Verfahrensgang
Hessischer VGH (Beschluss vom 21.08.2009; Aktenzeichen 7 B 2407/09) |
VG Darmstadt (Beschluss vom 12.08.2009; Aktenzeichen 7 L 840/09.DA (3)) |
Tenor
Der Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung wird abgelehnt.
Tatbestand
I.
Der Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung betrifft ein verwaltungsgerichtliches Eilverfahren über das Begehren der Antragstellerin zu 1) auf Einschulung in eine Grundschule außerhalb des für sie geltenden Schulbezirks.
1. Die in Hessen lebende, am … geborene Antragstellerin zu 1) ist die Tochter der Antragsteller zu 2) und 3). Sie ist am 25. August 2009 in die für sie nach § 60 Abs. 4 HSchG in Verbindung mit § 143 Abs. 1 HSchG zuständige M.schule eingeschult worden.
Die Antragsteller hatten zuvor erfolglos beim zuständigen Schulamt beantragt, der Antragstellerin zu 1) nach § 66 HSchG aus wichtigem Grund den Besuch der B. Schule anstatt der M.schule zu gestatten. Zur Begründung hatten sie insbesondere darauf verwiesen, dass die B. Schule eine internationale Begegnungsschule sei, an der der Englischunterricht ab der 1. Klasse durch bilinguale Angebote, die teilweise durch eine Muttersprachlerin geleitet würden, ergänzt werde. Außerdem passe die Ausrichtung der B. Schule als zertifizierte Musikalische Grundschule gut zur Antragstellerin zu 1), die großen Spaß an Musik habe und deren Motivation und Konzentration durch den Einsatz von Musik zusätzlich gefördert werden könnten.
2. Den von den Antragstellern daraufhin gestellten Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung nach § 123 VwGO lehnte das Verwaltungsgericht ab. Die Voraussetzungen des § 66 Nr. 3 HSchG lägen nicht vor. Ein besonderes pädagogisches Konzept im Sinne dieser Vorschrift sei an der B. Schule nicht ersichtlich. Ebenso wie dort erfolge auch an der M.schule eine Heranführung an die englische Sprache von der ersten Klasse an. Lediglich der bilinguale Unterricht werde an Letzterer „derzeit” noch nicht angeboten. Aber auch an der B. Schule sei gegenwärtig nicht absehbar, dass die Antragstellerin zu 1) überhaupt zum bilingualen Unterricht zugelassen werde. Mit Blick auf Pläne der Familie für einen Umzug nach Irland spätestens im Jahr 2013 sei bilingualer Unterricht sicher günstig. Abgesehen davon aber, dass diese Pläne momentan alles andere als konkret seien, könne der Antragstellerin zu 1) auch eine andere Sprachförderung als in einem bilingualen Unterricht zuteil werden. Im Übrigen fehle der M.schule zwar die Zertifizierung als „Musikalische Grundschule”. Auch dort bestehe aber nach Auskunft des Schulleiters ein Konzept zur musikalischen Förderung, so dass besondere Andersartigkeiten zwischen beiden Schulen auch insoweit nicht zu erkennen seien. Der einzige gravierende Unterschied sei, dass die B. Schule nur Klassen der Stufen eins bis vier umfasse, während die M.schule mit einer integrierten Gesamtschule verbunden sei. Dies sei aber kein Konzept, das sich auf den Unterricht auswirke. Die Lehrinhalte an der Grundstufe der M.schule seien die gleichen wie an anderen Grundschulen auch.
3. Die hiergegen eingelegte Beschwerde der Antragsteller wies der Verwaltungsgerichtshof zurück. Die in § 60 Abs. 4 HSchG geregelte Sprengelpflicht begegne keinen durchgreifenden verfassungsrechtlichen Bedenken. Deren Verfassungsmäßigkeit werde auch durch den Umstand nicht maßgebend berührt, dass allen Schulen durch den Gesetzgeber Gestaltungsspielräume einschließlich der Entwicklung eigenständiger pädagogischer Profile eröffnet würden. Im Übrigen habe keiner der von den Antragstellern für ihr Begehren angeführten Gesichtspunkte ein Gewicht, das die Annahme eines wichtigen Grundes (§ 66 HSchG) zuließe. Dies gelte auch bei einer Zusammenschau der Gesichtspunkte.
Entscheidungsgründe
II.
1. Mit ihrem Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung machen die Antragsteller geltend, die Sprengelpflicht nach § 60 Abs. 4 HSchG sei aufgrund der den Schulen durch die §§ 127a ff. HSchG eingeräumten Möglichkeiten zu einer weitgehenden Profilbildung im Rahmen pädagogischer Eigenverantwortung verfassungswidrig. Das schulische Selbstverwirklichungsrecht der Antragstellerin zu 1) aus Art. 2 Abs. 1 GG, das Recht auf freie Wahl der Ausbildungsstätte aus Art. 3 in Verbindung mit Art. 12 GG und das damit einhergehende Erziehungsrecht der Antragsteller zu 2) und 3) aus Art. 6 Abs. 2 GG könnten durch die Sprengelpflicht nicht mehr verfassungsgemäß eingeschränkt werden, wenn den Schulen eine derart weitgehende unterschiedliche Ausrichtung ermöglicht werde. Daran ändere die Vorschrift des § 66 HSchG nichts. Denn durch die Schwerpunktsetzungen könne nicht mehr in allen Schulbezirken allen Schülern ein weitgehend gleiches Schulbildungsangebot gemacht werden. Diese unterschiedlichen Bildungschancen könnten auch Einfluss auf eine spätere Berufswahl haben. Die Antragstellerin zu 1) werde auf der B. Schule eine musikalische Förderung erfahren, die ihr weder auf der M.schule noch außerschulisch zuteil werden könne. Darauf legten die Antragsteller zu 2) und 3) wegen der damit verbundenen nachgewiesenen Steigerung der Lern- und Konzentrationsfähigkeit großen Wert. Gleiches gelte für die Teilnahme am bilingualen Englischunterricht auch vor dem Hintergrund des geplanten Umzugs der Familie nach Irland.
2. Ergehe die einstweilige Anordnung nicht, könnten die Antragsteller ihre überragenden wichtigen Grundrechtspositionen nicht mehr verwirklichen. Denn sollten sie erst im Hauptsacheverfahren obsiegen, wäre die Antragstellerin zu 1) gleichwohl gezwungen, den Besuch der M.schule fortzusetzen. Ein Schulwechsel gerade zu Beginn der Schulzeit sei pädagogisch problematisch. Er führe anerkanntermaßen zu schulischen Problemen und sonstigen Verhaltensauffälligkeiten. Es komme hinzu, dass bei zunehmendem Zeitablauf die besonderen Förderangebote der B. Schule nicht mehr nachholbar seien.
III.
Die Voraussetzungen für den Erlass einer einstweiligen Anordnung nach § 32 Abs. 1 BVerfGG liegen nicht vor. Dabei ist nur noch über den Hilfsantrag auf Umschulung der Antragstellerin zu 1) in die B. Schule zu entscheiden, da der Hauptantrag durch Zeitablauf gegenstandslos geworden ist. Dieser Antrag ist zwar zulässig, aber unbegründet.
1. Nach § 32 Abs. 1 BVerfGG kann das Bundesverfassungsgericht im Streitfall einen Zustand durch einstweilige Anordnung vorläufig regeln, wenn dies zur Abwehr schwerer Nachteile, zur Verhinderung drohender Gewalt oder aus einem anderen wichtigen Grund zum gemeinen Wohl dringend geboten ist. Dabei haben die Gründe, die für die Verfassungswidrigkeit des angegriffenen Hoheitsaktes vorgetragen werden, grundsätzlich außer Betracht zu bleiben. Der Antrag auf Eilrechtsschutz hat jedoch keinen Erfolg, wenn eine Verfassungsbeschwerde unzulässig oder offensichtlich unbegründet wäre (vgl. BVerfGE 71, 158 ≪161≫; 111, 147 ≪152 f.≫; stRspr).
2. Im vorliegenden Fall lässt sich weder die Unzulässigkeit noch die offensichtliche Unbegründetheit der noch einzulegenden Verfassungsbeschwerde feststellen.
3. Bei offenem Ausgang muss das Bundesverfassungsgericht die Folgen, die eintreten würden, wenn eine einstweilige Anordnung nicht erginge, die Verfassungsbeschwerde aber Erfolg hätte, gegenüber den Nachteilen abwägen, die entstünden, wenn die begehrte einstweilige Anordnung erlassen würde, der Verfassungsbeschwerde aber der Erfolg zu versagen wäre (vgl. BVerfGE 71, 158 ≪161≫; 96, 120 ≪128 f.≫; stRspr). Der Folgenabwägung legt das Bundesverfassungsgericht in aller Regel die Tatsachenfeststellungen und Tatsachenwürdigungen in den fachgerichtlichen Entscheidungen zugrunde (vgl. BVerfGE 34, 211 ≪216≫; 36, 37 ≪40≫; BVerfGK 3, 97 ≪99≫). Etwas anderes gilt nur dann, wenn die getroffenen Tatsachenfeststellungen offensichtlich fehlerhaft sind oder die Tatsachenwürdigung unter Berücksichtigung der betroffenen Grundrechtsnorm offensichtlich nicht trägt.
a) Erginge die einstweilige Anordnung nicht, erwiese sich eine noch einzulegende Verfassungsbeschwerde aber als begründet, müsste die Antragstellerin zu 1) gegen ihren Willen die M.schule besuchen. Mit fortschreitendem Zeitablauf würde ihr Anliegen, von den besonderen Angeboten des Schulprogramms der B. Schule profitieren zu können, zunehmend in Frage gestellt. Aus den von den Antragstellern angeführten Gründen könnten vor einer Entscheidung über ihre Verfassungsbeschwerde sogar endgültige Tatsachen geschaffen werden, weil der Antragstellerin zu 1) aus pädagogischen Gründen ein Schulwechsel möglicherweise nicht mehr ohne Weiteres zugemutet werden kann.
b) Erginge die einstweilige Anordnung hingegen, erwiese sich eine noch einzulegende Verfassungsbeschwerde aber als unbegründet, wäre die Erreichung der Zwecke, die den gesetzlichen Regelungen über die Einhaltung der Schulbezirke zugrunde liegen, nachhaltig in Frage gestellt. Der Verwaltungsgerichtshof führt insoweit neben organisatorischen Belangen wie einer möglichst gleichmäßigen Aus- und Belastung der einzelnen Schulen auch das Ziel an, allen schulpflichtigen Kindern unabhängig von ihrer sozialen Herkunft in einem einheitlichen Bildungsgang grundlegende Kenntnisse, Fähigkeiten und Fertigkeiten zu vermitteln und dadurch für alle – unabhängig vom weiteren Bildungsweg – eine gemeinsame schulische Bildung zu ermöglichen. Aus den zuvor genannten Gründen wäre auch in diesem Fall davon auszugehen, dass diese Zwecke – bezogen auf die Antragstellerin zu 1) – endgültig vereitelt würden, weil dieser ein – dann erneuter – Schulwechsel zur M.schule nicht mehr zugemutet werden könnte. Im Übrigen kann nicht außer Betracht bleiben, dass nach den Feststellungen des Verwaltungsgerichts für den Bezirk der M.schule 19 weitere Anträge auf Gestattung des Besuchs einer anderen Grundschule vorliegen und deshalb nicht allein der Fall der Antragsteller in die Abwägung eingestellt werden kann.
c) Es kann nicht festgestellt werden, dass die Nachteile im zuerst genannten Fall schwerer wiegen als diejenigen im zuletzt genannten. Das Verwaltungsgericht hat ausgeführt, dass auch an der M.schule eine Heranführung an die englische Sprache von der ersten Klasse an erfolgt. Auch gibt es danach dort ein Konzept für eine musikalische Förderung der Schüler. Im Übrigen sind nach den Feststellungen des Verwaltungsgerichts die Lehrinhalte an der Grundstufe der M.schule die gleichen wie die an anderen hessischen Grundschulen und damit auch der B. Schule. Zwar mag es sein, dass aufgrund des bilingualen Unterrichts an der B. Schule, an dem die Antragstellerin zu 1) – so das Verwaltungsgericht – aber nicht ohne Weiteres teilnehmen kann, dort eine intensivere fremdsprachliche Förderung der Antragstellerin zu 1) möglich sein kann als auf der M.schule. Gleiches gilt für deren musische Bildung aufgrund der Zertifizierung der B. Schule als „Musikalische Grundschule”. Die Antragsteller haben aber schon in tatsächlicher Hinsicht nicht aufzeigen können, dass diese Unterschiede von solchem Gewicht sind, dass sie sich durchgreifend auf den weiteren schulischen Bildungsweg der Antragstellerin zu 1) oder gar auf deren künftige Berufschancen auswirken können. Die damit verbleibenden Nachteile für die Antragsteller, die sich aus einem Besuch der M.schule ergeben, überwiegen nicht diejenigen, die sich aus einer Nichtbeachtung der gesetzlichen Regelungen ergäben. Damit sind auch keine schweren Nachteile im Sinne des § 32 Abs. 1 BVerfGG ersichtlich, die den Erlass einer einstweiligen Anordnung rechtfertigen könnten.
Diese Entscheidung ist unanfechtbar.
Unterschriften
Gaier, Schluckebier, Kirchhof
Fundstellen
Haufe-Index 2222984 |
SchuR 2010, 18 |
SchuR 2012, 38 |