Tenor
Die Verfassungsbeschwerde wird nicht zur Entscheidung angenommen.
Tatbestand
I.
Der Beschwerdeführer wendet sich in erster Linie mit der Rüge einer Verletzung von Art. 33 Abs. 5 GG unmittelbar gegen den in Art. 1 des Gesetzes zur sozialen Absicherung des Risikos der Pflegebedürftigkeit (Pflege-Versicherungsgesetz – PflegeVG) vom 26. Mai 1994 (BGBl I S. 1014 ff.) enthaltenen § 23 Abs. 1, 3 und 4 SGB XI. Nach dieser Vorschrift ist der Beschwerdeführer als heilfürsorge- und beihilfeberechtigter Beamter verpflichtet, sich bei einem privaten Krankenversicherungsunternehmen zur Absicherung des Risikos der Pflegebedürftigkeit anteilig beihilfekonform zu versichern.
Entscheidungsgründe
II.
Die Annahmevoraussetzungen nach § 93a Abs. 2 BVerfGG liegen nicht vor. Die Annahme der Verfassungsbeschwerde, der keine grundsätzliche verfassungsrechtliche Bedeutung zukommt, ist mangels hinreichender Aussicht auf Erfolg nicht im Sinn von § 93a Abs. 2 Buchstabe b BVerfGG zur Durchsetzung der als verletzt bezeichneten Verfassungsrechte angezeigt (vgl. BVerfGE 90, 22 ≪25 f.≫).
1. Der Zulässigkeit der Verfassungsbeschwerde steht der Grundsatz der Subsidiarität nicht entgegen, soweit der Beschwerdeführer sich gegen die Versicherungspflicht als solche wendet.
Der in § 90 Abs. 2 Satz 1 BVerfGG zum Ausdruck gekommene und dieser Vorschrift zugrunde liegende Grundsatz der Subsidiarität der Verfassungsbeschwerde verpflichtet den Beschwerdeführer, vor einer Anrufung des Bundesverfassungsgerichts grundsätzlich die Fachgerichte mit seinem Anliegen zu befassen. Dies gilt nicht nur dann, wenn das Gesetz einen Auslegungs- oder Entscheidungsspielraum offen lässt (BVerfGE 43, 291 ≪387≫), sondern auch, wenn ein solcher Spielraum fehlt (BVerfGE 58, 81 ≪104 f.≫; 72, 39 ≪43 ff.≫). Die mit der Anrufung der Fachgerichte verbundene umfassende gerichtliche Vorprüfung soll bewirken, dass dem Bundesverfassungsgericht ein regelmäßig in mehreren Instanzen geprüftes Tatsachenmaterial unterbreitet und ihm die Fallanschauung und Rechtsauffassung der Fachgerichte vermittelt werden (BVerfGE 69, 122 ≪125≫). Das Bundesverfassungsgericht soll nicht in die Gefahr geraten, auf ungesicherter Tatsachen- und Rechtsgrundlage weit reichende Entscheidungen zu treffen (BVerfGE 79, 1 ≪20≫).
Unter dem Gesichtspunkt der Subsidiarität der Verfassungsbeschwerde kann allerdings nicht verlangt werden, dass ein Betroffener vor der Erhebung der Verfassungsbeschwerde gegen eine straf- oder bußgeldbewehrte Rechtsnorm zunächst eine Zuwiderhandlung begeht, um dann im Straf- oder Bußgeldverfahren die Verfassungswidrigkeit der Norm geltend zu machen (BVerfGE 81, 70 ≪82 f.≫).
Daran gemessen ist die Verfassungsbeschwerde zulässig, soweit sie die nach Maßgabe des § 112 Abs. 1 Nr. 1, Abs. 2 SGB XI bußgeldbewehrte gesetzliche Versicherungspflicht als solche angreift.
2. Der Beschwerdeführer ist durch sie aber nicht in seinen aus Art. 33 Abs. 5 GG abzuleitenden grundrechtsgleichen Rechten auf amtsangemessene Alimentation und auf Fürsorge des Dienstherrn verletzt.
a) Das Alimentationsprinzip verpflichtet den Gesetzgeber, für den Unterhalt des Beamten und seiner Familie zu sorgen. Dabei hat er die Alimentation so zu bemessen, dass sie nach Dienstrang, Bedeutung und Verantwortung des Amtes und entsprechend der Entwicklung der allgemeinen wirtschaftlichen und finanziellen Verhältnisse angemessenen Lebensunterhalt gewährt (stRspr, vgl. BVerfGE 16, 94 ≪115≫; 81, 363 ≪375≫; 83, 89 ≪98≫; 99, 300 ≪314 f.≫). Art. 33 Abs. 5 GG räumt dem Gesetzgeber in der Frage, welcher Lebensunterhalt angemessen ist, ein weit gehendes Ermessen ein (vgl. BVerfGE 8, 1 ≪22 f.≫; 58, 68 ≪78≫; 81, 363 ≪375 f.≫).
aa) Das gegenwärtige System der Beihilfegewährung gehört nicht zu den hergebrachten Grundsätzen des Berufsbeamtentums und könnte jederzeit geändert werden, ohne dass Art. 33 Abs. 5 GG berührt wäre. Dementsprechend besteht auch keine spezielle verfassungsrechtliche Verpflichtung, den Beamten und Versorgungsempfängern für Krankheitsfälle und Ähnliches Unterstützung gerade in Form von Beihilfen im Sinne der Beihilfevorschriften oder gar von solchen Beihilfen in bestimmter Höhe zu gewähren (vgl. BVerfGE 58, 68 ≪77 f.≫; 79, 223 ≪235≫; 83, 89 ≪98≫). Eine solche Pflicht ist auch nicht aus dem vom Gesetz- und Verordnungsgeber zu beachtenden hergebrachten Grundsatz des Berufsbeamtentums herzuleiten, wonach der Dienstherr den Beamten bzw. Versorgungsempfänger und seine Familie amtsangemessen zu alimentieren hat. Die beamtenrechtliche Alimentation wäre erst dann nicht mehr ausreichend, wenn die zur Abwendung von krankheitsbedingten Belastungen erforderlichen Krankenversicherungsprämien einen solchen Umfang erreichten, dass der angemessene Lebensunterhalt des Beamten oder Versorgungsempfängers nicht mehr gewährleistet wäre. Bei einer solchen Sachlage wäre verfassungsrechtlich nicht eine Anpassung der nicht verfassungsverbürgten Beihilfesätze, sondern eine entsprechende Korrektur der Besoldungs- und Versorgungsgesetze, die das Alimentationsprinzip konkretisieren, geboten (vgl. BVerfGE 58, 68 ≪77 f.≫; 83, 89 ≪98≫).
bb) Kraft seiner Fürsorgepflicht muss der Dienstherr Vorkehrungen treffen, dass der amtsangemessene Lebensunterhalt des Beamten bei Eintritt besonderer finanzieller Belastungen durch Krankheits-, Geburts- oder Todesfälle nicht gefährdet wird. Ob er dieser Pflicht über eine entsprechende Bemessung der Dienstbezüge, über Sachleistungen, Zuschüsse oder in sonst geeigneter Weise Genüge tut, bleibt von Verfassungs wegen seiner Entscheidung überlassen. Entscheidet sich der Dienstherr, seiner Fürsorgepflicht durch die Eigenvorsorge des Beamten ergänzende Beihilfen nachzukommen, so muss er sicherstellen, dass der Beamte nicht mit erheblichen Aufwendungen belastet bleibt. Der Dienstherr darf somit die Beihilfe, da er sie als eine die Eigenvorsorge ergänzende Leistung konzipiert hat, nicht ohne Rücksicht auf die vorhandenen Versicherungsmöglichkeiten ausgestalten. Eine in Ergänzung der zumutbaren Eigenvorsorge lückenlose Erstattung jeglicher Aufwendungen verlangt die Fürsorgepflicht nicht (vgl. BVerfGE 83, 89 ≪100 f.≫).
b) Gemessen an diesen Grundsätzen gilt hier Folgendes:
Soweit der Beschwerdeführer sich auf das Alimentationsprinzip beruft, bedeutet die auch für Beihilfeberechtigte statuierte Pflicht zum Abschluss eines privaten Pflegeversicherungsvertrages nicht – auch nicht mittelbar – eine unzulässige Regelung der Beamtenalimentation. Der Gesetzgeber hat mit der Pflegeversicherung eine im Grundsatz alle Bürger erfassende Volksversicherung eingerichtet, um die für die Pflegehilfe notwendigen Mittel auf der Grundlage einer Pflichtversicherung sicherzustellen. Dies ist vom Bundesverfassungsgericht mit Urteil vom 3. April 2001 – 1 BvR 2014/95 – (NJW 2001, S. 1709; demnächst in BVerfGE 103, 197) gebilligt worden. Zwar hat der Beamte die Versicherungsprämien für diese neu eingeführte Pflichtversicherung aus seinen Besoldungs- oder Versorgungsbezügen zu tragen. Es wird indessen nicht substantiiert dargelegt und ist auch nicht ersichtlich, dass die erforderlichen Pflegeversicherungsprämien einen solchen Umfang erreichten, dass der amtsangemessene Lebensunterhalt nicht mehr gewährleistet wäre. Zudem würde in diesem Fall nicht das PflegeVG gegen Art. 33 Abs. 5 GG verstoßen, vielmehr wäre verfassungsrechtlich eine Korrektur der Besoldungs- und Versorgungsgesetze, die das Alimentationsprinzip konkretisieren, geboten.
Die Fürsorgepflicht des Dienstherrn wird durch das PflegeVG nicht berührt. Die Fürsorgepflicht betrifft in erster Linie die Leistungsseite im Krankheits- bzw. hier im Pflegefall. Adressat ist der Dienstherr, der verpflichtet ist, das Beihilferecht nicht ohne Rücksicht auf die neu eingeführte Pflegeversicherung auszugestalten. Die beihilferechtlichen Regelungen, die an das neue PflegeVG angepasst worden sind (vgl. auf Bundesebene die Allgemeine Verwaltungsvorschrift zur Änderung der Beihilfevorschriften vom 29. Dezember 1994 ≪GMBl 1995 S. 51≫), stehen vorliegend jedoch nicht auf dem Prüfstand.
3. Ein Verstoß gegen das Prinzip der Vorsorgefreiheit lässt sich ebenfalls nicht feststellen.
Der beamtenrechtliche Grundsatz der Vorsorgefreiheit besagt, dass der Beamte in der Wahl seiner Krankenvorsorge frei ist, also in eigener Verantwortung darüber entscheidet, in welchem Umfang, bei welchem Versicherungsunternehmen, zu welchen Versicherungsbedingungen und mit welcher eigenen Beitragsverpflichtung er Vorsorge treffen (BVerwGE 28, 174 ≪176≫) oder ob er anstelle einer Versicherung Rücklagen für den Krankheitsfall bilden will (BVerwGE 20, 44 ≪51≫).
Die vom Bundesverfassungsgericht bisher offen gelassene Frage, ob dieses Prinzip zu den hergebrachten Grundsätzen des Berufsbeamtentums gehört (vgl. BVerfGE 79, 223 ≪232≫; 83, 89 ≪105≫), bedarf auch vorliegend keiner Entscheidung.
Sollte der Grundsatz der Vorsorgefreiheit zu den hergebrachten Grundsätzen des Berufsbeamtentums gehören, so bezöge er sich jedenfalls allein auf die Krankenvorsorge, nicht hingegen auf die Vorsorge für den Pflegefall. Das Risiko der Pflegebedürftigkeit wurde erst im Laufe der letzten Jahrzehnte aufgrund des Alterungsprozesses der Bevölkerung – Anstieg der Lebenserwartung bei gleichzeitig sinkenden Geburtenzahlen – von einem Einzelschicksal zu einem allgemeinen Lebensrisiko, welches aufgrund der veränderten familiären Strukturen anders als früher im Regelfall nicht mehr in der Familie bewältigt werden kann. Die öffentliche Diskussion über eine bessere soziale Absicherung bei Pflegebedürftigkeit begann 1974 mit einem Gutachten des Kuratoriums Deutsche Altershilfe über die stationäre Behandlung von Krankheiten im Alter, dem 1976 die ersten Vorschläge des Deutschen Vereins für öffentliche und private Fürsorge sowie ein Vorschlag der Arbeiterwohlfahrt folgten (vgl. auch dazu Urteil des Ersten Senats des Bundesverfassungsgerichts vom 3. April 2001 – 1 BvR 2014/95 –, demnächst in BVerfGE 103, 197 ff.).
Nach dem Grundsatz der Vorsorgefreiheit bleibt es dem Beamten auch überlassen, ob er sich überhaupt für den Abschluss eines privaten Krankenversicherungsvertrages zur vollen oder teilweise Deckung etwaiger Krankheitskosten entschließt oder aber für diesen Fall durch die Bildung eigener Rücklagen Vorsorge trifft. Allerdings verbürgt ein etwa bestehender verfassungsrechtlicher Grundsatz der Vorsorgefreiheit dem Beamten nicht auch die Freiheit, hinsichtlich des Krankheitsrisikos schlechterdings keinerlei Vorsorge zu treffen (vgl. BVerfGE 79, 223 ≪234≫). Angesichts der immensen Höhe der im Pflegefall entstehenden Aufwendungen und der mangelnden Bereitschaft der Bevölkerung zur Eigenvorsorge durfte der Gesetzgeber die Vorsorgefreiheit durch Einführung der Versicherungspflicht einschränken. Der mit der gesetzlichen Verpflichtung zum Abschluss eines privaten Pflegeversicherungsvertrages verbundene Eingriff in die Vorsorgefreiheit wahrt ebenso wie der Eingriff in die durch Art. 2 Abs. 1 GG geschützte Vertragsfreiheit (vgl. dazu Urteil des Ersten Senats des Bundesverfassungsgerichts vom 3. April 2001 – 1 BvR 2014/95 –, NJW 2001, S. 1709 ≪1711 f.≫) den Grundsatz der Verhältnismäßigkeit.
4. Durch das Urteil des Ersten Senats des Bundesverfassungsgerichts vom 3. April 2001 – 1 BvR 2014/95 – (a.a.O., S. 1710) ist auch geklärt, dass sich die Regelungen des SGB XI über die private Pflege-Pflichtversicherung im Rahmen der Gesetzgebungszuständigkeit nach Art. 74 Abs. 1 Nr. 11 GG halten.
Von einer weiteren Begründung wird abgesehen (§ 93d Abs. 1 Satz 3 BVerfGG).
Diese Entscheidung ist unanfechtbar.
Unterschriften
Sommer, Broß, Mellinghoff
Fundstellen
Haufe-Index 1267274 |
DStR 2001, 2224 |
DStR 2002, 1365 |
NJW 2002, 1867 |
NWB 2001, 3639 |
NVwZ 2002, 463 |
ZBR 2002, 351 |
AuA 2001, 566 |
DÖD 2002, 25 |
JuS 2002, 934 |
NZS 2002, 87 |
VersR 2002, 1094 |
ZfPR 2003, 81 |
BayVBl. 2002, 144 |
DVBl. 2002, 114 |
NPA 2002, 0 |
NordÖR 2001, 477 |
AuS 2001, 69 |
FSt 2002, 240 |