Tenor
Die Vollziehung des am 14. Juni 1999 angeordneten Arrests wird bis zur Entscheidung des Landgerichts Kleve über den unter dem 16. Juni 1999 gestellten Antrag des Antragstellers auf Aussetzung des Vollzugs der Disziplinarmaßnahmen ausgesetzt. Im übrigen wird der Antrag auf Erlaß einer einstweiligen Anordnung abgelehnt.
Tatbestand
I.
Der Antragsteller verbüßt seit 1991 eine lebenslange Freiheitsstrafe wegen Mordes, zuletzt in der Justizvollzugsanstalt Geldern. Während einer Ausführung zu einem Fußballspiel am 9. Juni 1999 floh der Antragsteller und konnte erst zwei Tage später wieder aufgegriffen werden. Infolge seiner Flucht wurde er am 14. Juni mit 20 Tagen Arrest und weiteren Disziplinarmaßnahmen wie etwa einer Einkaufssperre belegt. Der Arrest wird seit dem 14. Juni 1999 vollzogen.
Unter dem 16. Juni 1999 beantragte der Antragsteller bei der Strafvollstreckungskammer, den Vollzug der Disziplinarmaßnahmen auszusetzen, und bat um sofortige Entscheidung, weil die Maßnahmen bereits vollzogen würden. Über diesen Antrag wurde bislang nicht entschieden.
Spätestens am 21. Juni 1999 wurde dem Antragsteller mitgeteilt, daß er aus Sicherheitsgründen wegen gegen ihn gerichteter Drohungen anderer Gefangener in die Vollzugsanstalt Werl verlegt werden solle.
Entscheidungsgründe
II.
Mit seinem isolierten Antrag auf Erlaß einer einstweiligen Anordnung wendet sich der Antragsteller gegen die Vollziehung der verhängten Disziplinarmaßnahmen sowie gegen die Verlegung in die Justizvollzugsanstalt Werl.
Er beanstandet, daß das Landgericht trotz begonnener Vollziehung der Maßnahmen bislang nicht entschieden habe. Außerdem trägt er vor, die Verlegung in die Vollzugsanstalt Werl bringe sein Leben in Gefahr, weil dort Gefangene einsäßen, die ihm mehrfach und massiv mit Mord gedroht hätten.
III.
Nach § 32 Abs. 1 BVerfGG kann das Bundesverfassungsgericht im Streitfall einen Zustand durch einstweilige Anordnung vorläufig regeln, wenn dies zur Abwehr schwerer Nachteile oder aus einem anderen wichtigen Grund zum gemeinen Wohl dringend geboten ist. Bei der Prüfung dieser Voraussetzungen ist ein strenger Maßstab anzulegen. Dabei haben die Gründe, welche der Antragsteller für die Verfassungswidrigkeit der angegriffenen Hoheitsakte anführt, grundsätzlich außer Betracht zu bleiben, es sei denn, die Verfassungsbeschwerde erweise sich von vornherein als unzulässig oder offensichtlich unbegründet. Bei offenem Ausgang des Verfassungsbeschwerde-Verfahrens muß das Bundesverfassungsgericht die Folgen abwägen, die eintreten würden, wenn die einstweilige Anordnung nicht erginge, die Verfassungsbeschwerde aber Erfolg hätte, gegenüber den Nachteilen, die entstünden, wenn die begehrte einstweilige Anordnung erlassen würde, der Verfassungsbeschwerde aber der Erfolg zu versagen wäre (stRspr, BVerfGE 84, 345 ≪347≫).
1. Hinsichtlich der Vollziehung des Arrests hat der Antrag auf Erlaß einer einstweiligen Anordnung Erfolg. Insoweit ist die noch zu erhebende Verfassungsbeschwerde derzeit weder unzulässig noch offensichtlich unbegründet.
Der Grundsatz der Subsidiarität (§ 90 Abs. 2 BVerfGG) steht ihrer Zulässigkeit nicht entgegen. Dem Antragsteller entstünde durch die Verweisung auf den Rechtsweg ein schwerer und unabwendbarer Nachteil (§ 90 Abs. 2 Satz 2 BVerfGG). Der nicht mehr rückgängig zu machende Arrest wird bereits vollzogen, ohne daß die nach Art. 19 Abs. 4 GG gebotene fachgerichtliche Entscheidung über den Aussetzungsantrag des Antragstellers erfolgt wäre. Das Gebot des effektiven Rechtsschutzes verlangt, daß der Richter bei nicht mehr rückgängig zu machenden, sofort vollzogenen Disziplinarmaßnahmen unverzüglich eine Entscheidung darüber trifft, ob die Maßnahme auszusetzen ist. Ist der Antrag nicht schlüssig begründet, so kann das Gericht ihn sofort als unzulässig verwerfen, sofern es nicht Anlaß hat, sich durch Rückfrage – gegebenenfalls fernmündlich – beim Beschwerdeführer oder bei der Vollzugsanstalt ergänzende Klarheit zu verschaffen. Ist der Antrag hingegen schlüssig begründet und kommt das Gericht – etwa aufgrund einer Nachfrage bei der Justizvollzugsanstalt zu dem Ergebnis, daß der Vortrag des Antragstellers glaubhaft ist, so hat es aufgrund der Abwägung nach dem Maßstab des § 114 Abs. 2 Satz 1 StVollzG über die Aussetzung der Disziplinarmaßnahme zu entscheiden. Um seiner Pflicht, rechtzeitig zu entscheiden, nachkommen zu können, wird das Gericht, ohne eine Äußerung der Justizvollzugsanstalt erst abzuwarten, in besonderen Fällen auch eine vorläufige Aussetzung der Disziplinarmaßnahme in Betracht zu ziehen haben, zumal es seine Entscheidung jederzeit ändern kann (vgl. Beschluß der 2. Kammer des Zweiten Senats des Bundesverfassungsgerichts vom 30. April 1993 – 2 BvR 1605/92 –, NStZ 1993, S. 507 = NJW 1994, S. 3087). Im Widerspruch zu diesen Anforderungen hat das Landgericht bislang ohne ersichtlichen Grund von einer Entscheidung über den Eilantrag des Antragstellers abgesehen.
Ohne weitere Sachaufklärung – die Aufgabe der Fachgerichte ist und hier zunächst dem Landgericht im Verfahen nach § 114 StVollzG obliegt – kann derzeit auch nicht festgestellt werden, daß die noch zu erhebende Verfassungsbeschwerde gegen die Vollziehung des Arrests offensichtlich unbegründet wäre.
Die danach gebotene Abwägung der eintretenden Folgen fällt zugunsten des Antragstellers aus. Ergeht die einstweilige Anordnung nicht, hätte die zu erhebende Verfassungsbeschwerde aber Erfolg, so wäre der Vollzug des Arrests – bei seiner Rechtswidrigkeit eine erhebliche Verletzung des Freiheitsrechts des Antragstellers (vgl. Beschluß der 2. Kammer des Zweiten Senats des Bundesverfassungsgerichts vom 30. April 1993 – 2 BvR 1605/92 –, NStZ 1993, S. 507 = NJW 1994, S. 3087) – nicht rückgängig zu machen. Ergeht die einstweilige Anordnung, würde die zu erhebende Verfassungsbeschwerde aber zurückgewiesen, so könnte die Disziplinarmaßnahme jederzeit nachgeholt werden. Bis zur verfassungsrechtlich gebotenen Entscheidung der Strafvollstreckungskammer des Landgerichts Kleve über den Eilantrag des Antragstellers vom 16. Juni 1999 ist die Vollziehung des Arrests daher auszusetzen.
2. Im übrigen hat der Antrag auf Erlaß einer einstweiligen Anordnung keinen Erfolg. Die noch zu erhebende Verfassungsbeschwerde gegen die Verlegung in die Vollzugsanstalt Werl wie auch gegen die Vollziehung der übrigen Disziplinarmaßnahmen wäre nach dem Grundsatz der Subsidiarität (§ 90 Abs. 2 BVerfGG) unzulässig.
a) Hinsichtlich der Verlegung in die Vollzugsanstalt Werl hat der Antragsteller es versäumt, sich zunächst an die Fachgerichte zu wenden. Spätestens am 21. Juni 1999 ist ihm die Verlegung eröffnet worden; unmittelbar im Anschluß hieran hätte er die Aussetzung dieser Maßnahme bei der Strafvollstreckungskammer beantragen können. Dies hat er unterlassen.
Durch die Verweisung auf den Rechtsweg entsteht ihm auch kein schwerer und unabwendbarer Nachteil (§ 90 Abs. 2 Satz 2 BVerfGG). Der Antragsteller hat zwar geltend gemacht, durch die Verlegung drohe ihm konkrete Lebensgefahr von anderen Insassen der Vollzugsanstalt Werl, die ihn wegen Verrats einer geplanten Geiselnahme immer wieder massiv bedrohten, Namen konnte er jedoch auch auf Nachfrage und nach Durchsicht der nach seinen Angaben maßgeblichen Unterlagen nicht nennen. Recherchen der Vollzugsanstalt im Zusammenhang mit der vom Antragsteller erwähnten geplanten Geiselnahme ergaben einen möglichen Zusammenhang mit drei Häftlingen, die sich jedoch alle nicht in der Vollzugsanstalt Werl befinden. Bei dieser Sachlage ist es dem Antragsteller auch unter Berücksichtigung der Möglichkeit, daß er zunächst zu Unrecht verlegt wird und diese Verlegung wieder rückgängig gemacht werden muß, zuzumuten, zunächst den fachgerichtlichen Rechtsweg zu beschreiten.
b) Auch hinsichtlich der übrigen Disziplinarmaßnahmen wäre eine noch zu erhebende Verfassungsbeschwerde unzulässig. Daß dem Antragsteller insoweit durch die Verweisung auf den Rechtsweg ein schwerer und unabwendbarer Nachteil entstünde, ist nicht ersichtlich. Er hat noch nicht einmal dargelegt, welche konkreten Auswirkungen etwa die behauptete Einkaufs- oder die Sportsperre habe. Versäumte Sporttermine oder Einkaufsmöglichkeiten können jedenfalls, sollte später die Rechtswidrigkeit der Disziplinarmaßnahmen festgestellt werden, nachgeholt werden.
Diese Entscheidung ist unanfechtbar.
Unterschriften
Limbach, Hassemer, Broß
Fundstellen