Verfahrensgang
OLG Nürnberg (Beschluss vom 13.07.2009; Aktenzeichen 1 Ws 304/09) |
LG Regensburg (Beschluss vom 22.05.2009; Aktenzeichen StVK 17/1998) |
Tenor
Der Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung wird abgelehnt.
Der Antrag auf Bewilligung von Prozesskostenhilfe und Beiordnung von Rechtsanwalt Sch… für das Verfahren über den Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung wird zurückgewiesen.
Gründe
1. Nach § 32 BVerfGG kann das Bundesverfassungsgericht im Streitfall einen Zustand durch einstweilige Anordnung vorläufig regeln, wenn dies zur Abwehr schwerer Nachteile oder aus einem anderen wichtigen Grund zum gemeinen Wohl dringend geboten ist. Auch in einem Verfahren über eine Verfassungsbeschwerde kann eine einstweilige Anordnung erlassen werden (vgl. BVerfGE 66, 39 ≪56≫; stRspr). Dabei haben die Gründe, die für die Verfassungswidrigkeit des angegriffenen Hoheitsakts vorgetragen werden, grundsätzlich außer Betracht zu bleiben. Etwas anderes gilt nur, wenn sich die Verfassungsbeschwerde von vornherein als unzulässig oder offensichtlich unbegründet erweist. Bei offenem Ausgang des Verfassungsbeschwerdeverfahrens muss das Bundesverfassungsgericht dagegen die Folgen, die eintreten würden, wenn eine einstweilige Anordnung nicht erginge, die Verfassungsbeschwerde aber Erfolg hätte, gegenüber den Nachteilen abwägen, die entstünden, wenn die begehrte einstweilige Anordnung erlassen würde, der Verfassungsbeschwerde aber der Erfolg zu versagen wäre (vgl. BVerfGE 87, 334 ≪338≫; 89, 109 ≪110≫; stRspr). Der Erlass einer einstweiligen Anordnung kommt nur in Betracht, wenn die Abwägung ein Überwiegen der für den Erlass sprechenden Gründe ergibt (vgl. BVerfG, Beschluss des Zweiten Senats vom 15. Oktober 2008 – 2 BvR 236/08 –, NVwZ 2009, S. 103 ≪104≫).
2. Die im Hinblick auf das Kammerurteil des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte (EGMR) vom 17. Dezember 2009 (Beschwerde Nr. 19359/04) gebotene Folgenabwägung führt zur Ablehnung des Antrags auf Erlass einer einstweiligen Anordnung.
a) Erginge die einstweilige Anordnung nicht, erwiese sich später die Verfassungsbeschwerde aber als begründet, so entstünde dem Beschwerdeführer durch die Fortsetzung der Freiheitsentziehung ein schwerer und nicht wieder gutzumachender Verlust an persönlicher Freiheit (vgl. BVerfGE 22, 178 ≪180≫; 84, 341 ≪344≫). Die Freiheit der Person (Art. 2 Abs. 2 Satz 2 GG) hat unter den grundrechtlich verbürgten Rechten besonderes Gewicht (vgl. BVerfGE 65, 317 ≪322≫; Beschluss der 3. Kammer des Zweiten Senats vom 31. Juli 2000 – 2 BvR 1261/00 –, juris, Rn. 13).
b) Erginge die einstweilige Anordnung, wiese aber das Bundesverfassungsgericht die Verfassungsbeschwerde später als unbegründet zurück oder gäbe ihr ohne die Folge einer Entlassung des Beschwerdeführers aus dem Maßregelvollzug statt, so entstünden ebenfalls schwerwiegende Nachteile. Die Fachgerichte haben in nachvollziehbarer Weise die Gefahr bejaht, dass der Beschwerdeführer infolge seines Hanges erhebliche Straftaten begehen wird, durch welche die Opfer seelisch oder körperlich schwer geschädigt werden. Diese Annahme ist nachvollziehbar begründet; sie beruht unter anderem auf einem widerspruchsfreien und plausiblen Gutachten eines externen Sachverständigen. In Anbetracht dessen überwiegt insoweit das Sicherungsbedürfnis der Allgemeinheit gegenüber dem Freiheitsgrundrecht des Beschwerdeführers.
c) Die vom Beschwerdeführer angeregten Alternativen – z.B. engmaschige Auflagen – vermögen im Verfahren der einstweiligen Anordnung nicht zu einer anderen Beurteilung zu führen (vgl. BVerfG, Beschluss der 2. Kammer des Zweiten Senats vom 22. Mai 2008 – 2 BvR 749/08 –, juris, Rn. 5; Beschluss der 3. Kammer des Zweiten Senats vom 25. November 2009 – 2 BvR 2609/09 –, juris, Rn. 7).
d) Unter diesen Umständen kann ein Überwiegen der für den Erlass der einstweiligen Anordnung sprechenden Gründe nicht festgestellt werden.
3. Da der Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung ohne Erfolg bleibt, ist der Antrag auf Bewilligung von Prozesskostenhilfe für dieses Verfahren abzulehnen (vgl. § 114 Satz 1 ZPO).
Diese Entscheidung ist unanfechtbar.
Unterschriften
Voßkuhle, Mellinghoff, Lübbe-Wolff
Fundstellen
NVwZ 2010, 7 |
GuT 2009, 426 |
Polizei 2010, 59 |
R&P 2010, 111 |