Die rechtlichen Beziehungen zwischen den Leistungserbringern im Luftrettungswesen und den gesetzlichen Krankenkassen regelt § 133 Sozialgesetzbuch (SGB) V, der die Versorgung der Versicherten mit Krankentransportleistungen betrifft.
a) § 133 SGB V wurde durch das Gesetz zur Strukturreform im Gesundheitswesen (Gesundheits-Reformgesetz – GRG) vom 20. Dezember 1988 (BGBl I S. 2477) eingeführt. Er hatte – soweit hier von Bedeutung – zunächst folgenden Wortlaut:
§ 133
Versorgung mit Krankentransportleistungen
(1) Soweit Landesrecht nichts anderes bestimmt, schließen die Krankenkassen oder ihre Verbände Verträge über die Vergütung von Leistungen des Rettungsdienstes und über das Entgelt für andere Krankentransporte mit dafür geeigneten Einrichtungen oder Unternehmen. Sie haben dabei die Sicherstellung der flächendeckenden rettungsdienstlichen Versorgung und die Empfehlungen der Konzertierten Aktion im Gesundheitswesen zu berücksichtigen. Die vereinbarten Preise sind Höchstpreise.
(2) Werden die Entgelte für die Inanspruchnahme von Leistungen des Rettungsdienstes durch landesrechtliche oder kommunalrechtliche Bestimmungen festgelegt, können die Krankenkassen ihre Leistungspflicht zur Übernahme der Kosten auf Festbeträge an die Versicherten in Höhe vergleichbarer wirtschaftlich erbrachter Leistungen beschränken, wenn
1. …
2. …
3. …
(3) …
§ 133 Abs. 1 SGB V wurde durch Art. 1 Nr. 82 des Gesetzes zur Sicherung und Strukturverbesserung der gesetzlichen Krankenversicherung (Gesundheitsstrukturgesetz) vom 21. Dezember 1992 (BGBl I S. 2266) geändert. Die Vorschrift lautet nunmehr:
§ 133
Versorgung mit Krankentransportleistungen
(1) Soweit Landesrecht nichts anderes bestimmt, schließen die Krankenkassen oder ihre Verbände Verträge über die Vergütung von Leistungen des Rettungsdienstes und über das Entgelt für andere Krankentransporte mit dafür geeigneten Einrichtungen oder Unternehmen. Sie haben dabei die Sicherstellung der flächendeckenden rettungsdienstlichen Versorgung und die Empfehlungen der Konzertierten Aktion im Gesundheitswesen zu berücksichtigen. Die Preise dürfen sich gegenüber den am 1. Dezember 1992 geltenden Preisen in den Jahren 1993, 1994 und 1995 höchstens um den Vomhundertsatz verändern, um den sich die nach den §§ 270 und 270a zu ermittelnden beitragspflichtigen Einnahmen der Mitglieder der Krankenkassen je Mitglied verändern; die Vomhundertsätze sind für das Beitrittsgebiet und das übrige Bundesgebiet getrennt festzulegen. Die vereinbarten Preise sind Höchstpreise. Die Preisvereinbarungen haben sich an möglichst preisgünstigen Versorgungsmöglichkeiten auszurichten.
(2) Werden die Entgelte für die Inanspruchnahme von Leistungen des Rettungsdienstes durch landesrechtliche oder kommunalrechtliche Bestimmungen festgelegt, können die Krankenkassen ihre Leistungspflicht zur Übernahme der Kosten auf Festbeträge an die Versicherten in Höhe vergleichbarer wirtschaftlich erbrachter Leistungen beschränken, wenn
1. …
2. …
3. …
(3) …
Die Anbindung der Ausgaben für Krankentransporte an den Anstieg der beitragspflichtigen Einnahmen der Mitglieder der Krankenkassen in den Jahren 1993 bis 1995 (Grundlohnanbindung) wurde für notwendig erachtet, um dem Ausgabenanstieg in diesem Bereich Einhalt zu bieten. Ausweislich der Begründung der Gesetzesänderung sollte die Grundlohnanbindung auch für Vergütungen gelten, “die nach landesrechtlichen Vorschriften zustande kommen” (BTDrucks 12/3937, S. 8 und 16).
b) Das hier zur Prüfung gestellte Hessische Rettungsdienstgesetz (HRDG) wurde durch Gesetz vom 18. Dezember 1990 (GVBl I S. 725) beschlossen, nachdem der Bundesgesetzgeber das bisher unter das Personenbeförderungsgesetz (PBefG) fallende Krankentransportwesen durch das Sechste Gesetz zur Änderung des Personenbeförderungsgesetzes vom 25. Juli 1989 (BGBl I S. 1547) in die Kompetenz der Länder zurückübertragen hatte.
§ 11 HRDG in der Fassung vom 18. Dezember 1990 hatte folgenden Wortlaut:
§ 11
Benutzungsentgelte
(1) Für die Kosten des Rettungsdienstes, die den Leistungserbringern im Rahmen der bedarfsgerechten Aufgabenerfüllung bei sparsamer Wirtschaftsführung entstehen, werden Benutzungsentgelte entsprechend § 133 des Fünften Buches Sozialgesetzbuch erhoben. Das gleiche gilt für die Träger der gesetzlichen Unfallversicherung (§ 557 Abs. 3 der Reichsversicherungsordnung).
(2) Die Leistungserbringer und die Leistungsträger vereinbaren für jeden Rettungsdienstbereich einheitliche Benutzungsentgelte. Bei Kostenüber- oder -unterdeckung auf Grund von Leistungsabweichungen oder unterschiedlichen Kostenstrukturen zwischen einzelnen Leistungserbringern ist ein angemessener Ausgleich durchzuführen.
(3) Das Nähere zu Abs. 1 und 2, insbesondere über das Verfahren zur Kostenermittlung, der zugrunde liegenden Buchführungspflichten und die Bewertung der durch den Einsatz ehrenamtlicher Kräfte ersparten Kosten, regelt der für das Rettungswesen zuständige Minister im Benehmen mit dem Landesausschuß für den Rettungsdienst durch Rechtsverordnung.
(4) Kommt eine Vereinbarung über die Benutzungsentgelte nach Abs. 2 nicht innerhalb von zwei Monaten, nachdem eine Vertragspartei schriftlich zur Verhandlungsaufnahme aufgefordert hat, zustande, sind die Benutzungsentgelte unverzüglich von den jeweiligen Landkreisen und kreisfreien Städten nach den Vorschriften des Gesetzes über kommunale Abgaben vom 14. März 1970 (GVBl I S. 225), zuletzt geändert durch Gesetz vom 25. September 1987 (GVBl I S. 174), festzusetzen.
(5) Die Landesverbände der Leistungserbringer und der Leistungsträger können die Benutzungsentgelte abweichend von Abs. 2 und 4 auf Landesebene vereinbaren, wenn das dafür maßgebliche Verfahren zur Entgeltermittlung und zum Kostenausgleich unter den Beteiligten einstimmig festgelegt wird. Die Vereinbarung bedarf der Genehmigung des für das Rettungswesen zuständigen Ministeriums.
(6) Abweichend von Abs. 2 und 4 sind die Benutzungsentgelte für die Luftrettung auf Landesebene zwischen den Leistungsträgern mit Wirkung für ihre Mitglieder und dem jeweiligen Träger einer Rettungshubschrauber-Station zu vereinbaren. Kommt eine Einigung nicht innerhalb von zwei Monaten, nachdem eine Vertragspartei schriftlich zur Verhandlungsaufnahme aufgefordert hat, zustande, erfolgt die Festsetzung unverzüglich durch das für das Rettungswesen zuständige Ministerium entsprechend den Vorschriften des Gesetzes über kommunale Abgaben.
Im Gefolge der erwähnten Änderung des § 133 Abs. 1 SGB V durch das Gesundheitsstrukturgesetz wurde § 11 HRDG durch Art. 1 Nr. 12 des Gesetzes zur Änderung des Hessischen Rettungsdienstgesetzes vom 5. April 1993 (GVBl I S. 108) geändert und erhielt folgende Fassung:
§ 11
Benutzungsgebühren und Benutzungsentgelte
(1) Soweit den Landkreisen und kreisfreien Städten die ihnen aus der Durchführung des Gesetzes entstehenden Kosten nicht nach § 10 erstattet werden, können sie zur Finanzierung dieser Kosten Benutzungsgebühren bei den an der Vereinbarung nach § 8 Abs. 3 beteiligten Leistungserbringern erheben. Außerdem können sie abweichend von Abs. 2 Benutzungsgebühren erheben, wenn sie entsprechend § 9 Abs. 4 unmittelbar Leistungen der notärztlichen Versorgung erbringen. Die Gebühren werden nach den Vorschriften des Gesetzes über kommunale Abgaben in der jeweils geltenden Fassung festgesetzt. Bezüglich der Besetzung der Zentralen Leitstellen tragen die Landkreise und kreisfreien Städte als Eigenanteil 30 vom Hundert der Personalkosten, die nach Abzug der nach § 10 und der von Dritten erstatteten Personalkosten verbleiben.
(2) Abweichend von § 133 Abs. 1 des Fünften Buches Sozialgesetzbuch (SGB V) in der jeweils geltenden Fassung werden für die Kosten des Rettungsdienstes, die den Leistungserbringern im Rahmen der bedarfsgerechten Aufgabenerfüllung bei sparsamer Wirtschaftsführung entstehen, Benutzungsentgelte erhoben. Über die Höhe der Benutzungsentgelte können die Leistungserbringer mit den Leistungsträgern Vereinbarungen treffen. Das gleiche gilt für die Träger der gesetzlichen Unfallversicherung.
(3) Die Leistungserbringer und die Leistungsträger vereinbaren für jeden Rettungsdienstbereich einheitliche Benutzungsentgelte. Bei Kostenüber- oder -unterdeckung auf Grund von Leistungsabweichungen oder unterschiedlichen Kostenstrukturen zwischen einzelnen Leistungserbringern ist ein angemessener Ausgleich durchzuführen.
(4) Das Nähere zu Abs. 2 und 3, insbesondere über das Verfahren zur Kostenermittlung, der zugrunde liegenden Buchführungspflichten und die Bewertung der durch den Einsatz ehrenamtlicher Kräfte ersparten Kosten, wird durch Rechtsverordnung geregelt.
(5) Kommt eine Vereinbarung über die Benutzungsentgelte nach den Abs. 2 und 3 nicht innerhalb von zwei Monaten, nachdem eine Vertragspartei schriftlich zur Verhandlungsaufnahme aufgefordert hat, zustande, hat der Kreistag oder die Stadtverordnetenversammlung über die Benutzungsentgelte zu entscheiden. Vor der Entscheidung ist den Beteiligten Gelegenheit zur Erörterung zu geben. Bis zur Festsetzung durch den Kreisausschuß oder den Magistrat gelten die zuletzt gültigen Benutzungsentgelte weiter. Gegen den Festsetzungsbescheid ist der Verwaltungsrechtsweg gegeben. Ein Vorverfahren findet nicht statt; die Klage hat keine aufschiebende Wirkung.
(6) Die Landesverbände der Leistungserbringer und der Leistungsträger können die Benutzungsentgelte abweichend von Abs. 2 und 4 auf Landesebene vereinbaren, wenn das dafür maßgebliche Verfahren zur Entgeltermittlung und zum Kostenausgleich unter den Beteiligten einstimmig festgelegt wird. Die Vereinbarung bedarf der Genehmigung des für das Rettungswesen zuständigen Ministeriums.
(7) Abweichend von Abs. 3 und 5 sind die Benutzungsentgelte für die Luftrettung auf Landesebene zwischen den Leistungsträgern mit Wirkung für ihre Mitglieder und dem jeweiligen Träger einer Rettungshubschrauber-Station zu vereinbaren. Kommt eine Einigung nicht innerhalb von zwei Monaten, nachdem eine Vertragspartei schriftlich zur Verhandlungsaufnahme aufgefordert hat, zustande, erfolgt die Festsetzung unverzüglich durch das für das Rettungswesen zuständige Ministerium.
Das Verwaltungsgericht Wiesbaden hat mit Beschluß vom 2. Juli 1998 das Verfahren nach Art. 100 Abs. 1 GG ausgesetzt und dem Bundesverfassungsgericht die Frage vorgelegt, ob § 11 Abs. 7 i.V.m. Abs. 2 des Hessischen Rettungsdienstgesetzes in der Fassung des Art. 1 Nr. 12 des Gesetzes zur Änderung des Hessischen Rettungsdienstgesetzes vom 5. April 1993 die Bundesgesetzgebungskompetenz (Art. 72 Abs. 1 und Abs. 2 i.V.m. Art. 74 Abs. 1 Nr. 12 und Art. 31 GG) verletzt, soweit in dem früher ergangenen § 133 Abs. 1 Satz 3 SGB V in der Fassung des Art. 1 Nr. 82 des Gesundheitsstrukturgesetzes vom 21. Dezember 1992 (BGBl I S. 2266) eine Begrenzung des Preiserhöhungsspielraums für Rettungsdienstleistungen festgelegt worden ist.
Nach der Überzeugung des vorlegenden Gerichts sind § 11 Abs. 2 und Abs. 7 HRDG mit § 133 Abs. 1 Satz 3 SGB V unvereinbar.
Der Bundesgesetzgeber unterscheide in § 133 SGB V zwischen vereinbarten (§ 133 Abs. 1 SGB V) und durch landesrechtliche oder kommunalrechtliche Bestimmungen festgelegten Entgelten (§ 133 Abs. 2 SGB V). Dabei erfasse § 133 Abs. 1 SGB V jede landesrechtliche Gestaltung der Benutzungsentgelte, in der grundsätzlich Vereinbarungen (Verträge) abgeschlossen werden könnten (Vereinbarungsmodell). Dagegen erfasse der Tatbestand des § 133 Abs. 2 SGB V lediglich solche Fälle, in denen nach Landesrecht ausschließlich und von vornherein staatliche Festsetzungen erfolgen, der Landesgesetzgeber also ein originäres Festsetzungsmodell gewählt habe. Die grundsätzliche Vereinbarungsregelung des § 11 HRDG werde daher selbst dann vom Regelungsgehalt des § 133 Abs. 1 SGB V – einschließlich der “Preisdeckelungsvorschrift” des Satzes 3 – erfaßt, wenn hilfsweise die Möglichkeit bestehe, Entgelte durch Landesbehörden festzusetzen und davon auch Gebrauch gemacht werde.
Der Landesvorbehalt in § 133 Abs. 1 Satz 1 SGB V erstrecke sich nicht auf die nachträglich durch das Gesundheitsstrukturgesetz eingeführte Grundlohnanbindung der Entgeltsteigerung für die Jahre 1993, 1994 und 1995 gemäß Satz 3. § 11 Abs. 2 i.V.m. Abs. 7 HRDG ermächtige die festsetzende Landesbehörde im Widerspruch hierzu mit den Worten: “Abweichend von § 133 Abs. 1 des Fünften Buches Sozialgesetzbuch in der jeweils geltenden Fassung” ausdrücklich zu einer von der Preisbegrenzungsvorschrift des § 133 Abs. 1 Satz 3 SGB V abweichenden Entgeltfestsetzung. Das verstoße gegen zeitlich früher in Kraft getretenes vorrangiges Bundesrecht.
Zugleich liege auch ein Verstoß gegen die Kompetenzvorschriften des Grundgesetzes vor. Nach Art. 74 Abs. 1 Nr. 12 GG i.V.m. Art. 72 Abs. 1 und 2 GG habe der Bundesgesetzgeber mit der Einfügung des § 133 Abs. 1 Satz 3 SGB V zur Sicherung des volkswirtschaftlich hochrangigen Grundsatzes der Beitragsstabilität (vgl. §§ 71 Abs. 1, 141 Abs. 2 SGB V) zulässigerweise von seiner konkurrierenden Gesetzgebungsbefugnis Gebrauch gemacht. Deshalb müsse es der Landesgesetzgeber hinnehmen, daß Gefahrenabwehr im Rettungsdienst nicht zu jedem Preis betrieben werden könne.
Da eine verfassungsgemäße Auslegung von § 11 Abs. 2 i.V.m. Abs. 7 HRDG aufgrund des klaren Wortlauts nicht möglich sei, komme es für die Entscheidung über die Klage darauf an, ob diese Regelung gültig oder wegen des Verstoßes gegen Bundesrecht ungültig sei.