Leitsatz (amtlich)
1. Freiheitsstrafen und freiheitsentziehende Maßregeln der Besserung und Sicherung verfolgen unterschiedliche Zwecke, weswegen sie grundsätzlich auch nebeneinander angeordnet werden können. Geschieht dies, ist es jedoch geboten, sie einander so zuzuordnen, dass die Zwecke beider Maßnahmen möglichst weitgehend erreicht werden, ohne dass dabei in das Freiheitsrecht des Betroffenen aus Art. 2 Abs. 2 Satz 2 GG mehr als notwendig eingegriffen wird (so bereits BVerfGE 91, 1).
2. § 67 Abs. 4 StGB ist mit Art. 2 Abs. 2 Satz 2 GG insoweit unvereinbar, als er es ausnahmslos – ohne eine Möglichkeit der Berücksichtigung von Härtefällen – ausschließt, die Zeit des Vollzugs einer freiheitsentziehenden Maßregel der Besserung und Sicherung auf Freiheitsstrafen aus einem anderen Urteil als demjenigen, in welchem diese Maßregel angeordnet worden ist, oder das bezüglich des die Maßregel anordnenden Urteils gesamtstrafenfähig ist („verfahrensfremde Freiheitsstrafen”), anzurechnen.
Verfahrensgang
OLG Frankfurt am Main (Beschluss vom 25.08.2009; Aktenzeichen 3 Ws 689/09) |
LG Darmstadt (Beschluss vom 24.06.2009; Aktenzeichen 2a StVK 717/09) |
Tenor
1. § 67 Absatz 4 des Strafgesetzbuches in der Fassung des Gesetzes zur Sicherung der Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus und in einer Entziehungsanstalt vom 16. Juli 2007 (Bundesgesetzblatt I Seite 1327) ist mit Artikel 2 Absatz 2 Satz 2 des Grundgesetzes insoweit unvereinbar, als er es ausnahmslos ausschließt, die Zeit des Vollzugs einer freiheitsentziehenden Maßregel der Besserung und Sicherung auf Freiheitsstrafen aus einem anderen Urteil als demjenigen, in welchem diese Maßregel angeordnet worden ist, oder das bezüglich des die Maßregel anordnenden Urteils gesamtstrafenfähig ist („verfahrensfremde Freiheitsstrafen”), anzurechnen.
2. Gemäß § 35 des Gesetzes über das Bundesverfassungsgericht wird angeordnet, dass bis zu einer Neuregelung durch den Gesetzgeber in Härtefällen nach Maßgabe der Gründe die Zeit des Vollzugs einer freiheitsentziehenden Maßregel der Besserung und Sicherung auch auf verfahrensfremde Freiheitsstrafen angerechnet werden muss.
3. Der Beschluss des Oberlandesgerichts Frankfurt am Main vom 25. August 2009 – 3 Ws 689/09 –, der Beschluss des Landgerichts Darmstadt vom 24. Juni 2009 – 2a StVK 717/09 – und der Bescheid der Staatsanwaltschaft Hanau vom 26. Mai 2009 – 4402 Js 13283/92 – verletzen den Beschwerdeführer in seinem Grundrecht aus Artikel 2 Absatz 2 Satz 2 des Grundgesetzes.
4. Der Beschluss des Oberlandesgerichts Frankfurt am Main vom 25. August 2009 – 3 Ws 689/09 – und der Beschluss des Landgerichts Darmstadt vom 24. Juni 2009 – 2a StVK 717/09 – werden aufgehoben. Die Sache wird zur erneuten Entscheidung an das Landgericht Darmstadt zurückverwiesen.
5. Die Bundesrepublik Deutschland und das Land Hessen haben dem Beschwerdeführer seine notwendigen Auslagen jeweils zur Hälfte zu erstatten.
Tatbestand
A.
Der Beschwerdeführer wendet sich gegen die Entscheidungen der Strafvollstreckungsbehörde sowie der Strafvollstreckungsgerichte, die Dauer des Vollzugs einer Maßregel der Besserung und Sicherung nicht auf verfahrensfremde Freiheitsstrafen anzurechnen. Mittelbar richtet sich die Verfassungsbeschwerde gegen § 67 Abs. 4 StGB, auf dem die angefochtenen Entscheidungen beruhen.
I.
1. Dem deutschen Strafrecht liegt ein zweispuriges Sanktionensystem zugrunde, das sich durch ein Nebeneinander von Strafen, die als Sanktion für schuldhaftes Verhalten verhängt werden, und schuldunabhängigen Rechtsfolgen tatbestandsmäßigen und rechtswidrigen Verhaltens – Maßregeln der Besserung und Sicherung (§§ 61 ff. StGB), darunter die Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus gemäß § 63 StGB – auszeichnet (vgl. BVerfGE 91, 1 ≪4, 31 f.≫; 109, 133 ≪135, 173 f.≫).
In diesem zweispurigen Sanktionensystem ist es angelegt, dass der Verurteilte Freiheitsentziehungen auf doppelter Grundlage und damit gegebenenfalls kumulativ erleiden kann. Eine Freiheitsentziehung kann entweder auf der Verhängung und Vollstreckung einer Freiheitsstrafe (§§ 38, 39 StGB) oder auf der Anordnung einer freiheitsentziehenden Maßregel der Besserung und Sicherung (§§ 63, 64, 66 ff. StGB) beruhen.
2. Sind sowohl eine Freiheitsstrafe als auch eine freiheitsentziehende Maßregel der Besserung und Sicherung zu vollstrecken, bestimmt § 67 StGB das Verhältnis der beiden Freiheitsentziehungen zueinander.
a) § 67 StGB wurde durch das Zweite Gesetz zur Reform des Strafrechts (2. StrRG) vom 4. Juli 1969 (BGBl I S. 717) in das Strafgesetzbuch eingefügt. Dadurch wurde die bis dahin geltende Rechtslage, nach der die Vollziehung einer mit Freiheitsentziehung verbundenen Maßregel der Besserung und Sicherung grundsätzlich nach Verbüßung der Freiheitsstrafe zu erfolgen hatte (sogenanntes Kumulationsprinzip, § 456b StPO a.F.), zugunsten eines vikariierenden Systems geändert (vgl. BTDrucks V/4095, S. 3; BTDrucks IV/650, S. 15). In diesem vikariierenden System wird eine freiheitsentziehende Maßregel der Besserung und Sicherung grundsätzlich vor der Strafe vollstreckt und die Zeit ihres Vollzugs auf die Strafe angerechnet. In der Fassung des 2. StrRG lautete § 67 StGB zunächst:
§ 67
Reihenfolge der Vollstreckung
(1) Wird die Unterbringung in einer Anstalt nach den §§ 63 bis 65 neben einer Freiheitsstrafe angeordnet, so wird die Maßregel vor der Strafe vollzogen. […]
(4) Wird die Maßregel vor der Strafe vollzogen, so wird die Zeit des Vollzuges der Maßregel auf die Strafe angerechnet.
b) Diese Regelung war in der Folgezeit Gegenstand einer kontroversen rechtspolitischen Debatte.
aa) Um die Bereitschaft des Untergebrachten zur Mitwirkung an der Behandlung im Maßregelvollzug zu stärken, wurde § 67 Abs. 4 StGB durch das Dreiundzwanzigste Strafrechtsänderungsgesetz (23. StrÄndG) vom 13. April 1986 (BGBl I S. 393) dahingehend neu gefasst, dass das letzte Drittel der Strafe – also der Zeitraum, der bei einer guten Sozialprognose in jedem Fall aussetzungsfähig ist – von der Anrechnungsmöglichkeit ausgenommen wurde. Damit sollte auch für die Fälle, in denen die erforderliche Behandlungsdauer im Maßregelvollzug die Dauer der verhängten Freiheitsstrafe übersteigt, die von einem verbleibenden Strafrest und der Möglichkeit, diesen zur Bewährung auszusetzen, ausgehende Behandlungsmotivation erhalten werden (vgl. BTDrucks 10/2720, S. 13). In der Fassung des 23. StrÄndG lautete § 67 Abs. 4 StGB:
(4) Wird die Maßregel ganz oder zum Teil vor der Strafe vollzogen, so wird die Zeit des Vollzugs der Maßregel auf die Strafe angerechnet, bis zwei Drittel der Strafe erledigt sind. Dies gilt nicht, wenn das Gericht eine Anordnung nach § 67d Abs. 5 Satz 1 trifft.
bb) In ihrem Gesetzentwurf hatte die Bundesregierung darüber hinaus eine Ergänzung der bisherigen Regelung durch einen Absatz 6 vorgeschlagen (vgl. BTDrucks 10/2720, S. 5), mit der sie eine Anrechnung der im Maßregelvollzug verbrachten Zeit auch für verfahrensfremde Freiheitsstrafen ermöglichen wollte, um einen Freiheitsentzug über das schuldangemessene Maß der Strafe hinaus grundsätzlich zu vermeiden. Eine weitergehende Freiheitsentziehung im Interesse des Schutzes der Allgemeinheit sollte nur in engen Grenzen und soweit zur Erreichung des Zwecks der Maßregel unvermeidlich zulässig sein. Von einer bestehenden Möglichkeit, die Zeit des Maßregelvollzugs auf mehrere Freiheitsstrafen anzurechnen, sei deshalb Gebrauch zu machen, um die Nachteile, die dem Betroffenen aus dem über das schuldangemessene Maß hinausgehenden Freiheitsentzug erwüchsen, so gering wie möglich zu halten (vgl. BTDrucks 10/2720, S. 13 f.). § 67 Abs. 6 StGB sollte demnach lauten:
(6) Die Absätze 1 bis 5 gelten sinngemäß, wenn eine in einem anderen Verfahren erkannte Freiheitsstrafe mit einer selbständig oder neben einer Freiheitsstrafe angeordneten Unterbringung nach den §§ 63 oder 64 zusammentrifft. Sind im Falle des Absatzes 4 mehrere zeitige Freiheitsstrafen oder zeitige Freiheitsstrafen und Ersatzfreiheitsstrafen nacheinander zu vollstrecken, so wird die Zeit des Vollzugs der Maßregel auf die Strafen in der Reihenfolge ihrer Vollstreckung angerechnet, jedoch nicht über den Zeitpunkt hinaus, zu dem infolge der Anrechnung zwei Drittel der Freiheitsstrafen erledigt sind.
In seiner Stellungnahme zu dem Gesetzentwurf der Bundesregierung lehnte der Bundesrat die Anrechnungsvorschrift des § 67 Abs. 6 StGB ab (vgl. BTDrucks 10/2720, S. 24 f.). Die vorgeschlagene Anrechnung von im Maßregelvollzug verbrachten Zeiten auf eine in anderer Sache verhängte Freiheitsstrafe erscheine zu weitgehend, denn sie könne zu ungerechtfertigten Vergünstigungen für Mehrfach- und Wiederholungstäter führen.
Als Reaktion hierauf empfahl der Rechtsausschuss des Deutschen Bundestages eine enger gefasste Anrechnungsvorschrift in den Gesetzentwurf aufzunehmen, um den Bedenken des Bundesrates teilweise Rechnung zu tragen (vgl. BTDrucks 10/4391, S. 8 und S. 18). § 67 Abs. 6 StGB sollte in dieser engeren Fassung lauten:
(6) Die Absätze 1 bis 5 gelten sinngemäß, wenn eine in einem anderen Verfahren erkannte Freiheitsstrafe mit einer selbständig oder neben einer Freiheitsstrafe angeordneten Unterbringung nach den §§ 63 oder 64 zusammentrifft; die Zeit des Maßregelvollzugs wird jedoch auf die in einem anderen Verfahren erkannte Freiheitsstrafe nicht angerechnet, wenn die ihr zugrundeliegende Tat nach Anordnung der Maßregel begangen worden ist.
Der Deutsche Bundestag nahm die Empfehlung des Rechtsausschusses an, doch stieß auch diese eingeschränkte Anrechnungsmöglichkeit im Bundesrat auf Kritik. Der Rechtsausschuss des Bundesrates schlug seinerseits eine noch enger gefasste Anrechnungsvorschrift vor (vgl. BRDrucks 5/1/86, S. 1 f.). Zur Begründung wurde ausgeführt, die automatische Anrechnung des Maßregelvollzugs auf verfahrensfremde Freiheitsstrafen sei kriminalpolitisch verfehlt und stelle die Vollstreckungspraxis vor kaum lösbare Schwierigkeiten. Diese Nachteile würden im Wesentlichen vermieden, wenn die Anrechnung einer Entscheidung des Gerichts vorbehalten bliebe. Dabei gehe der Vorschlag des Bundesrates im Kern mit der Begründung des Regierungsentwurfs davon aus, dass Nachteile, die dem Betroffenen aus einem über das schuldangemessene Maß hinausgehenden Freiheitsentzug erwüchsen, so gering wie möglich zu halten seien. Hinter der vorgeschlagenen Lösung stehe darüber hinaus die Überlegung, es nach Möglichkeit zu vermeiden, einen durch den Maßregelvollzug erreichten Erfolg durch die Anschlussvollstreckung einer Freiheitsstrafe wieder zu gefährden. Dem Gesichtspunkt des Schuldausgleichs trage die vorgeschlagene Fassung dadurch Rechnung, dass eine Anrechnung nur erfolge, soweit nicht die Gesamtwürdigung von Tat, Persönlichkeit des Verurteilten und seiner Entwicklung im Maßregelvollzug sie unangemessen erscheinen lasse (vgl. BRDrucks 5/1/86, S. 2 f.). Der Vorschlag des Rechtsausschusses des Bundesrates lautete:
(6) Die Absätze 1 bis 3 und 5 gelten sinngemäß, wenn eine in einem anderen Verfahren erkannte Freiheitsstrafe mit einer selbständig oder neben einer Freiheitsstrafe angeordneten Unterbringung nach den §§ 63 oder 64 zusammentrifft. Hierbei wird im Fall des Absatzes 1 die Zeit des Vollzuges der Maßregel bis zu höchstens zwei Dritteln der verhängten Freiheitsstrafe auf diese angerechnet, soweit nicht die Gesamtwürdigung von Tat, Persönlichkeit des Verurteilten und seiner Entwicklung während des Maßregelvollzugs dies unangemessen erscheinen lässt. Die Entscheidung über die Anrechnung trifft das Gericht. Die Anrechnung ist ausgeschlossen, wenn die der Freiheitsstrafe zugrundeliegende Tat nach Anordnung der Maßregel begangen […] worden ist.
Der Bundesrat verlangte jedoch auf Antrag des Freistaates Bayern die Einberufung des Vermittlungsausschusses mit dem Ziel der vollständigen Streichung der Anrechnungsvorschrift, da die Vorschläge allesamt rechtspolitisch verfehlt seien (vgl. BRDrucks 5/2/86, S. 1 f.). Der Beschlussempfehlung des Vermittlungsausschusses, auf eine erweiterte Anrechnungsmöglichkeit zu verzichten (vgl. BTDrucks 10/5061), stimmte der Bundestag schließlich zu.
c) Zuletzt wurde § 67 Abs. 4 StGB durch das Gesetz zur Sicherung der Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus und in einer Entziehungsanstalt vom 16. Juli 2007 (BGBl I S. 1327) geändert, das am 20. Juli 2007 in Kraft getreten ist. Diese Änderung beruhte auf der Entscheidung des Zweiten Senats des Bundesverfassungsgerichts vom 16. März 1994 (BVerfGE 91, 1 ff.), mit der § 67 Abs. 4 Satz 2 StGB für mit Art. 2 Abs. 2 Satz 2 GG unvereinbar und nichtig erklärt wurde, weil der dort vorgesehene pauschale Ausschluss der Anrechenbarkeit bei allen in der Person des Untergebrachten liegenden Gründen als unverhältnismäßiger Eingriff in das Freiheitsrecht qualifiziert wurde. Die Vorschrift hat nun – neben dem unverändert gebliebenen § 67 Absatz 1 – folgende Fassung:
(4) Wird die Maßregel ganz oder zum Teil vor der Strafe vollzogen, so wird die Zeit des Vollzugs der Maßregel auf die Strafe angerechnet, bis zwei Drittel der Strafe erledigt sind.
II.
Dem Ausgangsverfahren liegt folgender Sachverhalt zugrunde:
1. Der Beschwerdeführer, der 1969 in Kroatien geboren und kroatischer Staatsangehöriger ist, musste bereits in jugendlichem Alter eine Lehre wegen psychischer Auffälligkeiten abbrechen. Das Vormundschaftsgericht ordnete an, den damals etwa 16 Jahre alten Beschwerdeführer in einer Klinik für Kinder- und Jugendpsychiatrie unterzubringen, wo eine behandlungsbedürftige Angstneurose diagnostiziert wurde.
a) Nachdem er bereits zuvor in mehreren Fällen mit Bagatellstraftaten auffällig geworden war, wurde der Beschwerdeführer durch Urteil des Amtsgerichts Offenbach am Main vom 20. August 1992 wegen fortgesetzten gemeinschaftlichen schweren Diebstahls zu einer Freiheitsstrafe von einem Jahr verurteilt, deren Vollstreckung zur Bewährung ausgesetzt wurde.
b) Durch Urteil des Landgerichts Hanau vom 20. Juli 1993 wurde der Beschwerdeführer zudem wegen schweren räuberischen Diebstahls in Tateinheit mit gefährlicher Körperverletzung zu einer Freiheitsstrafe von drei Jahren und sechs Monaten verurteilt. Bei der Strafzumessung unterstellte das Landgericht zu seinen Gunsten, dass unter anderem die zuvor diagnostizierte Angstneurose sowie ein am Tattag erfolgter Rauschgiftkonsum zu einer gemäß § 21 StGB relevanten Reduzierung des Steuerungsvermögens geführt haben könnten und dass deswegen ein minder schwerer Fall des schweren räuberischen Diebstahls vorliege.
c) Weiter wurde der Beschwerdeführer durch das Amtsgericht Frankfurt am Main mit Urteil vom 26. November 1998 wegen Diebstahls zu einer Geldstrafe in Höhe von 90 Tagessätzen zu je 20 DM sowie mit Urteil vom 5. Juli 1999 wegen räuberischen Diebstahls in einem minder schweren Fall in Tateinheit mit Widerstand gegen Vollstreckungsbeamte zu einer Freiheitsstrafe von neun Monaten verurteilt. Das Amtsgericht Frankfurt am Main bildete mit Beschluss vom 21. Januar 2000 aus diesen beiden Verurteilungen eine nachträgliche Gesamtfreiheitsstrafe von zehn Monaten.
d) Schließlich wurde der Beschwerdeführer durch Urteil des Landgerichts Frankfurt am Main vom 2. Juni 2004 wegen Diebstahls geringwertiger Sachen und vorsätzlicher Körperverletzung zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von sechs Monaten verurteilt. Zugleich wurde seine Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus angeordnet. Bei der Strafzumessung unterstellte das Landgericht, der Beschwerdeführer habe sich in einem Zustand erheblich geminderter Steuerungsfähigkeit befunden, der auf einer langjährigen schizophrenen Erkrankung beruhe. Seine Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus sei anzuordnen gewesen, da er den Diebstahl und die Körperverletzung im Zustand der verminderten Schuldfähigkeit begangen habe. Der hinzugezogene Sachverständige habe eine Psychose aus dem schizophrenen Formenkreis diagnostiziert. Die begangenen Taten seien nach den Feststellungen des Sachverständigen auch symptomatisch für die vorliegende Erkrankung. Aus der Entwicklung der Krankheit in der Vergangenheit und den Vorverurteilungen des Beschwerdeführers ergebe sich die Überzeugung, dass von ihm infolge seines Zustandes erhebliche rechtswidrige Taten zu erwarten seien und er deshalb für die Allgemeinheit gefährlich sei.
2. Das mit den Verurteilungen des Beschwerdeführers einhergehende Vollstreckungsverfahren gestaltete sich langwierig.
a) Bereits mit Verfügung vom 17. Januar 1994 lud die Staatsanwaltschaft Hanau den Beschwerdeführer zur Vollstreckung der Freiheitsstrafe aus dem Urteil des Landgerichts Hanau zum Haftantritt. Als der Beschwerdeführer die Haft nicht antrat, erließ die Staatsanwaltschaft Hanau einen Vollstreckungshaftbefehl. Am 9. März 1994 teilte der Bewährungshelfer des Beschwerdeführers mit, dieser leide an einer „Borderline-Krankheit”. Die Staatsanwaltschaft ließ daraufhin durch einen Sachverständigen die Haftfähigkeit des Beschwerdeführers überprüfen, der in einem Gutachten vom 12. November 1994 beim Beschwerdeführer eine schizophrene Psychose diagnostizierte. Mit Verfügung vom 11. Januar 1995 schob die Staatsanwaltschaft die Vollstreckung der Freiheitsstrafe deswegen gemäß § 455 Abs. 1 StPO um ein Jahr auf, da der Beschwerdeführer wegen einer Geisteskrankheit vollzugsuntauglich sei. Mit Verfügungen vom 22. Mai 1997 sowie vom 8. September 1998 schob die Staatsanwaltschaft die Vollstreckung der Freiheitsstrafe abermals um ein beziehungsweise zwei weitere Jahre auf, da das Gesundheitsbild einer schizophrenen Psychose ausweislich weiterer zwischenzeitlich eingeholter psychiatrischer Stellungnahmen unverändert fortbestehe.
b) Bei einer von der Staatsanwaltschaft Hanau angeordneten amtsärztlichen Untersuchung am 10. Juli 2001 wurde festgestellt, dass die Frage der Haftfähigkeit des Beschwerdeführers der Eingangsuntersuchung bei Haftantritt in der Justizvollzugsanstalt vorbehalten bleiben müsse. Mit Verfügung vom 16. August 2001 lud die Staatsanwaltschaft den Beschwerdeführer daher erneut zum Haftantritt. Er trat die Haft jedoch wiederum nicht an, sondern ließ über seine Verteidigerin beantragen, die Vollstreckung nochmals aufzuschieben. In einem weiteren psychiatrischen Gutachten vom 3. September 2002 beurteilte der Sachverständige den Beschwerdeführer als bedingt haftfähig. Mit Verfügung der Staatsanwaltschaft Hanau vom 20. Februar 2003 wurde er daher ein drittes Mal zum Haftantritt geladen. Daraufhin tauchte der Beschwerdeführer unter. Erst am 19. Februar 2004 konnte er aufgrund eines zwischenzeitlich von der Staatsanwaltschaft erlassenen Vollstreckungshaftbefehls festgenommen und in eine Justizvollzugsanstalt verbracht werden. Dort wurde zunächst mit der Vollstreckung der mittlerweile widerrufenen Bewährungsstrafe aus dem Urteil des Amtsgerichts Offenbach am Main vom 20. August 1992 begonnen.
c) Bereits mit Beschluss vom 15. Juli 2003 hatte das Landgericht Frankfurt am Main jedoch die einstweilige Unterbringung des Beschwerdeführers in einem psychiatrischen Krankenhaus gemäß § 126a StPO angeordnet. Die Strafvollstreckung wurde deshalb auf Weisung der Staatsanwaltschaft Hanau am 26. Juli 2004 unterbrochen. Am 5. August 2004 wurde der Beschwerdeführer in die Klinik für forensische Psychiatrie Haina überstellt.
d) Im Maßregelvollzug konnte dort über die Jahre ein beachtlicher Behandlungserfolg erzielt werden. Die Heilung des Beschwerdeführers war so weit fortgeschritten, dass der zuletzt tätige externe Sachverständige Entlassungsvorbereitungen befürwortete. Zu diesem Zeitpunkt hatte der Beschwerdeführer von der Maßregelvollzugseinrichtung bereits die Lockerungsstufe sieben von acht bewilligt bekommen. Nach der Ablehnung eines vom Beschwerdeführer gestellten Gnadengesuchs durch die zuständigen hessischen Behörden Ende des Jahres 2007 stufte die Klinik für forensische Psychiatrie Haina ihn jedoch wegen Fluchtgefahr auf die Lockerungsstufe eins herab und verlegte ihn in eine gesicherte Station. Mit Wirkung vom 15. Januar 2009 wurde die Vollstreckung der Maßregel auf Antrag des Beschwerdeführers unterbrochen und mit der Strafvollstreckung aus dem Urteil des Landgerichts Hanau begonnen. Am gleichen Tag wurde der Beschwerdeführer in eine Justizvollzugsanstalt verlegt.
3. Mit Schreiben vom 21. April 2009 beantragte der Beschwerdeführer über seinen Verteidiger bei der Staatsanwaltschaft Hanau eine korrigierte Strafzeitberechnung unter Anrechnung der seit dem 5. August 2004 im Maßregelvollzug verbüßten Unterbringungszeit auf die Gesamtvollstreckungszeit.
a) Diesen Antrag wies die Staatsanwaltschaft Hanau mit Bescheid vom 26. Mai 2009 zurück. Die Zeit der verbüßten Unterbringung könne nicht auf verfahrensfremde Freiheitsstrafen angerechnet werden, da die Regelung des § 67 Abs. 4 StGB insoweit unanwendbar sei.
b) Mit Schriftsatz seines Verteidigers vom 5. Juni 2009 beantragte der Beschwerdeführer gegen den Bescheid der Staatsanwaltschaft Hanau gerichtliche Entscheidung. Seinen Antrag wies das Landgericht Darmstadt mit Beschluss vom 24. Juni 2009 zurück. Die erhobenen Einwendungen seien unbegründet, da die Strafzeitberechnung der Staatsanwaltschaft nicht zu beanstanden sei. Dies ergebe sich nicht nur aus dem insoweit eindeutigen und einer Auslegung nicht zugänglichen Wortlaut des § 67 Abs. 1 und 4 StGB, sondern entspreche darüber hinaus einhelliger Auffassung in der Rechtsprechung. Danach sei Voraussetzung für die Anrechnungsregel des § 67 Abs. 4 StGB, dass Maßregel und Strafe ihre Grundlage in demselben Strafurteil hätten. Bei verfahrensfremden Freiheitsstrafen komme eine Anrechnung nur im Gnadenwege in Betracht. Die gesetzliche Regelung könne zwar dazu führen, dass insbesondere bei der Verhängung kürzerer Freiheitsstrafen wie im vorliegenden Fall die Dauer der daneben angeordneten Maßregel die Dauer der erkannten Strafe übersteigen könne. Das Bundesverfassungsgericht habe jedoch entschieden, dass die Begrenzung der Anrechnung der Unterbringung auf zwei Drittel der zugleich verwirkten Freiheitsstrafe gemäß § 67 Abs. 4 Satz 1 StGB mit dem Grundgesetz vereinbar sei. Vor diesem Hintergrund könne es grundsätzlich nicht angehen, dass Mehrfachtäter wie der Verurteilte eine Anrechnung von Maßregelvollzug auf verfahrensfremde Freiheitsstrafen beanspruchen könnten. Abgesehen davon sei nicht erkennbar, nach welchen Kriterien bei einer derartigen Anrechnung verfahren werden sollte.
c) Die gegen den Beschluss des Landgerichts Darmstadt erhobene sofortige Beschwerde verwarf das Oberlandesgericht Frankfurt am Main mit Beschluss vom 25. August 2009. Zu Recht und mit zutreffender Begründung habe das Landgericht die Einwendungen des Beschwerdeführers zurückgewiesen. Das Beschwerdevorbringen gebe keinen Anlass zu einer abweichenden Beurteilung. Entgegen der Ansicht des Beschwerdeführers diene die weitere Freiheitsentziehung nicht ausschließlich dem Sicherheitsinteresse der Allgemeinheit. Dies treffe zwar für die Unterbringung zu; die Vollstreckung der Freiheitsstrafe diene hingegen auch dem gerechten Schuldausgleich. Die weiteren Überlegungen des Beschwerdeführers seien Gegenstand des Gesetzgebungsverfahrens gewesen, hätten aber keine parlamentarische Mehrheit gefunden. Gegen die dem Gesetz entsprechende und mit der allgemeinen Meinung übereinstimmende Begründung der angefochtenen Entscheidung bestünden auch keine verfassungsrechtlichen Bedenken. Solange das geltende Strafrecht keine Zusammenführung aller strafrechtlichen Sanktionen gegen eine Person in der Vollstreckung kenne, sei eine einheitliche Freiheitsstrafe, auf welche die Zeit im Maßregelvollzug angerechnet werden könne, nur unter den – im vorliegenden Fall nicht gegebenen – Voraussetzungen der Gesamtstrafenbildung vorgesehen.
4. Nach der zuletzt maßgeblichen Vollstreckungsplanung wurde die Zeit des Maßregelvollzugs gemäß § 67 Abs. 4 StGB bis zum Zweidrittelzeitpunkt auf die Freiheitsstrafe aus dem Urteil des Landgerichts Frankfurt am Main angerechnet. Durch die andauernde Anschlussstrafvollstreckung waren zudem die Hälfte der Strafe aus dem Urteil des Landgerichts Hanau am 12. Oktober 2010 und die Hälfte der Gesamtfreiheitsstrafe aus dem Beschluss des Amtsgerichts Frankfurt am Main am 13. März 2011 verbüßt. Zwischenzeitlich hat der Beschwerdeführer auch den Strafrest von 52 Tagen aus dem Urteil des Landgerichts Frankfurt am Main vollständig verbüßt. Im Anschluss daran ist die Vollstreckung der Restfreiheitsstrafen von 206 Tagen aus dem Urteil des Amtsgerichts Offenbach am Main sowie von 639 Tagen aus dem Urteil des Landgerichts Hanau vorgesehen. Das Strafende ist für den 26. Dezember 2013 notiert. Spätestens zu diesem Zeitpunkt soll der unterbrochene Maßregelvollzug fortgesetzt werden.
III.
Mit seiner unmittelbar gegen den Bescheid der Staatsanwaltschaft sowie gegen die Beschlüsse des Landgerichts und des Oberlandesgerichts und mittelbar gegen § 67 Abs. 4 StGB gerichteten Verfassungsbeschwerde rügt der Beschwerdeführer eine Verletzung seiner Grundrechte aus Art. 2 Abs. 2 Satz 2 GG und Art. 3 Abs. 1 GG.
1. Der Eingriff in Art. 2 Abs. 2 Satz 2 GG durch die Vollstreckung der Freiheitsstrafe und den Vollzug der Maßregel sei unverhältnismäßig. Die Versagung der Anrechnung der im Maßregelvollzug verbrachten Zeit auf verfahrensfremde Freiheitsstrafen führe zu einer ungerechtfertigten Doppelung von Freiheitsentziehungen. Freiheitsentziehungen, die über das schuldangemessene Maß der Strafe hinausgingen, seien jedoch grundsätzlich zu vermeiden. Solle eine Freiheitsentziehung im Interesse der Allgemeinheit erfolgen, müsse sie auf das unbedingt erforderliche Maß beschränkt bleiben. Die Grundrechtsverletzung liege bereits im Anrechnungsausschluss selbst und führe nicht nur zufällig zu etwaigen Unbilligkeiten im Einzelfall. Die Nichtanrechnung der im Maßregelvollzug verbrachten Zeit auf verfahrensfremde Freiheitsstrafen sei auch nicht durch sachliche Erwägungen gerechtfertigt. Durch eine Anrechnung würden insbesondere Mehrfachtäter nicht ungerechtfertigt begünstigt, denn auch diese erlitten in jedem Fall mindestens zwei Drittel der tat- und schuldangemessenen Freiheitsentziehung. Mehrfachtäterschaft rechtfertige für sich keinesfalls, dass mehr als die tat- und schuldangemessene Freiheitsentziehung zu vollstrecken sei. Selbst bei Mehrfachtätern sei eine Anrechnung unter den Voraussetzungen anerkannt, dass das Urteil, in dem die Maßregel angeordnet worden sei, gesamtstrafenfähig sei. Wann die Voraussetzungen der (nachträglichen) Gesamtstrafenbildung vorlägen, hänge jedoch häufig vom Zufall ab. Die Anrechnung sei zur Erreichung des Therapieerfolgs ebenso erforderlich wie zur Verwirklichung des verfassungsrechtlichen Resozialisierungsgebots. Eine Anschlussstrafvollstreckung nach abgeschlossener oder unterbrochener Therapie im Maßregelvollzug mache die dort erzielten Behandlungserfolge regelmäßig wieder zunichte.
2. Der Ausschluss jeglicher Anrechnungsmöglichkeit verletze zudem Art. 3 Abs. 1 GG. Die Anrechnung von im Maßregelvollzug verbrachten Zeiten auf eine Freiheitsstrafe aus demselben Urteil sowie auf verfahrensfremde Freiheitsstrafen seien vergleichbare Sachverhalte. Die Ungleichbehandlung dieser Sachverhalte sei aber aus denselben Gründen, die zu einer Verletzung des Art. 2 Abs. 2 Satz 2 GG führten, nicht gerechtfertigt.
IV.
Zu der Verfassungsbeschwerde haben das Bundesministerium der Justiz namens der Bundesregierung, die Hessische Staatskanzlei, der stellvertretende Vorsitzende des 5. Strafsenats des Bundesgerichtshofs sowie der Generalbundesanwalt beim Bundesgerichtshof Stellung genommen. Der Bundestag, der Bundesrat und die Regierungen der Länder Mecklenburg-Vorpommern, Niedersachsen und Thüringen haben mitgeteilt, sich nicht zu dem Verfahren äußern zu wollen. Die übrigen Äußerungsberechtigten haben von einer Stellungnahme abgesehen.
1. Das Bundesministerium der Justiz hält die Verfassungsbeschwerde für unbegründet; hilfsweise regt es eine verfassungskonforme Auslegung von § 67 Abs. 1 und Abs. 4 StGB an. Rechtsprechung und herrschende Lehre legten § 67 Abs. 1 und Abs. 4 StGB im Sinne der angegriffenen Entscheidungen aus. Diese Auslegung sei nicht willkürlich, denn das enge Verständnis der Norm werde ihrem Charakter als Ausnahmevorschrift gerecht. Das Strafrecht kenne die Zusammenführung aller Sanktionen gegen eine Person, abgesehen von der Gesamtstrafenbildung, in der Vollstreckung grundsätzlich nicht. Es bestehe zudem die Gefahr, dass eine Anrechnung Mehrfach- und Wiederholungstäter ungerechtfertigt bevorzuge. Es könnten zudem materiell- und verfahrensrechtlich erhebliche praktische Schwierigkeiten entstehen. Die Frage der Anrechnung bei unterschiedlichen Verurteilungen sei im Gesetzgebungsverfahren zum 23. StrÄndG ausgiebig diskutiert und schließlich abgelehnt worden, weil es zu einer unberechtigten Begünstigung von Mehrfach- und Wiederholungstätern kommen könne. Die Vorschrift des § 44b StVollstrO sei ausreichend, um etwaige Härten auszugleichen. Im Übrigen könne durch geschickte Vollstreckungsreihenfolge, Aussetzungsentscheidungen und gegebenenfalls im Gnadenwege vorgegangen werden. Jedenfalls sei § 67 Abs. 1 und Abs. 4 StGB einer verfassungskonformen Auslegung zugänglich. Der Wortlaut, systematische oder historische Gründe stünden dem nicht entgegen. Der Wortlaut der Vorschrift – „neben” – bedeute nicht zwingend, dass Strafe und Unterbringung gerade in einem Urteil angeordnet sein müssten. Der gesetzgeberische Wille sei von Anfang an darauf gerichtet gewesen, die doppelte Übelszufügung soweit wie möglich zu vermeiden.
2. Die Hessische Staatskanzlei hat eine Stellungnahme des Hessischen Ministeriums der Justiz, für Integration und Europa übermittelt. Dieses vertritt die Auffassung, die Verfassungsbeschwerde sei unbegründet. Die einfachgesetzliche Rechtslage stehe einer Anrechnung entgegen. Das Bundesverfassungsgericht habe zudem auch einen vollständigen Anrechnungsausschluss für grundsätzlich möglich erachtet. Um einen solchen Fall handele es sich im Hinblick auf die Anrechnung der Maßregelvollzugszeiten auf verfahrensfremde Freiheitsstrafen.
3. Der stellvertretende Vorsitzende des 5. Strafsenats des Bundesgerichtshofs hat mitgeteilt, der Senat sei mit den einschlägigen Rechtsfragen noch nicht befasst gewesen. Die Nichtanrechnung entspreche jedoch dem gegenwärtigen Rechtsverständnis. Unter Verhältnismäßigkeitsgesichtspunkten erscheine eine Anrechnung in besonders gelagerten Fällen erstrebenswert, falls aufgrund der Kumulation von Maßregel- und Strafvollzugszeiten die Dauer der Freiheitsentziehung insgesamt die ursprünglich verhängten Freiheitsstrafen deutlich überschreite. Dies könne zumindest dann gelten, wenn die naheliegende Gefahr bestehe, dass der anschließende Strafvollzug den zuvor im Maßregelvollzug bereits erzielten Heilerfolg wieder zunichte machen und damit das vom Verurteilten erbrachte Sonderopfer sinnlos werden würde.
4. Der Generalbundesanwalt beim Bundesgerichtshof hält die Verfassungsbeschwerde im Hinblick auf Art. 2 Abs. 2 Satz 2 GG für begründet. Verfassungsrechtlich sei es zwar nicht geboten, die Freiheitsentziehung im Maßregelvollzug auf jedwede Strafe anzurechnen. Im Rahmen seines Gestaltungsspielraums habe der Gesetzgeber sich dafür entschieden, die Verhältnismäßigkeit der Freiheitsentziehung nicht durch eine automatische Anrechnung, sondern durch eine flexible Ausgestaltung der Verfahrensregeln zu sichern. So könne die Entscheidung, ob und wie lange Freiheitsstrafen vor oder nach dem Maßregelvollzug vollzogen werden, weitgehend an den individuellen Bedürfnissen des Betroffenen ausgerichtet werden. Der Gesetzgeber habe mit § 67 Abs. 2, Abs. 3 und Abs. 5 StGB sowie mit den §§ 67a ff. StGB ein weitreichendes Instrumentarium geschaffen, welches eine angemessene Reaktion im Einzelfall ermöglichen solle. Diese Grundsätze könnten über § 44b StVollstrO auch bei verfahrensfremden Freiheitsstrafen Anwendung finden. Zudem könne durch eine flexibel zu handhabende Ausgestaltung der Vollstreckungsreihenfolge die Therapiemotivation des Betroffenen unterstützt werden. Allerdings komme Art. 2 Abs. 2 Satz 2 GG als objektiver Wertentscheidung des Grundgesetzes besondere Bedeutung zu. Deshalb könne und müsse § 67 Abs. 4 StGB im Einzelfall so ausgelegt werden, dass zur Sicherung der Verhältnismäßigkeit der weiteren Freiheitsentziehung eine Anrechnung nicht eine Freiheitsstrafe aus demselben oder einem gesamtstrafenfähigen Urteil erfordere, sondern bereits ein qualifizierter Sachbezug der Anlasstat zu den übrigen Taten ausreiche. Ein derartiger Sachbezug könne darin liegen, dass Maßregelanordnung und sonstige Delinquenz dieselbe Ursache hätten oder die Anrechnung zur Sicherung des übergeordneten Zieles der Resozialisierung des Betroffenen erforderlich sei.
V.
Die 3. Kammer des Zweiten Senats des Bundesverfassungsgerichts hat dem Beschwerdeführer mit Beschluss vom 9. Juli 2010 antragsgemäß Prozesskostenhilfe ohne Ratenzahlung bewilligt und Rechtsanwalt Stefan Adler, Marburg, beigeordnet.
Entscheidungsgründe
B.
Die zulässige Verfassungsbeschwerde ist begründet. Die den angefochtenen Entscheidungen zugrundeliegende Vorschrift des § 67 Abs. 4 StGB ist mit Art. 2 Abs. 2 Satz 2 GG unvereinbar (I., II.1.). Die angegriffenen Entscheidungen verletzen den Beschwerdeführer in seinem Grundrecht aus Art. 2 Abs. 2 Satz 2 GG. Sie sind daher aufzuheben, und die Sache ist zur erneuten Entscheidung an das Vollstreckungsgericht zurückzuverweisen (II.2.). Bis zu einer Neuregelung ist § 67 Abs. 4 StGB nach Maßgabe von Ziffer II. des Tenors anzuwenden (III.).
I.
1. Die von Art. 2 Abs. 2 Satz 2 GG gewährleistete „Freiheit der Person” nimmt – als Grundlage und Voraussetzung der wesentlichen Entfaltungsmöglichkeiten des Menschen – einen hohen Rang unter den Grundrechten ein. Das kommt darin zum Ausdruck, dass Art. 2 Abs. 2 Satz 2 GG die Freiheit der Person als „unverletzlich” bezeichnet, Art. 104 Abs. 1 Satz 1 GG ihre Beschränkung ausdrücklich nur aufgrund eines förmlichen Gesetzes zulässt und Art. 104 Abs. 2 bis 4 GG besondere Verfahrensgarantien für ihre Beschränkung statuiert (vgl. BVerfGE 35, 185 ≪190≫; 109, 133 ≪157≫; 128, 326 ≪372≫).
2. Die Freiheit der Person darf nur aus besonders gewichtigen Gründen eingeschränkt werden (vgl. BVerfGE 22, 180 ≪219≫; 29, 312 ≪316≫; 35, 185 ≪190≫; 45, 187 ≪223≫; stRspr). Belange von ausreichendem Gewicht sind insbesondere die unabweisbaren Bedürfnisse einer wirksamen Strafverfolgung (vgl. BVerfGE 19, 342 ≪347≫; 20, 45 ≪49≫; 20, 144 ≪147≫; 32, 87 ≪93≫; 35, 185 ≪190≫) und der Schutz der Allgemeinheit (vgl. BVerfGE 22, 180 ≪219≫; 30, 47 ≪53≫; 45, 187 ≪223≫; 58, 208 ≪224 f.≫; 70, 297 ≪307≫). Der Freiheitsanspruch des Untergebrachten kollidiert insoweit mit dem Erfordernis, die Allgemeinheit vor zu erwartenden erheblichen Rechtsgutverletzungen zu schützen; beide Belange sind gegeneinander abzuwägen (vgl. BVerfGE 90, 145 ≪172≫; 109, 133 ≪157≫; 128, 326 ≪372 f.≫).
a) Die Berechtigung des Staates, Freiheitsstrafen zu verhängen und zu vollstrecken, beruht auf der schuldhaften Begehung der Straftat. Das Grundgesetz geht von einem zu freier Selbstbestimmung befähigten Menschen aus und gebietet deshalb, Freiheitsstrafen an das in der Würde des Menschen wurzelnde Schuldprinzip zu knüpfen (vgl. BVerfGE 45, 187 ≪227≫; 57, 250 ≪275≫; 80, 367 ≪378≫; 90, 145 ≪173≫; 95, 96 ≪140≫; 123, 267 ≪413≫). Nur weil der Täter in vorwerfbarer Weise Unrecht begangen hat, darf er zu einer Freiheitsstrafe verurteilt und deren Vollstreckung unterworfen werden (vgl. BVerfGE 57, 250 ≪275≫; 128, 326 ≪376≫). In seiner strafzumessungsleitenden Funktion begrenzt das Schuldprinzip die Dauer der Freiheitsstrafe auf das der Tatschuld Angemessene. Die Schuld ist damit sowohl einer der legitimierenden Gründe als auch äußerste Grenze der Anordnung und des Vollzugs der Freiheitsstrafe (vgl. BVerfGE 128, 326 ≪376≫).
b) Die Unterbringung aufgrund einer Maßregel der Besserung und Sicherung findet ihre Berechtigung dagegen nicht in der Schuld des Betroffenen, sondern in der von ihm ausgehenden Gefahr für die Allgemeinheit (vgl. BVerfGE 91, 1 ≪27 f.≫; 109, 133 ≪174≫; 128, 326 ≪374≫).
aa) Anordnung und Vollzug einer freiheitsentziehenden Maßregel finden ihre Rechtfertigung im Sicherungsbedürfnis der Allgemeinheit (vgl. BVerfGE 58, 208 ≪224 f.≫; 91, 1 ≪27≫; 109, 133 ≪174≫) und können zum Schutz von Grundrechten wie des Lebens oder der Gesundheit in Wahrnehmung der dem Staat obliegenden Schutzpflicht aus Art. 2 Abs. 2 Satz 1 GG geboten sein (vgl. BVerfGE 109, 133 ≪186≫; 109, 190 ≪236≫). Weil der Maßregelvollzug dabei aber dem Grundsatz der Verhältnismäßigkeit unterliegt, entfällt die Rechtfertigung für den weiteren Vollzug einer Maßregel, wenn die Schutzinteressen der Allgemeinheit das Freiheitsrecht des Untergebrachten nicht länger überwiegen. Der Maßregelvollzug muss dann umgehend beendet werden (vgl. BVerfGE 128, 326 ≪377≫).
bb) Maßgebliche Eingriffsvoraussetzung ist die vom Untergebrachten ausgehende Gefahr. In den Fällen der Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus hat der Untergebrachte rechtswidrig Straftatbestände verwirklicht, ist aber strafrechtlich nicht oder nicht voll verantwortlich (§§ 20, 21 StGB). Da die zugrundeliegende Störung oder Erkrankung schicksalhaft und die aus ihr abzuleitende Gefährlichkeit kein vom Untergebrachten beherrschbares Persönlichkeitsmerkmal ist, wird dem Untergebrachten mit dem Maßregelvollzug ein Sonderopfer im Interesse der Allgemeinheit auferlegt (vgl. für die Sicherungsverwahrung BVerfGE 128, 326 ≪374≫; ferner Schöch, in: Leipziger Kommentar zum StGB, Bd. 3, 12. Aufl. 2008, § 63 Rn. 84; Kammeier, in: Kammeier, Maßregelvollzugsrecht, 2. Aufl. 2002, Rn. A 106 ff.; Pollähne, in: Kammeier, Maßregelvollzugsrecht, 3. Aufl. 2010, Rn. B 38; Müller-Dietz, NStZ 1983, S. 145 ≪148≫).
c) Der Maßregelvollzug muss, wie der Vollzug von Freiheitsstrafen, auf das Ziel der Resozialisierung ausgerichtet sein; dies folgt aus der grundgesetzlichen Pflicht zur Achtung der Menschenwürde, dem Sozialstaatsprinzip, dem Grundsatz der Verhältnismäßigkeit und der Pflicht des Staates, Dritte und die Allgemeinheit vor weiteren Straftaten zu schützen (vgl. BVerfGE 98, 169 ≪200≫; 109, 133 ≪151≫; 116, 69 ≪85≫; 128, 326 ≪377≫; Di Fabio, in: Maunz/Dürig, GG, Art. 2 Abs. 2 Rn. 61 ≪Mai 2009≫; Murswiek, in: Sachs, GG, 6. Aufl. 2011, Art. 2 Rn. 247; Grabitz, in: Isensee/Kirchhof, HStR VI, 2. Aufl. 2001, § 130 Rn. 46). Dem Gefangenen sollen die Fähigkeit und der Wille zu verantwortlicher Lebensführung vermittelt werden und er soll sich in Zukunft unter den Bedingungen einer freien Gesellschaft ohne Rechtsbruch behaupten, ihre Chancen wahrnehmen und ihre Risiken bestehen können (vgl. BVerfGE 33, 1 ≪7≫; 35, 202 ≪235≫; 98, 169 ≪200≫). Eine erfolgreiche Resozialisierung dient auch dem Schutz der Rechtsgemeinschaft, die ein unmittelbares Interesse daran hat, dass der Täter nicht wieder rückfällig wird und erneut andere und die Gemeinschaft schädigt (BVerfGE 35, 202 ≪235≫; 98, 169 ≪200≫). Entsprechendes gilt für den Vollzug freiheitsentziehender Maßregeln der Besserung und Sicherung. Auch hier trifft den Staat die Verpflichtung, im Vollzug von Anfang an geeignete Konzepte bereitzustellen, um die Gefährlichkeit des Untergebrachten für die Allgemeinheit nach Möglichkeit zu beseitigen und ihn auf ein Leben in Freiheit vorzubereiten. Das Resozialisierungsgebot gilt daher gleichermaßen für den Vollzug der Freiheitsstrafe wie auch der freiheitsentziehenden Maßregeln (vgl. BVerfGE 109, 133 ≪151≫; 128, 326 ≪377≫).
3. Der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit gebietet, dass die Freiheit der Person nur insoweit beschränkt wird, als dies im öffentlichen Interesse unbedingt erforderlich ist. Die verfassungsrechtlich gerechtfertigten Eingriffstatbestände haben insoweit auch eine freiheitsgewährleistende Funktion, da sie Eingriffe nicht nur erlauben, sondern zugleich begrenzen (vgl. BVerfGE 70, 297 ≪307≫; 75, 329 ≪341≫; 126, 170 ≪195≫). Vor diesem Hintergrund müssen Freiheitsstrafe und Maßregel einander sachgerecht zugeordnet werden (vgl. BVerfGE 91, 1 ≪31≫) und die Auswirkungen des mit ihnen verbundenen Freiheitsentzugs für den Betroffenen zumutbar bleiben (vgl. BVerfGE 69, 209 ≪218≫; 77, 1 ≪44≫; 119, 394 ≪417≫).
a) Das Rechtsstaatsprinzip, die Pflicht des Staates, die Sicherheit seiner Bürger und deren Vertrauen in die Funktionstüchtigkeit der staatlichen Institutionen zu schützen, sowie die Gleichbehandlung aller in Strafverfahren rechtskräftig Verurteilten gebieten grundsätzlich die Durchsetzung des staatlichen Strafanspruchs (vgl. BVerfGE 51, 324 ≪345≫). Das bedeutet auch, dass rechtskräftig erkannte Freiheitsstrafen grundsätzlich zu vollstrecken sind. Der staatliche Strafanspruch und, daraus folgend, das Gebot, rechtskräftig verhängte, tat- und schuldangemessene Strafen auch zu vollstrecken, sind gewichtige Gründe des Gemeinwohls (vgl. BVerfGE 51, 324 ≪343 f.≫). Die Rechtsordnung darf ihre Missachtung nicht prämieren, denn sie schafft sonst Anreize zur Rechtsverletzung, diskriminiert rechtstreues Verhalten und untergräbt damit auch die Voraussetzungen ihrer eigenen Wirksamkeit (vgl. BVerfGE 116, 24 ≪49≫).
b) aa) Der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit fordert jedoch, dass die Schwere des Eingriffs nicht außer Verhältnis zu dem Gewicht der ihn rechtfertigenden Gründe steht (vgl. BVerfGE 90, 145 ≪173≫; 92, 277 ≪327≫; 109, 279 ≪349 ff.≫; 115, 320 ≪345≫). Die von einem Eingriff ausgehenden Grundrechtsbeeinträchtigungen dürfen den dadurch erzielten Nutzen grundsätzlich nicht überwiegen (vgl. BVerfGE 90, 145 ≪173≫; 115, 320 ≪345≫). Ein Eingriff wird unzumutbar, wenn die Grenze der Verhältnismäßigkeit überschritten ist und dies zu einer übermäßigen Belastung des Betroffenen führt (vgl. BVerfGE 67, 157 ≪178≫; 76, 220 ≪238≫; 85, 226 ≪234 ff.≫; 100, 226 ≪243≫; 115, 166 ≪192≫; 115, 205 ≪234≫; 120, 224 ≪241≫).
bb) Mehrere für sich betrachtet möglicherweise angemessene oder zumutbare Eingriffe in grundrechtlich geschützte Bereiche können in ihrer Gesamtwirkung zu einer schwerwiegenden Beeinträchtigung führen, die das Maß der rechtsstaatlich hinnehmbaren Eingriffsintensität überschreitet. Kumulativen oder „additiven” Grundrechtseingriffen (vgl. BVerfGE 112, 304 ≪319 f.≫; 114, 196 ≪247≫; 123, 186 ≪266≫) wohnt ein spezifisches Gefährdungspotential für grundrechtlich geschützte Freiheiten inne (vgl. BVerfGE 112, 304 ≪319 f.≫). Ob eine Kumulation von Grundrechtseingriffen das Maß der rechtsstaatlich hinnehmbaren Eingriffsintensität noch wahrt, hängt von einer Abwägung aller Umstände ab, in die auch gegenläufige Verfassungsbelange einzubeziehen sind.
c) Freiheitsstrafen und freiheitsentziehende Maßregeln der Besserung und Sicherung verfolgen unterschiedliche Zwecke, weswegen sie grundsätzlich auch nebeneinander angeordnet werden können (vgl. BVerfGE 91, 1 ≪31≫; 128, 326 ≪376 f.≫). Geschieht dies, ist es jedoch geboten, sie einander so zuzuordnen, dass die Zwecke beider Maßnahmen möglichst weitgehend erreicht werden, ohne dass dabei in das Freiheitsrecht des Betroffenen aus Art. 2 Abs. 2 Satz 2 GG mehr als notwendig eingegriffen wird (BVerfGE 91, 1 ≪31≫). Schränkt der Gesetzgeber die Möglichkeit der Anrechnung von nebeneinander angeordneten Freiheitsentziehungen ein, muss er darauf Bedacht nehmen, dass bei der Kumulation der Maßnahmen die Freiheitsentziehung insgesamt nicht übermäßig wird und Anrechnungsausschlüsse nicht ohne Beziehung zu Grund und Ziel der Maßregel der Unterbringung erfolgen (vgl. BVerfGE 91, 1 ≪32≫).
aa) Das mit dem 2. StrRG eingeführte vikariierende System fußt auf der Annahme, dass die Freiheitsentziehung durch Unterbringung der Freiheitsstrafe weitgehend gleichwertig und daher eine Anrechnung von Zeiten des Maßregelvollzugs auf die Freiheitsstrafe grundsätzlich möglich ist. In seiner Entscheidung vom 16. März 1994 hat der Senat festgestellt, Art. 2 Abs. 2 Satz 2 GG lege es nahe, auf den Vollzug der Strafe insoweit zu verzichten, als dem Täter mit der Freiheitsentziehung als notwendiger Bedingung des Maßregelvollzugs aus Anlass seiner Tat ein Übel zugefügt werde, das zugleich auch dem Schuldausgleich dienen könne (BVerfGE 91, 1 ≪32≫).
bb) Aus dem verfassungsrechtlich fundierten Resozialisierungsauftrag (s.o. unter I.2.c) und aus der Pflicht, den Maßregelvollzug wegen des damit verbundenen Sonderopfers in besonderer Weise freiheitsorientiert und therapiegerichtet anzulegen (vgl. BVerfGE 128, 326 ≪374 f.≫), folgt zudem, dass nur gewichtige Gründe es rechtfertigen können, im Maßregelvollzug erzielte Therapieerfolge durch eine anschließende Strafvollstreckung zu gefährden. In der Praxis des Maßregelvollzugs sind die Therapieprogramme demgemäß regelmäßig darauf angelegt, den Verurteilten nach Eintritt des Therapieerfolgs keiner weiteren Freiheitsentziehung auszusetzen (vgl. Wolf, in: Pohlmann/Jabel/Wolf, Strafvollstreckungsordnung, 8. Aufl. 2001, § 44b Rn. 2; Volckart/Grünebaum, Maßregelvollzug, 7. Aufl. 2009, S. 43). Die Aussicht auf Wiedererlangung der Freiheit mit Bewährungsmöglichkeit wird als grundlegend für einen therapeutischen Erfolg angesehen, eine nachfolgende Strafvollstreckung einer nicht miterledigten, verfahrensfremden Freiheitsstrafe dagegen durchweg als für den Behandlungserfolg überaus nachteilig beurteilt (vgl. Wolf, a.a.O., § 44b Rn. 2; Volckart/Grünebaum, a.a.O., S. 43; Wagner, in: Röttle/Wagner, Handbuch der Rechtspraxis, Bd. 9, Strafvollstreckung, 8. Aufl. 2009, Rn. 361).
cc) Allerdings gebietet Art. 2 Abs. 2 Satz 2 GG keine umfassende Anrechung, weil Freiheitsstrafe und Maßregel der Unterbringung nach rechtfertigendem Grund und Zielrichtung grundsätzlich nebeneinander stehen. Die Unterschiede zwischen Zweck und konkreter Ausgestaltung des Freiheitsentzugs im Vollzug der Freiheitsstrafe einerseits und im Vollzug einer Maßregel der Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus andererseits geben dem Gesetzgeber von Verfassungs wegen daher auch die Möglichkeit, in Ausübung seiner Gestaltungsfreiheit eine nur teilweise Anrechnung der Zeit des Freiheitsentzugs im Maßregelvollzug auf die Freiheitsstrafe vorzusehen (BVerfGE 91, 1 ≪32≫). Dies gilt insbesondere, soweit eine zeitliche Begrenzung der Anrechenbarkeit dazu beitragen kann, den Untergebrachten zur Mitwirkung an einer Therapie zu motivieren (vgl. BVerfGE 91, 1 ≪33≫).
So ist ein Ausschluss der Anrechnung verfassungsrechtlich etwa dann gerechtfertigt, wenn die Behandlung im Maßregelvollzug scheitert und dies eindeutig und nachweislich auf eine Therapieunwilligkeit des Betroffenen ohne achtbare Gründe zurückzuführen ist (BVerfGE 91, 1 ≪33≫). Der Gesetzgeber darf auch berücksichtigen, ob die mit einer Nichtanrechnung von Zeiten des Maßregelvollzugs auf verfahrensfremde Freiheitsstrafen verbundene Gefährdung oder Verzögerung des Resozialisierungserfolgs der Maßregel dem Verurteilten zurechenbar ist, etwa weil er sich einer Vollstreckung dieser Freiheitsstrafen zu einem früheren Zeitpunkt entzogen hat. Zu den Gründen, die einen Ausschluss der Anrechnung zu rechtfertigen geeignet sind, gehört außerdem die Wahrung der präventiven Wirkung von Strafdrohungen, die entfiele oder jedenfalls deutlich abgeschwächt würde, soweit im Maßregelvollzug aufgrund von Anrechnungsregeln gewissermaßen Gutschriften angesammelt und für während des Vollzugs erst noch zu begehende Straftaten genutzt werden könnten.
II.
1. Nach diesen Maßstäben ist die Anrechnungsvorschrift des § 67 Abs. 4 StGB (a) mit Art. 2 Abs. 2 Satz 2 GG insoweit unvereinbar, als sie es ausnahmslos – ohne eine Möglichkeit der Berücksichtigung von Härtefällen – ausschließt, die Zeit des Vollzugs einer freiheitsentziehenden Maßregel der Besserung und Sicherung auf Freiheitsstrafen aus einem anderen Urteil als demjenigen, in welchem diese Maßregel angeordnet worden ist, oder das bezüglich des die Maßregel anordnenden Urteils gesamtstrafenfähig ist („verfahrensfremde Freiheitsstrafen”), anzurechnen (b). Eine verfassungskonforme Auslegung von § 67 Abs. 4 StGB scheidet aus (c).
a) § 67 Abs. 4 StGB hindert die Staatsanwaltschaft als zuständige Strafvollstreckungsbehörde (vgl. § 451 StPO, § 36 StVollstrO) daran, die Zeit des im Maßregelvollzug erlittenen Freiheitsentzugs auf verfahrensfremde Freiheitsstrafen anzurechnen, und bestimmt ihre Entscheidung über die Berechnung der Strafzeit mittelbar vor. Eine Anrechnung der im Maßregelvollzug verbrachten Zeit wird über den gesetzlich geregelten Fall hinaus nur dann für möglich erachtet, wenn hinsichtlich der noch zu vollstreckenden Urteile und des Urteils, in dem die Maßregel verhängt wurde, die Voraussetzungen einer nachträglichen Gesamtstrafenbildung vorliegen (vgl. OLG München, Beschluss vom 31. März 1987 – 1 Ws 735/86 –, NStZ 1988, S. 93 ≪94≫). Daher greifen nicht nur die von der Staatsanwaltschaft Hanau vorgenommene Strafzeitberechnung und die damit verbundene ausdrückliche Ablehnung, die im Maßregelvollzug verbrachte Zeit auch auf die noch zu vollstreckenden Freiheitsstrafen aus den Urteilen des Landgerichts Hanau und des Amtsgerichts Offenbach am Main sowie aus dem Beschluss des Amtsgerichts Frankfurt am Main anzurechnen, unmittelbar in das Grundrecht des Beschwerdeführers aus Art. 2 Abs. 2 Satz 2 GG ein (vgl. BVerfGE 29, 312 ≪316 ff.≫; BVerfGK 5, 17 ≪21≫), sondern mittelbar auch § 67 Abs. 4 StGB. Dieser gesetzlichen Regelung entsprechend geht ferner die Strafvollstreckungsordnung, eine Verwaltungsvorschrift (vgl. BVerfGE 29, 312 ≪315 f.≫), davon aus, dass der Vollzug der Maßregel nicht auf die Freiheitsstrafe angerechnet wird (§ 44b StVollstrO).
b) aa) Die mit der Kumulation von Strafvollstreckung und Maßregelvollzug verbundenen Belastungen lassen sich durch die vom Gesetzgeber zur Verfügung gestellten Instrumente des Vorwegvollzugs der Strafe (§ 67 Abs. 2 StGB, § 44b Abs. 2 Satz 1 StVollstrO), der Unterbrechung des Maßregelvollzugs (§ 454b Abs. 2 StPO), des Absehens von Vollstreckung wegen Auslieferung (§ 456a StPO) oder der erneuten Verhängung einer Maßregel (vgl. BGHSt 50, 199 ≪202≫; siehe aber auch BGH, Beschluss vom 9. Mai 2006 – 3 StR 111/06 –, NStZ-RR 2007, S. 8 ≪9≫) nur eingeschränkt zielgerecht beeinflussen, denn diese Instrumente sind weder je für sich noch durch eine Feinabstimmung ihres wechselseitigen Verhältnisses hinreichend auf das Nebeneinander unterschiedlicher strafrechtlicher Verurteilungen und Maßregelaussprüche zugeschnitten.
(1) Der – vollständige oder weitgehende – Vorwegvollzug der Strafe führt dazu, dass jedenfalls bei Unterbringungen gemäß § 63 StGB regelmäßig die Zwecke des Strafvollzugs verfehlt werden, wenn therapiefähige und therapiebedürftige psychisch gestörte oder kranke Straftäter zunächst im Strafvollzug untergebracht werden und ihre Krankheit so nicht nur nicht geheilt, sondern möglicherweise noch verschlimmert wird. Denn eine Therapie im Maßregelvollzug hat umso größere Erfolgschancen, je schneller sie nach der Verurteilung begonnen werden kann (vgl. Volckart/Grünebaum, a.a.O., S. 44; vgl. auch BVerfGE 128, 326 ≪386≫). Sinngemäß gilt dies auch für die Unterbrechung des Maßregelvollzugs zum Zwecke der Vollstreckung der verfahrensfremden Freiheitsstrafen. Mit dem Maßregelvollzug wird zugleich die Behandlung des Betroffenen unterbrochen, schon weil eine Justizvollzugsanstalt insoweit typischerweise nicht dasselbe leisten kann wie eine Maßregelvollzugseinrichtung.
(2) Die Vorgehensweise nach § 456a StPO unterscheidet sich von der Unterbrechung des Maßregelvollzugs lediglich darin, dass der Beschwerdeführer nicht zwei Drittel, sondern – aufgrund der überwiegenden staatsanwaltschaftlichen Praxis – in der Regel „nur” die Hälfte der Freiheitsstrafen verbüßen muss. Dafür muss er in Kauf nehmen, ausgeliefert oder aus dem Bundesgebiet ausgewiesen zu werden, die bereits begonnene Therapie nicht zu beenden und die Bundesrepublik Deutschland umgehend zu verlassen. Der Betroffene hat dabei auf eine schnelle und effektive Zusammenarbeit der beteiligten Behörden weder einen Anspruch noch kann er darauf entscheidenden Einfluss nehmen.
(3) Lediglich die wiederholte Anordnung der Maßregel des § 63 StGB kann zu dem Ergebnis führen, dass sowohl eine doppelte Übelszufügung als auch eine Gefährdung des Resozialisierungserfolgs vermieden wird. Erhebliche Unwägbarkeiten bestehen jedoch in der praktischen Umsetzung dieser Lösung, da die vollstreckungsrechtliche „Umstellung” von einer Maßregel auf die andere nicht automatisch erfolgt, sondern tatsächlich im richtigen Zeitpunkt von der Staatsanwaltschaft angeordnet werden muss (vgl. Volckart/Grünebaum, a.a.O., S. 45; Böhm, NStZ 1996, S. 583 ≪586≫).
bb) Die vorhandenen Instrumente reichen nicht aus, um Härtefälle zu vermeiden, die sich bei der Gestaltung des Vollstreckungsverfahrens aus der Kumulation von Freiheitsstrafe und Maßregel sowie besonderer Gegebenheiten des Einzelfalles durch die fehlende Möglichkeit, Zeiten des Maßregelvollzugs auf verfahrensfremde Freiheitsstrafen anzurechnen, ergeben können. Dabei ist eine erheblich über die verhängten Freiheitsstrafen hinausgehende Dauer der Freiheitsentziehung ebenso zu berücksichtigen wie die mögliche Entwertung eines bereits erzielten Therapieerfolges oder der Beitrag, den der Betroffene zur konkreten Gestaltung des Vollstreckungsverfahrens geleistet hat. Nicht hingenommen werden kann es jedenfalls, wenn ein von der Verfassung nicht nur anerkannter, sondern auch geforderter Strafzweck wie der der Resozialisierung durch eine einfachgesetzliche vollstreckungsrechtliche Regelung einseitig zu Lasten eines anderen Strafzwecks marginalisiert oder sogar potentiell vereitelt wird, ohne dass dies durch Gründe von erheblichem Gewicht gerechtfertigt wäre. Wie die Betrachtung des vorliegenden Falles zeigt, hat § 67 Abs. 4 StGB aber eben dies insofern zur Folge, als er eine Anrechnung von Zeiten des Maßregelvollzugs auf verfahrensfremde Freiheitsstrafen ausnahmslos – auch in einem Härtefall wie dem hier vorliegenden – ausschließt (s. im Einzelnen unter 2.).
c) Eine verfassungskonforme Auslegung von § 67 Abs. 4 StGB scheidet aus.
aa) Zwar geht die verfassungskonforme Auslegung im Interesse der Normerhaltung der Nichtigerklärung grundsätzlich vor (vgl. BVerfGE 49, 148 ≪157≫; 54, 277 ≪300≫; 86, 288 ≪320≫). Die Möglichkeit, eine Norm verfassungskonform auszulegen, findet ihre Grenzen jedoch dort, wo sie mit dem Wortlaut der Norm und dem klar erkennbaren Willen des Gesetzes in Widerspruch treten würde (vgl. BVerfGE 18, 97 ≪111≫; 54, 277 ≪299≫; 71, 81 ≪105≫; 98, 17 ≪45≫). Im Wege der verfassungskonformen Auslegung darf einem nach Wortlaut und Sinn eindeutigen Gesetz nicht ein entgegengesetzter Sinn verliehen, der normative Gehalt der auszulegenden Vorschrift nicht grundlegend neu bestimmt und das gesetzgeberische Ziel nicht in einem wesentlichen Punkt verfehlt werden (vgl. BVerfGE 54, 277 ≪299 f.≫; 63, 131 ≪141≫; 71, 81 ≪105≫; 90, 263 ≪275≫).
bb) Danach ist eine verfassungskonforme Auslegung des § 67 Abs. 4 StGB nicht möglich. Die Materialien zum 23. StrÄndG zeigen eindeutig, dass sich eine Auslegung des § 67 Abs. 4 StGB, die die Anrechung von Maßregelvollzugszeiten auch auf verfahrensfremde Freiheitsstrafen zuließe, über den deutlich artikulierten und in Literatur und Rechtsprechung ausnahmslos so verstandenen Willen des Gesetzgebers (vgl. Schöch, a.a.O., § 67 Rn. 12; Stree/Kinzig, in: Schönke/Schröder, StGB, 28. Aufl. 2010, § 67 Rn. 1; Fischer, StGB, 59. Aufl. 2012, § 67 Rn. 2; Sinn, in: Systematischer Kommentar zum StGB, § 67 Rn. 3 ≪Juli 2009≫; Lackner/Kühl, StGB, 27. Aufl. 2011, § 67 Rn. 1; Maier, in: Münchener Kommentar zum StGB, Band 2/1, 2005, § 67 Rn. 3; Pollähne/Böllinger, in: Kindhäuser/Neumann/Paeffgen, StGB, 3. Aufl. 2010, § 67 Rn. 18; Jehle, in: Satzger/Schmitt/Widmaier, StGB, 2009, § 67 Rn. 3; Wolf, a.a.O., § 44b Rn. 5; Wagner, a.a.O., Rn. 361; Volckart/Grünebaum, a.a.O., S. 41 f.; Kamann, in: Kammeier, a.a.O., Rn. L 31; OLG Frankfurt am Main, Beschluss vom 31. Juli 1996 – 3 Ws 622/96 –, NStZ-RR 1996, S. 380 ≪381≫; KG, Beschluss vom 11. Juli 1997 – 5 Ws 412/97, 5 Ws 413/97, 5 Ws 414/97 –, juris) hinwegsetzen würde. Bei der jüngsten Änderung der Vorschrift hat der Gesetzgeber eine erweiterte Anrechnungsmöglichkeit nicht mehr erwogen (vgl. BTDrucks 16/1110), weswegen von einem Fortbestehen seines ursprünglichen Willens auszugehen ist.
2. Die angegriffenen Entscheidungen verletzen den Beschwerdeführer nach den unter I. dargelegten Maßstäben in seinem Grundrecht aus Art. 2 Abs. 2 Satz 2 GG, indem sie gemäß § 67 Abs. 4 StGB keinerlei Anrechnung der im Maßregelvollzug verbrachten Zeit auf die noch zu vollstreckenden Urteile des Amtsgerichts Offenbach und des Landgerichts Hanau zulassen. Durch die Nichtanrechnung der Zeit des Maßregelvollzugs muss der Beschwerdeführer mindestens zwei Drittel der verfahrensfremden Freiheitsstrafen verbüßen. Das ist jedenfalls im vorliegenden Fall nicht mehr zumutbar.
a) Es kann dahingestellt bleiben, ob die bisherige Dauer des Maßregelvollzugs vom 5. August 2004 bis zum 15. Januar 2009 mit knapp viereinhalb Jahren für sich genommen – im Hinblick auf die der Verurteilung zugrundeliegenden Anlasstaten (vgl. BVerfGE 70, 297 ≪316≫) – verhältnismäßig war (vgl. § 67d Abs. 6 StGB). Dies gilt auch für die Gesamtdauer der Freiheitsentziehungen, die allein regelmäßig kein hinreichend aussagekräftiges Kriterium für die Beurteilung der Zumutbarkeit sein kann, weil es insoweit nicht nur um den Schuldausgleich geht, sondern auch um die schwieriger einzuschätzende Gefährlichkeit des Betroffenen.
b) Durch den Ausschluss jeglicher Anrechnung bei verfahrensfremden Freiheitsstrafen ist der Beschwerdeführer aber durch den – im vorliegenden Fall lediglich unterbrochenen – Maßregelvollzug und die Anschlussstrafvollstreckung von mehreren sich überlagernden Grundrechtseingriffen betroffen, die jeweils sein durch Art. 2 Abs. 2 Satz 2 GG gewährleistetes Freiheitsgrundrecht beeinträchtigen. Dadurch ergibt sich eine Kumulation der Eingriffswirkungen, die ihn angesichts der Umstände des zu entscheidenden Falles über das rechtsstaatlich hinnehmbare Maß hinaus belasten.
aa) Der vom Gesetzgeber mit der Nichtanrechnung der Zeit des Maßregelvollzugs angestrebte Zweck, für jede Straftat eine schuldangemessene Sanktion zu verhängen, ist angesichts des verfassungsrechtlichen Gewichts des staatlichen Strafanspruchs zwar grundsätzlich geeignet, den Ausschluss einer Anrechnung zu rechtfertigen, in deren Folge die Dauer der Freiheitsentziehung über das der Schuld angemessene Maß hinausgeht. Im vorliegenden Fall liegt jedoch eine deutliche Überschreitung des von den Fachgerichten für schuldangemessen erachteten Freiheitsentzugs vor. Die vom Beschwerdeführer im Maßregelvollzug verbrachte Zeit von über vier Jahren ist lange genug, um alle noch zu verbüßenden verfahrensfremden Freiheitsstrafen bis zu den jeweiligen Zweidrittelzeitpunkten zu erledigen. Ließe man eine Anrechnung zu, so könnte der Beschwerdeführer durch Erledigterklärung oder Aussetzung der Maßregel zur Bewährung bei gleichzeitiger bedingter Strafaussetzung gemäß § 67d Abs. 6 Satz 1, § 67 Abs. 5, § 57 Abs. 1 und Abs. 4 StGB in die Freiheit entlassen werden.
bb) Dagegen droht die Nichtanrechnung im vorliegenden Fall mit erheblicher Wahrscheinlichkeit die im Maßregelvollzug erreichten Behandlungsfortschritte zunichte zu machen und damit die erfolgreiche Resozialisierung des Beschwerdeführers zu vereiteln. Der Beschwerdeführer muss entweder eine jahrelange Anschlussstrafvollstreckung erleiden oder den Maßregelvollzug zum Zwecke des Strafvollzugs langwierig unterbrechen. In beiden Fällen besteht die Gefahr, dass der durch den Maßregelvollzug bereits erzielte Behandlungserfolg – Behandlung der psychischen Erkrankung des Beschwerdeführers und dadurch Verringerung seiner Gefährlichkeit für die Allgemeinheit – voraussichtlich nahezu vollständig wieder zunichte gemacht wird. Der zuletzt tätige Sachverständige schätzte den Verlauf des Maßregelvollzugs als überaus gelungen ein. Die Entwicklung des Beschwerdeführers in den letzten Jahren sei überwiegend positiv, er habe kontinuierliche Fortschritte gemacht. Dabei sei als Zukunftsperspektive auf eine Entlassung in ein Wohnheim für psychisch Kranke hingearbeitet worden. Es sei jedoch absehbar, dass sich durch die nun vollzogene Anschlussstrafvollstreckung die zunächst nicht ungünstig erscheinende Prognose sukzessive verschlechtern werde, weil der Beschwerdeführer die Situation krankheitsbedingt voraussichtlich nicht angemessen verarbeiten könne und daher aus Frust und Perspektivlosigkeit seine Kooperation mehr und mehr einstellen werde. Dies könne dazu führen, dass eine vollständige Heilung und eine dadurch bedingte Entlassung aus dem Maßregelvollzug überhaupt nicht mehr zu erreichen sei.
cc) Insbesondere ist aber darüber hinaus im vorliegenden Fall der – nicht allein aus Gründen, die im Verantwortungsbereich des Beschwerdeführers liegen – ungewöhnliche Verlauf des Vollstreckungsverfahrens zu berücksichtigen. Es bedarf keiner Entscheidung, ob hier ins Gewicht fallen kann, dass möglicherweise eine eventuell schon früher bestehende Minderung der Schuldfähigkeit des Beschwerdeführers nicht rechtzeitig erkannt wurde. Jedenfalls bestehen nach den vorliegenden Gutachten Anhaltspunkte dafür, dass die der Maßregelanordnung zugrundeliegende Erkrankung den Vollstreckungsverlauf beeinflusst hat, und darf nicht außer Betracht bleiben, dass aufgrund dessen zumindest eine frühzeitigere strafvollzugliche Behandlung des Beschwerdeführers, die der Begehung weiterer Straftaten möglicherweise hätte entgegenwirken können, unterblieben ist.
dd) Ist in einem solchen Fall der Zweck der Maßregel bereits ganz oder teilweise erfüllt und die Gefährlichkeit des Beschwerdeführers entsprechend reduziert oder gar vollständig beseitigt, erscheint es unzumutbar, dass dieser Erfolg durch die Dauer des nachfolgenden Strafvollzugs wieder in Frage gestellt wird. Die bis dahin im Maßregelvollzug verbrachte Zeit erschiene so nicht nur sinnlos, sondern es drohte nach der Haftverbüßung erneut die Einweisung in den Maßregelvollzug. Damit aber würde das dem Beschwerdeführer im Interesse der Allgemeinheit auferlegte Sonderopfer entwertet.
c) Die mit der Verfassungsbeschwerde angegriffenen Entscheidungen beruhen auf der mit dem Grundgesetz unvereinbaren Vorschrift des § 67 Abs. 4 StGB und verletzen den Beschwerdeführer damit in seinem Grundrecht aus Art. 2 Abs. 2 Satz 2 GG. Sie sind daher aufzuheben. Die Sache ist zur erneuten Entscheidung an die zuständige Strafvollstreckungskammer des Landgerichts Darmstadt zurückzuverweisen (§ 95 Abs. 2 BVerfGG).
3. Angesichts der Verletzung von Art. 2 Abs. 2 Satz 2 GG bedarf es keiner Entscheidung, ob § 67 Abs. 4 StGB und die auf seiner Grundlage ergangenen angegriffenen Entscheidungen zugleich gegen Art. 3 Abs. 1 GG verstoßen. Dies hätte jedenfalls keine weitergehenden oder günstigeren Rechtsfolgen für den Beschwerdeführer zur Folge.
III.
Bis zu einer gesetzlichen Neuregelung gilt § 67 Abs. 4 StGB mit folgenden Maßgaben fort:
1. Steht eine Norm mit dem Grundgesetz nicht in Einklang, ist sie grundsätzlich für nichtig zu erklären (§ 95 Abs. 3 Satz 1, § 78 Satz 1 BVerfGG). Etwas anderes gilt jedoch in den Fällen, in denen die Nichtigerklärung einer Norm zu einem Zustand führt, welcher der verfassungsmäßigen Ordnung noch ferner stünde (vgl. BVerfGE 116, 69 ≪92 f.≫). Das Bundesverfassungsgericht belässt es dann bei einer Unvereinbarkeitserklärung und ordnet in der Regel gleichzeitig die Weitergeltung der entsprechenden Normen für einen bestimmten Zeitraum an (BVerfGE 128, 326 ≪404≫).
Die Nichtigerklärung von § 67 Abs. 4 StGB hätte zur Folge, dass es keine gesetzliche Grundlage für eine Anrechnung der Zeit des Maßregelvollzugs auf eine Freiheitsstrafe mehr gäbe. Diese – auch vom Gesetzgeber offenkundig nicht gewollte – Regelungslücke würde den verfassungswidrigen Zustand noch vertiefen.
2. Angesichts des mit der ausnahmslosen Nichtanrechnung der Zeit des Maßregelvollzugs auf verfahrensfremde Freiheitsstrafen verbundenen verfassungswidrigen Grundrechtseingriffs ist es geboten, für die Zeit bis zu einer gesetzlichen Neuordnung eine Übergangsregelung zu treffen, die zur Vermeidung eines rechtlichen „Vakuums” (vgl. BVerfGE 37, 217 ≪260 f.≫) die weitere Anwendung des bisherigen Rechts und zugleich die Wahrung verfassungsrechtlicher Mindestanforderungen sicherstellt. Gemäß § 35 BVerfGG ist daher anzuordnen, dass bis zu einer gesetzlichen Neuregelung die im Vollzug einer freiheitsentziehenden Maßregel der Besserung und Sicherung verbrachte Zeit zur Vermeidung von Härtefällen nach Maßgabe der Gründe (vgl. I.3.c.cc und II.1.b.bb) auch auf verfahrensfremde Freiheitsstrafen angerechnet werden muss.
C.
Die notwendigen Auslagen sind dem Beschwerdeführer gemäß § 34a Abs. 2 BVerfGG zu gleichen Teilen vom Land Hessen und von der Bundesrepublik Deutschland zu erstatten, weil die aufgehobenen Entscheidungen von hessischen Behörden und Gerichten erlassen worden sind, der Grund der Aufhebung aber in der Verfassungswidrigkeit einer bundesrechtlichen Vorschrift liegt (vgl. BVerfGE 101, 106 ≪132≫).
D.
Die Entscheidung ist mit 7:1 Stimmen ergangen.
Unterschriften
Voßkuhle, Lübbe-Wolff, Gerhardt, Landau, Huber, Hermanns, Müller, Kessal-Wulf
Fundstellen
Haufe-Index 2997563 |
BVerfGE 2012, 372 |