Verfahrensgang
OLG Köln (Beschluss vom 04.11.2004; Aktenzeichen 2 Ws 480/04) |
LG Aachen (Beschluss vom 14.09.2004; Aktenzeichen 33 StVK 514/04 K) |
Tenor
Die Verfassungsbeschwerde wird nicht zur Entscheidung angenommen.
Tatbestand
I.
Die Verfassungsbeschwerde betrifft die Frage, ob ein auf eine Sicherungsverwahrung bezogener Fortdauerbeschluss der zuständigen Strafvollstreckungskammer gemäß §§ 67d, 67e StGB mit Wirkung für die Zukunft das versehentliche Unterbleiben eines Beschlusses gemäß § 67c StGB heilen kann.
Entscheidungsgründe
II.
Die Verfassungsbeschwerde wird nicht zur Entscheidung angenommen, weil die Annahmevoraussetzungen gemäß § 93a Abs. 2 BVerfGG nicht vorliegen. Die Verfassungsbeschwerde hat keine Aussicht auf Erfolg.
1. a) Für den schwersten Eingriff in das Recht auf Freiheit der Person, die Freiheitsentziehung, fügt Art. 104 Abs. 2 GG dem Vorbehalt des förmlichen Gesetzes und den zur Verfassungspflicht erhobenen freiheitsschützenden Formen gemäß Art. 104 Abs. 1 Satz 1 2. Alternative GG (vgl. BVerfGE 58, 208 ≪220≫; 65, 317 ≪321 f.≫) den weiteren, verfahrensrechtlichen Vorbehalt einer richterlichen Entscheidung hinzu, der nicht zur Disposition des Gesetzgebers steht (vgl. BVerfGE 10, 302 ≪323≫). Der Richtervorbehalt dient der verstärkten Sicherung des Grundrechts aus Art. 2 Abs. 2 Satz 2 GG. Alle staatlichen Organe sind verpflichtet, dafür Sorge zu tragen, dass der Richtervorbehalt als Grundrechtssicherung praktisch wirksam wird (vgl. BVerfGE 105, 239 ≪248≫).
b) Art. 104 Abs. 2 Satz 1 GG erweitert oder beschränkt die materiellen Gründe für eine Freiheitsentziehung nicht, sondern bestimmt lediglich mit Verfassungskraft, dass alleine der Richter über die Statthaftigkeit einer jeden Freiheitsentziehung zu entscheiden hat. Hierzu gehört, dass der Richter in vollem Umfang die Verantwortung für die Maßnahme übernimmt, nicht aber eine bestimmte Form des richterlichen Spruchs. Diese ergibt sich, wenn der Gesetzgeber sie nicht ausdrücklich geregelt hat, aus der jeweiligen Rechtsmaterie (vgl. BVerfGE 10, 302 ≪310≫).
c) Die Sicherungsverwahrung stellt einen erheblichen Eingriff in das Freiheitsgrundrecht dar. Die Verhältnismäßigkeit dieses Eingriffs wird insbesondere durch verfahrensrechtliche Sicherungen erreicht.
aa) Das gerichtliche Verfahren über die Zulässigkeit und Fortdauer einer Freiheitsentziehung muss darauf angelegt sein, dem Betroffenen vor dem Freiheitsentzug alle diejenigen rechtsstaatlichen Sicherungen zu gewähren, die mit einem justizförmigen Verfahren verbunden sind. Sofern dem Schutzzweck des Art. 104 GG genügt wird, wird die Gewährleistung richterlicher Kontrolle auch durch eine analoge Heranziehung von Bestimmungen über das richterliche Verfahren erreicht (vgl. BVerfGE 83, 24 ≪32≫).
bb) Verfahrensrechtlich muss gewährleistet sein, dass das Vollstreckungsgericht die Notwendigkeit einer weiteren Maßregelvollstreckung regelmäßig überprüft und dabei besonderen Anforderungen an die Wahrheitsforschung gerecht wird (vgl. BVerfGE 109, 133 ≪162≫). Insbesondere die Vorschriften über die regelmäßige Überprüfung der weiteren Vollstreckung der Sicherungsverwahrung dienen der Wahrung des Übermaßverbots bei der Beschränkung des Grundrechts aus Art. 2 Abs. 2 GG. Ihre Missachtung kann dieses Grundrecht verletzen, wenn es sich um eine nicht vertretbare Fehlhaltung gegenüber dem das Grundrecht sichernden Verfahrensrecht handelt, die auf eine grundsätzlich unrichtige Anschauung von der Bedeutung des Grundrechts schließen lässt (vgl. BVerfGE 18, 85 ≪92≫; 72, 105 ≪114 f.≫; Beschluss der 3. Kammer des Zweiten Senats des Bundesverfassungsgerichts vom 16. November 2004 – 2 BvR 2004/04 –, zur Veröffentlichung in BVerfG-K vorgesehen).
2. Der Beschluss des Oberlandesgerichts Köln vom 4. November 2004 trägt diesen verfassungsrechtlichen Anforderungen Rechnung.
a) Obgleich zunächst keine richterliche Entscheidung gemäß dem in § 67c Abs. 1 StGB normierten Prüfungsverfahren getroffen worden war, wurde gegen den Beschwerdeführer unmittelbar anschließend an die Freiheitsstrafe die Sicherungsverwahrung vollstreckt. Das Oberlandesgericht Köln hat insoweit die Rechtswidrigkeit der bis zur ersten gerichtlichen Entscheidung über die Fortdauer der Sicherungsverwahrung vorgenommenen Vollstreckung der Sicherungsverwahrung festgestellt. Dieser Zeitraum ist nicht Gegenstand der verfassungsgerichtlichen Überprüfung.
b) Soweit über die fortbestehende Erforderlichkeit der Sicherungsverwahrung erstmals am 27. Mai 2003 richterlich entschieden wurde, beruhte diese gesetzeswidrige Verzögerung nicht auf einer Gleichgültigkeit gegenüber der gesetzlich vorgeschriebenen Frist (vgl. hierzu Beschluss der 3. Kammer des Zweiten Senats des Bundesverfassungsgerichts vom 16. November 2004 – 2 BvR 2004/04 –, zur Veröffentlichung in BVerfG-K vorgesehen, Umdruck S. 10), sondern offenkundig auf einem Versehen. Auch der Beschwerdeführer sah davon ab, die gesetzlich vorgesehene Entscheidung durch einen hierauf bezogenen Antrag herbeizuführen.
c) Es kann jedenfalls nicht festgestellt werden, dass die Auffassung des Oberlandesgerichts Köln, wonach der Beschluss der Strafvollstreckungskammer des Landgerichts Aachen vom 27. Mai 2003 die ursprüngliche Rechtswidrigkeit der Vollstreckung der Sicherungsverwahrung mit Wirkung für die Zukunft beseitigt habe, auf einer grundsätzlich unrichtigen Anschauung des Freiheitsgrundrechts des Beschwerdeführers beruhen würde. Die angegriffene Entscheidung hat die praktische Wirksamkeit des Richtervorbehalts gewahrt.
aa) Die für die Entscheidungen gemäß § 67c StGB und §§ 67d, 67e StGB in gleicher Weise zuständige Strafvollstreckungskammer hat – erstmals – mit dem Beschluss vom 27. Mai 2003 im vollen Umfang die Verantwortung für die weitere Vollstreckung der im Anlassurteil angeordneten Sicherungsverwahrung übernommen. Dem auf die Fortsetzung der Vollstreckung bezogenen Kontrollzweck der richterlichen Überprüfung (vgl. Horstkotte, in: LK, 10. Aufl., § 67e Rn. 11) wurde hiermit entsprochen. Die nachgelagerte Gefährlichkeitsprognose führte nach Auffassung der Strafvollstreckungskammer zu einem fortbestehenden Erfordernis, die Sicherungsverwahrung zu vollstrecken.
bb) Der Umstand, dass die erste und aus Versehen verzögerte richterliche Überprüfung des fortbestehenden Vollstreckungserfordernisses nicht auf § 67c StGB, sondern auf §§ 67d, 67e StGB gestützt wurde, führt nicht zur Grundrechtswidrigkeit der weiteren, in die Zukunft wirkenden Vollstreckung. Den mit dem Richtervorbehalt verbundenen Zwecken wurde für den hier relevanten Zeitraum – mit Wirkung für die Zukunft – Rechnung getragen. Die verfahrensrechtlichen Gewährleistungen in den Verfahren nach § 67c StGB und nach §§ 67d, 67e StGB entsprechen sich im vollen Umfang. Die richterliche Überprüfung des fortbestehenden Erfordernisses der Sicherungsverwahrung gemäß § 67c StGB einerseits und §§ 67d, 67e StGB andererseits ist auch hinsichtlich der jeweiligen materiellen Maßstäbe gleichartig (vgl. Tröndle/Fischer, StGB, 52. Aufl., § 67c Rn. 5; Stree, in: Schönke/Schröder, StGB, 26. Aufl., § 67c Rn. 4; Horstkotte, in: LK, 10. Aufl., § 67c Rn. 46 ff., § 67e Rn. 14). Bei den weiteren Überprüfungen gemäß §§ 67d, 67e StGB ist darüber hinaus zu berücksichtigen, dass mit wachsender Dauer der Sicherungsverwahrung die Voraussetzungen für die Verhältnismäßigkeit des Freiheitsentzugs strenger werden (vgl. BVerfGE 70, 297 ≪315≫; BVerfG, NJW 2004, S. 739 ≪742≫). Jedenfalls mit der in einem justizförmigen Verfahren getroffenen richterlichen Entscheidung vom 27. Mai 2003 stand hiernach fest, dass der Zweck der im Anlassurteil angeordneten Sicherungsverwahrung die weitere Unterbringung des Beschwerdeführers noch erforderte.
cc) Der vom Beschwerdeführer und den Fachgerichten in Bezug genommene Beschluss des Zweiten Senats des Bundesverfassungsgerichts vom 9. März 1976 – 2 BvR 618/75 – führt zu keinem anderen Ergebnis. Danach verletzt eine Unterbringung das Grundrecht aus Art. 2 Abs. 2 Satz 2 GG dann, wenn die Strafvollstreckungskammer entweder bei Strafende mit der ihr obliegenden Prüfung des fortbestehenden Unterbringungserfordernisses ohne vertretbaren Grund noch nicht begonnen hat oder aber trotz eingeleiteter Prüfung die Entscheidung infolge vermeidbarer Fehler oder Verzögerungen nicht binnen angemessener Frist zu treffen vermag (vgl. BVerfGE 42, 1 ≪10 f.≫). Diese Entscheidung verhält sich nicht zu der Frage, ob die Unterbringung ab dem späteren Zeitpunkt einer gerichtlichen Überprüfung des fortbestehenden und – wie hier – bestätigten Erfordernisses der Unterbringung zulässig wird. Dies ist aus den oben genannten Gründen zu bejahen.
Von einer weiteren Begründung wird abgesehen (§ 93d Abs. 1 Satz 3 BVerfGG).
Diese Entscheidung ist unanfechtbar.
Unterschriften
Hassemer, Osterloh, Mellinghoff
Fundstellen
Haufe-Index 1315631 |
NStZ-RR 2005, 187 |