Entscheidungsstichwort (Thema)
Haftung des Kommanditisten für die Gewerbesteuer (Durchgriffshaftung)
Leitsatz (amtlich)
Zur Inanspruchnahme des Kommanditisten für die Gewerbesteuer.
Leitsatz (redaktionell)
1. Muß die Inanspruchnahme des Kommanditisten für die Gewerbesteuer an die bürgerlich-rechtliche Ordnung anknüpfen oder darf sie von dieser abweichen (Durchgriffsproblem)?
2. Gegen den Durchgriff bei der Kommanditgesellschaft bestehen um so weniger Bedenken, als das Handelsgesetzbuch in zwei Fällen selbst den Durchgriff zuläßt (§ 176 Abs. 1 und 2 HGB) und die Verbindlichkeiten der Gesellschaft zugleich als eigene Schulden der Gesellschafter angesehen werden, für die nur zwei verschiedene Vermögensmassen haften.
Normenkette
HGB § 171 Abs. 1, § 176 Abs. 1; GewStG § 5 Abs. 1 S. 3; StÄndG 1965 Art. 3 Nr. 3; AO § 113; GG Art. 3 Abs. 1, Art. 2 Abs. 1, Art. 20 Abs. 2-3
Verfahrensgang
BFH (Urteil vom 08.12.1966; Aktenzeichen IV 420/62) |
Gründe
A.
Die Verfassungsbeschwerde richtet sich dagegen, daß auf Grund der früheren Fassung des Gewerbesteuergesetzes – GewStG a. F. – ein Kommanditist für die Gewerbesteuer in voller Höhe in Anspruch genommen wurde, ohne daß eine Berufung auf die Haftungsbeschränkung des § 171 Abs. 1 HGB möglich war.
I.
Nach § 171 Abs. 1 HGB haftet der Kommanditist dem Gesellschaftsgläubiger bis zur Höhe seiner Einlage persönlich. Die Haftung ist ausgeschlossen, soweit er die Einlage geleistet und nicht zurückerhalten hat. Diese bürgerlich-rechtliche Haftungsregelung ist unter den Voraussetzungen des § 113 AO auch für das Steuerrecht maßgebend. § 113 AO lautet:
Wo Gesellschaften … als solche der Besteuerung unterliegen, gelten für die persönliche Haftung der einzelnen Gesellschafter … sinngemäß die Vorschriften des bürgerlichen Rechts.
Danach ist die Haftungsbeschränkung des § 171 Abs. 1 HGB im Geltungsbereich des § 113 AO nur zu beachten, wo nach dem in Frage kommenden Steuergesetz (nur) die Gesellschaft als solche der Besteuerung unterliegt. § 113 AO kommt jedoch nicht zur Anwendung, wenn nach dem Steuergesetz der Gesellschafter unmittelbar und selbständig Steuerschuldner ist, wie es nach ständiger Rechtsprechung und Verwaltungspraxis bei der Gewerbesteuer der Fall ist.
Sie unterscheidet zwischen der persönlichen Steuerpflicht (Steuerschuldnerschaft) und der sachlichen Steuerpflicht (Gegenstand der Besteuerung). Steuergegenstand ist der Gewerbebetrieb (§ 2 Abs. 1 GewStG). Nach § 2 Abs. 2 Nr. 1 GewStG gilt als Gewerbebetrieb stets und in vollem Umfang die Tätigkeit der offenen Handelsgesellschaften, Kommanditgesellschaften und anderer Gesellschaften, bei denen die Gesellschafter als Unternehmer (Mitunternehmer) des Gewerbebetriebs anzusehen sind. Steuerschuldner ist der Unternehmer; als Unternehmer gilt der, für dessen Rechnung das Gewerbe betrieben wird (§ 5 Abs. 1 Satz 1 und 2 GewStG). Für Unternehmergemeinschaften bestimmt § 5 Abs. 1 Satz 3 GewStG a. F.:
Wird das Gewerbe für Rechnung mehrerer Personen betrieben, so sind diese Gesamtschuldner.
Durch Art. 3 Nr. 3 des Steueränderungsgesetzes – StÄndG – vom 14. Mai 1965 (BGBl. I S. 377) ist § 5 Abs. 1 Satz 3 GewStG wie folgt ergänzt worden:
… in diesem Fall reicht die persönliche Steuerpflicht des einzelnen Unternehmers nur soweit, als er nach den Vorschriften des bürgerlichen Rechts für Verbindlichkeiten des Gewerbebetriebs haftet.
Diese Einschränkung der Steuerschuldnerschaft gilt erstmals für den Erhebungszeitraum 1965 (Art. 3 Nr. 6 StÄndG 1965).
II.
1. Der Beschwerdeführer war – ebenso wie ein weiterer Kommanditist – mit einer voll einbezahlten Kommanditeinlage von 30 000 DM an der Firma … zu 30 v. H. an deren Ergebnis beteiligt, während die Beteiligung des Komplementärs am Geschäftsergebnis bei einer Einlage ebenfalls von 30 000 DM mit 40 v. H. vereinbart war. Der Betrieb der Kommanditgesellschaft ruhte seit August 1957. Ein Antrag auf Konkurseröffnung wurde mangels Masse abgelehnt. Auf Grund eines auf den Beschwerdeführer als Steuerschuldner umgeschriebenen Gewerbesteuermeßbescheids 1954 nahm die Stadt Köln den Beschwerdeführer im Gewerbesteuerbescheid 1954 für die Gewerbesteuerrückstände der Kommanditgesellschaft für den Erhebungszeitraum in Anspruch. Die vom Beschwerdeführer gegen den Gewerbesteuermeßbescheid eingelegten Rechtsmittel wurden, zuletzt durch das Urteil des Bundesfinanzhofs vom 8. Dezember 1966 – IV 420/62 –, zurückgewiesen.
2. Der Bundesfinanzhof hat auf den Beschluß des in dieser Sache angerufenen Großen Senats vom 29. November 1965 – Gr. S. 3/64 S – (BStBl. 1966 III S. 158) Bezug genommen. Dieser hatte in Fortführung seiner bisherigen an den Reichsfinanzhof anknüpfenden Rechtsprechung ausgeführt, die Verweisung des § 113 AO auf die Haftungsvorschriften des bürgerlichen Rechts, u. a. auf den die Haftung des Kommanditisten beschränkenden § 171 Abs. 1 HGB, beziehe sich nach dem eindeutigen Wortlaut nur auf solche Steuertatbestände, bei denen die Gesellschaft als solche Steuerschuldner sei. Nach § 5 Abs. 1 Satz 3 GewStG a. F. schuldeten jedoch die Gesellschafter der Kommanditgesellschaft – auch der Kommanditist – die Gewerbesteuer unmittelbar und in vollem Umfang als Gesamtschuldner. Da § 113 AO nur das Einstehenmüssen für die (fremde) Steuerschuld eines Dritten regle, sei diese Bestimmung auf den Kommanditisten als unmittelbaren Schuldner nicht anzuwenden.
Der Gesetzgeber habe auch nicht gegen Verfassungsgrundsätze verstoßen, indem er in § 5 Abs. 1 Satz 3 GewStG a. F. die Inanspruchnahme des Kommanditisten für Gewerbesteuerschulden über die Vorschriften des Handelsrechts hinaus ermöglicht habe. Er sei zwar gehalten, die Ordnungsstruktur des Zivilrechts auch im Bereich des Steuerrechts in Betracht zu ziehen; dies bedeute aber nicht, daß er die Fragen der Steuerschuldnerschaft und der Steuerhaftung nur im Rahmen der Struktur des Zivilrechts regeln und daß er dem Steuerfiskus keine bessere Stellung als einem Privatgläubiger einräumen dürfe, wenn – wie dies bei der Gewerbesteuer der Fall sei – die Eigenart des zu regelnden steuerlichen Rechtsgebiets dies zulasse.
III.
1. Mit seiner Verfassungsbeschwerde gegen das Urteil des Bundesfinanzhofs und die ihm vorausgegangenen Entscheidungen rügt der Beschwerdeführer eine Verletzung seiner Grundrechte aus Art. 2 Abs. 1 in Verbindung mit Art. 20 Abs. 2 und 3 und aus Art. 3 Abs. 1 GG. Zur Begründung macht er geltend, es sei Sinn und Zweck des § 171 HGB, den Kommanditisten, der seine Einlage voll geleistet habe, vor weiterer Inanspruchnahme zu schützen. In den angefochtenen Entscheidungen sei nicht beachtet worden, daß dieser Grundgedanke durch § 113 AO für das Steuerrecht übernommen worden sei. Deshalb sei § 5 Abs. 1 Satz 3 GewStG a. F. dahin auszulegen, daß neben der Gesellschaft als primärem Steuerschuldner einzelne Gesellschafter die Steuer nur akzessorisch schuldeten, wie dies in § 161 Abs. 2 in Verbindung mit § 128 HGB allgemein bestimmt sei. Bei dieser Auslegung seien die Voraussetzungen des § 113 AO und damit der Haftungsbeschränkung nach § 171 Abs. 1 HGB erfüllt.
Mit der entgegengesetzten Auslegung hätten die Steuergerichte unter Verstoß gegen Art. 2 Abs. 1 in Verbindung mit Art. 20 Abs. 2 und 3 GG selbständig steuerliche Tatbestände geschaffen.
Eine solche Auslegung sei gleichbedeutend damit, daß der Gesetzgeber des Steuerrechts in verfassungswidriger Weise von der Ordnungsstruktur des Zivilrechts abgewichen sei, indem er die Rechtsform der Kommanditgesellschaft ohne zwingenden Grund gerade an der Stelle durchbrochen habe, die ihre eigentliche rechtliche Bedeutung ausmache.
2. Der Bundesminister der Finanzen, der sich namens der Bundesregierung geäußert hat, hält die Verfassungsbeschwerde für unbegründet.
B.
Die Verfassungsbeschwerde ist nicht begründet. Gemäß § 94 Abs. 5 BVerfGG hat das Bundesverfassungsgericht von einer mündlichen Verhandlung abgesehen.
I.
1. Der Beschwerdeführer begehrt die Prüfung des § 5 Abs. 1 Satz 3 GewStG a. F. und dessen Auslegung durch den Bundesfinanzhof nur insoweit, als der Kommanditist in dem gleichen Umfang persönlicher Schuldner der Gewerbesteuer ist wie der persönlich haftende Gesellschafter und sich nicht auf die Haftungsbeschränkung des § 171 Abs. 1 HGB berufen kann.
2. Die Rechtsprechung geht bei der Auslegung des § 113 AO davon aus, daß diese Bestimmung nur zur Anwendung kommt, wenn die Gesellschaft als solche (allein oder primär) Steuerschuldner ist. Dies ist bei der Gewerbesteuer nicht der Fall. Wer eine Steuer schuldet, ergibt sich nicht aus der Abgabenordnung, sondern aus dem Einzelsteuergesetz. So wird die Kommanditgesellschaft u.a. zwar bei den Zöllen und Verbrauchsteuern, den Verkehrsteuern einschließlich der Umsatzsteuer und der Grundsteuer als Steuerschuldner angesehen. Dagegen sind nach § 5 Abs. 1 Satz 3 GewStG a. F. bei der Kommanditgesellschaft die Gesellschafter unmittelbar Gesamtschuldner (§ 7 Abs. 3 Steueranpassungsgesetz – StAnpG –) der Gewerbesteuer. Darin sieht der Bundesfinanzhof in ständiger Rechtsprechung entgegen der Auffassung des Beschwerdeführers nicht nur eine akzessorische Schuldnerschaft der Gesellschafter, sondern die Begründung einer unmittelbaren Steuerschuld, so daß die Tatbestandsvoraussetzungen des § 113 AO nicht erfüllt sind. Ob diese Auslegung des einfachen Rechts richtig ist, hat das Bundesverfassungsgericht nicht nachzuprüfen (BVerfGE 18, 85 [92); 21, 209 [216]). Mit ihr hat der Bundesfinanzhof die Grenzen seiner richterlichen Befugnisse nicht überschritten. Die Auslegung durch den Bundesfinanzhof ist mit dem Wortlaut vereinbar; sie entspricht auch der in der Amtlichen Begründung zum Gewerbesteuergesetz 1936 zum Ausdruck gekommenen Absicht des Gesetzgebers (RStBl. 1937 S. 693 f.), den Gemeinden als den Gläubigern der Gewerbesteuer eine erhöhte Sicherheit für das volle Aufkommen dieser für die Gemeinde besonders bedeutsamen Steuer zu bieten. Auch das Schrifttum vertritt überwiegend diese Auslegung. Sie ist deshalb nicht willkürlich.
II.
Es bleibt daher noch die Frage, ob § 5 Abs. 1 Satz 3 GewStG a. F. in dieser Auslegung mit Art. 3 GG in Widerspruch steht. Dies ist nicht der Fall.
1. Wegen der Eigenart des in erster Linie fiskalischen Zwecken dienenden Steuerrechts braucht der Gesetzgeber bei der Bestimmung der Steuerschuldnerschaft für die Gewerbesteuer nicht durchgängig an die bürgerlich-rechtliche Ordnung anzuknüpfen. Allerdings hat das Bundesverfassungsgericht – worauf der Beschwerdeführer hinweist – ausgesprochen, daß Privat- und Steuerrecht dort tiefgreifend verbunden sind, wo das Steuerrecht nicht nur an die gegebenen Lebensverhältnisse und damit auch an ihre bürgerlich-rechtliche Gestaltung und Ordnungsstruktur anknüpft, sondern den Steuergegenstand prinzipiell nach Rechtsformen des bürgerlichen Rechts bestimmt (BVerfGE 13, 331 [339 f.]); Flume, Smend-Festgabe, 1952, S. 59). Eine Abweichung von der bürgerlich-rechtlichen Ordnung sei in Fällen dieser Art von Verfassungs wegen nur aus überzeugenden Gründen gestattet. Dabei handelte es sich aber darum, daß der Gesetzgeber sich über die Rechtsnatur der juristischen Person hinweggesetzt hatte, obwohl sonst der Unterschied zwischen natürlicher und juristischer Person das Steuerrecht grundsätzlich beherrscht und der Gesetzgeber des Steuerrechts daran u. a. eine so einschneidende Folge wie die „Doppelbesteuerung” des Einkommens und des Vermögens anknüpft. Hier liegt ein solcher Fall nicht vor. Zwar bedeutet auch die erweiterte Inanspruchnahme des Kommanditisten eine Art Durchgriff durch die Rechtsform der Kommanditgesellschaft, da damit das Gefüge des Rechts der Kommanditgesellschaft an einer bedeutsamen Stelle durchbrochen wird (Bühler, Das Steuerrecht der Gesellschaften und Konzerne, 3. Aufl., 1956, S. 79). Dem Durchgriffsproblem kommt jedoch bei den Personengesellschaften eine weitaus geringere Bedeutung zu als bei den Kapitalgesellschaften, weil die Personengesellschaft von der Person der Gesellschafter nicht zu trennen ist. Das Steuerrecht trägt diesen Umständen Rechnung, indem es grundsätzlich zwischen einer Kapitalgesellschaft und ihren Gesellschaftern, nicht jedoch zwischen einer Personengesellschaft und ihren Gesellschaftern eine klare Grenze zieht (BVerfGE 13, 331 [339]; BFH, DB 1968 S. 830).
Gegen den Durchgriff bei der Kommanditgesellschaft bestehen um so weniger Bedenken, als das Handelsgesetzbuch in zwei Fällen selbst den Durchgriff zuläßt (§ 176 Abs. 1 und 2 HGB) und die Verbindlichkeiten der Gesellschaft zugleich als eigene Schulden der Gesellschafter angesehen werden (BGHZ 23, 302 [305]; 34, 293 [296]), für die nur zwei verschiedene Vermögensmassen haften (BGHZ 22, 240 [246]).
2. Die Inanspruchnahme des Kommanditisten ist auch sachlich hinreichend gerechtfertigt im Sinn der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts zur Durchbrechung eines vom Gesetzgeber selbst aufgestellten Systems (BVerfGE 18, 315 [334 mit weiteren Nachweisen]). Die Gewerbesteuer stellt auf die Leistungsfähigkeit des ganzen Gewerbebetriebes ab. Da der Kommanditist Mitunternehmer ist, braucht seine Schuldnerschaft für die Gewerbesteuer nicht auf seine Beteiligung begrenzt zu werden; es kann ihm auch das Betriebsergebnis voll zugerechnet werden, selbst wenn seine Einlage rein rechnerisch als verloren zu betrachten ist.
3. Die Schwere des Eingriffs gegen den Kommanditisten, der über die handelsrechtlichen Haftungsbeschränkungen hinaus in Anspruch genommen wird, wird einmal dadurch gemildert, daß die Gemeinde zwischen mehreren Gesamtschuldnern die Auswahl nach Recht und Billigkeit zu treffen hat (§ 7 Abs. 3, § 2 Abs. 2 StAnpG) und daß sie unbillige Härten, die sich etwa aus einem groben Mißverhältnis zwischen dem Umfang der Beteiligung und der Höhe der Steuer ergeben könnten, durch Steuererlaß nach § 131 AO ausgleichen kann.
Fundstellen
BVerfGE, 112 |
MDR 1968, 994 |