Verfahrensgang
OLG Hamm (Urteil vom 20.09.2000; Aktenzeichen 3 U 220/99) |
Tenor
- Das Urteil des Oberlandesgerichts Hamm vom 20. September 2000 – 3 U 220/99 – verletzt den Beschwerdeführer in seinem Grundrecht aus Artikel 1 Absatz 1 in Verbindung mit Artikel 2 Absatz 1 des Grundgesetzes. Es wird aufgehoben.
- Die Sache wird an das Oberlandesgericht Hamm zurückverwiesen.
- Das Land Nordrhein-Westfalen hat dem Beschwerdeführer die notwendigen Auslagen zu erstatten.
Gründe
I.
Der Beschwerdeführer war Lehrer für Deutsch und Sport an dem Gymnasium einer ostwestfälischen Kleinstadt. Der Direktor der Schule hatte im Jahr 1997 das Buch “Pestalozzis Erben” veröffentlicht, bei dem es sich um eine satirische Darstellung des Schulalltags an einem Kleinstadtgymnasium aus Sicht des Schulleiters handelt; der Beschwerdeführer sowie einer seiner ehemaligen Kollegen führten vor dem Landgericht Bielefeld einen Rechtsstreit gegen Autor und Verlag des Buches. Wenige Tage vor dem Termin zur mündlichen Verhandlung veröffentlichte die von der Beklagten des Ausgangsverfahrens (im Folgenden: Beklagte) herausgegebene Bild-Zeitung in ihrer Ausgabe vom 18. Juni 1998 einen Artikel unter der Überschrift “der Lehrerkrieg von Bielefeld”, in welchem über Autor, Buch und Rechtsstreit berichtet wurde. Darin heißt es unter anderem:
Aber seinen Lehrern verging der Humor: Zwei wollen jetzt Einhunderttausend Mark Schmerzensgeld, nächste Woche Prozess. In diesen Passagen wollen sie sich wiedererkannt haben. Z. B. ein Deutschlehrer: “Er hatte dem Oberschulrat mit Handgreiflichkeiten gedroht. Die Diagnose des eingeschalteten Amtsarztes lautet auf Paranoia”…
Von den beiden Klägern war nur der Beschwerdeführer Deutschlehrer. In dem Buch bezieht sich die Passage über die dem Oberschulrat angedrohten Handgreiflichkeiten und die diagnostizierte Paranoia nicht auf die Figur “Zuche”, die zahlreiche Ähnlichkeiten mit der Person des Beschwerdeführers aufweist, sondern auf einen Dortmunder Lehrer. Der Beschwerdeführer verlangte von der Beklagten eine Richtigstellung, die diese ablehnte.
Das Landgericht Bielefeld verurteilte die Beklagte zur Zahlung einer Geldentschädigung in Höhe von 15.000 DM sowie zur Unterlassung der Verbreitung der Aussage; im Übrigen wurde die weitergehende Klage, die auf Zahlung eines höheren Entschädigungsbetrags sowie Unterlassung einer weiteren Aussage gerichtet war, abgewiesen. Der Anspruch des Beschwerdeführers ergebe sich aus § 823 BGB in Verbindung mit Art. 1 und 2 GG, da sein Persönlichkeitsrecht durch den Zeitungsartikel schwer verletzt sei und sich die erlittene Beeinträchtigung nicht in anderer Weise befriedigend ausgleichen lasse. Er sei für alle, die über den Rechtsstreit, über den berichtet worden sei, und die beteiligten Personen einigermaßen unterrichtet gewesen seien, klar identifizierbar gewesen. Der Artikel gebe den Inhalt des Buchs falsch wieder, da sich die Passage über den Lehrer, der dem Oberschulrat mit Handgreiflichkeiten gedroht hatte und bei dem eine Paranoia diagnostiziert wurde, nicht auf die Buchfigur Oswald Zuche, sondern auf einen namentlich unbekannten Lehrer aus Dortmund beziehe. Der Leser könne aber den Artikel nur so verstehen, dass der Beschwerdeführer sich darin wiedererkannt habe, was voraussetze, dass es sich bei ihm um die Person handele, bei der Paranoia diagnostiziert worden sei. Da die Verknüpfung einer Person mit einer psychischen Krankheit in der Gesellschaft nach wie vor als schwere Abstempelung angesehen werde, handele es sich um eine schwere Persönlichkeitsrechtsverletzung. Diese lasse sich nicht auf andere Weise befriedigend ausgleichen, weil sich der Beschwerdeführer gegen die Falschmeldung kaum öffentlich wehren könne, da dies als paranoiatypisch angesehen werden würde.
Das Oberlandesgericht änderte das Urteil durch die angegriffene Berufungsentscheidung dahingehend ab, dass die Verurteilung zur Zahlung eines Geldbetrags nebst Zinsen entfiel, während es bei der Unterlassungsverurteilung blieb. Der in der fehlerhaften Berichterstattung liegende rechtswidrige Eingriff in das Persönlichkeitsrecht des Beschwerdeführers begründe nicht die Zuerkennung einer Geldentschädigung. Zum einen sei dem Artikel an zwei Stellen deutlich zu entnehmen, dass über eine satirische Abhandlung berichtet werde; in diesem Zusammenhang sei auch das Zitat zu sehen. Zum anderen sei nicht auszuschließen, dass es zu dem fehlerhaften Zitat nur auf Grund eines geringfügigen Versehens gekommen sei. So sei unter anderem von dem Beschwerdeführer in der Person der Buchfigur Zuche auf Seite 60 des Buches die Rede. Das den Dortmunder Lehrer betreffende Geschehen sei in dem Buch kurz danach, nämlich auf Seite 61, niedergelegt. Es bestehe zwar der Verdacht, dass die in Rede stehende Passage auf Grund der damit verbundenen Sensation in die Berichterstattung hineingelangt sein könnte, dieser habe jedoch nicht erhärtet werden können.
Der Beschwerdeführer rügt eine Verletzung seines allgemeinen Persönlichkeitsrechts aus Art. 1 Abs. 1 in Verbindung mit Art. 2 Abs. 1 GG.
Die Landesregierung von Nordrhein-Westfalen hatte Gelegenheit zur Stellungnahme. Die Beklagte hält die Verfassungsbeschwerde für unbegründet.
II.
Die Verfassungsbeschwerde wird zur Entscheidung angenommen, weil dies zur Durchsetzung der Rechte des Beschwerdeführers angezeigt ist. Die Voraussetzungen für eine stattgebende Kammerentscheidung liegen vor (§ 93c BVerfGG).
Die angegriffene Entscheidung verletzt den Beschwerdeführer in seinem allgemeinen Persönlichkeitsrecht aus Art. 1 Abs. 1 in Verbindung mit Art. 2 Abs. 1 GG.
1. Das in Art. 2 Abs. 1 in Verbindung mit Art. 1 Abs. 1 GG verankerte allgemeine Persönlichkeitsrecht ergänzt die im Grundgesetz normierten Freiheitsrechte und gewährleistet die engere persönliche Lebenssphäre und die Erhaltung ihrer Grundbedingungen (vgl. BVerfGE 72, 155 ≪170≫). Es umfasst den Schutz der persönlichen Ehre (vgl BVerfGE 54, 208 ≪217≫; 93, 266 ≪290≫). Aus dem allgemeinen Persönlichkeitsrecht folgt eine Verpflichtung der staatlichen Gewalt, dem Einzelnen die Entfaltung seiner Persönlichkeit zu ermöglichen (vgl. BVerfGE 35, 202 ≪220 f.≫, 63, 131 ≪142 f.≫; 96, 56 ≪64≫). Auch das allgemeine Persönlichkeitsrecht entfaltet direkte Wirkung nur gegenüber dem Staat. Dieser ist aber grundrechtlich gehalten, den Einzelnen vor Persönlichkeitsgefährdungen durch Dritte zu schützen (vgl. BVerfGE 73, 118 ≪210≫; 97, 125 ≪146≫; 99, 185 ≪194 f.≫). Auf diesen Schutzauftrag geht auch der von den Zivilgerichten entwickelte Anspruch auf Ausgleich des immateriellen Schadens bei Persönlichkeitsrechtsverletzungen zurück (vgl. BVerfGE 34, 269 ≪285 f.≫; BVerfG, 1. Kammer des Ersten Senats, NJW 2000, S. 2187; vgl. auch BGHZ 35, 363 ≪363 f.≫; 128, 1 ≪15≫).
Die Entscheidung, wie der grundrechtliche Schutzauftrag zu erfüllen ist, bleibt grundsätzlich dem Gesetzgeber und in der Auslegung und Anwendung der Gesetze den Fachgerichten überlassen. Soweit die Gerichte Normen anwenden, die dem Schutz des allgemeinen Persönlichkeitsrechts dienen, haben sie die grundrechtlichen Maßgaben zu beachten. Verfehlen sie diese, liegt darin nach der ständigen Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts nicht nur eine Verletzung objektiven Verfassungsrechts, sondern auch ein Verstoß gegen die Grundrechte des Betroffenen (vgl. BVerfGE 7, 198 ≪206 f.≫; 99, 185 ≪195≫). Dementsprechend ist die grundrechtliche Fundierung des Entschädigungsanspruchs bei einer Verletzung des allgemeinen Persönlichkeitsrechts in der zivilgerichtlichen Entscheidung sowohl bei der Frage, ob eine schwere Persönlichkeitsrechtsverletzung vorliegt, als auch bei der Frage nach einer anderweitigen Genugtuungsmöglichkeit zu berücksichtigen.
Diesen Anforderungen genügt die angegriffene Entscheidung nicht.
a) Die Erwägung des Oberlandesgerichts, eine Geldentschädigung komme nicht in Betracht, weil dem Artikel deutlich zu entnehmen sei, dass über eine satirische Abhandlung berichtet werde, hält einer verfassungsrechtlichen Überprüfung nicht stand. Der Zeitungsartikel lässt, wie das Landgericht festgestellt hat, bei den Lesern den Eindruck entstehen, der Beschwerdeführer habe sich in der satirischen Darstellung durch seinen Schulleiter deshalb wiedererkannt, weil er selbst einmal einem Oberschulrat mit Handgreiflichkeiten gedroht und ein Amtsarzt bei ihm Paranoia festgestellt habe. Dass diese – unzutreffenden – Behauptungen in einem Artikel enthalten sind, der über eine satirische Darstellung berichtet, ist für die verfassungsrechtliche Bewertung ohne Belang. Nicht der satirische Roman, sondern der in der Zeitung der Beklagten erschienene Artikel enthält die das Persönlichkeitsrecht des Beschwerdeführers verletzenden Behauptungen. Der angegriffene Artikel selbst ist nicht als Satire formuliert, sondern gibt vor, eine Darstellung des Prozessgeschehens und seines Hintergrunds zu liefern.
b) Das angegriffene Urteil wird dem Grundrechtsschutz des allgemeinen Persönlichkeitsrechts auch insofern nicht gerecht, als das Oberlandesgericht die Zuerkennung einer Geldentschädigung zusätzlich deshalb nicht für erforderlich hält, weil nicht auszuschließen sei, dass es zu dem fehlerhaften Zitat “nur auf Grund eines geringfügigen Versehens” gekommen sei. Dabei verkennt es, dass die Schwere der über den Beschwerdeführer aufgestellten abträglichen Behauptungen auf die Anforderungen an die Sorgfalt zurückwirkt. Je stärker die Äußerung die Rechtsposition des durch sie betroffenen Dritten beeinträchtigt, desto höher ist der Sorgfaltsmaßstab (vgl. BVerfG, 1. Kammer des Ersten Senats, NJW 2004, S. 589 ≪590≫).
Die Persönlichkeitsverletzung des Beschwerdeführers wiegt schwer. Ein Presseorgan, das derart nachteilige Unterstellungen über eine Person verbreitet, hat die zu Grunde liegenden Tatsachen besonders sorgfältig aufzuklären. Die erforderliche Aufklärung wäre vorliegend überdies besonders einfach gewesen. Durch eine bloße Lektüre der Seiten 60 bis 61 des Buches hätte ohne Schwierigkeiten festgestellt werden können, dass dort über insgesamt drei Personen berichtet wird, nämlich über die Personifizierung des Beschwerdeführers in Gestalt der Figur Zuche, über einen weiteren Lehrer namens Albers und schließlich über einen Lehrer aus Dortmund, dem wiederum die Androhung gegenüber dem Oberschulrat und die Paranoia zugeschrieben werden.
2. Das angegriffene Urteil beruht auf dem Verfassungsverstoß. Es ist nicht auszuschließen, dass das Oberlandesgericht dem Beschwerdeführer eine Geldentschädigung zugesprochen hätte, wenn es sich mit den an die Beklagte zu stellenden Sorgfaltsanforderungen hinreichend auseinander gesetzt und den Zusammenhang mit dem satirischen Roman, über den unter anderem berichtet wurde, nicht fehlgewertet hätte.
3. Die Entscheidung über die Erstattung der Auslagen beruht auf § 34a Abs. 2 BVerfGG.
Diese Entscheidung ist unanfechtbar.
Unterschriften
Papier, Hohmann-Dennhardt, Hoffmann-Riem
Fundstellen
Haufe-Index 1479218 |
NJW 2006, 595 |
ZUM-RD 2006, 165 |