Verfahrensgang
Tenor
Der Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung wird abgelehnt.
Tatbestand
Die Antragsteller wenden sich mit ihrem Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung gegen Beschränkungen des Versammlungsrechts im Zusammenhang mit dem Castor-Transport nach Gorleben.
I.
1. a) Die Deutsche Bahn Nuclear Cargo und Service GmbH Hanau ist auf Grund einer vollziehbaren Genehmigung des Bundesamtes für Strahlenschutz in Salzgitter vom 10. November 2000 gemäß § 4 des Atomgesetzes berechtigt, in der Zeit vom 26. März 2001 bis 8. April 2001 radioaktive Abfälle nach Gorleben zu transportieren. Am 10. März 2001 machte die Bezirksregierung Lüneburg unter Anordnung der sofortigen Vollziehung eine Allgemeinverfügung bekannt, wonach unter anderem alle öffentlichen Versammlungen unter freiem Himmel und Aufzüge für den Zeitraum vom 27. März 2001 0.00 Uhr bis zum 8. April 2001 24.00 Uhr in einem im Einzelnen dargestellten Korridor untersagt wurden. Die Allgemeinverfügung wurde unter näherer Darlegung damit begründet, dass bei dem bevorstehenden Castor-Transport eine hohe Gefahr der Verletzung elementarer Rechtsgüter – Blockade von Abschnitten der Transportstrecke, Eingriffe in den Bahn- und Straßenverkehr, Sachbeschädigungen und Körperverletzungen – bestehe.
b) Der Antragsteller zu 1) – eine Bürgerinitiative – beabsichtigt, am 27. März 2001 in Dannenberg in der Zeit von 18.30 Uhr bis 20.00 Uhr einen Aufzug vom Marktplatz über die Bahnhofstraße in Richtung Verladekran durchzuführen, wobei die Strecke teilweise in den in der Allgemeinverfügung aufgeführten Korridor fällt. Darüber hinaus plant der Antragsteller zu 1) für denselben Tag von 21.00 Uhr bis 24.00 Uhr eine so genannte Sandsackaktion (Errichtung eines aus 17.000 Sandsäcken bestehenden Schutzwalles) auf einer Kreuzung innerhalb des Verbotskorridors. Der Antragsteller zu 2) – die Grüne Liste Wendland e.V. – beabsichtigt, am 27. März 2001 zwischen 11.55 Uhr und 12.15 Uhr eine Mahnwache auf der Kreuzung B 191/Breese-(Marsch)-Splitau durchzuführen. Auch diese Veranstaltung wird sowohl in zeitlicher als auch in räumlicher Hinsicht von der Allgemeinverfügung vom 10. März 2001 erfasst.
c) Nach Einlegung eines Widerspruchs gegen die Allgemeinverfügung wandten sich die Antragsteller an die Verwaltungsgerichte mit dem Antrag auf Gewährung vorläufigen Rechtsschutzes. Durch Beschluss vom 22. März 2001 lehnte das Verwaltungsgericht den Antrag ab. Den Antrag auf Zulassung der Beschwerde wies das Oberverwaltungsgericht durch Beschluss vom 23. März 2001 im Wesentlichen mit der Begründung zurück, die von den Antragstellern geltend gemachte Divergenz liege nicht vor und aus dem Vortrag der Antragsteller ergäben sich auch keine ernstlichen Zweifel an der Richtigkeit des verwaltungsrechtlichen Beschlusses.
d) Durch Schreiben vom 23. März 2001 bestätigte die Bezirksregierung Lüneburg dem Antragsteller zu 1), dass die von ihm beabsichtigte Kundgebung auf dem Marktplatz Dannenberg stattfinden könne. Soweit sich die Anmeldung auf den Aufzug vom Marktplatz über die Bahnhofstraße in Richtung Verladekran beziehe, wurde der Aufzug unter Anordnung der sofortigen Vollziehung untersagt „bzw” das Versammlungsverbot aufrecht erhalten. Zur Begründung wurde darauf hingewiesen, dass der geplante Aufzug ab der Kreuzung Bahnhofstraße/Am Ostbahnhof und Bellmannsfeld räumlich und zeitlich der Allgemeinverfügung unterfalle. Die öffentliche Sicherheit werde im Übrigen auch auf der Strecke bis zum Erreichen der durch die Allgemeinverfügung erlassenen Verbotszone unmittelbar gefährdet. Da der geplante Aufzug mit dem Erreichen des Verladekrans und damit der Korridorzone untrennbar verbunden sei, müsse die in der Allgemeinverfügung enthaltene Gefahrenprognose für den gesamten Aufzug gelten. Hinsichtlich der von dem Antragsteller zu 1) geplanten Sandsackaktion teilte die Bezirksregierung dem Antragsteller durch weiteres Schreiben vom 23. März 2001 mit, dass die angemeldete Versammlung verboten bleibe. Die sofortige Vollziehung des Bescheides wurde angeordnet. Zur Begründung wurde darauf hingewiesen, dass die Versammlung für den Geltungsbereich der Allgemeinverfügung angemeldet worden sei und von dem Versammlungsverbot erfasst werde. Schließlich wurde der Antragsteller zu 2) durch Schreiben vom gleichen Tage darüber unterrichtet, dass die angemeldete Mahnwache untersagt bleibe. Die sofortige Vollziehung dieses Bescheides wurde angeordnet. Die Versammlung sei für den Geltungsbereich der Allgemeinverfügung angemeldet worden und werde von dem Versammlungsverbot erfasst. Auch der von dem Antragsteller zu 2) im Rahmen der Anhörung angeführte Versammlungszweck, nicht nur gegen den Castor-Transport, sondern letztendlich gegen die Politik der „Grünen” zu protestieren, könne zu keiner anderen Wertung führen, da ein eindeutiger zeitlicher, örtlicher und inhaltlicher Bezug zum Castor-Transport gegeben sei.
e) Mit Schreiben vom 24.3.2001 hat der Antragsteller zu 1) der Bezirksregierung eine weitere Anmeldung für einen Aufzug mit anschließender Versammlung für den 27. März 2001 in der Zeit von 19.30 Uhr bis 21.00 Uhr übersandt. Der Aufzug soll in Dannenberg vom Marktplatz zur so genannten Esso-Wiese führen, wo ein Schutzwall aus Sandsäcken errichtet werden soll.
2. Mit ihrem Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung wenden sich die Antragsteller gegen den von den Verwaltungsgerichten bestätigten Sofortvollzug der Allgemeinverfügung vom 10. März 2001 und der weiteren Verfügungen der Bezirksregierung Lüneburg, jeweils vom 23. März 2001. Zur Begründung verweisen sie darauf, dass die angegriffenen Entscheidungen der Bezirksregierung und der Verwaltungsgerichte sie in ihrem Grundrecht aus Art. 8 Abs. 1 GG sowie – im Hinblick auf die Entscheidung des Oberverwaltungsgerichts – Art. 19 Abs. 4 GG verletzten. Die Gefahrenprognose der Bezirksregierung sei einseitig, sie lasse in ihrer Allgemeinverfügung an keiner Stelle erkennen, dass sie sich mit den Gegenindizien auch nur auseinander gesetzt habe. Unrichtig sei zudem die Gefahrenprognose auch deshalb, weil die dortige Darstellung einseitig sei und nicht berücksichtige, dass es eine ungezählte Vielzahl friedlicher Veranstaltungen – gerade auch unter Teilnahme und Leitung des Antragstellers zu 1) – gebe. Im Übrigen handele es sich bei der Allgemeinverfügung um eine Tarnverfügung. Dies ergebe sich daraus, dass nicht nur ein Versammlungsverbot jeweils beiderseits 50 Meter um die Transportstrecke bestehe, sondern in einem Bereich von fünf Kilometern um die Transportstrecke immer wieder Versammlungen massiv behindert worden seien.
3. Die Bezirksregierung hat in ihrer Stellungnahme gegenüber dem Bundesverfassungsgericht mitgeteilt, sie habe gegenüber dem Antragsteller zu 1) die Bereitschaft erklärt, dessen mit Schreiben vom 24.3.2001 angemeldete Veranstaltung im Anschluss an die Kundgebung auf dem Marktplatz versammlungsrechtlich zu bestätigen. Der Antragsteller zu 1) wurde um Mitteilung gebeten, wo und wie viele Sandsäcke verwandt werden sollen und ob gewährleistet werde, dass diese nach der Veranstaltung auch umgehend wieder beseitigt würden.
Entscheidungsgründe
II.
Der Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung hat keinen Erfolg.
1. Nach § 32 Abs. 1 BVerfGG kann das Bundesverfassungsgericht im Streitfall einen Zustand durch einstweilige Anordnung vorläufig regeln, wenn dies zur Abwehr schwerer Nachteile, zur Verhinderung drohender Gewalt oder aus einem anderen wichtigen Grund zum gemeinen Wohl dringend geboten ist. Bei – wie hier – offenem Ausgang eines noch möglichen Verfassungsbeschwerdeverfahrens muss das Bundesverfassungsgericht die Folgen, die eintreten würden, wenn eine einstweilige Anordnung nicht erginge, die Verfassungsbeschwerde aber Erfolg hätte, gegenüber den Nachteilen abwägen, die entstünden, wenn die begehrte einstweilige Anordnung erlassen würde, der Verfassungsbeschwerde aber der Erfolg zu versagen wäre (vgl. BVerfGE 71, 158 ≪161≫; 88, 185 ≪186≫; 91, 252 ≪257 f.≫; stRspr).
2. Vorliegend führt die Abwägung zu einem Überwiegen derjenigen Gründe, die gegen den Erlass einer einstweiligen Anordnung sprechen.
a) Bliebe die sofortige Vollziehbarkeit der Allgemeinverfügung sowie der angegriffenen Einzelverfügungen bestehen, hätte eine Verfassungsbeschwerde aber später Erfolg, wären die Antragsteller um die Möglichkeit gebracht worden, von dem ihnen zustehenden Grundrecht auf Versammlungsfreiheit zu den von ihnen gewünschten Zeitpunkten an den von ihnen vorgesehenen Orten Gebrauch zu machen. Dies bedeutet jedoch nicht, dass die Antragsteller Versammlungen zur Verfolgung der geplanten Versammlungszwecke in örtlicher Nähe des Castor-Transports verboten werden. Außerhalb des Korridors können sie die beabsichtigten Versammlungen durchführen, soweit die sonstigen versammlungsrechtlichen Voraussetzungen erfüllt sind. Sie werden durch die Verfügungen zwar in ihrem Versammlungsrecht beschränkt, indem ihnen bestimmte von ihnen gewünschte Modalitäten der Versammlungen verwehrt werden. Ihnen werden die beabsichtigten Versammlungen als solche aber nicht verboten.
Könnten in dem Transportkorridor Versammlungen allgemein und insbesondere die konkret geplanten Versammlungen stattfinden, erwiese sich eine Verfassungsbeschwerde später aber als unbegründet, wären Versammlungen durchgeführt worden, obwohl mit ihnen nach der Einschätzung der Versammlungsbehörde erhebliche Gefahren für die öffentliche Sicherheit und Ordnung und gegebenenfalls Störungen verbunden wären.
b) Im Zuge der anzustellenden Abwägung der Folgen einer möglichen Entscheidung ist es in Verfahren der vorliegenden Art für das Bundesverfassungsgericht regelmäßig ausgeschlossen, in eine eigenständige Ermittlung und Würdigung des dem Eilrechtsschutzbegehren zu Grunde liegenden Sachverhalts einzutreten. Dies gilt insbesondere dann, wenn es – wie auch im vorliegenden Verfahren – bereits aus Zeitgründen ausscheidet, behördliche und fachgerichtliche Akten heranzuziehen sowie Stellungnahmen sämtlicher Beteiligten einzuholen und diese auszuwerten. In Fällen dieser Art hat das Bundesverfassungsgericht seiner Abwägung in aller Regel die Tatsachenfeststellungen und Tatsachenwürdigungen in den angegriffenen Entscheidungen zu Grunde zu legen (vgl. hierzu etwa BVerfGE 34, 211 ≪216≫; 36, 37 ≪40≫). Anderes gilt nur dann, wenn die getroffenen Tatsachenfeststellungen offensichtlich fehlsam sind oder die angestellte Tatsachenwürdigung unter Berücksichtigung des Schutzgehalts der betroffenen Grundrechtsnorm offensichtlich nicht trägt. Einstweiliger Rechtsschutz ist insbesondere zu gewähren, wenn die Gefahrenprognose auf Umstände gestützt wird, deren Berücksichtigung dem Schutzgehalt des Art. 8 GG offensichtlich widerspricht oder wenn das für eine Einschränkung der Versammlungsfreiheit herangezogene Schutzgut und die angewandten Normen in rechtlicher Hinsicht die Einschränkung offensichtlich nicht tragen (vgl. BVerfG, 1. Kammer des Ersten Senats, Beschluss vom 26. Januar 2001 – 1 BvQ 9/01 –).
3. Vorliegend ist die Argumentation der Versammlungsbehörde und der Gerichte unter Berücksichtigung des Art. 8 GG jedenfalls im Rahmen eines Eilrechtsschutzverfahrens in tatsächlicher und rechtlicher Hinsicht tragfähig. Dies gilt sowohl für die Allgemeinverfügung als auch für die angegriffenen Einzelverfügungen.
a) Die konkret von den Antragstellern geplanten Versammlungen sind von der Allgemeinverfügung erfasst. Im vorliegenden Verfahren bedarf keiner Klärung, ob die Allgemeinverfügung schon abschließende Regelungen für die jeweils durchzuführenden Versammlungen enthält und wie die auf die konkret angemeldeten Versammlungen bezogenen Verfügungen im Verhältnis zur Allgemeinverfügung stehen. Es ist im Rahmen des Eilrechtsschutzes verfassungsrechtlich jedenfalls nicht zu beanstanden, wenn die aufschiebende Wirkung der auf die konkret angemeldeten Versammlungen bezogenen Verfügungen nicht hergestellt wird, soweit der entsprechende, auf die Allgemeinverfügung bezogene Antrag keinen Erfolg hat und die Antragsteller insoweit identische Rügen erheben. Auch besteht kein Anlass, dem Vorwurf der Antragsteller nachzugehen, die Allgemeinverfügung sei eine Tarnverfügung, die zum Anlass für Behinderungen von Versammlungen in einem Bereich von fünf Kilometern um die Transportstrecke dienen solle. Der Inhalt der Allgemeinverfügung ergibt keine Ermächtigung zu solchen Maßnahmen.
b) Die Allgemeinverfügung und die sie konkretisierenden Einzelverfügungen bauen auf der Einschätzung auf, die Durchführung von Versammlungen in dem von der Allgemeinverfügung erfassten Transportkorridor führe zu unmittelbaren Gefährdungen beziehungsweise Störungen der öffentlichen Sicherheit und Ordnung. Gefährdet seien die Durchführbarkeit der Castor-Transporte durch Blockierung der Transportstrecke, aber auch die körperliche Unversehrtheit von Personen; ferner werden strafbewehrte Eingriffe in den Straßen- und Bahnverkehr sowie Beschädigungen von Sachen von erheblichem Wert befürchtet. Die entsprechenden Schutzgüter rechtfertigen unter Berücksichtigung des Grundsatzes der Verhältnismäßigkeit Beschränkungen der Versammlungsfreiheit nach Art. 8 Abs. 2 GG.
aa) Die Allgemeinverfügung verbietet nicht die Durchführung von Versammlungen zu den von den Antragstellern verfolgten Zwecken, beschränkt aber für einen bestimmten Zeitraum die Modalitäten der Durchführung solcher Versammlungen in örtlicher Hinsicht, begrenzt auf einen die Transportstrecke und den Verladeraum umrahmenden Korridor. Auf diese Weise wird das Recht zur Bestimmung des Orts einer Versammlung beschränkt. Dieses von der Versammlungsfreiheit miterfasste Bestimmungsrecht erlaubt dem Veranstalter, eigenständig zu konkretisieren, wie er sein Versammlungsinteresse umsetzen möchte. Kollidiert sein Grundrecht der Versammlungsfreiheit mit anderen Rechtsgütern, steht ihm aber nicht auch ein Bestimmungsrecht darüber zu, wie gewichtig diese Rechtsgüter in die Abwägung einzubringen sind und wie die Interessenkollision rechtlich bewältigt werden kann. Insoweit bleibt ihm die Möglichkeit, seine Vorstellungen im Zuge von Kooperationsgesprächen mit der Verwaltungsbehörde in das Verfahren einzubringen. Dies ist vorliegend geschehen und es ist nicht erkennbar, dass die Versammlungsbehörde die Vorstellungen der Antragsteller nicht in ihre Erwägungen einbezogen hat. Die anschließende Abwägung, ob und wieweit gegenläufige Interessen die Einschränkung der Versammlungsfreiheit rechtfertigen, obliegt der Versammlungsbehörde und den mit der rechtlichen Überprüfung befassten Gerichten (vgl. BVerfG, 1. Kammer des Ersten Senats, Beschluss vom 26. Januar 2001 – 1 BvQ 9/01 –). Im Rahmen des Eilrechtsschutzes kann das Bundesverfassungsgericht nur prüfen, ob diese Abwägung offensichtlich fehlsam ist.
bb) Die Versammlungsbehörde hat ihre Verfügung nicht nur auf Situationen bezogen, in denen Rechtsgütergefährdungen von der Versammlung selbst ausgehen, sondern auch auf solche, in denen Dritte aus Anlass der Versammlung und gegebenenfalls parallel zu deren Zielsetzung, wenn auch hinsichtlich der konkreten Umstände möglicherweise ohne Billigung durch den Veranstalter und Leiter der Versammlung, zu Störern werden. Aus verfassungsrechtlicher Sicht ist die Anwendung der Grundsätze polizeilichen Notstands in solchen Situationen im Grundsatz nicht zu beanstanden. Diese Rechtsfigur setzt voraus, dass die Gefahr auf andere Weise nicht abgewehrt und die Störung auf andere Weise nicht beseitigt werden können und die Verwaltungsbehörde nicht über ausreichende eigene, eventuell durch Amts- und Vollzugshilfe ergänzte, Mittel und Kräfte verfügt, um die Rechtsgüter wirksam zu schützen. Soweit Rechtsgüter durch Dritte, die nicht im Rahmen der angemeldeten Versammlung handeln, gefährdet werden, hat die Behörde zunächst gegen jene vorzugehen.
Dementsprechend hat sie das Verbot in der Allgemeinverfügung auf unangemeldete Versammlungen erstreckt und damit auch gemeinschaftliche Aktionen Dritter verboten, die in eigenständiger Weise bei Gelegenheit der angemeldeten Versammlung demonstrieren oder gar darüber hinausgehende Zwecke verfolgen und Rechtsgüter Dritter verletzen wollen. Die Reichweite des Verbots umfasst auch Aktionen, die ungeplant und unaufschiebbar auf unvorhergesehene Ereignisse reagieren und deshalb möglicherweise den Charakter einer versammlungsrechtlich nicht verbotenen Spontan- oder Eilversammlung haben. Zugleich hat die Behörde durch Hinzuziehen des Bundesgrenzschutzes und einer großen Zahl von Polizeikräften anderer Bundesländer zu ermöglichen versucht, dass sie gegen jedwede Störer vorgehen kann. Da eine lange Transportstrecke zu überwachen ist und eine große Zahl von Demonstranten erwartet wird, von denen ein erheblicher Teil nach der nicht offensichtlich fehlsamen Einschätzung der Behörde auch zu gewaltsamen Aktionen bereit ist, muss eine sehr komplexe polizeiliche Aufgabe bewältigt werden. Es liegt in der Entscheidung der Verwaltungsbehörde, wie sie die Aufgabe konkret bewältigt, insbesondere welche und wie viele Kräfte sie jeweils an den verschiedenen Teilen der Transportstrecke einzusetzen vermag. Das Gebot, vor der Inanspruchnahme von Nichtstörern eigene Kräfte gegen die Störer einzusetzen, steht unter dem Vorbehalt der Verfügbarkeit solcher Kräfte. Es ist verfassungsrechtlich nicht zu beanstanden, wenn die Behörde Verfügungen, die einschränkend auf die Modalitäten der Versammlungsdurchführung einwirken, auch an dem Ziel orientiert, den polizeilichen Schutzauftrag umfassend wahrzunehmen und trotz der unausweichlichen Beschränkung dafür verfügbarer Kräfte und Mittel wirksam zu erfüllen.
cc) Das rechtliche Gebot, vor der Inanspruchnahme von Nichtstörern eigene Mittel einzusetzen, erweitert sich im Bereich von Versammlungen nicht etwa zu dem Gebot, Gefahren, die von der Versammlung selbst ausgehen, zunächst mit polizeilichen Mitteln zu bekämpfen, bevor beschränkende Verwaltungsmaßnahmen gegen die Versammlung ergriffen werden dürfen. Im Ausgangspunkt verfehlt ist daher die Auffassung des Antragsteller zu 1), die Versammlungsbehörde habe eine Aktion wie die Sandsackaktion hinzunehmen, da es der Behörde ein Leichtes sei, die den Transportweg blockierenden Sandsäcke später wieder beiseite zu räumen. Gefahren, die von der Versammlung selbst ausgehen, dürfen durch Maßnahmen gegen sie und ihre Teilnehmer abgewehrt werden. Soweit die Sandsackaktion allerdings außerhalb des von der Allgemeinverfügung erfassten Korridors stattfinden soll, ist sie nicht Gegenstand dieses Eilrechtsverfahrens. Insofern hat die Versammlungsbehörde im Übrigen dem Antragsteller zu 1) mitgeteilt, dass sie insoweit eine inzwischen neu angemeldete Versammlung bestätigen werde. Damit fehlt es insoweit an einem Rechtsschutzinteresse im vorliegenden Verfahren. Es ist auch nicht zu beanstanden, wenn die Versammlungsbehörde von den für die Versammlung Verantwortlichen erwartet, dass die Sandsäcke nach der Versammlung auch wieder beseitigt werden.
dd) Die Einschätzung der Behörde, das zeitlich und örtlich beschränkte Verbot sei zur Gefahrenabwehr geeignet und erforderlich, ist nicht offensichtlich fehlsam. Die Behörde hat ihre Verfügung zeitlich auf die Transportphase und örtlich auf einen ca. 100 Meter breiten und damit relativ schmalen Korridor neben der Transportstrecke und an besonders sensiblen Orten (Verladestation, Eingang des Zwischenlagers) auf eine Fläche mit einem Durchmesser von etwa 500 Meter beschränkt. Zugleich hat sie angekündigt, räumlich bestimmte Flächenabschnitte freizugeben, wenn diese nicht mehr für den Transport benötigt werden.
Die Angemessenheit dieser Beschränkung hat sie unter Hinweis darauf begründet, der beabsichtigte Protest könne in Form von Meinungsäußerungen und Versammlungen außerhalb dieses Korridors weiter verfolgt werden. Diese Ausführungen sind nicht offensichtlich fehlsam. Auch bei der Beurteilung der Angemessenheit einer beschränkenden Maßnahme wird bedeutsam, dass das Grundrecht auf Versammlungsfreiheit (Art. 8 GG) – wie auch das Grundrecht auf Meinungsäußerungsfreiheit (Art. 5 GG) – ein Selbstbestimmungsrecht über die Art der kommunikativen Äußerung nicht schützt, soweit durch sie Rechtsgüter anderer beeinträchtigt werden. Diese Beschränkung betrifft auch die Verwirklichung des von Art. 5 und 8 GG grundsätzlich miterfassten Anliegens, mit der Äußerung Aufmerksamkeit bei Anwesenden und in den Medien zu erzielen. Die Verlagerung von Demonstrationen in einen in Sicht- und Hörweite des Korridors gelegenen Bereich führt nicht dazu, dass der kommunikative Zweck der Versammlung notwendig verfehlt oder auch nur erheblich beeinträchtigt wird.
Es ist Veranstaltern einer Versammlung auch zumutbar, bei deren Planung auf den in der Allgemeinverfügung beschriebenen Korridor Rücksicht zu nehmen und insbesondere einen Verlauf des Aufzugs zu vermeiden, der räumlich sowohl in dem Korridor als auch außerhalb liegt. Soweit die von den Antragstellern angemeldete Versammlungen dies nicht berücksichtigen, besteht kein Anlass, die aufschiebende Wirkung jedenfalls für die Durchführung der Versammlung in dem Bereich außerhalb des Korridors wieder herzustellen. Es steht den Antragstellern frei, Anmeldungen für Versammlungen außerhalb des Korridors vorzunehmen, wie der Antragsteller zu 1) es hinsichtlich der Sandsackaktion zwischenzeitlich getan hat.
4. Unter Zugrundelegung der Folgen, die nach der behördlichen Gefahrenprognose eintreten könnten, wenn die geplanten Versammlungen wie von den Antragstellern beantragt, stattfänden, ist von einem Überwiegen derjenigen Nachteile auszugehen, die bei der Durchführung der Versammlung zu erwarten sind.
Diese Entscheidung ist unanfechtbar.
Unterschriften
Papier, Steiner, Hoffmann-Riem
Fundstellen
Haufe-Index 1267182 |
NJW 2001, 1411 |
NVwZ 2001, 670 |
DVBl. 2001, 797 |
NPA 2001, 0 |
Polizei 2001, 274 |