Entscheidungsstichwort (Thema)

Subsidiarität: unzulässige Verfassungsbeschwerde gegen die geänderte Kindergeldanrechnung

 

Leitsatz (redaktionell)

1. Da den Beschwerdeführern hinsichtlich der Anrechnung des Kindergeldes auf die Barunterhaltspflicht in der seit dem 1. Januar 2001 geltenden Fassung des § 1612 b Abs. 5 BGB der Rechtsweg zu den Fachgerichten offen steht, ist die Verfassungsbeschwerde ohne dessen Ausschöpfung wegen ihrer Subsidiarität unzulässig.

2. Zur Ablehnung des Antrags auf Erlass einer einstweiligen Anordnung, § 1612 b Abs. 5 BGB i. d. F. vom 02.02.2000 vorläufig auszusetzen, vgl. BVerfG vom 12.01.2001, 1 BvQ 38/00.

 

Normenkette

BGB § 1612b Abs. 5; GewÄchtG Art. 1 Nr. 2; BVerfGG § 90 Abs. 2 S. 1

 

Beteiligte

Rechtsanwalt Oliver Grebe

 

Verfahrensgang

BVerfG (Beschluss vom 12.01.2001; Aktenzeichen 1 BvQ 38/00)

 

Tenor

Die Verfassungsbeschwerde wird nicht zur Entscheidung angenommen.

 

Tatbestand

Die Verfassungsbeschwerde richtet sich gegen § 1612 b Abs. 5 BGB in der seit dem 1. Januar 2001 geltenden Fassung.

I.

§ 1612 b Abs. 5 BGB wurde durch Art. 1 Nr. 2 des Gesetzes zur Ächtung der Gewalt in der Erziehung und zur Änderung des Kindesunterhaltsrechts vom 2. November 2000 (BGBl I S. 1479) dahin geändert, dass die gemäß § 1612 b Abs. 1 BGB angeordnete hälftige Anrechnung des auf das Kind entfallenden Kindergeldes auf die Unterhaltspflicht des Barunterhaltspflichtigen nicht wie bisher unterbleibt, soweit der Unterhaltspflichtige außerstande ist, Unterhalt in Höhe des Regelbetrages nach der Regelbetrag-Verordnung zu leisten, sondern bereits, soweit er zur Leistung von Unterhalt in Höhe von 135 % des Regelbetrages außerstande ist.

Die Beschwerdeführer machen geltend, durch den erweiterten Ausschluss der Kindergeldanrechnung in ihren Grundrechten aus Art. 1 Abs. 1, Art. 2 Abs. 1, Art. 3 Abs. 1 GG sowie Art. 6 Abs. 1 in Verbindung mit Art. 20 Abs. 1 GG verletzt zu sein. Durch die Neuregelung entstünden den Beschwerdeführern finanzielle Nachteile, die es ihnen teilweise unmöglich machten, sowohl ihren eigenen Lebensunterhalt zu finanzieren als auch das ihnen zustehende Umgangsrecht mit ihren Kindern auszuüben und den damit verbundenen Erziehungsauftrag zu erfüllen. Außerdem würden die Beschwerdeführer gegenüber kinderlosen Einkommensbeziehern mit gleich hohem Einkommen, Eltern in intakten Familien sowie Barunterhaltspflichtigen mit höheren Einkommen ohne sachlichen Grund benachteiligt.

 

Entscheidungsgründe

II.

Die Verfassungsbeschwerde ist nicht zur Entscheidung anzunehmen. Die Annahmevoraussetzungen des § 93 a Abs. 2 BVerfGG liegen nicht vor, weil die Verfassungsbeschwerde keine Aussicht auf Erfolg hat (BVerfGE 90, 22 ≪25 f.≫). Die Verfassungsbeschwerde unmittelbar gegen § 1612 b Abs. 5 BGB ist unter dem Gesichtspunkt der Subsidiarität der Verfassungsbeschwerde unzulässig.

Der Grundsatz der Subsidiarität der Verfassungsbeschwerde verpflichtet die Beschwerdeführer, vor einer Anrufung des Bundesverfassungsgerichts grundsätzlich die Fachgerichte mit ihrem Anliegen zu befassen. Das gilt nicht nur dann, wenn das Gesetz einen Auslegungs- oder Entscheidungsspielraum offen lässt, sondern auch, wenn ein solcher Spielraum fehlt. Erreicht werden soll, dass das Bundesverfassungsgericht nicht auf ungesicherter Tatsachen- und Rechtsgrundlage weitreichende Entscheidungen trifft. Bei der Rechtsanwendung durch die sachnäheren Fachgerichte können – aufgrund besonderen Sachverstandes – möglicherweise für die verfassungsrechtliche Prüfung erhebliche Tatsachen zutage gefördert werden. Die Pflicht zur Anrufung der Fachgerichte besteht ausnahmsweise dann nicht, wenn die angegriffene Regelung die Beschwerdeführer zu Dispositionen zwingt, die später nicht mehr korrigiert werden können, oder wenn die Anrufung der Fachgerichte den Beschwerdeführern nicht zuzumuten ist, etwa weil das offensichtlich sinn- und aussichtslos wäre. Kann der mit dem Subsidiaritätsgrundsatz insbesondere verfolgte Zweck, eine fachgerichtliche Klärung der verfassungsrechtlich relevanten Sach- und Rechtsfragen herbeizuführen, nicht erreicht werden, ist die vorherige Anrufung der Fachgerichte gleichfalls entbehrlich (BVerfGE 79, 1 ≪19 f.≫; vgl. auch BVerfGE 74, 69 ≪74 f.≫). In Anwendung dieser Grundsätze ist die Verfassungsbeschwerde unzulässig.

Hinsichtlich der Anrechnung des Kindergeldes auf die Barunterhaltspflicht steht den Beschwerdeführern der Rechtsweg offen. Einwendungen gegen die Art und Höhe der Kindergeldanrechnung können sowohl im Rahmen einer Leistungs-, Abänderungs- oder Feststellungsklage als auch im vereinfachten Verfahren zur Unterhaltsfestsetzung oder zur Abänderung von Unterhaltstiteln gemäß §§ 645, 655 ZPO geltend gemacht werden (vgl. § 648 Abs. 1 Satz 1 Nr. 3 Buchstabe c, § 655 Abs. 3 ZPO). Auslegung und Tragweite von § 1612 b Abs. 5 BGB sind daher zunächst durch die Fachgerichte zu klären.

Dafür, dass die Beschwerdeführer durch die Gesetzesänderung zu später nicht mehr korrigierbaren Entscheidungen gezwungen oder schon jetzt zu Dispositionen veranlasst würden, die sie später nicht mehr korrigieren können, oder dass eine fachgerichtliche Klärung der Sach- und Rechtsfrage nicht erreichbar wäre, ist nichts vorgetragen und auch nichts ersichtlich.

Diese Entscheidung ist unanfechtbar.

 

Fundstellen

Haufe-Index 585031

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