Verfahrensgang
OLG Frankfurt am Main (Beschluss vom 09.01.2003; Aktenzeichen 2 UF 299/02) |
OLG Frankfurt am Main (Beschluss vom 06.12.2002; Aktenzeichen 2 UF 299/02) |
Tenor
- Die Beschlüsse des Oberlandesgerichts Frankfurt am Main vom 6. Dezember 2002 – 2 UF 299/02 – und vom 9. Januar 2003 – 2 UF 299/02 – verletzen den Beschwerdeführer in seinem Recht aus Artikel 6 Absatz 2 Satz 1 des Grundgesetzes. Die Entscheidungen werden aufgehoben. Die Sache wird an das Oberlandesgericht Frankfurt am Main zurückverwiesen.
- Das Land Hessen hat dem Beschwerdeführer die notwendigen Auslagen zu erstatten.
Tatbestand
I.
Mit der Verfassungsbeschwerde wendet sich der Beschwerdeführer gegen einen Umgangsausschluss.
1. Der Beschwerdeführer ist syrischer Staatsangehöriger. Er heiratete eine deutsche Staatsangehörige. Die Eheleute lebten nach der Heirat rund vier Monate bis Ende Dezember 2000 in Deutschland zusammen. Sodann zog die zu diesem Zeitpunkt vom Beschwerdeführer schwangere Ehefrau aus der ehelichen Wohnung aus und lebt seitdem von ihm getrennt. Im April 2001 wurde das Kind geboren, welches seit der Geburt bei der Mutter lebt. Der Mutter wurde im Einverständnis mit dem Beschwerdeführer das alleinige Sorgerecht für das Kind übertragen. Nachdem es zu einigen von der Kindesmutter oder dem Großvater mütterlicherseits begleiteten Umgangskontakten des Beschwerdeführers mit dem Kind gekommen war, schloss das Amtsgericht Kassel im Mai 2002 im Wege einer einstweiligen Anordnung den Umgang des Beschwerdeführers mit dem Kind bis zum 30. April 2004 aus.
Im August 2002 wurde die Ehe des Beschwerdeführers geschieden und ein von ihm gestellter Antrag auf Abänderung des Umgangsausschlusses in der Hauptsache abgelehnt. Bezüglich des Umgangsausschlusses legte der Beschwerdeführer Beschwerde zum Oberlandesgericht ein.
Ende September 2002 versagte der Hessische Verwaltungsgerichtshof einem einstweiligen Rechtsschutzantrag des Beschwerdeführers gegen die ihm zwischenzeitlich ausländerbehördlich angedrohte Abschiebung den Erfolg. Der Beschwerdeführer wurde zu einem nicht genau bekannten Zeitpunkt nach Syrien abgeschoben. Dies teilte die Kindesmutter dem Oberlandesgericht Mitte November 2002 mit und äußerte die Auffassung, dass damit das Rechtsschutzbedürfnis des Beschwerdeführers für die Aufhebung des Umgangsausschlusses entfallen sei.
a) Mit Beschluss vom 6. Dezember 2002 wies das Oberlandesgericht die Beschwerde gegen den Umgangsausschluss des Beschwerdeführers mit seinem Kind zurück. Nach der Abschiebung des Beschwerdeführers nach Syrien bestehe keine Möglichkeit, das Umgangsrecht tatsächlich auszuüben, so dass die Voraussetzungen für die Anordnung eines Umgangsrechts weggefallen seien.
b) Ende Dezember 2002 legte der Beschwerdeführer hiergegen “außerordentliche Beschwerde” ein, mit der er geltend machte, die Abschiebung sei kein Gesichtspunkt, welcher sein Anliegen auf Umgang erledigt hätte oder ihn an einer Ausübung des Umgangsrechts hindere. Am 9. Januar 2003 wies das Oberlandesgericht diesen Rechtsbehelf als unzulässig zurück. Es sei nicht Aufgabe des Senats, dem Beschwerdeführer über den Umweg einer Gewährung des Umgangsrechts eine Wiedereinreise in die Bundesrepublik zu ermöglichen. Der Beschwerdeführer sei darauf zu verweisen, für den Fall einer Wiedereinreise nach Deutschland beim zuständigen Amtsgericht erneut einen Umgangsantrag zu stellen.
2. Mit seiner Verfassungsbeschwerde wendet sich der Beschwerdeführer gegen die Beschlüsse des Oberlandesgerichts Frankfurt am Main. Er rügt eine Verletzung von Art. 6, Art. 19 Abs. 4 und Art. 103 Abs. 1 GG.
3. Das Land Hessen und die im Ausgangsverfahren beteiligte Kindesmutter haben Gelegenheit zur Stellungnahme erhalten.
Entscheidungsgründe
II.
Die Verfassungsbeschwerde ist zulässig. Sie ist zur Entscheidung anzunehmen, weil dies zur Durchsetzung der Rechte des Beschwerdeführers aus Art. 6 Abs. 2 Satz 1 GG angezeigt ist (§ 93a Abs. 2 Buchstabe b BVerfGG).
Die Voraussetzungen für eine stattgebende Kammerentscheidung (§ 93c Abs. 1 BVerfGG) sind erfüllt.
1. Die Verfassungsbeschwerde hat keine grundsätzliche verfassungsrechtliche Bedeutung im Sinne des § 93a Abs. 2 Buchstabe a BVerfGG. Die entscheidungserheblichen Fragen, insbesondere zum Umgangsrecht des nichtsorgeberechtigten Elternteils mit seinem Kind (vgl. BVerfGE 31, 194 ≪206 f.≫; 64, 180 ≪187 f.≫) und zu den aufenthaltsrechtlichen Wirkungen von Art. 6 GG für ausländische Familienangehörige von in Deutschland lebenden Personen (vgl. BVerfGE 76, 1 ≪48 ff.≫), sind durch die Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts bereits geklärt.
2. Die Verfassungsbeschwerde ist begründet. Die angegriffenen Entscheidungen des Oberlandesgerichts verletzen den Beschwerdeführer in seinem Grundrecht aus Art. 6 Abs. 2 GG.
a) Das Umgangsrecht des nichtsorgeberechtigten Elternteils steht ebenso wie die elterliche Sorge des anderen Elternteils unter dem Schutz des Art. 6 Abs. 2 Satz 1 GG. Können sich die Eltern über die Ausübung des Umgangsrechts nicht einigen, haben die Gerichte eine Entscheidung zu treffen, die sowohl die beiderseitigen Grundrechtspositionen der Eltern als auch das Wohl des Kindes und dessen Individualität als Grundrechtsträger berücksichtigt (vgl. BVerfGE 31, 194 ≪206 f.≫; 64, 180 ≪187 f.≫). Ein Verstoß gegen das Kindeswohl begründet zudem zugleich einen Verstoß gegen das Elternrecht (vgl. BVerfGE 99, 145 ≪164≫).
b) Nach diesen Maßstäben sind die angegriffenen Entscheidungen des Oberlandesgerichts mit Art. 6 Abs. 2 GG nicht vereinbar. In ihnen hat weder das Elternrecht des Beschwerdeführers auf Umgang mit seinem Kind Berücksichtigung gefunden noch ist eine Auseinandersetzung damit erfolgt, ob dem Umgang des Beschwerdeführers das Wohl seines Kindes entgegensteht. Das Unterlassen einer am Kindeswohl orientierten Entscheidung über das Umgangsbegehren des Beschwerdeführers kann nicht mit der für die Ablehnung des Umgangsantrags gegebenen einzigen Begründung gerechtfertigt werden, angesichts der erfolgten Abschiebung des Beschwerdeführers nach Syrien bestehe keine Möglichkeit zum Umgang mit dem Kind.
Zwar gilt für abgeschobene Ausländer – wie den Beschwerdeführer – ein generelles Verbot der Wiedereinreise nach Deutschland (§ 8 Abs. 2 AuslG). Daran ändert auch die Elternschaft zu einem deutschen Kind nichts. Denn Art. 6 Abs. 2 Satz 1 GG vermittelt einem ausländischen Familienangehörigen keinen Anspruch auf Einreise nach Deutschland (vgl. BVerfGE 76, 1 ≪48≫). Ausnahmsweise kann aber auch einem abgeschobenen Ausländer das kurzfristige Betreten des Bundesgebiets erlaubt werden, wenn zwingende Gründe seine Anwesenheit erfordern oder die Versagung der Erlaubnis eine unbillige Härte bedeuten würde (vgl. § 9 Abs. 3 AuslG). Dem Interesse eines Ausländers an der Ausübung eines ihm eingeräumten Umgangsrechts mit seinem hier lebenden deutschen Kind kommt als Aufenthaltszweck eine Bedeutung zu, die von der Ausländerbehörde im Rahmen der nach § 9 Abs. 3 AuslG vorzunehmenden Abwägung mit den gegen eine Gestattung der Wiedereinreise des zuvor abgeschobenen Ausländers sprechenden Belangen zu beachten ist. Denn Art. 6 Abs. 1 in Verbindung mit Abs. 2 GG als wertentscheidende Grundsatznorm verpflichtet die Ausländerbehörden, familiäre Bindungen eines Ausländers an Personen, die sich berechtigter Weise im Bundesgebiet aufhalten, bei der Entscheidung über ausländerrechtliche Maßnahmen im Einzelfall zu beachten (vgl. BVerfGE 76, 1 ≪49 f.≫; BVerfG, Beschluss der 2. Kammer des Zweiten Senats vom 30. Januar 2002 – 2 BvR 231/00 –, FamRZ 2002, S. 601 ≪602≫).
Nach alledem hat das Oberlandesgericht nicht als sicher ausschließen dürfen, dass dem Beschwerdeführer die besuchsweise Einreise zur Wahrnehmung von Umgangsterminen mit seinem Kind nach Deutschland dann ausländerrechtlich erlaubt wird, wenn er geltend machen kann, umgangsberechtigt zu sein. Indem das Oberlandesgericht dem Beschwerdeführer eine am Kindeswohl orientierte Entscheidung über den Umgangsausschluss mit dem Verweis auf die angenommene Unmöglichkeit des Umgangs wegen seiner erfolgten Abschiebung vorenthalten hat, hat es sein Grundrecht aus Art. 6 Abs. 2 Satz 1 GG verletzt. Gleichzeitig hat es ihm die Möglichkeit genommen, seinen Wunsch auf Umgang mit dem Kind mit Aussicht auf Erfolg als Aufenthaltszweck für die Beantragung einer Einreisegenehmigung bei der Ausländerbehörde geltend zu machen. Ob dem Beschwerdeführer für den Fall, er erhielte nach nachgeholter kindeswohlorientierter Prüfung einen Umgang mit seinem Kind gerichtlich eingeräumt, zu diesem Zweck auch die Einreise erlaubt werden kann oder muss, wird durch die familiengerichtliche Entscheidung nicht präjudiziert, sondern bleibt einer Klärung im ausländerrechtlichen Verfahren vorbehalten.
c) Die angegriffenen Entscheidungen beruhen auf dem Grundrechtsverstoß. Es ist nicht auszuschließen, dass das Oberlandesgericht bei Eintritt in eine Prüfung, ob einem persönlichen Umgang des Kindes mit dem Beschwerdeführer das Kindeswohl nicht entgegensteht, zu einem anderen Ergebnis als das Amtsgericht gekommen wäre.
d) Da die angegriffenen Entscheidungen somit schon wegen Verstoßes gegen Art. 6 Abs. 2 Satz 1 GG aufzuheben sind, bedarf es nicht mehr der Prüfung, ob das Oberlandesgericht auch den Anspruch des Beschwerdeführers auf rechtliches Gehör verletzt hat.
Diese Entscheidung ist unanfechtbar.
Unterschriften
Papier, Steiner, Hohmann-Dennhardt
Fundstellen
Haufe-Index 952214 |
NJW 2003, 3547 |
FamRZ 2003, 1082 |
FuR 2003, 455 |
NVwZ 2004, 339 |
EzFamR aktuell 2003, 275 |
FPR 2003, 665 |
FPR 2005, 217 |
InfAuslR 2003, 322 |
ZAR 2003, 323 |
ZfJ 2004, 109 |
FK 2003, 154 |
www.judicialis.de 2003 |