Verfahrensgang
Tenor
- Die aufschiebende Wirkung der Anfechtungsklage des Antragstellers gegen die Verbotsverfügung der Stadt Lüneburg vom 19. Januar 2006 – 32 31 03 – in der Fassung vom 20. Januar 2006 wird mit der Maßgabe wiederhergestellt, dass von der Versammlungsbehörde für erforderlich gehaltenen Auflagen Folge zu leisten ist.
- Das Land Niedersachsen hat dem Antragsteller die notwendigen Auslagen zu erstatten.
Gründe
Der Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung betrifft die behördlich angeordnete sofortige Vollziehung eines Versammlungsverbots.
I.
1. Am 13. Januar 2006 meldete der Antragsteller für den 28. Januar 2006 eine Demonstration in Lüneburg unter dem Motto an: “Keine Demonstrationsverbote – Meinungsfreiheit erkämpfen”. Mit Bescheid vom 19. Januar 2006 verbot die Stadt Lüneburg – die Antragsgegnerin des Ausgangsverfahrens – unter Anordnung der sofortigen Vollziehung die Durchführung des angemeldeten Aufzugs. Der Versammlungsbehörde lägen Anhaltspunkte dafür vor, dass der Antragsteller abweichend von dem angemeldeten Versammlungsmotto eine Versammlung zu dem Thema “Gegen staatliche Repression – den § 130 ≪StGB≫ kippen!” beabsichtige. Werde eine Versammlung mit diesem Thema am Folgetag des 27. Januar 2006 als dem Gedenktag der Opfer des Nationalsozialismus durch rechtsextremistische Kreise veranstaltet, so führe diese Art und Weise der Durchführung der Versammlung zu einer unmittelbaren und erheblichen Gefährdung der öffentlichen Ordnung.
2. Der Antragsteller erhob Anfechtungsklage gegen die Verbotsverfügung und stellte bei dem Verwaltungsgericht einen Antrag auf Wiederherstellung der aufschiebenden Wirkung seiner Klage, der mit Beschluss vom 20. Januar 2006 abgelehnt wurde. Zur Begründung führte das Gericht aus, die Verbotsverfügung der Antragsgegnerin sei offensichtlich rechtmäßig. Die Voraussetzungen eines auf § 15 Abs. 1 VersG gestützten Versammlungsverbots lägen vor. Die Durchführung der Versammlung gefährde die öffentliche Ordnung unmittelbar. Eine Kundgebung einen Tag nach dem Holocaust-Gedenktag am 27. Januar 2006 bedeute eine nicht hinnehmbare Provokation der grundlegenden sittlichen und ethischen Anschauungen der Bevölkerung in Deutschland, wenn durch einen dem rechtsextremen Spektrum zugehörigen Antragsteller eine Versammlung durchgeführt werde, deren Thema und Gegenstand die Forderung nach einer Abschaffung oder Änderung der Strafnorm des § 130 StGB seien, die dem Schutz der Würde der Opfer des Nationalsozialismus diene. Hinzu komme, dass die Versammlung in unmittelbarem zeitlichem Zusammenhang mit dem Tag der so genannten “Machtergreifung” Hitlers am 30. Januar 2006 durchgeführt werden solle. Kraft ihrer historischen Bedeutung gehe von beiden Zeitpunkten eine Ausstrahlungswirkung auch auf den sie umgreifenden Zeitraum aus, die zur Folge habe, dass von in diesem Zeitraum fallenden rechtsextremistischen Versammlungen bereits durch die Art und Weise ihrer Durchführung eine unerträgliche Provokationswirkung auf die Bevölkerung und damit eine Störung der öffentlichen Ordnung als Schutzgut des § 15 Abs. 1 VersG ausgehe. Die hier in Frage stehende Gefährdung der öffentlichen Ordnung lasse sich durch Auflagen nicht abwenden, da eine erhebliche Verschiebung der Versammlung auf einen Zeitpunkt nach dem 30. Januar 2006 sich mit dem Selbstbestimmungsrecht des Veranstalters über den Versammlungszeitpunkt nicht mehr in Einklang bringen lasse. Da mit der Durchführung der Versammlung eine massive Gefährdung der öffentlichen Ordnung verbunden sei, erweise sich auch die Anordnung des Sofortvollzugs als offensichtlich rechtmäßig.
3. Die gegen diese Entscheidung gerichtete Beschwerde wies das Niedersächsische Oberverwaltungsgericht zurück. Die nach § 146 Abs. 4 Satz 6 VwGO im Beschwerdeverfahren allein zu prüfenden Rügen der Beschwerdebegründung rechtfertigten eine Abänderung des angefochtenen Beschlusses nicht. Der Senat mache sich gemäß § 122 Abs. 2 Satz 3 VwGO die Begründung der Entscheidung durch das Verwaltungsgericht zu Eigen, da die Einwände des Antragstellers im Beschwerdeverfahren nicht geeignet seien, eine abweichende Beurteilung zu rechtfertigen. Das Verwaltungsgericht sei nicht gehindert gewesen, seine Überzeugung, dass der Antragsteller die Versammlung unter einem anderen als dem angemeldeten Thema abhalten wolle, auch unter Auswertung von im Internet vorgefundenen Mitteilungen zu gewinnen, die nicht unmittelbar dem Antragsteller, sondern allein ihm politisch nahe stehenden Kreisen zuzuordnen seien. Zudem habe der Senat am Tag vor Erlass seines Beschlusses eigene Recherchen im Internet angestellt und dabei weitere Mitteilungen rechtsextremistischer Kreise vorgefunden, aus denen sich ergebe, dass die für den 28. Januar 2006 beabsichtigte Veranstaltung unter dem Thema “Gegen staatliche Repression – den § 130 ≪StGB≫ kippen!” stehen solle. Die für diesen Tag geplante Veranstaltung in Lüneburg stelle sich auf Grund der von dem Senat ermittelten Tatsachen als Teil einer Kampagne rechtsextremistischer Kreise dar, die auf Abschaffung der Vorschrift des § 130 StGB ziele. Die Forderung nach Straffreiheit der Volksverhetzung sei jedoch in besonderer Weise geeignet, den weit überwiegenden Teil der Bevölkerung in Deutschland zu provozieren. Zwar sei auch eine rechtspolitische Kritik an dieser Vorschrift seitens rechtsextremistischer Kreise durch das Grundrecht auf Meinungs- und Versammlungsfreiheit gedeckt. Finde eine solche Veranstaltung jedoch nur einen Tag nach dem Holocaust-Gedenktag statt, so gehe von diesem Gedenktag eine Ausstrahlungswirkung auch auf die umliegenden Tage aus. Werde zu diesem Zeitpunkt eine rechtsextremistische Demonstration abgehalten, die auf Abschaffung des § 130 StGB ziele, so rechtfertige dies die Schlussfolgerung, dass der Zeitpunkt der geplanten Versammlung allein aus vorgeschobenen Gründen an einem in unmittelbarer Nähe des Holocaust-Gedenktags liegenden Zeitpunkt abgehalten werde, um in Wirklichkeit das Gedenken an die Opfer des Nationalsozialismus zu entwürdigen. Dass es dem Antragsteller hierum und nicht allein um einen Protest gegen den § 130 StGB gehe, werde zudem auch daran deutlich, dass der Antragsteller während des Verfahrens in keiner Weise dargelegt habe, worin sein besonderes Interesse an einer Durchführung der Versammlung gerade an einem in unmittelbarer Nähe des Holocaust-Gedenktags liegenden Zeitpunkt bestehe. Ersichtlich sei der Antragsteller nicht bereit, seine wahren Absichten zu offenbaren. Auch habe er ein ihm von der Antragsgegnerin angebotenes Kooperationsgespräch abgelehnt. Eine solche Verweigerung der Kooperation lasse auch Rückschlüsse auf die eigentlich bezweckte Intention des Veranstalters zu. Die mangelnde Kooperationsbereitschaft des Antragstellers bestätige deshalb die Einschätzung zusätzlich, dass er allein aus taktischen Gründen als Datum für die geplante Demonstration einen in unmittelbarem zeitlichen Bezug zum Holocaust-Gedenktag stehenden Zeitpunkt gewählt habe, um auf diese Weise das Gedenken an die Opfer des Nationalsozialismus zu missachten. Die von der Art und Weise der Durchführung der geplanten Veranstaltung ausgehende Provokationswirkung werde hier zudem dadurch bestärkt, dass am 28. Januar 2006 mehrere dem Gedenken an den nationalsozialistischen Holocaust gewidmete Veranstaltungen im Stadtbereich Lüneburg vorgesehen seien. Auf die Frage, ob es sich hierbei gleichfalls um Versammlungen im Sinne von Art. 8 GG handele, komme es dabei nicht an. Entscheidend sei, dass die Öffentlichkeit es als erhebliche Provokation empfinde, wenn unter den vorliegenden Umständen nur einen Tag nach dem Holocaust-Gedenktag eine Versammlung von Rechtsextremisten stattfinde, die geeignet sei, durch Forderung nach einer Abschaffung des § 130 StGB die Würde der Opfer des Nationalsozialismus zu verletzen. Mit der Wahl eines Tages nach dem Holocaust-Gedenktag verbinde der Antragsteller die Hoffnung, dass ein Verbot an diesem Tag nicht mehr wegen einer Missachtung der Opfer des Nationalsozialismus ausgesprochen werde. Das sei ein offensichtlicher Missbrauch der Versammlungsfreiheit.
4. In seinem Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung nach § 32 BVerfGG beanstandet der Antragsteller, dass die Versammlungsbehörde und die Verwaltungsgerichte den Sachverhalt unzutreffend gewürdigt hätten, indem sie aus Mitteilungen von nur vermeintlich dem Antragsteller nahe stehender Personen die Schlussfolgerung gezogen hätten, dass die Versammlung in Wahrheit unter einem anderen als dem angekündigten Thema durchgeführt werden solle. Dem angekündigten Versammlungsthema fehle bereits jeder Bezug zu der beanstandeten Forderung nach einer Abschaffung des § 130 StGB. Allein aus dem Umstand, dass eine Versammlung zu dem angemeldeten Thema am 28. Januar 2006 und damit im unmittelbaren zeitlichen Zusammenhang zum Holocaust-Gedenktag stattfinden solle, lasse sich eine erhebliche Störung der öffentlichen Ordnung durch die Art und Weise der geplanten Versammlung nicht herleiten.
II.
Der zulässige Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung ist begründet.
1. Nach § 32 Abs. 1 BVerfGG kann das Bundesverfassungsgericht im Streitfall einen Zustand durch einstweilige Anordnung vorläufig regeln, wenn dies zur Abwehr schwerer Nachteile, zur Verhinderung drohender Gewalt oder aus einem anderen wichtigen Grund zum gemeinen Wohl dringend geboten ist.
Im Eilrechtsschutzverfahren sind die erkennbaren Erfolgsaussichten einer Verfassungsbeschwerde zu berücksichtigen, wenn – wie hier – aus Anlass eines Versammlungsverbots über einen Antrag auf einstweiligen Rechtsschutz zur Wiederherstellung der aufschiebenden Wirkung eines Rechtsbehelfs zu entscheiden ist und ein Abwarten bis zum Abschluss des Verfassungsbeschwerdeverfahrens oder des Hauptsacheverfahrens den Versammlungszweck mit hoher Wahrscheinlichkeit vereitelte. Ergibt die Prüfung im Eilrechtsschutzverfahren, dass eine Verfassungsbeschwerde offensichtlich begründet wäre, läge in der Nichtgewährung von Rechtsschutz der schwere Nachteil für das gemeine Wohl im Sinne des § 32 Abs. 1 BVerfGG (vgl. BVerfGE 111, 147 ≪153≫).
2. Die dem Bundesverfassungsgericht im Eilrechtsverfahren allein mögliche vorläufige Prüfung lässt eine Rechtsgrundlage für das ausgesprochene Versammlungsverbot nicht erkennen. Die Erwägungen der Antragsgegnerin und der Verwaltungsgerichte sind in rechtlicher Hinsicht offensichtlich nicht tragfähig.
Es kann dahinstehen, ob die Versammlungsbehörde sowie die angegriffenen Entscheidungen davon ausgehen durften, dass der Antragsteller die Durchführung der Veranstaltung unter einem anderen als dem von ihm angemeldeten Motto beabsichtige. Denn die Argumentation der Antragsgegnerin und der Verwaltungsgerichte ist anhand der Maßstäbe zur Überprüfung im Rahmen des Eilrechtsschutzverfahrens in rechtlicher Hinsicht auch dann nicht tragfähig, wenn die Tatsachenfeststellungen und Tatsachenwürdigungen in den angegriffenen Entscheidungen zu Grunde gelegt werden.
Die Anordnung eines Versammlungsverbots lässt sich hier nicht auf eine Gefährdung der öffentlichen Ordnung im Sinne des § 15 Abs. 1 VersG stützen. Das Verbot gründet im vorliegenden Fall auf der Annahme, eine Versammlung, welche die rechtspolitische Forderung nach einer Abschaffung oder Änderung der Strafvorschrift des § 130 StGB zum Gegenstand habe, gefährde dann die öffentliche Ordnung, wenn eine solche Veranstaltung von rechtsextremistischen Kreisen in unmittelbarer zeitlicher Nähe zu dem Tag des Gedenkens an die Opfer des Holocaust (dem 27. Januar 2006) oder in zeitlicher Nähe zum Tag der “Machtergreifung” Hitlers am 30. Januar des jeweiligen Jahres stattfinde.
§ 15 VersG trägt Beschränkungen der Versammlungsfreiheit, darunter auch zur Abwehr von Gefahren für die öffentliche Ordnung, allein unter der Voraussetzung, dass eine solche Gefahr für die öffentliche Ordnung nicht aus dem Inhalt der zu erwartenden Äußerungen und mithin der thematischen Ausrichtung der Versammlung gefolgert werden, sondern sich aus der sonstigen Art und Weise der Durchführung der Versammlung ergibt. Die öffentliche Ordnung kann zwar auch verletzt sein, wenn Rechtsextremisten einen Aufzug an einem speziell der Erinnerung an das Unrecht des Nationalsozialismus und den Holocaust dienenden Gedenktag so durchführen, dass von seiner Art und Weise Provokationen ausgehen, die das sittliche Empfinden der Bürgerinnen und Bürger erheblich beeinträchtigen (vgl. BVerfG, 1. Kammer des Ersten Senats, Beschluss vom 26. Januar 2001 – 1 BvQ 9/01 –, DVBl 2001, S. 558). Aus der bloßen zeitlichen Nähe des Zeitpunkts der Versammlung zu einem solchen Gedenktag allein kann eine solche provokative Wirkung jedoch nicht abgeleitet werden. Dementsprechend hat das Bundesverfassungsgericht in dem soeben erwähnten Beschluss eine Provokationswirkung durch eine am 28. Januar abgehaltene rechtsextremistische Versammlung nicht gesehen. Eine solche Provokationswirkung kann vorliegend nicht unter dem von den Gerichten herangezogenen Gesichtspunkt einer Ausstrahlungswirkung abgeleitet werden. In bloßer Nähe zu einem dem Gedenken an das nationalsozialistische Unrechtsregime und seine Opfer gewidmeten Gedenktag liegenden Terminen kommt in der Gesellschaft kein eindeutiger Sinngehalt zu, der bei Durchführung eines Aufzugs an solchen Tagen in einer Weise angegriffen wird, dass hierdurch in gleicher Weise grundlegende soziale oder ethische Anschauungen in erheblicher Weise verletzt werden, wie dies für gerade an solchen Gedenktagen stattfindende Versammlungen der Fall sein kann.
Versammlungsbehörde und Gerichte konnten eine Störung der öffentlichen Ordnung hier auch nicht in tragfähiger Weise aus dem von ihnen zu Grunde gelegten, von dem angemeldeten Zweck der Versammlung abweichenden Motto der Versammlung ableiten.
Zwar ist es nicht ausgeschlossen, Maßnahmen nach § 15 Abs. 1 VersG zur Abwehr einer Gefahr für die öffentliche Ordnung vorzusehen (vgl. BVerfG, 1. Kammer des Ersten Senats, NJW 2001, S. 1409 ≪1410≫). Soweit die ordnungsbehördliche Verfügung sich auf den Inhalt von Aussagen bezieht – dies ist bei der Anknüpfung an das Motto der Versammlung und die zu erwartenden Äußerungen der Versammlungsteilnehmer der Fall –, ist sie auch am Maßstab des Art. 5 Abs. 1, 2 GG zu beurteilen (vgl. BVerfG, 1. Kammer des Ersten Senats, NJW 2001, S. 2069 ≪2070≫). Die Äußerung verliert den Schutz des Art. 5 Abs. 1 GG nicht allein wegen rechtsextremistischer Inhalte, es sei denn, sie sind strafbar. Die verfassungsrechtlichen Grenzen der Inhalte einer auf einer Versammlung geäußerten Meinung richten sich nicht nach Art. 8 Abs. 2 GG, sondern nach Art. 5 Abs. 2 GG (vgl. BVerfGE 90, 241 ≪246≫). Es gilt hierbei die Vermutung zugunsten freier Rede in öffentlichen Angelegenheiten (vgl. BVerfGE 7, 198 ≪208≫; stRspr). Die Bürger sind grundsätzlich auch frei, grundlegende Wertungen der Verfassung in Frage zu stellen oder die Änderung tragender Prinzipien zu fordern (vgl. BVerfGK 2, 1 ≪5≫). Gleiches gilt für die Rechtsordnung im Übrigen, also auch die Strafrechtsordnung. Eine Grenze besteht nach Art. 5 Abs. 2 GG, soweit Meinungsäußerungen auf verfassungsgemäße Weise rechtlich verboten, insbesondere unter Strafe gestellt sind.
Soweit die Versammlungsbehörde ihr Verbot in gänzlich pauschaler Weise und ohne konkrete Zuordnung zu Einzelmerkmalen des § 15 VersG auch auf eine drohende Begehung von Propagandastraftaten gestützt hat, sind die Gerichte hierauf nicht zurückgekommen.
Die Entscheidungen stützen sich ferner nicht auf die Erwägung, dass das zu Grunde zu legende Versammlungsmotto oder der Inhalt der bei der Versammlung zu erwartenden Äußerungen strafbaren Inhalt habe und damit eine Gefährdung der öffentlichen Sicherheit zu erwarten stehe. Eine von der Art und Weise der äußeren Durchführung des Versammlungsgeschehens ausgehende unerträgliche Provokationswirkung und damit eine Störung der öffentlichen Ordnung wollen die Gerichte vielmehr aus dem Umstand herleiten, dass das von den Gerichten für sich genommen als zulässig bewertete Motto zum Gegenstand einer Versammlung gemacht werde, deren Termin in unmittelbarer zeitlicher Nähe zu einem dem Gedenken an den nationalsozialistischen Holocaust gewidmeten Gedenktag liege und damit von dessen Ausstrahlungswirkung erfasst werde. Ging jedoch weder von dem Motto der geplanten Veranstaltung und den hieran anknüpfenden zu erwartenden Äußerungen der Versammlungsteilnehmer noch von dem geplanten Termin der Versammlung für sich genommen eine greifbare Provokationswirkung aus, so kann eine Störung der öffentlichen Ordnung unter dem Gesichtspunkt einer von der äußeren Art und Weise des Versammlungsgeschehens ausgehenden Provokationswirkung grundsätzlich auch nicht daraus hergeleitet werden, dass für sich genommen unbedenkliche rechtspolitische Forderungen an einem für sich genommen gleichfalls unbedenklichen Zeitpunkt geäußert werden.
Einer tragfähigen Begründung entbehrt die Auffassung der Gerichte, schon in der bloßen Erhebung der rechtspolitischen Forderung nach einer Abänderung oder Abschaffung der Strafnorm des § 130 StGB sei ein unmittelbarer Angriff auf die von dieser Strafnorm geschützte Würde der Opfer des nationalsozialistischen Unrechtsregimes zu sehen, wenn eine solche Forderung durch Vertreter rechtsextremistischer Auffassungen erhoben werde. Die von den Gerichten festgestellten Umstände tragen eine solche Deutung der Zielrichtung des Versammlungsmottos nicht.
Allein der Umstand, dass diese rechtspolitische Forderung, wenn sie in unmittelbarer zeitlicher Nähe zu einem dem Gedenken an das nationalsozialistische Unrechtsregime gewidmeten Gedenktag erhoben wird, von Teilen der Bevölkerung als Provokation empfunden wird, vermag den schweren Vorwurf einer Verletzung der Menschenwürde der Opfer noch nicht zu rechtfertigen. Zwar setzt die Menschenwürde auch der Freiheit der Meinungsäußerung sowie der Versammlungsfreiheit Grenzen (vgl. BVerfGE 102, 347 ≪366 f.≫). Jedoch bedarf es stets einer sorgfältigen Begründung, wenn angenommen werden soll, dass der Gebrauch eines Grundrechts die Menschenwürde verletzt oder angreift (vgl. BVerfGE 93, 266 ≪293≫). Dem tragen die Erwägungen der Gerichte nicht hinreichend Rechnung.
Die Entscheidung des Oberverwaltungsgerichts lässt sich auch nicht aus dem Gesichtspunkt des Missbrauchs der Versammlungsfreiheit begründen. Dass ein Veranstalter sich taktisch verhält und einen Versammlungstermin meidet, der Anlass für ein Verbot schaffen könnte, ist von seiner Entscheidungsfreiheit über die Art der Durchführung der Versammlung gedeckt.
3. Nicht ersichtlich und von den Gerichten und der Versammlungsbehörde nicht geltend gemacht ist, dass bei Wiederherstellung der aufschiebenden Wirkung anderweitige Gefährdungen der öffentlichen Sicherheit und Ordnung zu befürchten stünden, denen nicht anders als durch ein Verbot der Versammlung entgegengewirkt werden könnte.
Das Bundesverfassungsgericht verbindet die Wiederherstellung der aufschiebenden Wirkung mit der im Tenor aufgeführten Maßgabe, dass Auflagen der Versammlungsbehörde Folge zu leisten ist. Die Versammlungsbehörde hat zu entscheiden, ob und welche Auflagen gemäß § 15 VersG erforderlich und unter Berücksichtigung des grundrechtlichen Schutzes des Antragstellers aus Art. 5 und 8 GG angemessen sind.
Die Entscheidung über die Erstattung der notwendigen Auslagen des Antragstellers beruht auf § 34a Abs. 3 BVerfGG.
Diese Entscheidung ist unanfechtbar.
Unterschriften
Papier, Hoffmann-Riem, Gaier
Fundstellen