzug der Untersuchungshaft als unangemessen zu bewerten. Die Durchführung eines gemeinsamen Verfahrens sei im Interesse der Funktionsfähigkeit und Effektivität der Strafrechtspflege geboten. Ansonsten bestünde die Gefahr, dass das wirkliche Geschehen nicht umfassend festgestellt, Einzelhandlungen abweichend und Tatbeteiligungen nicht angemessen beurteilt würden. Die Verwirklichung einer solchen Gefahr könne auch nicht im Interesse der Angeklagten liegen. Auch wenn es sich bei der durch die Aussetzung der Hauptverhandlung verursachten Verzögerung nicht um eine lediglich geringfügige Verzögerung handele und sie von den Angeklagten nicht zu vertreten sei, müsse sie von ihnen daher noch hingenommen werden.
Der Fortdauer der Untersuchungshaft stehe schließlich auch nicht der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit im Sinne des § 120 Abs. 1 Satz 1 zweite Alt. StPO entgegen. Zum einen erweise sich die Bedeutung der Sache als groß. Angeklagt seien eine Vielzahl von Betäubungsmitteldelikten, die dem Bereich der Schwerstkriminalität und der internationalen organisierten Kriminalität zuzurechnen seien. Zum anderen sei die Straferwartung bei allen Angeklagten sehr hoch. Die Delikte, deren sie verdächtig seien, sähen eine Mindeststrafe von fünf Jahren vor. Auch sonstige Umstände der Untersuchungshaft, wie die Gestaltung des Vollzugs, vor allem die Anordnung der Tatgenossentrennung und der damit einhergehenden Beschränkungen im Umgang mit anderen Untersuchungsgefangenen, ließen diese nicht als unverhältnismäßig erscheinen.
4. Die Beschwerdeführer zu 1. und 3. haben mit Schriftsätzen vom 17. August und vom 31. August 2006 Gegenvorstellung gegen den angegriffenen Beschluss des Kammergerichts erhoben. Das Kammergericht wies die Gegenvorstellungen mit Beschlüssen vom 1. und 7. September 2006 als unzulässig zurück.
II.
1. Die Beschwerdeführer rügen die Verletzung von Art. 2 Abs. 2 Satz 2 GG.
Sie sehen eine Abwägungsdisproportionalität bei der Prüfung eines wichtigen Grundes im Sinne des § 121 Abs. 1 StPO als gegeben an. Die Begründung des Kammergerichts treffe unter verschiedenen Gesichtspunkten nicht den Kern der Frage, ob das Hauptverfahren entsprechend dem verfassungsrechtlichen Beschleunigungsgebot in Haftsachen geführt worden sei. Maßstab dafür könne nicht sein, ob bei der von Verfassungs wegen gebotenen dichteren Terminierung in der Zeit bis 30. Juni 2006 ein Urteil ergangen wäre. Mit einem Urteil bis zu diesem Zeitpunkt sei im Hinblick auf den Umfang der Sache und der Zahl der Angeklagten ohnehin nicht zu rechnen gewesen. Dies könne allerdings nicht die schleppende Terminierung der Sache rechtfertigen. Der Umstand, dass die Beweisaufnahme durch zahlreiche Anträge, Erklärungen und Beanstandungen seitens der Verteidigung aufgehalten worden sei, führe ebenfalls nicht weiter. Dieses Verteidigerverhalten sei vorhersehbar gewesen und habe gerade eine dichtere Terminierung gefordert. Für die Erheblichkeit der Verfahrensverzögerung komme es allein darauf an, ob das Verfahren bei der gebotenen Beschleunigung der Sache einem Abschluss habe näher gebracht werden können. Dies sei bei der gegebenen Verfahrensweise zweifelsohne nicht der Fall gewesen. Hinzu komme, dass auch die Erkrankung des Vorsitzenden ihre Ursache im Bereich der Justiz habe. Letztlich komme es aber auf alle diese Gesichtspunkte nicht an. Selbst wenn die Hauptverhandlung bis zum 30. Juni 2006 mit der gebotenen Beschleunigung geführt worden wäre, wären alle diese Bemühungen durch die am 30. Juni 2006 erfolgte Aussetzung der Hauptverhandlung hinfällig geworden. Das Kammergericht stelle zwar auch fest, dass dadurch eine erhebliche Verzögerung des Verfahrens eingetreten sei. Es gehe auch zunächst noch davon aus, dass es für die Zurechnung der Verzögerung auf ein Verschulden nicht ankomme. Diese zutreffende Prämisse werde jedoch im Rahmen der weiteren Ausführungen unterlaufen. Das Kammergericht nehme eine bloß leicht fahrlässige Handlungsweise der abgelehnten Richter an, weshalb die dadurch ausgelöste Verfahrensverzögerung der Annahme eines wichtigen Grundes nicht entgegenstehe. Diese Annahme sei nach Lage der Dinge jedoch schlicht abwegig.
Das Landgericht habe sich eher vorsichtig geäußert und keinen Zweifel daran gelassen, dass es von einem gravierenden Fehlverhalten ausgehe. Dies entspreche auch dem Obersatz, unter den das Landgericht seine etwas zaghaft getroffenen Feststellungen subsumiere. Auch sei es wenig nachvollziehbar, wenn das Kammergericht in Folge der Aussetzung der Hauptverhandlung von einer Verfahrensverzögerung von lediglich „annähernd drei Monaten” ausgehe. Hierbei verkenne es, dass infolge der Aussetzung die Hauptverhandlung vollständig hinfällig geworden sei und sich das Verfahren bei dem geplanten Neubeginn der Hauptverhandlung am 27. September 2006 auf dem Stand wie zu Beginn der ersten Hauptverhandlung am 2. März 2006 befinde. Mithin sei eine Verfahrensverzögerung von knapp sieben Monaten eingetreten, deren Ursache allein im Bereich der Justiz liege. Die Tatsache, dass das Kammergericht die Aussetzung der Hauptverhandlung wie eine Unterbrechung behandle und als Verfahrensverzögerung lediglich den Zeitraum zwischen der Aussetzungsentscheidung und dem Neubeginn der Hauptverhandlung behandle, stelle ein schwerwiegendes Abwägungsdefizit dar. Bereits aus diesem Grunde dürfe der Haftfortdauerbeschluss keinen Bestand haben.
Auch litten die Darlegungen zur Verhältnismäßigkeit der angeordneten Haftfortdauer an schwerwiegenden Defiziten. Das Kammergericht verkenne bei seinen Ausführungen, dass bei der Abwägung nur die Tatvorwürfe zu Grunde gelegt werden dürften, deretwegen der Haftbefehl erlassen worden sei. Beim Beschwerdeführer zu 1. seien aber nicht sämtliche Anklagevorwürfe Gegenstand des Haftbefehls. Zudem habe das Kammergericht die Verfahrensverzögerungen nicht in die Abwägung eingestellt.
Die Beschwerdeführer zu 1., 2. und 4. rügen im Übrigen eine undifferenzierte und bloß formelhafte Begründung der Fluchtgefahr. Seit dem Beschluss vom 17. Juni 2005 gebe es keine aktuelle Begründung betreffend der Fluchtgefahr. Dies gelte auch hinsichtlich der Frage des Vorliegens eines dringenden Tatverdachts. Dieser werde lediglich oberflächlich begründet. Auf Erkenntnisse der bisher durchgeführten Hauptverhandlung gehe das Kammergericht – obgleich vorgetragen – nicht ein. Der Beschwerdeführer zu 4. rügt dabei auch, dass es ohne weiteres möglich sei, sein Verfahren abzutrennen und es einer schnelleren Erledigung zuzuführen, weil er lediglich eine Randfigur darstelle.
Der Beschwerdeführer zu 1. rügt ergänzend, dass das Kammergericht bei der Erörterung der Straferwartung nicht lediglich auf die Tat, die Gegenstand des ihn betreffenden Haftbefehls sei, abstelle, sondern von den ihn in der Anklageschrift angelasteten Taten ausgehe. Hinsichtlich dieser fehle es aber an einer Verurteilungswahrscheinlichkeit, worauf er im Haftprüfungsverfahren hingewiesen habe, ohne dass das Kammergericht hierauf eingegangen sei. Auch setze sich das Kammergericht darüber hinweg, dass ihm im Rahmen der Sondierungsgespräche im Fall einer teilgeständigen Einlassung eine Freiheitsstrafe von lediglich drei Jahren und sechs Monaten in Aussicht gestellt worden sei. Es lägen keine Anhaltspunkte dafür vor, dass die Berufsrichter ihn unter bewusst unzutreffender rechtlicher Würdigung der Tat zu einer schuldunangemessen niedrigen Strafe verurteilt hätten.
322. Das Land Berlin hatte Gelegenheit zur Stellungnahme.
Entscheidungsgründe
B.
Die Kammer nimmt die Verfassungsbeschwerde zur Entscheidung an, weil dies zur Durchsetzung der Grundrechte der Beschwerdeführer angezeigt ist (§ 93b i.V.m. § 93a Abs. 2 Buchstabe b BVerfGG). Die Verfassungsbeschwerde ist zulässig und – in einer die Entscheidungszuständigkeit der Kammer gemäß § 93c Abs. 1 Satz 1 BVerfGG eröffnenden Weise – auch offensichtlich begründet; die für die Beurteilung maßgeblichen verfassungsrechtlichen Fragen hat das Bundesverfassungsgericht bereits beantwortet.
I.
Art. 2 Abs. 2 Satz 2 GG garantiert die Freiheit der Person.
1. In diesem Freiheitsgrundrecht ist das in Haftsachen geltende verfassungsrechtliche Beschleunigungsgebot angelegt (vgl. BVerfGE 46, 194 ≪195≫). Das Bundesverfassungsgericht hat deshalb in ständiger Rechtsprechung betont, dass der Freiheitsanspruch des noch nicht verurteilten Beschuldigten den vom Standpunkt der Strafverfolgung aus erforderlichen und zweckmäßigen Freiheitsbeschränkungen ständig als Korrektiv entgegenzuhalten ist (vgl. BVerfGE 19, 342 ≪347≫; 20, 45 ≪49 f.≫; 36, 264 ≪270≫; 53, 152 ≪158 f.≫). Zwischen beiden Belangen muss abgewogen werden. Dabei ist zu berücksichtigen, dass der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit der Haftdauer auch unabhängig von der zu erwartenden Strafe Grenzen setzt (vgl. BVerfGE 20, 45 ≪49 f.≫; 20, 144 ≪148≫; 36, 264 ≪270≫; 53, 152 ≪158 f.≫), und gleichzeitig zu bedenken, dass sich das Gewicht des Freiheitsanspruchs gegenüber dem Interesse an einer wirksamen Strafverfolgung mit zunehmender Dauer der Untersuchungshaft regelmäßig vergrößert (vgl. BVerfGE 19, 342 ≪347≫; 36, 264 ≪270≫; 53, 152 ≪158 f.≫; EGMR, Urteil der Großen Kammer vom 26. Oktober 2000 – 30210/96 –, NJW 2001, S. 2694 ≪2696≫ – Kudla).
2. Der verfassungsrechtlich verankerte Beschleunigungsgrundsatz in Haftsachen verlangt bezogen auf das in Rede stehende Strafverfahren, dass die Strafverfolgungsbehörden und Strafgerichte alle möglichen und zumutbaren Maßnahmen ergreifen, um die notwendigen Ermittlungen mit der gebotenen Schnelligkeit abzuschließen und eine gerichtliche Entscheidung über die einem Beschuldigten vorgeworfenen Taten herbeizuführen (vgl. BVerfGE 20, 45 ≪50≫; 36, 264 ≪273≫). Kommt es zu vermeidbaren und dem Staat zuzurechnenden Verfahrensverzögerungen, wobei es auf eine wie auch immer geartete Vorwerfbarkeit nicht ankommt (vgl. Beschluss der 3. Kammer des Zweiten Senats des Bundesverfassungsgerichts vom 5. Dezember 2005 – 2 BvR 1964/05 –, NJW 2006, S. 672 ≪673 f.≫), und überschreitet deshalb der weitere Vollzug der Untersuchungshaft die in § 121 Abs. 1 StPO bestimmte Frist in einem ungewöhnlichen Maße, so liegt ein Verstoß gegen Art. 2 Abs. 2 Satz 2 GG vor (vgl. BVerfGE 20, 45 ≪50≫). Im Rahmen der Abwägung zwischen dem Freiheitsanspruch und dem Strafverfolgungsinteresse kommt es in erster Linie auf die durch objektive Kriterien bestimmte Angemessenheit der Verfahrensdauer an, die etwa von der Komplexität der Rechtssache, der Vielzahl der beteiligten Personen oder dem Verhalten der Verteidigung abhängig sein kann. Dies macht eine auf den Einzelfall bezogene Prüfung des Verfahrensablaufs erforderlich. Mit zunehmender Dauer der Untersuchungshaft sind dabei stets höhere Anforderungen an das Vorliegen eines rechtfertigenden Grundes zu stellen. Entsprechend dem Gewicht der zu ahndenden Straftat können zwar kleinere Verfahrensverzögerungen die Fortdauer der Untersuchungshaft rechtfertigen. Allein die Schwere der Tat und die sich daraus ergebende Straferwartung vermag aber bei erheblichen, vermeidbaren und dem Staat zuzurechnenden Verfahrensverzögerungen nicht zur Rechtfertigung einer ohnehin schon lang andauernden Untersuchungshaft zu dienen (vgl. Beschluss der 2. Kammer des Zweiten Senats des Bundesverfassungsgerichts vom 22. Februar 2005 – 2 BvR 109/05 –, StV 2005, S. 220 ≪224≫; Beschluss der 2. Kammer des Zweiten Senats des Bundesverfassungsgerichts vom 23. September 2005 – 2 BvR 1315/05 –, NJW 2005, S. 3485 ≪3487≫; Beschluss der 3. Kammer des Zweiten Senats des Bundesverfassungsgerichts vom 5. Dezember 2005 – 2 BvR 1964/05 –, NJW 2006, S. 672 ≪673≫). So findet etwa der Vollzug von Untersuchungshaft von mehr als einem Jahr bis zum Beginn der Hauptverhandlung oder dem Erlass eines Urteils nur in ganz besonderen Ausnahmefällen seine Rechtfertigung (vgl. Beschluss der 3. Kammer des Zweiten Senats des Bundesverfassungsgerichts vom 30. September 1999 – 2 BvR 1775/99 –, NStZ 2000, S. 153; OLG Düsseldorf, Beschluss vom 10. August 1992 – 2 Ws 312/92 –, StV 1992, S. 586; OLG Köln, Beschluss vom 14. Juni 1992 – HEs 164/91-181/92 u.a. –, MDR 1992, S. 1070). Je nach Sachlage kann bereits eine Zeitspanne von drei Monaten zu beanstanden sein (vgl. Schleswig-Holsteinisches OLG, Beschluss vom 2. April 1992 – 1 HEs 14/92 –, StV 1992, S. 525; HansOLG Hamburg, Beschluss vom 7. März 1985 – 2 Ws 90/85 H –, StV 1985, S. 198; OLG Köln, Beschluss vom 18. August 1992 – HEs 136/92 –, StV 1992, S. 524 f.; OLG Koblenz, Beschluss vom 28. April 2000 – (1) 4420 BL-III-25/00 –, StV 2000, S. 515 ≪516≫: vermeidbare Verfahrensverzögerung von rd. zwei Monaten mit dem Beschleunigungsgebot in Haftsachen unvereinbar). Dauert die Untersuchungshaft bereits ein Jahr an, so führt in bestimmten Fällen schon eine Verzögerung um einen Monat oder sechs Wochen zu einer Verletzung des Beschleunigungsgebotes in Haftsachen (vgl. Beschluss der 3. Kammer des Zweiten Senats des Bundesverfassungsgerichts vom 16. März 2006 – 2 BvR 170/06 –, NJW 2006, S. 1336 ≪1339≫; Beschluss der 3. Kammer des Zweiten Senats des Bundesverfassungsgerichts vom 30. September 1999 – 2 BvR 1775/99 –, NStZ 2000, S. 153 ≪154≫; KG, Beschluss vom 30. Juni 1999 – (3) 1 HEs 299/98 –, StV 2000, S. 36 ≪37≫).
II.
Diesen sich aus Art. 2 Abs. 2 Satz 2 GG und Art. 104 Abs. 1 Satz 1 GG ergebenden Anforderungen wird die angefochtene Entscheidung des Kammergerichts nicht gerecht. Das Kammergericht hat Bedeutung und Tragweite von Art. 2 Abs. 2 Satz 2 GG verkannt, weil es bei der Anwendung des § 121 Abs. 1 StPO die verfassungsrechtlichen Vorgaben des Beschleunigungsgebots nicht beachtet hat.
1. Nach § 121 Abs. 1 StPO darf, solange kein Urteil ergangen ist, das auf Freiheitsstrafe oder eine freiheitsentziehende Maßregel der Besserung und Sicherung erkennt, der Vollzug der Untersuchungshaft wegen derselben Tat über sechs Monate hinaus nur aufrechterhalten werden, wenn die besondere Schwierigkeit oder der besondere Umfang der Ermittlungen oder ein anderer wichtiger Grund das Urteil noch nicht zulassen und die Fortdauer der Haft rechtfertigen.
Die Vorschrift wurde durch Art. 1 StPÄG 1964 in die Strafprozessordnung eingefügt, um der Forderung in Art. 5 Abs. 3 EMRK zu genügen (vgl. BTDrucks IV/178, S. 25). Nach Art. 5 Abs. 3 Satz 1 Halbsatz 2 EMRK hat jede Person, die von einer Freiheitsentziehung betroffen ist, Anspruch auf ein Urteil innerhalb angemessener Zeit oder auf Entlassung während des Verfahrens. Dieser Anspruch des in Untersuchungshaft befindlichen Beschuldigten findet ferner seine Grundlage in dem aus Art. 2 Abs. 2 Satz 2 GG herzuleitenden verfassungsmäßigen Grundsatz der Verhältnismäßigkeit. Dieser Grundsatz ist nicht nur für die Anordnung, sondern auch für die Dauer der Untersuchungshaft von Bedeutung. Vor allem darf die Untersuchungshaft hinsichtlich ihrer Dauer nicht außer Verhältnis zu der voraussichtlich zu erwartenden Strafe stehen. Unabhängig von der zu erwartenden Strafe setzt aber der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit der Haftdauer Grenzen. Dem trägt § 121 StPO Rechnung, der von der Sechs-Monats-Frist nur in begrenztem Umfang Ausnahmen zulässt. Die in seinem Absatz 1 enthaltenen Ausnahmetatbestände sind, wie aus dem Wortlaut ersichtlich ist und durch die Entstehungsgeschichte bestätigt wird, eng auszulegen (vgl. grundlegend BVerfGE 20, 45 ≪49 f.≫; im Anschluss auch BVerfGE 36, 264 ≪271≫). Unter Berücksichtigung dieses Hintergrundes stellt sich die Regelung des § 121 Abs. 1 StPO als eine einfach-rechtliche Ausprägung des verfassungsrechtlich verankerten Beschleunigungsgebots dar, so dass auch die Tatbestandsmerkmale dieser Norm im Lichte dieses Verfassungsgebots auszulegen sind.
2. § 121 Abs. 1 StPO erfordert nach seinem Wortlaut eine doppelte Prüfung (vgl. Schlothauer/Weider, Untersuchungshaft, 3. Aufl. 2001, Rn. 873). Zum einen müssen Feststellungen darüber getroffen werden, ob die besondere Schwierigkeit oder der besondere Umfang der Ermittlungen oder andere wichtige Gründe ein Urteil bislang nicht zugelassen haben. Unter die eng auszulegende Generalklausel des „anderen wichtigen Grundes” fallen nur solche Umstände, die in ihrem Gehalt den beiden besonders genannten Gründen gleichstehen. Sie brauchen ihnen aber der Art nach nicht ähnlich zu sein (Meyer-Goßner, StPO, 49. Aufl. 2006, § 121 Rn. 18; Boujong, in: Karlruher Kommentar zur Strafprozessordnung, 5. Aufl. 2003, § 121 Rn. 15). Sie können sogar vom Prozessstoff unabhängig sein. Es reicht aber nicht aus, dass Ermittlungen durchgeführt werden wegen einer Tat, die nicht Gegenstand des vollzogenen Haftbefehls ist und für die kein dringender Tatverdacht besteht (Beschluss der 1. Kammer des Zweiten Senats des Bundesverfassungsgerichts vom 13. September 2001 – 2 BvR 1286/01 und 2 BvR 1371/01 –, NStZ 2002, S. 100; Beschluss der 3. Kammer des Zweiten Senats des Bundesverfassungsgerichts vom 28. Januar 1992 – 2 BvR 1754/91 –, NJW 1992, S. 1749 ≪1750≫; Boujong, in: Karlruher Kommentar zur Strafprozessordnung, 5. Aufl. 2003, § 121 Rn. 15). Fehlt es an derartigen Gründen, ist die Haftfortdauer auch dann unzulässig, wenn auch bei zügiger Sachbehandlung ein Urteil bis zum besonderen Haftprüfungstermin noch nicht ergangen wäre. Bloß hypothetische Überlegungen haben insoweit zu unterbleiben (Beschluss der 2. Kammer des Zweiten Senats des Bundesverfassungsgerichts vom 1. Mai 1995 – 2 BvR 40/94 –, StV 1995, S. 422).
Liegen demgegenüber solche wichtigen Gründe vor, so ist zum anderen erforderlich, dass sie die Fortdauer der Untersuchungshaft rechtfertigen. Entscheidend ist, dass die Strafverfolgungsbehörden und Gerichte alle zumutbaren Maßnahmen getroffen haben, um die Ermittlungen so schnell wie möglich abzuschließen und ein Urteil herbeizuführen (vgl. BVerfGE 20, 45 ≪50≫; Meyer-Goßner, StPO, 49. Aufl. 2006, § 121 Rn. 19).
3. Unter Berücksichtigung dieses Maßstabes tragen die vom Kammergericht getroffenen Feststellungen nicht die Annahme eines wichtigen Grundes. Es hat in dem angegriffenen Beschluss ausgeführt, dass sich das Verfahren wegen der Notwendigkeit der erneuten Durchführung der Hauptverhandlung unter Berücksichtigung der bisherigen Terminierung voraussichtlich um mehr als sechs Monate verlängern werde. Damit aber liegt – wie das Kammergericht auch selbst erkennt – keineswegs mehr eine geringfügige und damit zu vernachlässigende Verzögerung vor. Vielmehr überschreitet diese Verfahrensverzögerung als solche schon die in § 121 Abs. 1 StPO bestimmte Frist. Darüber hinaus hat das Kammergericht auch zutreffend festgestellt, dass die Verfahrensverzögerung vermeidbar und dem Staat zuzurechnen ist. Soweit es im Rahmen der Prüfung eines wichtigen Grundes eine Verschuldensprüfung anstellt, steht dies in unauflösbarem Widerspruch zu seiner eigenen Prämisse, die auf der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts beruht, wonach es für die Zurechnung der Verfahrensverzögerung zu der Sphäre des Staates nicht auf ein Verschulden ankommt.
4. Es bedarf bei der hier gegebenen Sachverhaltsgestaltung keiner Beantwortung der Frage, ob jede dem Staat zurechenbare Verfahrensverzögerung, selbst dann wenn sie auf keinen groben Fehler oder auf keine gravierende Säumnis der Strafverfolgungsbehörden und Gerichte zurückzuführen ist, gegen das Vorliegen eines wichtigen Grundes im Sinne von § 121 Abs. 1 StPO spricht. Jedenfalls kann eine erhebliche objektive Pflichtwidrigkeit eines Gerichts nicht als wichtiger Grund im Sinne des § 121 Abs. 1 StPO angesehen werden (vgl. dazu Beschluss der 1. Kammer des Zweiten Senats des Bundesverfassungsgerichts vom 4. Februar 2000 – 2 BvR 453/99 –, StV 2000, S. 321 ≪322≫; Meyer-Goßner, StPO, 49. Aufl. 2006, § 121 Rn. 26; Wankel, in: KMR, Kommentar zur StPO, Losebl. Stand Mai 2004, § 121 Rn. 11). So liegt der Fall hier. Die Annahme des Kammergerichts, es liege in Bezug auf die Befangenheit der Berufsrichter, die letztlich zur Aussetzung der Hauptverhandlung führte, nur ein leichter Verfahrensfehler vor, wird von Art und Umfang der getroffenen Feststellung nicht getragen.
In tatsächlicher Hinsicht schöpft das Kammergericht nicht den Inhalt des Beschlusses des Landgerichts Berlin vom 30. Juni 2006 aus, mit dem die Ablehnungsgesuche gegen die beiden Berufsrichter für begründet erklärt wurden. Das Landgericht hat in diesem Beschluss darauf hingewiesen, dass eine Besorgnis der Befangenheit auch dann gegeben sein kann, wenn der Richter in schwerwiegender Weise gegen das Strafverfahrensrecht verstoßen habe. Einen solchen Verstoß hat das Landgericht als gegeben angesehen, weil durch die Berufsrichter zumindest der Eindruck erweckt worden sei, dass es einen „Komplex H. und F.” gebe, dessen Gesamterledigung mit einer Haftentlassung des Beschwerdeführers zu 1. auch von einer geständigen Einlassung der Mitangeklagten F. abhänge. Das Landgericht hat damit nur einen Mindesttatbestand festgestellt, der bereits einen Befangenheitsgrund trägt. Ausweislich der Gründe gehen jedoch die anwaltlichen Versicherungen in ihrem Vorwurf noch weiter. Hinzu kommt, dass in diese Richtung auch eine eidesstattliche Versicherung eines Stationsreferendars weist. Eine Aufklärung der diesbezüglichen Vorgänge ist lediglich mangels Entscheidungserheblichkeit unterblieben. Vor diesem Hintergrund aber kann auf der Ebene der Prüfung des Grades der Vorwerfbarkeit des Verfahrensverstoßes nicht schlicht auf das festgestellte Minimum der Vorgänge, die bereits zu einer Besorgnis der Befangenheit führen, zurückgegriffen werden. Vielmehr hätte dann in eine umfassende Bewertung der Gesamtlage eingetreten werden müssen.
5. Abschließend ist darauf hinzuweisen, dass es auf eine Abwägung zwischen dem Strafverfolgungsinteresse des Staates und dem Freiheitsanspruch des inhaftierten Beschuldigten im Rahmen des § 121 Abs. 1 StPO bei der Feststellung des Vorliegens eines wichtigen Grundes nicht ankommt. Liegt ein solcher nicht vor, so kann auch die Fortdauer der Untersuchungshaft nicht gerechtfertigt werden. Dies findet im Wortlaut der Norm ihren unmittelbaren Niederschlag und wird durch die Entstehungsgeschichte des § 121 Abs. 1 StPO bestätigt. Nach der Regierungsvorlage sollte eine Aufrechterhaltung der Untersuchungshaft über sechs Monate hinaus nur dann möglich sein, wenn deren allgemeine Voraussetzungen fortbestanden und die Schwierigkeit der Untersuchung oder wichtige Belange der Strafrechtspflege die Fortdauer der Haft erfordern. Diese eine Abwägung ermöglichende Fassung des § 121 Abs. 1 StPO wurde jedoch in den Beratungen des Rechtsausschusses fallen gelassen, so dass die Vorschrift ihre jetzige Fassung erhielt (vgl. Hilger, in: Löwe-Rosenberg, StPO, 25. Aufl. 2004, § 121 vor Rn. 1; OLG Köln, Beschluss vom 21. Februar 1973 – HEs 167/72 –, NJW 1973, S. 1009 ≪1010≫). Der Gesetzgeber hat damit die Abwägung zwischen den Interessen des Staates an einer geordneten Strafverfolgung und dem Freiheitsrecht des Verhafteten selbst und abschließend vorgenommen. Bei dieser klaren Gesetzeslage ist keine Korrektur durch die Rechtsprechung zulässig (vgl. Hilger, in: Löwe-Rosenberg, StPO, 25. Aufl. 2004, § 121 Rn. 6). Demgemäß ist in Rechtsprechung und Literatur auch anerkannt, dass die Schwere der Tat im Rahmen der Vorschrift des § 121 StPO ohne Bedeutung ist (OLG Düsseldorf, Beschluss vom 5. Februar 1992 – 2 Ws 599/91 –, MDR 1992, S. 796; OLG Köln, Beschluss vom 21. Februar 1973 – HEs 167/72 –, NJW 1973, S. 1009 ≪1010≫; OLG Stuttgart, Beschluss vom 27. November 1968 – 1 HEs 105/68 –, Die Justiz 1969, S. 46; Beschluss vom 30. Januar 2001 – 3 HEs 7/01 –, Die Justiz 2001, S. 196 ≪197≫; Meyer-Goßner, StPO, 49. Aufl. 2006, § 121 Rn. 20; Kintzi, DRiZ 2004, S. 348 f.).
III.
Auf die weiteren von den Beschwerdeführern vorgebrachten Rügen kommt es nach alledem nicht an.
Gemäß § 95 Abs. 1 Satz 1 BVerfGG ist die Verletzung von Art. 2 Abs. 2 Satz 2 GG durch das Kammergericht festzustellen. Der angegriffene Beschluss des Kammergerichts ist unter Zurückverweisung der Sache aufzuheben (§ 93c Abs. 2 i.V.m. § 95 Abs. 2 BVerfGG). Das Kammergericht hat unverzüglich unter Berücksichtigung der angeführten Gesichtspunkte erneut eine Entscheidung über die Fortdauer der Untersuchungshaft herbeizuführen.
Die Entscheidung über die Auslagenerstattung beruht auf § 34a Abs. 2 BVerfGG.
Diese Entscheidung ist unanfechtbar (§ 93d Abs. 1 Satz 2 BVerfGG).
Unterschriften
Broß, Osterloh, Mellinghoff
Fundstellen