Verfahrensgang
VG Trier (Beschluss vom 27.01.2012; Aktenzeichen 1 L 79/12) |
OVG Rheinland-Pfalz (Beschluss vom 27.01.2012; Aktenzeichen 7 B 10102/12) |
Tenor
wird gemäß § 32 Abs. 5 Satz 2 BVerfGG die Begründung gesondert übermittelt.
Tatbestand
Der Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung betrifft einen versammlungsbehördlich angeordneten Sofortvollzug einer Auflage, mit der die zeitliche Verlegung einer Demonstration vom 27. Januar 2012 auf den 28. Januar 2012 verfügt wurde.
I.
1. Die Antragstellerin meldete eine Versammlung mit dem Motto „Von der Finanz- zur Eurokrise – zurück zur D-Mark heißt unsere Devise!” für den 27. Januar 2012 von 19:00 bis 21:00 Uhr im Zentrum der Stadt T. an. Die Anmeldung erfolgte nach Auskunft der zuständigen Versammlungsbehörde am 25. Januar 2012. Das Versammlungsthema nahm dabei Bezug auf einen am selben Abend in der Aula des Bischöflichen Priesterseminars stattfindenden Vortrag des Börsenexperten Prof. O. mit dem Titel „Von der Finanz- zur Eurokrise”. Der 27. Januar ist, wie allgemein bekannt und Gegenstand der Presseberichterstattung ist, der Tag des Gedenkens an die Opfer des Nationalsozialismus.
2. Mit Bescheid vom 26. Januar 2012 verfügte die Versammlungsbehörde gemäß § 15 Abs. 1 des Versammlungsgesetzes des Bundes unter Anordnung der sofortigen Vollziehung die zeitliche Verlegung des Versammlungstermins auf den 28. Januar mit der Begründung, dass die Gefahr einer erheblichen Beeinträchtigung der öffentliche Ordnung bestünde, wenn die nach ihrem eigenen Selbstverständnis rechtsextreme Nationaldemokratische Partei Deutschlands am Gedenktag der Opfer des Nationalsozialismus einen Aufzug veranstalte. Denn hiervon ginge eine Provokationswirkung aus, die das sittliche Empfinden der Bürger erheblich beeinträchtigen würde. Einen Eilantrag auf Wiederherstellung der aufschiebenden Wirkung lehnten sowohl das Verwaltungsgericht als auch das Oberverwaltungsgericht jeweils mit Beschluss vom 27. Januar 2012 ab, da die angefochtene zeitliche Verlegung aus den für zutreffend erachteten Gründen der Versammlungsbehörde offensichtlich rechtmäßig sei.
3. In ihrem Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung nach § 32 BVerfGG rügt die Antragstellerin eine Verletzung in ihrem Grundrecht auf Versammlungsfreiheit aus Art. 8 Abs. 1 GG.
Entscheidungsgründe
II.
Der Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung hat keinen Erfolg.
1. Nach § 32 Abs. 1 BVerfGG kann das Bundesverfassungsgericht im Streitfall einen Zustand durch einstweilige Anordnung vorläufig regeln, wenn dies zur Abwehr schwerer Nachteile, zur Verhinderung drohender Gewalt oder aus einem anderen wichtigen Grund zum gemeinen Wohl dringend geboten ist. Dabei haben die Gründe, die für die Verfassungswidrigkeit des angegriffenen Hoheitsaktes vorgetragen werden, grundsätzlich außer Betracht zu bleiben. Der Antrag auf Eilrechtsschutz hat jedoch keinen Erfolg, wenn im Hauptsachverfahren vor dem Bundesverfassungsgericht eine Verfassungsbeschwerde unzulässig oder offensichtlich unbegründet wäre (vgl. BVerfGE 71, 158 ≪161≫; 111, 147 ≪152 f.≫; stRspr). Erwiese sich eine Verfassungsbeschwerde weder als von vornherein unzulässig oder offensichtlich unbegründet, sind die Folgen, die eintreten würden, wenn eine einstweilige Anordnung nicht erginge, eine Verfassungsbeschwerde aber Erfolg hätte, gegenüber den Nachteilen abzuwägen, die entstünden, wenn die begehrte einstweilige Anordnung erlassen würde, einer Verfassungsbeschwerde aber der Erfolg zu versagen wäre (vgl. BVerfGE 71, 158 ≪161≫; 96, 120 ≪128 f.≫; stRspr). Danach liegen die Voraussetzungen für den Erlass einer einstweiligen Anordnung nicht vor.
2. Eine Verfassungsbeschwerde wäre vorliegend allerdings weder von vornherein unzulässig noch offensichtlich unbegründet. Zwar hat das Bundesverfassungsgericht entschieden, dass die öffentliche Ordnung nicht von vornherein als Schutzgut, das eine zeitliche Verschiebung einer Versammlung um einen Tag rechtfertigen kann, ausscheidet und dass die öffentliche Ordnung auch dann betroffen sein kann, wenn einem bestimmten Tag ein in der Gesellschaft eindeutiger Sinngehalt mit gewichtiger Symbolkraft zukommt, der bei der Durchführung eines Aufzugs an diesem Tag in einer Weise angegriffen wird, dass dadurch zugleich grundlegende soziale oder ethische Anschauungen in erheblicher Weise verletzt werden (BVerfG, Beschluss der 1. Kammer des Ersten Senats vom 26. Januar 2001 – 1 BvQ 9/01 –, NJW 2001, S. 1409 ≪1410≫). Diese Entscheidung ist jedoch als eine auf eine konkrete Situation bezogene Einzelfallentscheidung ergangen und erlaubt keinesfalls den pauschalen, jeglicher weiteren Begründung enthobenen Rückschluss, dass an Gedenktagen Versammlungen bereits dann nicht durchgeführt werden dürfen, wenn diese in irgendeinem Sinne als dem Gedenken entgegenlaufend zu beurteilen sind. Vielmehr ist die Feststellung erforderlich, dass von der konkreten Art und Weise der Durchführung der Versammlung Provokationen ausgehen, die das sittliche Empfinden der Bürgerinnen und Bürger erheblich beeinträchtigen (vgl. BVerfGK 7, 221 ≪226 ff.≫; BVerfG, Beschluss der 1. Kammer des Ersten Senats vom 7. November 2008 – 1 BvQ 43/08 –, juris, Rn. 18), wobei eine grundsätzliche Klärung dieser Fragen noch aussteht. Vorliegend dürften insofern im Besonderen die Umstände gewürdigt werden müssen, dass das Versammlungsthema keinen ausdrücklichen Bezug zum Gedenktag sondern zu einem Vortrag zu einem anderen aktuellen allgemeinpolitischen Thema aufweist und dass – soweit ersichtlich – zum Versammlungszeitpunkt am Versammlungsort oder in dessen unmittelbarer Nähe auch keine besondere, an das Unrecht des Nationalsozialismus erinnernde Gedenkveranstaltung stattfindet. Dass von der Art und Weise der angemeldeten Versammlung zum beabsichtigten Zeitpunkt Provokationen ausgehen, die das sittliche Empfinden der Bürgerinnen und Bürger erheblich beeinträchtigen, ist vorliegend zumindest zweifelhaft. Dies abschließend zu bewerten, ist aber nicht Aufgabe des Eilrechtsschutzes vor dem Bundesverfassungsgericht. Im Ergebnis kann dies erst in einem Hauptsacheverfahren geklärt werden. Dabei ist im vorliegenden Verfahren, in dem allein vorläufiger Rechtsschutz durch das Bundesverfassungsgericht gesucht wird, nicht darüber zu entscheiden, ob dies bereits in einem Verfassungsbeschwerdeverfahren gegen die verwaltunsgerichtliche Versagung vorläufigen Rechtsschutzes geklärt werden kann oder erst nach Durchführung eines verwaltungsgerichtlichen Hauptsacheverfahrens.
3. Die damit erforderliche Folgenabwägung führt zu dem Ergebnis, dass der Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung abzulehnen ist, weil die Nachteile, die entstünden, wenn die begehrte einstweilige Anordnung erlassen würde, der Verfassungsbeschwerde aber der Erfolg zu versagen wäre, die Folgen überwiegen, die eintreten würden, wenn eine einstweilige Anordnung nicht erginge, die Verfassungsbeschwerde aber Erfolg hätte.
Würde die einstweilige Anordnung erlassen, so müsste die Versammlungsbehörde in Zusammenarbeit mit den allgemeinen Polizeibehörden binnen kürzester Zeit – der Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung ging am späten Nachmittag des 27. Januar 2012 bei der zentralen Faxstelle des Bundesverfassungsgerichts ein und konnte erst 30 Minuten vor dem beabsichtigten Versammlungsbeginn beschieden werden – die insoweit notwendigen Maßnahmen einleiten und das hierfür erforderliche Personal und die notwendige Ausrüstung bereitstellen, um den ordnungsgemäßen Verlauf der Versammlung sicherzustellen. Das Gericht kann sich unter den aufgezeigten zeitlichen Bedingungen kein hinreichend zuverlässiges Bild darüber machen, welche Gefahren bei Durchführung der Versammlung – gegebenenfalls auch durch Dritte – zu besorgen und welche Maßnahmen zu deren Verhinderung geboten und noch möglich sind. Mithin ist die Gefahr erheblicher und in der Kürze der Zeit nicht mehr zu kontrollierender Störungen der öffentlichen Sicherheit nicht auszuschließen. Dies kann der zuständigen Versammlungsbehörde vorliegend auch nicht zum Vorwurf gemacht werden, da die Versammlung kurzfristig angemeldet wurde, sie selbst ohne Verzögerung über den Versammlungsverlauf entschieden hat und sie aufgrund der ebenfalls ohne Verzögerung ergangenen Gerichtsbeschlüsse, die unter Bezugnahme auf die oben zitierte Entscheidung der Kammer vom 26. Januar 2001 – 1 BvQ 9/01 – ihre Entscheidung bestätigten, zumindest in begrenztem Umfange darauf vertrauen durfte, dass ihre Entscheidung bestehen bleiben und am fraglichen Tag die Versammlung nicht mehr stattfinden würde.
Demgegenüber wiegen die Folgen für die Antragstellerin, wenn die einstweilige Anordnung nicht erginge, eine Verfassungsbeschwerde aber Erfolg hätte, weniger schwer. Der Antragstellerin wurde grundsätzlich erlaubt, ihre Versammlung durchzuführen. Zwar ist von Art. 8 Abs. 1 GG auch die Wahl des Zeitpunktes der Versammlung umfasst (vgl. BVerfGE 69, 315 ≪343≫). Ein Eingriff hierin wiegt jedoch nicht so schwer wie ein Versammlungsverbot. Dass die Verlegung um einen Tag vorliegend einem Verbot gleichkäme erschließt sich – entgegen dem Vortrag der Antragstellerin – nicht. Das Versammlungsthema nimmt Bezug auf eine Frage, die unabhängig von dem am beabsichtigten Versammlungstag stattfindenden Vortrag derzeit im Fokus der öffentlichen Diskussion steht. Es ist daher zu erwarten, dass der Auseinandersetzung der Antragstellerin mit dem Thema auch am Folgetag der Veranstaltung ähnliche Beachtung in der Öffentlichkeit geschenkt wird wie am Tag des Vortrags selbst, zumal der in Bezug genommene Vortrag in einem geschlossenen Raum mit begrenzter Zuhörerschaft stattfindet und derartige Vorträge ihre volle Außenwirksamkeit regelmäßig erst durch eine anschließende Presseberichterstattung entfalten.
Diese Entscheidung ist unanfechtbar.
Unterschriften
Kirchhof, Eichberger, Masing
Fundstellen
Haufe-Index 2912332 |
NVwZ 2012, 6 |
NVwZ 2012, 749 |
KommJur 2012, 354 |