Verfahrensgang
LG Frankfurt am Main (Beschluss vom 16.06.2004; Aktenzeichen 5/27 Qs 44/04) |
AG Königstein (Beschluss vom 19.03.2004; Aktenzeichen 50 Gs 3320 Js 205830/04) |
Tenor
Die Beschlüsse des Landgerichts Frankfurt am Main vom 16. Juni 2004 – 5/27 Qs 44/04 – und des Amtsgerichts Königstein im Taunus vom 19. März 2004 – 50 Gs 3320 Js 205830/04 – verletzen den Beschwerdeführer in seinem Grundrecht aus Artikel 13 Absatz 1 und 2 des Grundgesetzes. Sie werden aufgehoben. Die Sache wird an das Landgericht Frankfurt am Main zurückverwiesen.
Das Land Hessen hat dem Beschwerdeführer die notwendigen Auslagen zu erstatten.
Tatbestand
Die Verfassungsbeschwerde betrifft die Durchsuchung einer Wohnung.
I.
1. Gegen V. wurde wegen des Verdachts der Nötigung und Sachbeschädigung ermittelt. Die Tat sollte am 20. November 2002 im Straßenverkehr mit dessen Fahrzeug begangen worden sein. V. benannte unter anderem den Beschwerdeführer als Zeugen für eine Alibibehauptung. In der Hauptverhandlung gegen V. am 12. Februar 2004, in der der Beschwerdeführer als Zeuge aussagte, bekundeten der durch die Tat Geschädigte und dessen Vater, nicht den Angeklagten V., sondern den Beschwerdeführer als Täter wieder zu erkennen.
2. Die Staatsanwaltschaft begann daraufhin ein Ermittlungsverfahren gegen den Beschwerdeführer, in dem das Amtsgericht mit dem angegriffenen Beschluss die Durchsuchung der Wohn- und Geschäftsräume des Beschwerdeführers anordnete. Die Durchsuchung diene der „Auffindung von Unterlagen über den 30. November 2002 …, aus denen sich die persönliche Beziehung des Beschuldigten zu dem Herrn V. ergeben sowie Hinweis darauf, ob der Beschuldigte dessen Fahrzeug am Tattag geführt hat”. Die Ermittlungen hätten den Verdacht ergeben, dass der Beschwerdeführer mit dem Fahrzeug des V. die fragliche Nötigung und Sachbeschädigung begangen habe.
3. Die nach der Durchsuchung erhobene Beschwerde des Beschwerdeführers verwarf das Landgericht mit dem angegriffenen Beschluss. Es habe vermutet werden können, dass in der Wohnung des Beschwerdeführers Anhaltspunkte hätten gefunden werden können, die belegten, dass zwischen dem Beschwerdeführer und V. ein engeres als das angegebene rein berufliche Verhältnis bestanden habe.
Entscheidungsgründe
II.
Mit seiner Verfassungsbeschwerde rügt der Beschwerdeführer eine Verletzung seines Grundrechts aus Art. 13 GG. Der Verdacht eines alltäglichen Delikts im Straßenverkehr stehe außer Verhältnis zu dem schwerwiegenden Eingriff einer Wohnungsdurchsuchung. Der Tatverdacht sei nicht ausreichend gewichtig gewesen, um eine Durchsuchung rechtfertigen zu können. Er habe sich allein auf die Aussagen der beiden Zeugen gegründet, die aber unglaubhaft gewesen seien, weil sie nach fünfzehn Monaten innerhalb weniger Sekunden den Beschwerdeführer als Täter wieder erkannt haben wollten. Die Durchsuchung sei ohne jede Erfolgsaussicht angeordnet worden. Die persönliche Bekanntschaft des Beschwerdeführers mit V. sei aus der Zeugenbenennung bereits bekannt gewesen. Es sei völlig weltfremd, in der Wohnung Anhaltspunkte dafür zu vermuten, dass der Beschwerdeführer an einem bestimmten sechzehn Monate zurückliegenden Tag V.s Fahrzeug geführt habe. Der in dem Durchsuchungsbeschluss angegebene Tag sei zudem nicht der Tattag.
III.
1. Das Land Hessen hat Gelegenheit zur Äußerung gehabt (§ 94 Abs. 2 BVerfGG). Es hat von einer Stellungnahme abgesehen.
2. Dem Bundesverfassungsgericht haben die Akten 3320 Js 205830/04 der Staatsanwaltschaft bei dem Landgericht Frankfurt am Main vorgelegen.
IV.
Der Verfassungsbeschwerde ist stattzugeben, weil sie offensichtlich begründet ist. Zu dieser Entscheidung ist die Kammer berufen, weil das Bundesverfassungsgericht die maßgeblichen verfassungsrechtlichen Fragen bereits entschieden hat (§ 93c Abs. 1 Satz 1 BVerfGG).
1. Die Beschlüsse des Landgerichts und des Amtsgerichts verletzen das Grundrecht des Beschwerdeführers aus Art. 13 Abs. 1 und 2 GG.
a) Art. 13 Abs. 1 GG gewährt einen räumlich geschützten Bereich der Privatsphäre, in dem jedermann das Recht hat, in Ruhe gelassen zu werden (vgl. BVerfGE 51, 97 ≪107≫; 103, 142 ≪150 f.≫). Zum Zwecke der strafrechtlichen Ermittlung darf auch in die Wohnung eines Verdächtigen nur eingedrungen werden, wenn sich gegen ihn ein konkret zu beschreibender Tatvorwurf richtet, der Eingriff in die Unverletzlichkeit der Wohnung ein angemessenes Verhältnis zur Stärke des Tatverdachts wahrt und außerdem zur Ermittlung und Verfolgung der Straftat erforderlich ist, nämlich den Erfolg verspricht, geeignete Beweismittel zu erbringen (vgl. BVerfGE 42, 212 ≪220≫; 96, 44 ≪51≫). Diesen Anforderungen sind Amts- und Landgericht nicht gerecht geworden.
b) Allerdings reicht der Verdacht einer Nötigung und einer Sachbeschädigung im Straßenverkehr generell aus, eine Wohnungsdurchsuchung zu rechtfertigen. Weder handelt es sich bei diesen Delikten um Bagatellkriminalität noch kann Art. 13 GG entnommen werden, dass allein der Verdacht schwerer Straftaten eine Durchsuchung rechtfertigen könnte.
c) Die Anordnung einer Durchsuchung war aber unverhältnismäßig. Der schwerwiegende Eingriff in die Unverletzlichkeit der Wohnung muss nur dann hingenommen werden, wenn die Durchsuchung im Blick auf den bei der Anordnung verfolgten gesetzlichen Zweck Erfolg versprechend ist (vgl. BVerfGE 96, 44 ≪51≫). Es ist ohne weitere Erläuterungen völlig unerfindlich, welche Beweisgegenstände in einer Wohnung aufzufinden sein sollten, aus denen geschlossen werden könnte, dass der Wohnungsinhaber an einem bestimmten, ungefähr sechzehn Monate zurückliegenden Tag das Fahrzeug eines anderen geführt haben könnte. Über ein solches Ereignis werden üblicherweise keine Aufzeichnungen geführt, noch deuten andere Beweiszeichen darauf hin. Selbst die enge Bekanntschaft zwischen Wohnungsinhaber und Fahrzeughalter, für die eventuell Beweisgegenstände in einer Wohnung gefunden werden könnten, weist nicht auf die Fahrzeugbenutzung an einem bestimmten Tag hin. Sollten Besonderheiten in Frage gekommen sein, dann hätte das Amtsgericht sie benennen müssen, um die Suche auf bestimmte Gegenstände konzentrieren und den Eingriff in die Unverletzlichkeit der Wohnung dadurch beschränken zu können (vgl. BVerfGE 103, 142 ≪151 f.≫) – etwa auf die Suche nach bestimmten geschäftlichen Unterlagen, wenn es Anhaltspunkte dafür gab, dass der Beschwerdeführer Anlass hatte, über Fahrten mit fremden Fahrzeugen oder auch nur mit dem fraglichen Fahrzeug Aufzeichnungen zu führen. Dass das Amtsgericht nicht den Tattag (20. November 2002), sondern – wohl versehentlich – den 30. November 2002 nannte, fällt daneben nicht mehr ins Gewicht, obwohl schon allein dieser Irrtum die Eignung der Durchsuchung in Frage stellt, weil die durchführenden Beamten fehlgeleitet wurden.
2. Die Beschlüsse des Land- und des Amtsgerichts sind wegen des Verstoßes gegen Art. 13 Abs. 1 und 2 GG aufzuheben (§ 95 Abs. 2 BVerfGG). Die Sache wird an das Landgericht zurückverwiesen, das noch über die Kosten des Beschwerdeverfahrens zu entscheiden haben wird.
V.
Die Entscheidung über die Auslagenerstattung beruht auf § 34a Abs. 2 BVerfGG.
Diese Entscheidung ist unanfechtbar.
Unterschriften
Hassemer, Osterloh, Mellinghoff
Fundstellen
Haufe-Index 1315624 |
DWW 2005, 311 |
ZAP 2005, 603 |
DSB 2005, 24 |
DVP 2008, 278 |
PStR 2005, 111 |
Kriminalistik 2005, 584 |
NPA 2006, 0 |
VRA 2005, 89 |
VRR 2005, 111 |
NJOZ 2005, 3450 |