Tenor
Der Antrag wird verworfen.
Tatbestand
A.
Gegenstand des Landesorganstreitverfahrens gemäß Art. 93 Abs. 1 Nr. 4, 3. Fall GG ist die Frage, ob der Sächsische Landtag ein Gesetz erlassen durfte, gemäß dem der Ersatz von Aufwendungen für die Beschäftigung von Abgeordneten- und Fraktionsmitarbeitern davon abhängig gemacht wird, daß diese Mitarbeiter sich auf eine frühere Tätigkeit für das Ministerium für Staatssicherheit/Amt für Nationale Sicherheit (MfS/AfNS) der DDR überprüfen lassen und sich dabei keine Erkenntnisse ergeben, die bei einem Arbeitnehmer im öffentlichen Dienst eine außerordentliche Kündigung rechtfertigen.
I.
1. In seiner ersten Sitzung beschloß der Sächsische Landtag am 27. Oktober 1990 das Gesetz zur Herstellung der Arbeitsfähigkeit des Sächsischen Landtages und der Sächsischen Landesregierung (Vorschaltgesetz), das als vorläufiges Organisationsstatut bis zum Inkrafttreten der Sächsischen Verfassung am 6. Juni 1992 galt. Dieses Gesetz enthielt zum Status und zur Ausstattung der Landtagsabgeordneten folgende Regelungen:
§ 2
(1)
Die Abgeordneten sind Vertreter des ganzen Volkes. Bei der Ausübung ihres Amtes sind sie nur ihrem Gewissen unterworfen und an Aufträge und Weisungen nicht gebunden.
(2)
…
§ 3
Die Abgeordneten haben Anspruch auf eine angemessene, ihre Unabhängigkeit sichernde Entschädigung. …
Der Anspruch wurde durch das Gesetz über die Rechtsverhältnisse der Mitglieder des Sächsischen Landtages – Abgeordnetengesetz (AbgG) – vom 26. Februar 1991 (SächsGVBl S. 44) konkretisiert. Danach erhalten die Mitglieder des Landtages unter anderem eine Aufwandsentschädigung (§ 6 AbgG) zur Abgeltung ihrer durch das Mandat veranlaßten Aufwendungen. Der den Aufwand für die Beschäftigung von Mitarbeitern regelnde § 6 Abs. 4 AbgG erhielt durch das Zweite Gesetz zur Änderung des Gesetzes über die Rechtsverhältnisse der Mitglieder des Sächsischen Landtages – Abgeordnetengesetz – vom 8. Januar 1992 (SächsGVBl 1992 S. 1) folgende Fassung:
§ 6
Aufwandsentschädigung
…
(4) Mitglieder des Landtages erhalten für die Beschäftigung von Mitarbeitern Aufwendungsersatz nach Maßgabe des Haushaltsgesetzes und der Ausführungsbestimmungen, die vom Präsidium zu erlassen sind. Ersatzfähig sind nur Aufwendungen für die Beschäftigung von Mitarbeitern,
1. die die “Persönliche Erklärung” (Anlage I dieses Gesetzes) an das Präsidium abgegeben haben und
2. bei denen sich keine Erkenntnisse ergeben, die eine außerordentliche Kündigung eines Mitarbeiters des Sächsischen Landtages rechtfertigen würden.
Die Feststellungen hierüber trifft das Präsidium unter Abwägung aller Umstände. Die Sätze 1 bis 3 gelten entsprechend, soweit den Fraktionen vom Landtag Aufwendungen für Mitarbeiter erstattet werden.
…
Die mit der Gesetzesnovelle in das Abgeordnetengesetz eingeführte Überprüfung der Mitarbeiter hatte zuvor auf einer Ergänzung vom 30. Oktober 1991 zu den Ausführungsbestimmungen des Präsidiums vom 29. Mai 1991 beruht. Nach den Ausführungsbestimmungen gehören die Mitarbeiter der Abgeordneten und Fraktionen nicht dem öffentlichen Dienst an und stehen in keiner Rechtsbeziehung zum Landtag.
2. Die Antragstellerin zu 1. war Fraktion, der Antragsteller zu 2. Abgeordneter des ersten Sächsischen Landtages. Die Fraktion stellte neun Mitarbeiter in ihrer Geschäftsstelle ein. Die Mitglieder der Antragstellerin zu 1. beschäftigten im Rahmen einer Arbeitsgemeinschaft 15 Mitarbeiter und beauftragten den Antragsteller zu 2. mit der laufenden Geschäftsführung. Alle Mitarbeiter bis auf eine gaben nach Einleitung des Organstreits die persönliche Erklärung mit dem Zusatz ab, daß die Rechtmäßigkeit der Regelung durch das Bundesverfassungsgericht bestätigt werden müsse. Eine Mitarbeiterin der Antragstellerin zu 1. verweigerte bis zum 2. Juni 1992 die geforderte Erklärung. Der Landtag behielt den zunächst für die Monate März bis Mai unter Vorbehalt ausbezahlten Aufwandsersatz für diese Mitarbeiterin in Höhe von 13.102,59 DM im Wege der Aufrechnung ein.
II.
1. Mit ihrem gegen den Sächsischen Landtag und den Präsidenten des Sächsischen Landtages gerichteten, am 9. Januar 1992 eingegangenen Antrag wenden sich die Antragsteller gegen die Neufassung des § 6 Abs. 4 AbgG durch das Zweite Gesetz zur Änderung dieses Gesetzes vom 8. Januar 1992. Sie machen im wesentlichen geltend, die Regelung verstoße gegen das Recht der Abgeordneten und Fraktionen, über die Auswahl, die Einstellung und die Weiterbeschäftigung ihrer Mitarbeiter frei zu entscheiden. Sie rügen die Verletzung der Freiheit des Abgeordnetenstatus sowie des Anspruchs auf eine angemessene, die Unabhängigkeit sichernde Entschädigung (Art. 48 Abs. 3 Satz 1 und 3 GG). Weder der Status des Abgeordneten noch derjenige des Mitarbeiters sei beamtenrechtlich oder öffentlichrechtlich konstituiert. Die von § 6 Abs. 4 AbgG bezweckte Gleichstellung mit dem öffentlichen Dienst sei mit Art. 38 Abs. 1 Satz 2 GG nicht vereinbar.
2. Die Antragsgegner halten den Antrag für unzulässig, soweit er sich gegen den Präsidenten des Sächsischen Landtages richtet. Im übrigen sei der Antrag unbegründet. Der Zweck der Regelung liege darin, zur Wahrung der Funktions- und Arbeitsfähigkeit des Landtages die Mitarbeiter der Abgeordneten und Fraktionen unter dem speziellen Aspekt der möglichen Verstrickung in das Unrechtssystem der früheren DDR daraufhin zu überprüfen, ob sie die nötige Gewähr bieten, sich zur freiheitlichen demokratischen Grundordnung im Sinne des Grundgesetzes zu bekennen und die Sicherheit des Landtages nicht zu gefährden. Darüber hinaus sei die angegriffene Regelung dadurch gerechtfertigt, daß es sich bei dem Aufwendungsersatz um Mittel aus dem Haushalt des Landtages handele und auch hier der im Einigungsvertrag zum Ausdruck kommende Grundsatz gelte, daß Bedienstete nicht aus öffentlichen Mitteln bezahlt werden sollen, wenn sie in der dort genannten Art und Weise in das Unrechtsregime der früheren DDR verstrickt waren.
Entscheidungsgründe
B.
Der Antrag ist unzulässig.
- Im Verfahren gegen den Antragsgegner zu 2. ist der Organstreit unzulässig, weil die gerügte Maßnahme, die Verabschiedung des Zweiten Gesetzes zur Änderung des Abgeordnetengesetzes, nur vom Antragsgegner zu 1. ausgegangen ist (vgl. BVerfGE 84, 304 ≪320 f.≫; 86, 65 ≪70≫).
Der Antrag ist auch im übrigen unzulässig. Die Frage, ob die Antragsteller mit Ablauf der 1. Wahlperiode des Sächsischen Landtages die Parteifähigkeit verloren haben, kann dahinstehen. Jedenfalls fehlt das im Organstreitverfahren erforderliche Rechtsschutzbedürfnis (vgl. BVerfGE 62, 1 ≪33≫; 67, 100 ≪127≫; 68, 1 ≪77≫; 87, 207 ≪208 f.≫). Abzustellen ist gemäß Art. 93 Abs. 1 Nr. 4, 3. Fall GG auf das objektive Interesse an der Klärung der öffentlichrechtlichen Streitigkeit.
Ein solches objektives Interesse an der Klärung der Frage, ob der Erlaß des § 6 Abs. 4 AbgG wegen seines Einflusses auf die freie Auswahl der Mitarbeiter die Antragsteller in ihren verfassungsmäßigen Rechten verletzt hat, besteht nicht mehr. Denn zum einen hat sich der verfassungsrechtliche Maßstab geändert (a), zum anderen gehören die zu überprüfende Maßnahme und ihre tatsächlichen Grundlagen der Vergangenheit an (b). Losgelöst von der historischen Situation des Ausgangsfalls kommt der hier aufgeworfenen Frage für das künftige Verfassungsleben keine Bedeutung mehr zu.
a) Der Senat hätte die angegriffene Maßnahme am Maßstab des sogenannten Vorschaltgesetzes zu überprüfen, das als vorläufiges Organisationsstatut nur bis zum Inkrafttreten der Sächsischen Verfassung am 6. Juni 1992 galt. Auch ist inzwischen der Sächsische Verfassungsgerichtshof berufen, auf die Landesverfassung bezogene Streitigkeiten zu entscheiden.
b) Streitgegenstand ist das zwischen dem Antragsteller und dem Antragsgegner bestehende verfassungsrechtliche Verhältnis zum Zeitpunkt der angegriffenen Maßnahme. Auch der Erlaß eines Gesetzes kann eine solche Maßnahme sein, wenn es im Widerspruch zu Verfassungsnormen steht und dadurch Rechte eines Beteiligten verletzt. Gegenstand des Organstreits ist hier die Frage, ob der Erlaß des Zweiten Gesetzes zur Änderung des Abgeordnetengesetzes am 8. Januar 1992 die Antragsteller in ihren Rechten als Fraktion oder als Abgeordnete verletzt hat. Für die Beurteilung der Rechtslage kommt es auf diesen Zeitpunkt an, in dem der Beschluß gefaßt worden ist. Denn Maßnahme ist nicht das Gesetz als solches, sondern dessen Erlaß durch die gesetzgebende Körperschaft.
Der Erlaß der gesetzlichen Regelung kann nur aus seinem damaligen historischen Zusammenhang und im Hinblick auf den dem Gesetzgeber zustehenden Wertungs- und Gestaltungsspielraum beurteilt werden. Vor dem damaligen Hintergrund des Übergangs von der Diktatur zu dem freiheitlich verfaßten Staat hat der Gesetzgeber eine Regelung erlassen, die durch Unsicherheit und Unkenntnis über das Fortwirken der alten Strukturen und Denkweisen des SED-Regimes in den ersten Jahren nach der Wiedervereinigung veranlaßt war. Man vermochte noch nicht zu beurteilen, in welchem Maße sich die Funktionäre der untergegangenen DDR dem Übergang zum freiheitlichdemokratischen Rechtsstaat widersetzen und ob insbesondere ehemalige Mitarbeiter des Staatssicherheitsdienstes ihre frühere Tätigkeit in den neuen staatlichen Institutionen fortsetzen würden. Diese besondere Situation des politischen Umbruchs besteht heute nicht mehr und wird sich nicht unter denselben Bedingungen wiederholen. Deshalb besteht heute kein objektives Interesse, die Verfassungsmäßigkeit des damaligen Gesetzes zu beurteilen.
Unterschriften
Limbach, Kirchhof, Winter, Sommer, Jentsch, Hassemer, Broß, Osterloh
Fundstellen
Haufe-Index 1276278 |
BVerfGE, 332 |
ZAP-Ost 1999, 553 |
ZAP-Ost 1999, 98 |
LKV 1999, 225 |
NJ 1999, 133 |