Verfahrensgang
Tenor
Die Verfahren werden zur gemeinsamen Entscheidung verbunden.
Die Urteile des Landgerichts Hamburg vom 13. Februar 2009 – 324 O 554/08 und 324 O 555/08 – und die Urteile des Hanseatischen Oberlandesgerichts vom 1. September 2009 – 7 U 32/09 und 7 U 33/09 – verletzen die Beschwerdeführerin in ihrem Grundrecht aus Artikel 5 Absatz 1 Satz 1 des Grundgesetzes. Die Urteile werden aufgehoben. Die Sachen werden an das Landgericht Hamburg zurückverwiesen.
Die Freie und Hansestadt Hamburg hat der Beschwerdeführerin die notwendigen Auslagen zu erstatten.
Der Wert des Gegenstands der anwaltlichen Tätigkeit für die Verfassungsbeschwerdeverfahren wird jeweils auf 8.000 EUR (in Worten: achttausend Euro) festgesetzt.
Tatbestand
Die Verfassungsbeschwerden wenden sich gegen zivilgerichtliche Verurteilungen, die die Unterlassung einer Äußerung zum Gegenstand haben. Die Beschwerdeführerin rügt jeweils die Verletzung ihrer Rechte aus Art. 5 Abs. 1 Satz 1 GG (Meinungsfreiheit) und aus Art. 3 Abs. 1 GG (Willkürverbot).
I.
1. Beiden Verfassungsbeschwerden liegt derselbe Lebenssachverhalt zugrunde: Es geht um eine Berichterstattung über einen Vorfall, in den die beiden Söhne des Schauspielers O. verwickelt waren.
Die Beschwerdeführerin ist ein Tochterunternehmen der Dresdner Druck- und Verlagshaus GmbH & Co. KG. Diese verlegt die in Dresden erscheinende Tageszeitung „Sächsische Zeitung”. Deren redaktioneller Inhalt, sowie weitere Beiträge werden auch über die Internetseite www.sz-online.de verbreitet. Die Beschwerdeführerin ist verantwortlich für dieses Internetangebot.
Kläger des Ausgangsverfahrens in der Verfassungsbeschwerde 1 BvR 2499/09 ist der 1990 geborene Herr O.; Kläger des Ausgangsverfahrens in der Verfassungsbeschwerde 1 BvR 2503/09 ist der 1991 geborene Herr O. Beide Kläger sind selbst Schauspieler und Sänger. Sie wurden durch verschiedene Jugendfilme, z.B. aus der Filmreihe „Wilde Kerle”, bekannt und erfreuen sich insbesondere unter Jugendlichen recht großer Beliebtheit. Beide waren Preisträger des Undine-Awards als „bester Filmdebütant”. Sie sind auch schon in Shows wie „Wetten dass?” und „Johannes B. Kerner” sowie „TV total” aufgetreten. Beide haben sich schon in Interviews zu ihren Plänen und Lebensansichten und zu ihrer Einstellung zu den Medien und der Öffentlichkeit geäußert.
In der Nacht vom 30. April auf den 1. Mai 2008, der in Bayern sogenannten „Freinacht”, waren die Kläger mit ca. acht weiteren Freunden in der Innenstadt von München unterwegs. Die Gruppe wurde dabei beobachtet, wie sie Fahrräder traktierte, Blumen aus einem Blumenbeet herausriss sowie den Telefonhörer in einer Telefonzelle abriss. Herr O. soll für den abgerissenen Telefonhörer verantwortlich sein, Herr O. für das Herausreißen einiger Tulpen aus einem Beet. Herr O. wurde von der Polizei aufgegriffen und auf die Wache mitgenommen, wohin ihn sein Bruder O. begleitete. Beide wurden nach Feststellung der Personalien entlassen. Gegen keinen von beiden wurde ein Ermittlungsverfahren eingeleitet.
Die Beschwerdeführerin verbreitete in ihrem Internetangebot „sz-online.de” seit dem 10. Mai 2008 über diesen Vorfall einen Bericht unter der Überschrift „München: Polizei schnappt O.-Söhne”. Unter Berufung auf die BILD-Zeitung wird in dem Beitrag darüber berichtet, dass „die beiden Nachwuchsschauspieler und -sänger nach wüster Randale in der Münchener Innenstadt von der Polizei verhört” worden seien.
Der streitgegenständliche Beitrag wurde insgesamt 2.014 Mal aufgerufen. Auch andere Print- und elektronische Medien, u.a. der Kölner Stadt-Anzeiger, n24 und der „Stern”, berichteten über den Vorfall.
2. a) Herr O. (1 BvR 2499/09) verklagte die Beschwerdeführerin auf Unterlassung folgender Äußerungen:
Polizei schnappt O.-Söhne,
er und sein Bruder haben Fahrräder traktiert, Blumenbeete zerstört und eine Telefonzelle auseinandergenommen.
Darüber hinaus begehrte er das Verbot,
im Zusammenhang mit dem Kläger über die Tatsache einer Sachbeschädigung in der Nacht zum 1. Mai 2008 in der Innenstadt von München zu berichten.
b) Herr O. (1 BvR 2503/09) verklagte die Beschwerdeführerin auf Unterlassung folgender Äußerungen:
Polizei schnappt O.-Söhne,
er und sein Bruder haben Fahrräder traktiert, Blumenbeete zerstört und eine Telefonzelle auseinandergenommen,
er hat den Hörer aus der Telefonzelle gerissen.
Darüber hinaus begehrte er das Verbot,
im Zusammenhang mit dem Kläger über die Tatsache einer Sachbeschädigung in der Nacht zum 1. Mai 2008 in der Innenstadt von München zu berichten.
Beide begehrten außerdem die Freistellung von Rechtsanwaltskosten.
3. Mit den angegriffenen Urteilen gab das Landgericht jeweils den Klagen vollumfänglich statt.
Das Landgericht bejaht einen Unterlassungsanspruch gemäß § 823 Abs. 1, § 1004 Abs. 1 Satz 2 BGB analog in Verbindung mit Art. 2 Abs. 1, Art. 1 Abs. 1 GG, weil das Allgemeinen Persönlichkeitsrecht der Kläger verletzt sei. Die Pressefreiheit der Beschwerdeführer habe zurückzutreten. Das Landgericht stützt sich zum einen darauf, dass für den Bereich der strafrechtlichen Ermittlungsverfahren anerkannt sei, dass eine den Verdächtigen identifizierende Berichterstattung nur zulässig sei, wenn an der Preisgabe der Identität des in Verdacht Geratenen ein besonderes öffentliches Interesse bestehe, es sich um eine Straftat von erheblicher öffentlicher Bedeutung handele und ein nicht unerheblicher Tatverdacht vorliege. Diese Grundsätze seien erst recht anzuwenden, wenn es lediglich zur Aufnahme der Personalien komme und die Einleitung eines Ermittlungsverfahrens unterbleibe.
Zum anderen stützt sich das Landgericht auf das junge Alter der Kläger, die ihre Plätze im Leben in sozialer wie beruflicher Hinsicht noch nicht gefunden hätten, und deren weiterer Werdegang in näherer Zukunft in vielfacher Hinsicht von der Einschätzung ihrer Personen durch Dritte abhängen werde. Die Kläger hätten deswegen ein gesteigertes Interesse daran, dass Verfehlungen, die sie sich haben zuschulden kommen lassen, nicht in die Öffentlichkeit getragen würden. Zur Untermauerung dieser Argumentation zieht das Landgericht die „grundsätzlichen Entscheidungen des Gesetzgebers im Jugendgerichtsgesetz” heran, wonach die Verhandlung vor dem Jugendgericht nichtöffentlich sei. Daran ändere auch der Umstand nichts, dass die Kläger als Söhne des Schauspielers O. und aufgrund ihrer eigenen künstlerischen Tätigkeit in der Öffentlichkeit bekannt seien.
4. Das Oberlandesgericht wies jeweils die Berufungen der Beschwerdeführerin mit den angegriffenen Urteilen zurück. Es verweist auf die jeweilige Begründung des Landgerichts und ergänzt, dass im Rahmen der Interessenabwägung zugunsten der Beschwerdeführerin zu beachten sei, dass ein öffentliches Informationsinteresse daraus folge, dass die Kläger als Nachwuchsschauspieler und -sänger vorwiegend bei einem jugendlichen Publikum eine gewisse Prominenz erlangt hätten und bestrebt seien, diese kommerziell zu nutzen. Allein ihre Popularität in ihrer konkreten Ausprägung begründe jedoch noch kein normativ schutzwürdiges Interesse an einer umfassenden Information der Öffentlichkeit über ihr Verhalten (vgl. BVerfGK 8, 205). Vielmehr sei daneben auf ihre gesellschaftliche Stellung und ihr bisheriges Verhalten in der Öffentlichkeit abzustellen. Es sei nicht dargetan, dass ein etwa durch die Kläger geprägtes Leitbild in einer Weise im Widerspruch zu ihrem tatsächlichen Verhalten bei dem beschriebenen Vorfall stünde, dass schon daraus ein besonderes öffentliches Informationsinteresse erwüchse.
Das Gewicht des Informationsinteresses verringere sich dadurch, dass Gegenstand der Berichterstattung durchaus keine spektakulären Straftaten gewesen seien, die im Gegensatz zu Kapitalverbrechen nicht als solche von überwiegendem Allgemeininteresse seien. Die Berichterstattung über eine begangene Straftat unter Namensnennung des Täters stelle für diesen regelmäßig eine erhebliche Beeinträchtigung seines Persönlichkeitsrechts dar, weil die Bekanntmachung seines Fehlverhaltens zu einer negativen Bewertung des Betroffenen in der Öffentlichkeit führe (BVerfGE 35, 202). In diesem Zusammenhang gewinne besondere Bedeutung, dass die Kläger zum Zeitpunkt des Vorfalls und der Veröffentlichung erst 18 bzw. 16 Jahre alt gewesen seien, also junge Menschen bzw. Jugendliche, deren Entwicklung noch nicht abgeschlossen sei, und die ihren sozialen und beruflichen Platz in der Gesellschaft noch nicht gefunden hätten. Ihr öffentliches Auftreten als Nachwuchskünstler schränke ihren Anonymitätsschutz gegen die beanstandete Berichterstattung aus einem von ihrer beruflichen Tätigkeit zu unterscheidenden persönlichen Lebensbereich nicht ein.
Das Oberlandesgericht ließ die Revision jeweils nicht zu.
5. In ihren Verfassungsbeschwerden rügt die Beschwerdeführerin jeweils eine Verletzung ihres Grundrechts auf freie Meinungsäußerung, Art. 5 Abs. 1 Satz 1 GG, und einen Verstoß gegen das Willkürverbot gemäß Art. 3 Abs. 1 GG.
6. Die Kläger des Ausgangsverfahrens haben sich zu den Verfassungsbeschwerden nicht geäußert. Die Justizbehörde der Freien und Hansestadt Hamburg hat eine Stellungnahme abgegeben, in der sie sich im Wesentlichen den Begründungen der angegriffenen Entscheidungen anschließt. Die Akten der Ausgangsverfahren haben dem Bundesverfassungsgericht vorgelegen.
Entscheidungsgründe
II.
Die Verfassungsbeschwerden werden gemäß § 93a Abs. 2 Buchstabe b BVerfGG zur Entscheidung angenommen, weil dies zur Durchsetzung der Grundrechte der Beschwerdeführerin angezeigt ist. Die Voraussetzungen für eine stattgebende Kammerentscheidung liegen vor (§ 93c Abs. 1 Satz 1 i.V.m. § 93a Abs. 2 Buchstabe b BVerfGG).
1. Die zulässigen Verfassungsbeschwerden sind im Sinne des § 93c Abs. 1 Satz 1 BVerfGG offensichtlich begründet. Die angegriffenen Entscheidungen verletzen die Beschwerdeführerin jeweils in ihrem Grundrecht aus Art. 5 Abs. 1 Satz 1 GG.
a) Unter den Schutz der Meinungsfreiheit fallen nach ständiger Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts nicht nur Werturteile, sondern auch Tatsachenbehauptungen, wenn und soweit sie zur Bildung von Meinungen beitragen (vgl. BVerfGE 85, 1 ≪15≫).
Dies ist hier der Fall. Der beanstandete Bericht betrifft einen – in der Sache unstreitigen – Vorfall über ein möglicherweise strafrechtlich relevantes Verhalten zweier „Jungstars”, die ein Image von „Wilden Kerlen” aufgebaut haben und für nicht wenige jugendliche Anhänger ein Idol darstellen. Durch den Bericht wird deren Handeln im öffentlichen Raum aufgegriffen und damit ein Impuls für die öffentlichen Diskussionen gesetzt, etwa das Image der Kläger kritisch zu hinterfragen oder etwa auch – wie die Beschwerdeführerin in den Raum stellt – anzuerkennen, dass die Kläger „nur normale” junge Leute mit Fehlern und Schwächen sind.
b) Durch die angegriffenen Urteile, die ihnen die streitgegenständlichen Äußerungen untersagen, wird die Meinungsfreiheit der Beschwerdeführerin eingeschränkt.
c) Das Grundrecht auf Meinungsfreiheit ist allerdings nicht vorbehaltlos gewährt. Es findet seine Schranke in den allgemeinen Gesetzen, zu denen die hier von den Gerichten angewandten Vorschriften der § 823 Abs.1, § 1004 Abs. 1 Satz 2 BGB analog in Verbindung mit Art. 2 Abs. 1, Art. 1 Abs. 1 GG gehören. Auslegung und Anwendung dieser Vorschriften sind Sache der Fachgerichte, die hierbei jedoch das eingeschränkte Grundrecht interpretationsleitend berücksichtigen müssen, damit dessen wertsetzender Gehalt auch auf der Rechtsanwendungsebene gewahrt bleibt (vgl. BVerfGE 120, 180 ≪199 f.≫; stRspr). Dies verlangt in der Regel eine Abwägung zwischen der Schwere der Persönlichkeitsbeeinträchtigung durch die Äußerung einerseits und der Einbuße an Meinungsfreiheit durch ihr Verbot andererseits (BVerfGE 114, 339 ≪348≫). Das Ergebnis der Abwägung ist verfassungsrechtlich nicht vorgegeben und hängt von den Umständen des Einzelfalls ab (vgl. BVerfGE 99, 185 ≪196≫). Das Bundesverfassungsgericht ist auf eine Nachprüfung begrenzt, ob die Zivilgerichte den Grundrechtseinfluss ausreichend beachtet haben (vgl. BVerfGE 101, 361 ≪388≫).
Die Fachgerichte lassen hier zunächst eine Auseinandersetzung mit der Frage vermissen, in welcher Bedeutung und mit welchem Gewicht der Schutzbereich des Allgemeinen Persönlichkeitsrechts der Kläger betroffen ist. Das allgemeine Persönlichkeitsrecht gemäß Art. 2 Abs. 1 in Verbindung mit Art. 1 Abs. 1 GG schützt insbesondere vor einer Beeinträchtigung der Privat- oder Intimsphäre. Des Weiteren schützt es vor herabsetzenden, vor allem ehrverletzenden Äußerungen (vgl. BVerfGE 54, 148 ≪155≫).
Der Schutz des allgemeinen Persönlichkeitsrechts reicht hinsichtlich der Veröffentlichung von Bildern einerseits und der Berichterstattung durch Wortbeiträge andererseits verschieden weit. Während die Veröffentlichung eines Bildes von einer Person grundsätzlich eine rechtfertigungsbedürftige Beschränkung ihres allgemeinen Persönlichkeitsrechts begründet, die unabhängig davon ist, ob die Person in privaten oder öffentlichen Zusammenhängen und in vorteilhafter oder unvorteilhafter Weise abgebildet ist (vgl. BVerfGE 101, 361 ≪380 f.≫), ist dies bei personenbezogenen Wortberichten nicht ohne weiteres der Fall. Art. 2 Abs. 1 in Verbindung mit Art. 1 Abs. 1 GG bietet hier nicht schon davor Schutz, überhaupt in einem Bericht individualisierend benannt zu werden, sondern nur in spezifischen Hinsichten (BVerfG, Beschluss der 1. Kammer des Ersten Senats vom 14. September 2010 – 1 BvR 1842/08 u.a. –, ZUM-RD 2010, S. 657).
Dabei kommt es vor allem auf den Inhalt der Berichterstattung an. Für die Berichterstattung über Strafverfahren ist zwar durch das Bundesverfassungsgericht anerkannt, dass die Namensnennung oder sonstige Identifikation des Täters nicht immer zulässig sind (vgl. BVerfGE 35, 202 ≪232≫). Dies hat seinen Grund in dem besonderen Gewicht, das einem Verfahren zukommt, das mit der stärksten staatlichen Sanktion eines staatlichen Unwerturteils enden kann, dessen Ausgang aber offen ist, so dass bis zur rechtskräftigen Verurteilung für den Betroffenen die Unschuldsvermutung gilt. Hiervon unterscheidet sich jedoch eine Berichterstattung über das unstreitige Verhalten einer Gruppe junger Leute auf offener Straße, über das unabhängig von einem Strafverfahren berichtet wird, und das auch der Sache nach allenfalls von geringfügiger strafrechtlicher Relevanz ist.
Hier ist zwar naheliegend, dass der Schutzbereich des allgemeinen Persönlichkeitsrechts betroffen ist, weil der Bericht über die Verfehlungen der Kläger geeignet ist, diese in ihrem öffentlichen Ansehen herabzusetzen. Es geht vorliegend allerdings lediglich um eine Wortberichterstattung über einen unstreitigen Vorfall. Insoweit aber gibt das allgemeine Persönlichkeitsrecht ihnen nicht den Anspruch, nur so von anderen dargestellt zu werden, wie sie sich selber sehen oder gesehen werden möchten (vgl. BVerfGE 101, 361 ≪380≫ m.w.N.). Dabei (vgl. BVerfGE 101, 361 ≪385≫) ist vorliegend auch zu berücksichtigen, dass durch den Bericht nur die Sozialsphäre der Kläger berührt ist. Der Schutz des allgemeinen Persönlichkeitsrechts ist hier überdies auch dadurch verringert worden, dass die Kläger insbesondere über das Fernsehen die Öffentlichkeit unstreitig oft gesucht, ein Image als „Junge Wilde” gepflegt und ihre Idolfunktion kommerziell ausgenutzt haben und so ihre Person selbst in die Öffentlichkeit gestellt haben.
Es ist nicht ersichtlich, dass die Fachgerichte diese Umstände ausreichend in ihre Erwägungen zur Reichweite des Schutzes des Allgemeinen Persönlichkeitsrechts eingestellt hätten.
d) Bei der Abwägung zwischen der Meinungsfreiheit der Beschwerdeführerin einerseits und dem allgemeinen Persönlichkeitsrecht der Kläger andererseits ist zunächst zu berücksichtigen, dass die Presse zur Erfüllung ihrer Aufgaben nicht grundsätzlich auf eine anonymisierte Berichterstattung verwiesen werden kann (vgl. BGH, Urteil vom 21. November 2006 – VI ZR 259/05 –, NJW-RR 2007, S. 619). Verfehlungen auch konkreter Personen aufzuzeigen gehört zu den legitimen Aufgaben der Medien (vgl. Burkhardt, in: Wenzel, Das Recht der Wort- und Bildberichterstattung, 5. Aufl. 2003, Kap. 10 Rn. 154). Bei Tatsachenberichten hängt die Abwägung zwischen den widerstreitenden Interessen darüber hinaus vom Wahrheitsgehalt ab, und wahre Aussagen müssen in der Regel hingenommen werden, auch wenn sie nachteilig für den Betroffenen sind (vgl. BVerfGE 99, 185 ≪196≫).
Auf Seiten der Kläger ist anderseits zweifelsohne ihr junges beziehungsweise jugendliches Alter in die Erwägungen einzubeziehen. Junge Leute bedürfen eines besonderen Schutzes, weil sie sich zu eigenverantwortlichen Personen erst ent-wickeln müssen (vgl. BVerfGE 101, 361 ≪385≫). Jedoch genügt es nicht den verfassungsrechtlichen Vorgaben, eine Regelvermutung dahingehend aufzustellen – wie hier durch die Fachgerichte geschehen –, dass aufgrund der gesetzgeberischen Wertung im Jugendgerichtsgesetz jedes Informationsinteresse hinter dem Anonymitätsinteresse „grundsätzlich” zurückzustehen habe, wenn nicht die begangene Tat von außergewöhnlicher Schwere sei.
Vielmehr ist in die Abwägung einzustellen, dass die durch die Fachgerichte zutreffend vorgenommene Einordnung des Verhaltens der Kläger als Bagatelldelikte zugleich geeignet erscheint, die Bedeutung der Persönlichkeitsbeeinträchtigung zu mindern. Das Bundesverfassungsgericht hat bereits entschieden, dass bei der Berichterstattung über Strafverfahren die Schwere der in Frage stehenden Straftat nicht nur für das öffentliche Informationsinteresse, sondern auch bei der Gewichtung der entgegenstehenden Persönlichkeitsbelange Bedeutung erlangen kann. So wird bei einer sehr schwerwiegenden Tat zwar einerseits ein hohes öffentliches Informationsinteresse bestehen, andererseits aber die Gefahr einer Stigmatisierung des noch nicht rechtskräftig verurteilten Betroffenen erhöht sein (vgl. BVerfG, Beschluss der 1. Kammer des Ersten Senats vom 27. November 2008 – 1 BvQ 46/08 –, NJW 2009, S. 350). Ein entsprechendes Verhältnis wird aber regelmäßig auch bei besonders leichten Taten anzunehmen sein, sofern sie nur überhaupt ein Berichterstattungsinteresse begründen (BVerfG, Beschluss der 1. Kammer des Ersten Senats vom 9. März 2010 – 1 BvR 1891/05 –, ZUM 2010, S. 961). Dies gilt erst recht, wenn – wie hier – ein staatlicher Strafvorwurf gar nicht Gegenstand der Berichterstattung ist.
Die von den Fachgerichten angenommene Regelvermutung des grundsätzlichen Vorrangs des allgemeinen Persönlichkeitsrechts gegenüber der Meinungsfreiheit, sobald schutzbedürftige Interessen von jungen Erwachsenen beziehungsweise Jugendlichen in Rede stehen, ist aus verfassungsrechtlicher Sicht zu eng und undifferenziert. Sie übergeht das Erfordernis einer einzelfallbezogenen Auslegung und berücksichtigt vorliegend das „Öffentlichkeitsimage” der Kläger zu wenig.
2. Angesichts der festgestellten Verstöße gegen Art. 5 Abs. 1 Satz 1 GG kann offenbleiben, ob auch jeweils ein Verstoß gegen das Willkürverbot vorliegt.
3. Das besondere Gewicht der Grundrechtsverletzung ist durch die Verkennung des durch die Meinungsfreiheit gewährten Schutzes indiziert (vgl. BVerfGE 90, 22 ≪25≫).
4. Die angegriffenen Entscheidungen beruhen auf den aufgezeigten verfassungsrechtlichen Fehlern. Es ist nicht auszuschließen, dass das Landgericht bei erneuter Befassung zu jeweils einer anderen Entscheidung in der Sache kommen wird.
5. Die Entscheidung über die Erstattung der notwendigen Auslagen der Beschwerdeführerin folgt aus § 34a Abs. 2 BVerfGG.
6. Die Festsetzung des Gegenstandswerts der anwaltlichen Tätigkeit für die Verfassungsbeschwerdeverfahren beruht auf § 37 Abs. 2 Satz 2 in Verbindung mit § 14 Abs. 1 RVG.
Unterschriften
Kirchhof, Eichberger, Masing
Fundstellen
NJW 2012, 1500 |
NVwZ 2012, 5 |
DÖV 2012, 402 |
JA 2012, 399 |
JuS 2013, 280 |
ZUM-RD 2012, 250 |
MMR 2012, 338 |