Verfahrensgang
Sächsisches LAG (Beschluss vom 23.05.2008; Aktenzeichen 4 Ta 291/07 (9)) |
Sächsisches LAG (Beschluss vom 11.02.2008; Aktenzeichen 4 Ta 291/07 (9)) |
ArbG Dresden (Beschluss vom 13.09.2007; Aktenzeichen 2 Ca 9941/99) |
Sächsisches LAG (Urteil vom 05.05.2000; Aktenzeichen 10 Sa 247/99) |
Sächsisches LAG (Urteil vom 25.11.1996; Aktenzeichen 7 Sa 626/96) |
ArbG Dresden (Urteil vom 07.05.1996; Aktenzeichen 10 Ca 10157/95) |
Tenor
1. Die Beschlüsse des Arbeitsgerichts Dresden vom 13. September 2007 – 2 Ca 9941/99 – und des Sächsischen Landesarbeitsgerichts vom 11. Februar 2008 – 4 Ta 291/07 (9) – verletzen den Beschwerdeführer in seinem Grundrecht auf wirkungsvollen Rechtsschutz gemäß Artikel 2 Absatz 1 in Verbindung mit Artikel 20 Absatz 3 des Grundgesetzes. Sie werden aufgehoben. Die Sache wird insoweit an das Arbeitsgericht Dresden zurückverwiesen.
2. Damit wird der Beschluss des Sächsischen Landesarbeitsgerichts vom 23. Mai 2008 – 4 Ta 291/07 (9) – gegenstandslos.
3. Im Übrigen wird die Verfassungsbeschwerde nicht zur Entscheidung angenommen.
4. Damit erledigt sich der Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung.
5. Der Freistaat Sachsen hat dem Beschwerdeführer die Hälfte der notwendigen Auslagen zu erstatten.
Gründe
Die Verfassungsbeschwerde betrifft die Aussetzung eines arbeitsgerichtlichen Rechtsstreits.
I.
1. Der Beschwerdeführer war bei der Beklagten der Ausgangsverfahren als Leiter des Rechtsamts beschäftigt. Ende 1999 verklagte er seine Arbeitgeberin auf Zahlung seiner Gehälter für den Zeitraum Januar 1996 bis Dezember 1997. Das Arbeitsgericht beschloss am 8. Februar 2000 im Einvernehmen mit den Parteien, dass der Rechtsstreit “bis zum rechtskräftigen Abschluss der derzeit vor dem Sächsischen Landesarbeitsgericht unter den Aktenzeichen 7 Sa 626/96 und 10 Sa 247/99 geführten Rechtsstreite” ausgesetzt wird. Bei diesen Verfahren handelt es sich um Kündigungsschutzverfahren, die zwei arbeitgeberseitige Kündigungen des Arbeitsverhältnisses und mehrere Auflösungsanträge der Arbeitgeberin nach § 9 Abs. 1 Satz 2 KSchG zum Gegenstand haben. Aufgrund der in diesen Verfahren ergangenen Urteile steht zwar rechtskräftig fest, dass das Arbeitsverhältnis nicht durch eine fristlose Kündigung der Arbeitgeberin zum 29. November 1995 und auch nicht durch eine ordentliche Kündigung vom 24. Oktober 1995 zum 31. Dezember 1995 beendet wurde. Noch nicht rechtskräftig entschieden ist aber über die von der Arbeitgeberin beantragte Auflösung des Arbeitsverhältnisses zum 31. Dezember 1995 und über die Wirksamkeit einer ordentlichen Kündigung vom 28. November 1995 zum 31. März 1996.
Der Beschwerdeführer erweiterte die Zahlungsklage mehrfach hinsichtlich weiterer Zeiträume. Mit Schriftsatz vom 17. Dezember 2003 beantragte er außerdem, festzustellen, dass die Arbeitgeberin ihm den Ersatz materieller und immaterieller Schäden schulde, die sich aus den Kündigungen und aus der Art und Weise der Prozessführung der Arbeitgeberin ergäben.
Mit Schriftsatz vom 29. Dezember 2006 beantragte der Beschwerdeführer, den Rechtsstreit an das Landgericht Dresden zu verweisen, soweit sich die geltend gemachten Ansprüche auf Gehaltsnachzahlung und auf Schadensersatz “auf Vorschriften der Staatshaftung wegen schuldhafter Amtspflichtverletzung stützen” ließen. Mit Schriftsatz vom 30. Dezember 2006 beantragte er, “einen nahen Verhandlungstermin zu bestimmen”. Den Feststellungsantrag aus dem Schriftsatz vom 17. Dezember 2003 änderte er dabei teilweise in einen Zahlungsantrag um. Er wies darauf hin, dass ihm das Arbeitsgericht unabhängig von den noch ausstehenden Entscheidungen in den Kündigungsschutzverfahren zeitnah Rechtsschutz zu gewähren habe.
Am 13. September 2007 beschloss das Arbeitsgericht, dass über den Verweisungsantrag des Beschwerdeführers vom 29. Dezember 2006 erst nach rechtskräftigem Abschluss der vor dem Sächsischen Landesarbeitsgericht unter den Aktenzeichen 7 Sa 626/96 und 10 Sa 247/99 geführten Rechtsstreite entschieden werde. Der vorliegende Rechtsstreit sei mit Beschluss vom 8. Februar 2000 ausgesetzt worden, da die beiden anderen Rechtsstreite vorgreiflich seien. Die Parteien hätten bezüglich des Aussetzungsbeschlusses auf Rechtsmittel verzichtet. Die im Aussetzungsbeschluss genannten weiteren Rechtsstreite seien noch nicht rechtskräftig abgeschlossen. Sei aber ein Rechtsstreit ausgesetzt, so könnten während der Dauer der Aussetzung weder wirksame Prozesshandlungen von den Parteien vorgenommen werden, noch könne und dürfe das Gericht Sachentscheidungen treffen. Über den vom Beschwerdeführer gestellten Verweisungsantrag könne und dürfe daher erst nach Fortsetzung des vorliegenden Rechtsstreits entschieden werden.
Der Beschwerdeführer legte gegen diesen Beschluss sofortige Beschwerde ein und wies darauf hin, dass er nicht nur einen Verweisungsantrag, sondern auch einen Antrag auf Bestimmung eines Verhandlungstermins gestellt habe. Dieser Antrag sei von der Sperrwirkung des § 249 Abs. 2 ZPO nicht erfasst. Für den auf Amtspflichtverletzung gestützten Klageanspruch seien die Kündigungsschutzverfahren zudem nicht vorgreiflich.
Am 30. Oktober 2007 beschloss das Arbeitsgericht, der Beschwerde nicht abzuhelfen. Das Gericht führte aus, die Beschwerde könnte gemäß § 567 Abs. 1 Nr. 2 ZPO statthaft sein, wenn man den Verweisungsantrag des Beschwerdeführers gleichzeitig als Antrag auf Aufhebung der Aussetzung gemäß § 150 ZPO auslegen würde. Die Beschwerde sei aber jedenfalls unbegründet. Das Verfahren sei bereits seit dem 8. Februar 2000 ausgesetzt. Der damalige Aussetzungsbeschluss sei aufgrund des auch seitens des Beschwerdeführers erklärten Rechtsmittelverzichts nicht mehr angreifbar. Soweit der Beschwerdeführer mit seinem Verweisungsgesuch offensichtlich eine Fortsetzung des Verfahrens begehre, wäre eine Aufnahme gemäß § 150 ZPO jederzeit möglich. Die Aufnahme stehe jedoch im Ermessen des Gerichts. Da die Voraussetzungen der Aussetzung gemäß § 148 ZPO nach wie vor gegeben seien (Vorgreiflichkeit der Kündigungsschutzverfahren), sei dieses Ermessen zu Recht dahingehend ausgeübt worden, dass es bei der Aussetzung des vorliegenden Verfahrens bleibe. Solange aber das Verfahren ausgesetzt sei, stehe einer Verweisung des Rechtsstreits § 249 ZPO entgegen.
Das Landesarbeitsgericht verwarf die sofortige Beschwerde des Beschwerdeführers durch Beschluss vom 11. Februar 2008 als unzulässig. Die sofortige Beschwerde sei nicht statthaft, da es sich bei dem Beschluss des Arbeitsgerichts lediglich um eine prozessleitende Verfügung handele. Eine solche Mitteilung des Arbeitsgerichts über seine Rechtsauffassung sei nicht anfechtbar. Auch als außerordentliches Rechtsmittel in Form einer Untätigkeitsbeschwerde gegen den Beschluss des Arbeitsgerichts sei die Beschwerde nicht zulässig, weil der Beschwerdeführer nicht substantiiert und plausibel einen sachlich nicht mehr zu rechtfertigenden tatsächlichen Stillstand des Verfahrens dargelegt habe, der einer Rechtsschutzverweigerung gleichkomme. Von einer unzumutbaren Verzögerung könne hier nicht ausgegangen werden. Es sei seitens des Arbeitsgerichts durchaus sachgerecht, über den Verweisungsantrag des Beschwerdeführers jetzt noch nicht zu entscheiden, da er zum einen lediglich die Verweisung hinsichtlich eines bestimmten Rechtsgrundes verfolge und zum anderen ein Teil seiner Forderungsklage bereits ausgesetzt worden sei, so dass über diesen Teil derzeit noch nicht entschieden werden könne.
Der Beschwerdeführer erhob eine Anhörungsrüge, in der er sich gegen die Auffassung des Landesarbeitsgerichts wandte, das Arbeitsgericht habe lediglich eine Rechtsansicht mitgeteilt, aber keine anfechtbare Entscheidung getroffen. Er machte geltend, das Arbeitsgericht habe der Sache nach seine “Anträge auf sofortigen Fortgang der Verfahren” abgelehnt. Das Landesarbeitsgericht habe die Beschwerde daher nach § 252 ZPO als zulässig behandeln müssen. Außerdem betonte der Beschwerdeführer, dass bei der Entscheidung über die von ihm beantragte Aufhebung der Aussetzung des Rechtsstreits die mittlerweile mehr als 12 Jahre betragende Dauer der Kündigungsschutzverfahren zu beachten sei.
Das Landesarbeitsgericht wies die Anhörungsrüge durch Beschluss vom 23. Mai 2008 zurück. Das vorliegende Verfahren sei durch Beschluss des Arbeitsgerichts vom 8. Februar 2000 bestandskräftig ausgesetzt worden. Die zwischenzeitlichen Klageerweiterungen hätten keine Bedeutung. Sie seien gemäß § 249 Abs. 2 ZPO während der Aussetzung des Verfahrens zumindest relativ unwirksam. Der Beschluss des Arbeitsgerichts vom 13. September 2007 sei nicht angreifbar gewesen, da es sich lediglich um eine unanfechtbare prozessleitende Verfügung gehandelt habe. Soweit der Beschwerdeführer offensichtlich die Fortsetzung des ausgesetzten Verfahrens begehrt habe, sei zwar darauf hinzuweisen, dass während der Aussetzung gemäß § 249 Abs. 2 ZPO Prozesshandlungen – bei dem Fortsetzungsgesuch des Beschwerdeführers handele es sich um eine solche – nicht vorgenommen werden könnten beziehungsweise unwirksam seien. Gleichwohl sei das Arbeitsgericht dem Beschwerdeführer entgegengekommen, indem es seinen Antrag als Antrag auf Fortsetzung des Verfahrens ausgelegt habe. Diesen Antrag gemäß § 150 ZPO habe das Arbeitsgericht jedoch abgelehnt. Verfahrens- und Ermessensfehler des Arbeitsgerichts seien nicht erkennbar. Da die Voraussetzungen der Aussetzung gemäß § 148 ZPO nach wie vor gegeben seien, sei das Ermessen zu Recht dahingehend ausgeübt worden, dass es bei der Aussetzung des vorliegenden Verfahrens bleibe.
2. Der Beschwerdeführer rügt im Wesentlichen eine Verletzung seines Anspruchs auf effektiven Rechtsschutz.
3. Die Beklagte der Ausgangsverfahren und das Sächsische Staatsministerium der Justiz haben Gelegenheit zur Stellungnahme erhalten.
II.
1. Die Voraussetzungen für eine stattgebende Kammerentscheidung gemäß § 93c Abs. 1 Satz 1 in Verbindung mit § 93a Abs. 2 BVerfGG liegen vor, soweit sich die Verfassungsbeschwerde gegen den die Aussetzung des Verfahrens 2 Ca 9941/99 betreffenden Beschluss des Arbeitsgerichts vom 13. September 2007 und gegen den die sofortige Beschwerde verwerfenden Beschluss des Landesarbeitsgerichts vom 11. Februar 2008 richtet. Das Bundesverfassungsgericht hat die für die Beurteilung der Verfassungsbeschwerde maßgeblichen verfassungsrechtlichen Fragen bereits entschieden (§ 93c Abs. 1 Satz 1 BVerfGG). Die verfassungsrechtlichen Voraussetzungen für die Annahme eines Verstoßes gegen den für bürgerlichrechtliche Streitigkeiten aus Art. 2 Abs. 1 GG in Verbindung mit dem Rechtsstaatsprinzip abzuleitenden Anspruch auf wirkungsvollen Rechtsschutz (vgl. BVerfGE 93, 99 ≪107 f.≫; 107, 395 ≪401 ff.≫) sind geklärt. Die Annahme der Verfassungsbeschwerde ist im dargelegten Umfang zur Durchsetzung des Anspruchs des Beschwerdeführers auf effektiven Rechtsschutz angezeigt (§ 93a Abs. 2 Buchstabe b BVerfGG). Sie ist insoweit zulässig und offensichtlich begründet (§ 93c Abs. 1 Satz 1 BVerfGG).
a) Der Zulässigkeit der Verfassungsbeschwerde steht insoweit der aus § 90 Abs. 2 Satz 1 BVerfGG folgende Grundsatz der Subsidiarität nicht entgegen, auch wenn die angegriffenen Entscheidungen in einem der Sachentscheidung vorangehenden Zwischenverfahren ergangen sind.
Eine Verfassungsbeschwerde gegen Zwischenentscheidungen ist zwar grundsätzlich ausgeschlossen, weil Verfassungsverstöße mit der Anfechtung der Endentscheidung gerügt werden können (vgl. BVerfGE 21, 139 ≪143≫). Der Grund für den Ausschluss fehlt allerdings, wenn bereits die Zwischenentscheidung zu einem bleibenden rechtlichen Nachteil für den Betroffenen führt, der später nicht oder jedenfalls nicht vollständig behoben werden kann (vgl. BVerfGE 101, 106 ≪120≫). Dies ist jedenfalls dann der Fall, wenn die angegriffenen Entscheidungen Bindungswirkung für das weitere Verfahren entfalten, über eine wesentliche Rechtsfrage abschließend befinden und in weiteren Instanzen nicht mehr nachgeprüft und korrigiert werden können (vgl. BVerfGE 24, 56 ≪60 f.≫; BVerfG, Beschluss des Ersten Senats vom 23. Oktober 2007 – 1 BvR 782/07 –, MDR 2008, S. 223).
Die Entscheidung der Fachgerichte über die Aussetzung eines Rechtsstreits kann hiernach mit der Verfassungsbeschwerde angefochten werden. Der durch die Aussetzung herbeigeführte Stillstand des Verfahrens kann den Anspruch der Parteien auf effektiven Rechtsschutz beeinträchtigen. Ob die Aussetzung den gesetzlichen Vorschriften und den verfassungsrechtlichen Anforderungen entsprach, wird weder in der späteren Sachentscheidung des Gerichts, das die Aussetzung oder ihre Aufrechterhaltung beschlossen hat, noch im Falle eines gegen die Sachentscheidung gerichteten Rechtsmittels in einer weiteren Instanz überprüft. Es besteht deshalb ein Rechtsschutzinteresse an einer verfassungsgerichtlichen Entscheidung über die in diesem selbständigen Zwischenverfahren getroffenen Entscheidungen.
b) Die Beschlüsse des Arbeitsgerichts vom 13. September 2007 und des Landesarbeitsgerichts vom 11. Februar 2008 verletzen den Beschwerdeführer in seinem Grundrecht auf wirkungsvollen Rechtsschutz (Art. 2 Abs. 1 GG in Verbindung mit dem Rechtsstaatsprinzip).
Die in zivilrechtlichen Streitigkeiten aus Art. 2 Abs. 1 GG in Verbindung mit dem Rechtsstaatsprinzip abzuleitende Rechtsschutzgarantie gewährleistet nicht nur, dass überhaupt ein Rechtsweg zu den Gerichten offen steht. Sie garantiert auch die Effektivität des Rechtsschutzes. Das Rechtsstaatsprinzip fordert im Interesse der Rechtssicherheit, dass strittige Rechtsverhältnisse in angemessener Zeit geklärt werden (vgl. BVerfGE 88, 118 ≪124≫; BVerfG, Beschluss der 3. Kammer des Ersten Senats vom 20. September 2007 – 1 BvR 775/07 –, NJW 2008, S. 503; BVerfG, Beschluss der 2. Kammer des Ersten Senats vom 24. Juli 2008 – 1 BvR 547/06 –).
Diese Grundsätze haben die Gerichte bei ihren Entscheidungen über die Anträge des Beschwerdeführers vom 29. und 30. Dezember 2006 nicht ausreichend berücksichtigt.
aa) Die Anträge des Beschwerdeführers waren auf die Aufhebung der mit Beschluss des Arbeitsgerichts vom 8. Februar 2000 angeordneten Aussetzung des Verfahrens 2 Ca 9941/99 gerichtet (§ 150 Satz 1 ZPO). Ein Terminsantrag nach § 216 ZPO ist als ein solcher Antrag auf Aufhebung der Aussetzung zu verstehen (vgl. Greger, in: Zöller, ZPO, 26. Aufl. 2007, § 150 Rn. 2). Derartigen Prozesshandlungen, die sich gerade auf die Frage des Stillstands des Verfahrens beziehen, steht § 249 Abs. 2 ZPO nicht entgegen (vgl. Gehrlein, in: MünchKommZPO, Band 1, 3. Aufl. 2008, § 249 Rn. 16). Das Arbeitsgericht hat die Bedeutung der Anträge des Beschwerdeführers zwar nicht im Beschluss vom 13. September 2007, aber dann doch im Nichtabhilfebeschluss vom 30. Oktober 2007 erkannt und auf § 150 Satz 1 ZPO Bezug genommen. Auch in diesem Beschluss wird jedoch nicht erläutert, welche Überlegungen das Gericht im Rahmen pflichtgemäßen Ermessens zur Aufrechterhaltung der Aussetzung veranlasst haben. Das Arbeitsgericht hat lediglich ausgeführt, da die Voraussetzungen der Aussetzung gemäß § 148 ZPO nach wie vor gegeben seien (Vorgreiflichkeit der Kündigungsschutzverfahren), sei das Ermessen dahingehend ausgeübt worden, dass es bei der Aussetzung des vorliegenden Verfahrens bleibe. Unabhängig davon, ob die Frage der Vorgreiflichkeit auch hinsichtlich der auf Schadensersatz gerichteten Klageanträge des Beschwerdeführers zutreffend beurteilt wurde, hat das Arbeitsgericht damit jedenfalls verkannt, dass die Vorgreiflichkeit eines anderen Verfahrens als solche kein Ermessenskriterium ist, sondern eine Voraussetzung des § 148 ZPO, die erfüllt sein muss, damit das Ermessen des Gerichts nach dieser Vorschrift – und bei einem Antrag auf Aufhebung der Aussetzung ebenso nach § 150 Satz 1 ZPO – überhaupt eröffnet ist (vgl. Hartmann, in: Baumbach/Lauterbach/Albers/Hartmann, ZPO, 66. Aufl. 2008, § 148 Rn. 32). Eine dann durchzuführende, auch an den Interessen der Parteien ausgerichtete Abwägung der für und gegen eine Aufrechterhaltung der Aussetzung sprechenden Umstände (vgl. Hartmann, in: Baumbach/Lauterbach/Albers/Hartmann, ZPO, 66. Aufl. 2008, § 148 Rn. 34) ist den Beschlüssen des Arbeitsgerichts nicht zu entnehmen.
In die gebotene Ermessensentscheidung des Arbeitsgerichts über die Aufrechterhaltung der Aussetzung hätte vor allem einfließen müssen, dass der Abschluss der beiden Kündigungsschutzverfahren auch nach weit mehr als zehn Jahren noch nicht absehbar ist. In diesem Zusammenhang ist unerheblich, ob die Dauer der Kündigungsschutzverfahren als unangemessen lang und daher ihrerseits als mit Art. 2 Abs. 1 GG in Verbindung mit dem Rechtsstaatsprinzip oder mit Art. 6 Abs. 1 EMRK unvereinbar zu bewerten ist. Dass sich das andere Verfahren, dessen Ausgang abgewartet werden soll, auf ungewisse Zeit verzögert, ist ohne weiteres ein Gesichtspunkt, dem bei der Entscheidung über die Aufhebung einer Aussetzung nach pflichtgemäßem Ermessen des Gerichts Rechnung zu tragen ist (vgl. Wagner, in: MünchKommZPO, Band 1, 3. Aufl. 2008, § 150 Rn. 1; vgl. auch Hartmann, in: Baumbach/Lauterbach/Albers/Hartmann, ZPO, 66. Aufl. 2008, § 148 Rn. 34; Roth, in: Stein/Jonas, ZPO, Band 3, 22. Aufl. 2005, § 148 Rn. 31). Dieser Gesichtspunkt hat jedoch in den Entscheidungen des Arbeitsgerichts keine Beachtung gefunden. Die Dauer der als vorgreiflich behandelten Kündigungsschutzverfahren wird im Zusammenhang mit dem vermeintlich ausgeübten Ermessen des Gerichts nicht erwähnt.
bb) Dieser in Anbetracht des Anspruchs des Beschwerdeführers auf effektiven Rechtsschutz gemäß Art. 2 Abs. 1 GG in Verbindung mit dem Rechtsstaatsprinzip verfassungsrechtlich erhebliche Mangel ist durch die Beschlüsse des Landesarbeitsgerichts nicht beseitigt worden.
Das Landesarbeitsgericht hat bei der Verwerfung der sofortigen Beschwerde als unzulässig im Beschluss vom 11. Februar 2008 verkannt, dass es sich bei dem angefochtenen Beschluss des Arbeitsgerichts nicht um eine bloße prozessleitende Verfügung handelte, sondern um eine Entscheidung über den Antrag des Beschwerdeführers auf Aufhebung der Aussetzung gemäß § 150 Satz 1 ZPO. Eine solche Entscheidung ist wie jede gerichtliche Maßnahme, die in ihrer Wirkung einer – weiteren – Aussetzung gleichkommt, gemäß § 252 ZPO mit der sofortigen Beschwerde anfechtbar (vgl. Gehrlein, in: MünchKommZPO, Band 1, 3. Aufl. 2008, § 252 Rn. 13 m.w.N.; Roth, in: Stein/Jonas, ZPO, Band 3, 22. Aufl. 2005, § 252 Rn. 4). Zwar ist das Landesarbeitsgericht anschließend bei seinen Erwägungen zur Zulässigkeit einer – vom Beschwerdeführer nicht erhobenen – Untätigkeitsbeschwerde auf die Frage der Verfahrensdauer eingegangen und hat dort eine unzumutbare Verzögerung des Verfahrens verneint. Es hat dabei aber nicht geprüft, ob der Abschluss der Kündigungsschutzverfahren in absehbarer Zeit zu erwarten war und dem Beschwerdeführer deshalb die Aufrechterhaltung der Aussetzung des Rechtsstreits über seine Zahlungsansprüche zugemutet werden konnte. Darauf kam es aus damaliger Sicht des Landesarbeitsgerichts nicht an, weil es in diesem Beschluss den Verweisungsantrag des Beschwerdeführers noch isoliert, also nicht im Zusammenhang mit dem Antrag auf Aufhebung der Aussetzung gemäß § 150 Satz 1 ZPO, betrachtet hat. Insofern kann keine Rede davon sein, dass das Landesarbeitsgericht die im Rahmen des § 150 Satz 1 ZPO gebotene Ermessensausübung des Arbeitsgerichts in einer den Anforderungen des Rechtsstaatsprinzips entsprechenden Weise überprüft hätte.
Auch im Beschluss zur Anhörungsrüge hat das Landesarbeitsgericht an seiner fehlerhaften Auffassung zur Statthaftigkeit des Rechtsmittels im Grundsatz festgehalten. Da das Arbeitsgericht dem Beschwerdeführer “entgegengekommen” sei und seinen Antrag als Antrag auf Fortsetzung des Verfahrens ausgelegt habe, ist das Landesarbeitsgericht anschließend aber doch zu der gemäß § 252 ZPO gebotenen (vgl. BGH, Beschluss vom 12. Dezember 2005 – II ZB 30/04 –, NJW-RR 2006, S. 1289) Nachprüfung auf Ermessensfehler des Arbeitsgerichts bei dessen Entscheidung über den Antrag nach § 150 Satz 1 ZPO übergegangen. Dabei hat sich das Landesarbeitsgericht jedoch darauf beschränkt, die Ausführungen des Arbeitsgerichts zu wiederholen: Da die Voraussetzungen der Aussetzung gemäß § 148 ZPO nach wie vor gegeben seien, sei das Ermessen zu Recht dahingehend ausgeübt worden, dass es bei der Aussetzung des vorliegenden Verfahrens bleibe. Der Ermessensnichtgebrauch des Arbeitsgerichts wurde nicht erkannt, und das verfassungsrechtlich geschützte Interesse des Beschwerdeführers an einer gerichtlichen Entscheidung in angemessener Zeit wurde nicht berücksichtigt.
c) Der Beschluss des Arbeitsgerichts und der die sofortige Beschwerde verwerfende Beschluss des Landesarbeitsgerichts sind aufzuheben, und die Sache ist an das Arbeitsgericht zurückzuverweisen (§ 93c Abs. 2 in Verbindung mit § 95 Abs. 2 BVerfGG). Mit der Aufhebung dieser Beschlüsse wird der weitere Beschluss des Landesarbeitsgerichts vom 23. Mai 2008 über die Anhörungsrüge gegenstandslos.
2. Im Übrigen liegen Gründe für die Annahme der Verfassungsbeschwerde im Sinne von § 93a Abs. 2 BVerfGG nicht vor. Insoweit wird von einer Begründung abgesehen (§ 93d Abs. 1 Satz 3 BVerfGG).
3. Der Antrag des Beschwerdeführers auf Erlass einer einstweiligen Anordnung ist gegenstandslos.
4. Die Entscheidung zur Auslagenerstattung beruht auf § 34a Abs. 2 und 3 BVerfGG.
Unterschriften
Papier, Bryde, Schluckebier
Fundstellen