Verfahrensgang
OVG der Freien Hansestadt Bremen (Beschluss vom 26.08.2005; Aktenzeichen 2 B 158/05) |
Tenor
Die Verfassungsbeschwerde wird nicht zur Entscheidung angenommen.
Damit erledigt sich der Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung.
Tatbestand
I.
Die Beschwerdeführerin begehrt, zum schulischen Vorbereitungsdienst zugelassen zu werden, ohne ihr Kopftuch im Unterricht ablegen zu müssen.
1. Sie beantragte nach dem Abschluss ihres Lehramtsstudiums bei der Schulverwaltung der Freien Hansestadt Bremen die Zulassung zum Referendariat. Diese versagte das Landesinstitut für Schule, nachdem es die Beschwerdeführerin abgelehnt hatte, im Unterricht in Biblischer Geschichte/Religionskunde auf das Tragen eines Kopftuchs zu verzichten.
2. Hiergegen legte die Beschwerdeführerin Widerspruch ein und suchte um gerichtlichen Eilrechtsschutz nach. Mit Beschluss vom 19. Mai 2005 verpflichtete das Verwaltungsgericht Bremen die Freie Hansestadt Bremen im Wege der einstweiligen Anordnung, die Beschwerdeführerin vorläufig in den Vorbereitungsdienst aufzunehmen. Weder die Bremische Landesverfassung noch das Wesen des Unterrichtsfachs Religionskunde stünden der Unterrichtung durch eine Lehrerin, die ein Kopftuch trage, entgegen. Damit ermangele es einer gesetzlichen Grundlage für den Ausschluss der Beschwerdeführerin vom Referendariat. Diese wurde daraufhin vorläufig im Angestelltenverhältnis in den Vorbereitungsdienst übernommen.
3. Am 23. Juni 2005 beschloss die Bremische Bürgerschaft die Einfügung eines neuen § 59 b in das Bremische Schulgesetz (BremGBl S. 245; im Folgenden: BremSchulG). Dessen zum 9. Juli 2005 in Kraft getretene Absätze 4 und 5 lauten wie folgt:
(4) Die öffentlichen Schulen haben religiöse und weltanschauliche Neutralität zu wahren. Dieser Verpflichtung muss das Verhalten der Lehr- und Betreuungskräfte in der Schule gerecht werden. Die Lehrkräfte und das betreuende Personal müssen in jedem Fach auf die religiösen und weltanschaulichen Empfindungen aller Schülerinnen und Schüler sowie auf das Recht der Erziehungsberechtigten Rücksicht nehmen, ihren Kindern in Glaubens- und Weltanschauungsfragen Überzeugungen zu vermitteln. Diese Pflichten der Lehrkräfte und des betreuenden Personals erstrecken sich auf die Art und Weise einer Kundgabe des eigenen Bekenntnisses. Auch das äußere Erscheinungsbild der Lehrkräfte und des betreuenden Personals darf in der Schule nicht dazu geeignet sein, die religiösen und weltanschaulichen Empfindungen der Schülerinnen und Schüler und der Erziehungsberechtigten zu stören oder Spannungen, die den Schulfrieden durch Verletzung der religiösen und weltanschaulichen Neutralität gefährden, in die Schule zu tragen.
(5) Für Referendare und Referendarinnen gilt Absatz 4 nur, soweit sie Unterricht erteilen.
4. Auf die Beschwerde der Freien Hansestadt Bremen, worin diese von der Beschwerdeführerin unter Verweis auf § 59 b BremSchulG nunmehr einen generellen Verzicht auf das Kopftuch im Unterricht forderte, hob das Oberverwaltungsgericht Bremen mit Beschluss vom 26. August 2005 die Entscheidung des Verwaltungsgerichts Bremen auf und lehnte den Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung ab.
5. Mit Widerspruchsbescheid vom 30. August 2005 wies der Senator für Bildung und Wissenschaft der Freien Hansestadt Bremen den Widerspruch der Beschwerdeführerin unter Bezugnahme auf den angegriffenen Beschluss des Oberverwaltungsgerichts zurück. Hiergegen erhob die Beschwerdeführerin unter dem 28. September 2005 in der Hauptsache Klage, über die bislang nicht entschieden wurde.
Entscheidungsgründe
II.
In ihrer Verfassungsbeschwerde rügt die Beschwerdeführerin die Verletzung ihrer Rechte aus Art. 2 Abs. 1, Art. 3, Art. 4 Abs. 2, Art. 12 Abs. 1 und Art. 20 Abs. 3 GG.
Sie beantragt darüber hinaus den Erlass einer einstweiligen Anordnung gemäß § 32 BVerfGG des Inhalts, die Freie Hansestadt Bremen zu verpflichten, sie vorläufig in den Vorbereitungsdienst aufzunehmen.
III.
Die Verfassungsbeschwerde wird nicht zur Entscheidung angenommen. Ihr kommt weder grundsätzliche verfassungsrechtliche Bedeutung zu noch ist ihre Annahme zur Durchsetzung der als verletzt gerügten Rechte der Beschwerdeführerin angezeigt. Sie ist teilweise unzulässig, im Übrigen unbegründet.
1. Soweit die Beschwerdeführerin einen Verstoß gegen Art. 12 Abs. 1 GG rügt, steht der Zulässigkeit der Verfassungsbeschwerde der Grundsatz der materiellen Subsidiarität entgegen.
a) Dieser erfordert, dass ein Beschwerdeführer über die Erschöpfung des Rechtswegs im engeren Sinn hinaus alle ihm zur Verfügung stehenden weiteren Möglichkeiten ergreift, um eine Korrektur der geltend gemachten Verfassungsverletzung zu erreichen oder diese zu verhindern. Er muss deshalb grundsätzlich den in der Hauptsache zur Verfügung stehenden Rechtsweg beschreiten, wenn – wie vorliegend – ausschließlich Grundrechtsverletzungen gerügt werden, die sich nicht auf das Eilverfahren, sondern auf die Hauptsache beziehen (vgl. BVerfGE 86, 15 ≪22≫; 104, 65 ≪70 f.≫). Ein Beschwerdeführer darf ausnahmsweise nicht auf das Hauptsacheverfahren verwiesen werden, wenn dies für ihn unzumutbar ist, etwa weil die Durchführung des Verfahrens von vornherein aussichtslos erscheinen muss (vgl. BVerfGE 70, 180 ≪186≫) oder wenn die Entscheidung von keiner weiteren tatsächlichen und rechtlichen Klärung abhängt und diejenigen Voraussetzungen gegeben sind, unter denen das Bundesverfassungsgericht gemäß § 90 Abs. 2 Satz 2 BVerfGG sofort entscheiden kann (vgl. BVerfGE 79, 275 ≪279≫; 86, 15 ≪22 f.≫; 104, 65 ≪71≫).
b) Diese Voraussetzungen sind vorliegend nicht erfüllt. Das Oberverwaltungsgericht hat sich noch nicht hinreichend mit den tatsächlichen und rechtlichen Fragen befasst, die für die Beurteilung der Vereinbarkeit des § 59 b BremSchulG mit Art. 12 Abs. 1 GG maßgeblich sind. Abweichend von der Gesetzgebung anderer Länder, die zwar gleichfalls ein Verbot des Tragens religiös motivierter Kleidung ausgesprochen, jedoch unter Bezugnahme auf Art. 12 Abs. 1 GG und den Monopolcharakter der staatlichen Ausbildung entweder Referendare hiervon ausgenommen (vgl. Landtag des Saarlandes, Drucksache 12/1072, S. 4) oder ihnen die Möglichkeit einer Ausnahmeregelung eingeräumt haben (vgl. beispielsweise § 38 Abs. 4 Schulgesetz für Baden-Württemberg), verhält sich weder die Begründung des Gesetzentwurfs zu § 59 b BremSchulG zu dieser Problematik noch wurde die Frage im Rahmen der parlamentarischen Beratung erörtert.
Die Durchführung des Hauptsacheverfahrens bietet daher die Möglichkeit einer weiteren Klärung; der Beginn der Ausbildung der Beschwerdeführerin verzögert sich hierdurch nicht in unzumutbarer Weise. Darüber hinaus besteht die Aussicht, dem Bundesverfassungsgericht für den Fall einer gegen die letztinstanzliche Hauptsacheentscheidung gerichteten Verfassungsbeschwerde oder einer Vorlage nach Art. 100 Abs. 1 GG die vertieft begründete Rechtsauffassung der Fachgerichte zu vermitteln; zugleich wird auf diese Weise der grundgesetzlichen Zuständigkeitsverteilung und Aufgabenzuweisung entsprochen, nach der vorrangig die Fachgerichte Rechtsschutz gegen Verfassungsverletzungen gewähren (vgl. BVerfGE 68, 376 ≪380≫; 104, 65 ≪73≫).
2. Soweit die Beschwerdeführerin die fehlende Bestimmtheit des § 59 b Abs. 4 BremSchulG rügt, ist ihre Verfassungsbeschwerde unbegründet.
a) Grundrechtsrelevante Vorschriften müssen in ihren Voraussetzungen und in ihrem Inhalt so klar formuliert sein, dass die Rechtslage für den Betroffenen erkennbar ist und er sein Verhalten danach einrichten kann (vgl. BVerfGE 62, 169 ≪183≫; 78, 205 ≪212≫). Der Gesetzgeber ist gehalten, seine Vorschriften so bestimmt zu fassen, wie dies nach der Eigenart der zu ordnenden Lebenssachverhalte mit Rücksicht auf den Normzweck möglich ist. Die Auslegungsbedürftigkeit allein macht eine Norm deshalb nicht unbestimmt, wenn sich mit Hilfe der üblichen Auslegungsmethoden eine zuverlässige Grundlage für die Auslegung und Anwendung der Norm gewinnen lässt (vgl. BVerfGE 56, 1 ≪12≫; 86, 288 ≪311≫; 93, 213 ≪238≫; 103, 21 ≪33≫).
b) Dies berücksichtigend, greifen die von der Beschwerdeführerin erhobenen Bedenken nicht durch. § 59 b BremSchulG verlangt nicht, dass bereits Spannungen ausgelöst wurden oder konkret absehbar sind. Indem der Gesetzgeber bereits dasjenige äußere Erscheinungsbild verboten hat, das geeignet ist, diese Auswirkungen hervorzurufen, hat er klar gemacht, dass eine abstrakte Gefährdung der in der Vorschrift genannten Schutzgüter ausreicht (vgl. BVerwGE 121, 140 ≪146≫).
c) Soweit die Beschwerdeführerin demgegenüber geltend macht, ausweislich der Gesetzesbegründung bedürfe es einer konkreten Gefährdung der in § 59 b BremSchulG benannten Schutzgüter, kommt dem bereits deshalb keine Bedeutung zu, weil eine solche – unterstellte – Absicht keinen Eingang in den Wortlaut der Norm und den Sinnzusammenhang, in den sie hineingestellt ist, gefunden hat (vgl. hierzu BVerfGE 105, 135 ≪157≫). Die Entstehungsgeschichte der Vorschrift kann zudem auch deshalb keine über den Wortlaut hinausgehende Interpretation rechtfertigen, weil sie diesbezüglich widersprüchlich ist.
3. Schließlich verstößt § 59 b Abs. 4 BremSchulG nicht gegen Art. 3 Abs. 3, Art. 4 Abs. 2 und Art. 33 Abs. 3 GG.
a) Das an Lehrer an öffentlichen Schulen gerichtete Verbot des Tragens religiöser Symbole, die geeignet sind, religiöse oder weltanschauliche Empfindungen zu stören oder den Schulfrieden zu gefährden, begegnet nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts keinen verfassungsrechtlichen Bedenken, so lange der Staat sowohl bei der Begründung als auch in der Praxis der Durchsetzung dieser Dienstpflichten auf eine am Gleichheitssatz orientierte Behandlung der verschiedenen Religions- und Weltanschauungsgemeinschaften achtet und sich nicht mit einer bestimmten Religionsgemeinschaft identifiziert (vgl. BVerfGE 19, 1 ≪8≫; 19, 206 ≪216≫, 24, 236 ≪246≫; 30, 415 ≪422≫; 93, 1 ≪17≫; 108, 282 ≪298 ff.≫).
b) Dem genügt § 59 b Abs. 4 Satz 5 BremSchulG. Indem die Norm jedes äußere Erscheinungsbild verbietet, welches eine abstrakte Gefährdung der in § 59 b BremSchulG genannten Schutzgüter darstellt, erfasst sie die Kundgabe jeglichen Bekenntnisses.
Die in der Beratung des Gesetzentwurfs geäußerte Ansicht, es bedürfe keines Eingreifens der Schulbehörde bei solchen religiösen Symbolen, bei denen es in der konkreten Situation keine Beanstandungen gebe, steht im Widerspruch zu § 59 b Abs. 4 Satz 5 BremSchulG. Eine fehlende konkrete Gefährdung widerlegt nicht die abstrakte Eignung eines äußeren Erscheinungsbildes, die durch § 59 b BremSchulG geschützten Rechtsgüter zu beeinträchtigen. Auch das bislang unbeanstandete religiöse oder weltanschauliche Symbol behält seine Eignung, den in Neutralität zu erfüllenden staatlichen Erziehungsauftrag, das elterliche Erziehungsrecht und die negative Glaubensfreiheit der Schülerinnen und Schüler zu beeinträchtigen, und unterfällt deshalb dem Verbot des § 59 b Abs. 4 Satz 5 BremSchulG.
Die nach der Gesetzesbegründung (vgl. LTDrucks 16/662, S. 2 f.) der Schulbehörde obliegende Einschätzung wird nicht gegenstandslos. Sie erfasst vielmehr die Beurteilung der Frage, ob einer bestimmten Bekleidung oder anderen äußeren Zeichen ein religiöser oder weltanschaulicher Aussagegehalt zukommt. Hierbei ist – ausgehend vom objektiven Empfängerhorizont – die Wirkung des verwendeten Ausdrucksmittels ebenso zu berücksichtigen wie alle dafür in Betracht kommenden Deutungsmöglichkeiten (vgl. BVerfGE 108, 282 ≪303 f.≫). In Zweifelsfällen muss deshalb die Schulbehörde zunächst den konkreten Aussagegehalt des Erscheinungsbildes feststellen, bevor sie, gestützt auf § 59 b Abs. 4 Satz 5 BremSchulG, gegen den betroffenen Lehrer Maßnahmen ergreift.
IV.
Aufgrund der vorstehenden Ausführungen erledigt sich der Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung.
V.
Diese Entscheidung ist unanfechtbar.
Unterschriften
Hassemer, Di Fabio, Landau
Fundstellen