Entscheidungsstichwort (Thema)
Verfassungsmäßigkeit der Verordnung zur Übertragung aller Bundesaufgaben auf andere Oberfinanzdirektionen
Leitsatz (amtlich)
Zur Zulässigkeit einer Übertragung aller Bundesaufgaben von der Oberfinanzdirektion eines Landes auf die eines anderen Landes durch Rechtsverordnung des Bundes.
Normenkette
FVG §§ 7-9; GG Art. 80, 93, 108; OFDAufgÜbertrV
Tenor
Die Verordnung des Bundesministeriums der Finanzen vom 4. März 1998 (BGBl I S. 407) zur Übertragung von Aufgaben der Oberfinanzdirektionen Berlin, Bremen, Chemnitz, Düsseldorf, Erfurt, Frankfurt am Main, Hannover, Kiel, Magdeburg, München, Münster, Rostock, Saarbrücken und Stuttgart ist mit dem Grundgesetz vereinbar.
Tatbestand
A.
Die Hessische Landesregierung begehrt mit ihrem Normenkontrollantrag die Feststellung, dass die Verordnung des Bundesministeriums der Finanzen vom 4. März 1998 zur Übertragung von Aufgaben der Oberfinanzdirektionen Berlin, Bremen, Chemnitz, Düsseldorf, Erfurt, Frankfurt am Main, Hannover, Kiel, Magdeburg, München, Münster, Rostock, Saarbrücken und Stuttgart (BGBl I S. 407) verfassungswidrig und nichtig sei.
Das Bundesministerium der Finanzen hat durch Verordnung vom 4. März 1998 die Aufgaben der Zoll- und Verbrauchsteuerabteilungen sowie die Aufgaben der Bundesvermögensabteilungen neu auf die Oberfinanzdirektionen übertragen. Dies hat zur Folge, dass einige Oberfinanzdirektionen, die zuvor sowohl aus Bundes- als auch aus Landesabteilungen bestanden und von einem Oberfinanzpräsidenten geleitet wurden, der sowohl Bundes- als auch Landesbeamter war, alle Bundesaufgaben verloren haben. Hiervon betroffen ist unter anderem die Oberfinanzdirektion Frankfurt am Main. In den Ländern Bremen, Hessen, Saarland und Schleswig-Holstein nimmt die jeweils verbliebene Oberfinanzdirektion nun ausschließlich Landesaufgaben wahr.
Die Verordnung kam ohne Beteiligung des Bundesrates zu Stande und hat folgenden Wortlaut:
Auf Grund des § 8 Abs. 3 des Finanzverwaltungsgesetzes vom 30. August 1971 (BGBl I S. 1426, 1427) verordnet das Bundesministerium der Finanzen im Benehmen mit den für die Finanzverwaltung zuständigen obersten Landesbehörden:
§ 1
Die Aufgaben der Oberfinanzdirektionen gemäß § 8 Abs. 4 des Finanzverwaltungsgesetzes (Zoll- und Verbrauchsteuerabteilung) werden wie folgt übertragen:
von der Oberfinanzdirektion |
auf die Oberfinanzdirektion |
Berlin |
Cottbus |
Bremen |
Hannover |
Düsseldorf |
Köln |
Erfurt |
Chemnitz |
Frankfurt am Main |
Koblenz |
Kiel |
Hamburg |
Magdeburg |
Hannover |
München |
Nürnberg |
Münster |
Köln |
Rostock |
Hamburg |
Saarbrücken |
Koblenz |
Stuttgart |
Karlsruhe |
§ 2
Die Aufgaben der Oberfinanzdirektionen gemäß § 8 Abs. 5 des Finanzverwaltungsgesetzes (Bundesvermögensabteilung) werden wie folgt übertragen:
von der Oberfinanzdirektion |
auf die Oberfinanzdirektion |
Chemnitz |
Erfurt |
Frankfurt am Main |
Koblenz |
Hannover |
Magdeburg |
Kiel |
Rostock |
München |
Nürnberg |
Münster |
Köln |
Stuttgart |
Karlsruhe |
§ 3
Die Zuständigkeit der Oberfinanzpräsidenten nach § 1 Abs. 1 Nr. 2, Abs. 2 bis 4 des Vermögenszuordnungsgesetzes in der Fassung der Bekanntmachung vom 29. März 1994 (BGBl I S. 709) bleibt unberührt.
§ 4
Diese Verordnung tritt am 1. August 1998 in Kraft.
§ 8 Abs. 3 Satz 1 des Finanzverwaltungsgesetzes (FVG) vom 30. August 1971 (BGBl I S. 1426 i.d.F. des Jahressteuergesetzes 1997 v. 20. Dezember 1996, BGBl I S. 2049, 2076) lautet:
Durch Rechtsverordnung können Aufgaben der Oberfinanzdirektion für den ganzen Bezirk oder einen Teil davon auf andere Oberfinanzdirektionen übertragen werden, wenn dadurch der Vollzug der Aufgaben verbessert oder erleichtert wird.
Die Rechtsverordnung wird gemäß § 8 Abs. 3 Satz 2 FVG für den Bereich von Bundesaufgaben vom Bundesminister der Finanzen (heute: Bundesministerium der Finanzen) und für den Bereich der Aufgaben eines Landes von der zuständigen Landesregierung erlassen. § 8 Abs. 3 Satz 4 FVG verneint für die Rechtsverordnung des Bundesministeriums der Finanzen ausdrücklich die Notwendigkeit einer Zustimmung des Bundesrates. Gemäß § 8 Abs. 3 Satz 5 FVG haben sich das Bundesministerium der Finanzen und die für die Finanzverwaltung zuständige oberste Landesbehörde vor Erlass der Rechtsverordnung gegenseitig ins Benehmen zu setzen.
Gemäß § 7 Satz 1 FVG bestimmt der Bundesminister der Finanzen im Einvernehmen mit der für die Finanzverwaltung zuständigen obersten Landesbehörde den Bezirk der Oberfinanzdirektion und ihren Sitz. Dabei sollen die Oberfinanzbezirke nach Möglichkeit so abgegrenzt sein, dass sie sich mit den Ländern oder mit größeren Verwaltungsbezirken der Länder decken (§ 7 Satz 2 FVG).
Gemäß § 8 Abs. 1 FVG leitet die Oberfinanzdirektion die Finanzverwaltung des Bundes und des Landes in ihrem Bezirk. Sie gliedert sich in eine Zoll- und Verbrauchsteuerabteilung, eine Bundesvermögensabteilung und eine Besitz- und Verkehrsteuerabteilung. § 8 Abs. 3 Satz 6 FVG sieht vor, dass die jeweiligen Bundes- oder Landesabteilungen nicht einzurichten sind, wenn deren Aufgaben übertragen worden sind.
Die Oberfinanzdirektion wird von dem Oberfinanzpräsidenten geleitet (§ 9 Abs. 1 FVG), der gemäß § 9 Abs. 2 Satz 1 FVG sowohl Bundes- als auch Landesbeamter ist. § 9 Abs. 3 Satz 1 FVG bestimmt, dass ein Oberfinanzpräsident ausschließlich Landesbeamter ist, wenn eine Oberfinanzdirektion keine Bundesaufgaben wahrzunehmen hat.
- Das Gesetz zur Änderung des Grundgesetzes vom 26. November 2001 (BGBl I S. 3219) bietet inzwischen mit Art. 108 Abs. 1 Satz 3 und Abs. 2 Satz 3 GG n.F. die verfassungsrechtliche Grundlage für einen möglichen Verzicht auf Mittelbehörden des Bundes und der Länder. Das Gesetz zur Änderung des Finanzverwaltungsgesetzes und anderer Gesetze vom 14. Dezember 2001 (BGBl I S. 3714) sieht danach in Art. 1 Nr. 3 (Einfügung eines § 2a FVG) vor, dass durch Rechtsverordnung auf Mittelbehörden verzichtet werden kann. In der Begründung des Gesetzentwurfs der Bundesregierung (BTDrucks 14/6144, S. 6) heißt es zu der Neuregelung, vor dem Hintergrund der Verordnung vom 4. März 1998 mit ihrer Reduzierung der Bundesabteilungen von Oberfinanzdirektionen greife der Gesetzentwurf die Bitte der Länder auf, eine Öffnungsklausel für einen zweistufigen Aufbau der Finanzbehörden durch Verzicht auf die Mittelinstanz zu schaffen.
Die Antragstellerin sieht in § 8 Abs. 3 FVG keine hinreichende Rechtsgrundlage für die angegriffene Rechtsverordnung. § 8 Abs. 3 Satz 1 FVG ermächtige nicht dazu, die gesamten Bundes- oder Landesaufgaben einer Oberfinanzdirektion auf eine andere zu übertragen. Dies folge bereits aus dem Wortlaut der Norm. Die Formulierung, wonach “Aufgaben der Oberfinanzdirektion” durch Verordnung übertragen werden können, gebe sprachlich exakt wieder, dass es nur um die Übertragung von Einzelaufgaben gehen könne. Nur deshalb sei es sinnvoll, dass das Bundesministerium der Finanzen für seine Verordnung gemäß § 8 Abs. 3 Satz 4 FVG keiner Zustimmung des Bundesrates oder des betreffenden Landes bedürfe.
Eröffne § 8 Abs. 3 Satz 1 FVG dagegen die Möglichkeit, alle Landes- oder Bundesaufgaben zu übertragen, so hätten es die Länder in der Hand, durch entsprechende Verordnungen alle Landesaufgaben einer Oberfinanzdirektion auf eine andere im Lande zu übertragen. Dies bewirke – auch ohne eine ausdrückliche Verfügung – die Auflösung der Landesmittelbehörde, denn eine Behörde, die für einen bestimmten Bezirk zuständig sei, aber keine Aufgaben habe, sei sinnlos. Das wiederum verstoße gegen § 7 Satz 1 FVG, wonach es zur Kompetenz des Bundesministeriums der Finanzen gehöre, mit Zustimmung des betreffenden Landes den Bezirk der jeweiligen Oberfinanzdirektion nach Maßgabe des § 7 Satz 2 FVG zu bestimmen.
Unzulässig sei die Übertragung der Gesamtheit der Bundesaufgaben auch deshalb, weil gemäß § 8 Abs. 3 Satz 1 FVG durch die Übertragung “der Vollzug der Aufgaben verbessert oder erleichtert” werden müsse. Eine Übertragung aller Aufgaben unter Beibehaltung der Behörde selbst könne nicht zu einer Verbesserung oder Erleichterung des Aufgabenvollzuges führen. Eine weitere sprachliche Bestätigung finde diese Auslegung in § 8 Abs. 3 Satz 2 FVG. Danach erlasse das Bundesministerium der Finanzen die Verordnung “für den Bereich von Bundesaufgaben”. Das bringe zum Ausdruck, dass nicht sämtliche Bundesaufgaben von der Verordnungsermächtigung erfasst sein könnten. Anderenfalls hätte der Gesetzgeber die Formulierung gewählt, die Ermächtigung gelte “für den Bereich der Bundesaufgaben”.
Die Entstehungsgeschichte des Gesetzes bestätige diese Interpretation. Danach hätten dem Gesetzgeber verschiedene Varianten der Übertragung einzelner, nicht aber aller Bundesaufgaben vor Augen gestanden.
Auch die übrigen Vorschriften des Finanzverwaltungsgesetzes stützten dieses Ergebnis. Zwar sehe § 8 Abs. 3 Satz 6 FVG vor, dass Bundes- und Landesabteilungen nicht einzurichten seien, wenn deren Aufgaben nach den Sätzen 1 und 2 übertragen seien. Dementsprechend bestimme § 9 Abs. 3 Satz 1 FVG, dass der Oberfinanzpräsident ausschließlich Landesbeamter sei, wenn die Oberfinanzdirektion keine Bundesaufgaben wahrzunehmen habe. Diese Vorschriften beträfen jedoch lediglich die Einrichtung einer neuen Oberfinanzdirektion und seien auf den Fall der Übertragung von Aufgaben einer bestehenden Oberfinanzdirektion nicht anwendbar.
Weiter widerspreche eine andere Auslegung auch der Tatsache, dass zum Beispiel die Oberfinanzdirektion Frankfurt am Main durch Erlass des Hessischen Ministers der Finanzen vom 8. November 1950 (Staatsanzeiger für das Land Hessen, S. 481) mit Zustimmung des Bundesministers der Finanzen als gemischte Oberfinanzdirektion errichtet worden sei. Diese Errichtung könne nicht durch einseitigen “actus contrarius” eines der beiden beteiligten Minister als gemischte Behörde aufgelöst werden.
Die Zusammenlegung der Bundesabteilungen der Oberfinanzdirektionen habe zudem entgegen § 8 Abs. 3 Satz 1 FVG nicht der Verbesserung und Erleichterung der Aufgabenerfüllung, sondern der Straffung, d.h. der Verkleinerung der Bundesverwaltung gedient, wie das Beispiel der Oberfinanzdirektion Frankfurt am Main zeige. Denn Frankfurt am Main sei auf Grund seiner Infrastruktur und seiner Nähe zur Wirtschaft der beste Standort für die Bundesabteilungen. Die Verlagerung insbesondere der Zoll- und Verbrauchsteuerabteilung an die Oberfinanzdirektion Koblenz, aber mit Sitz nicht in Koblenz, sondern in Neustadt an der Weinstraße, führe zudem zu einer Zersplitterung der bisher zusammen untergebrachten Abteilungen und damit zu einem Verlust an Synergieeffekten und zu Zusatzkosten.
Selbst dann, wenn sich die Ermächtigung in § 8 Abs. 3 Satz 1 FVG auf die Übertragung aller Aufgaben von Bundesabteilungen einer Oberfinanzdirektion auf eine andere erstrecken sollte, komme man nicht an einem Zustimmungsrecht der Länder oder ihrer obersten für die Finanzverwaltung zuständigen Behörden vorbei. Die Übertragung von Aufgaben bedeute notwendig die Übertragung der örtlichen Kompetenz. Wenn eine Oberfinanzdirektion ohne jegliche örtliche Kompetenz in Bundesfinanzangelegenheiten verbleibe, so werde ihr Gebiet, soweit es um die Bundesaufgaben gehe, notwendigerweise dem Bezirk der nunmehr zuständigen Oberfinanzdirektion zugeschlagen. Die Entscheidung über den Bezirk einer Oberfinanzdirektion treffe das Bundesministerium der Finanzen nach § 7 Satz 1 FVG jedoch nicht durch Rechtsverordnung, sondern bestimme ihn im Einvernehmen mit der für die Finanzverwaltung zuständigen obersten Landesbehörde. Erstrecke sich der Bezirk einer Oberfinanzdirektion über mehrere Länder, so sei das Einvernehmen notwendigerweise mit den für die Finanzverwaltung zuständigen obersten Landesbehörden dieser Länder herzustellen. Auch für die Sitzbestimmung einer Oberfinanzdirektion verlange § 7 Satz 1 FVG die Zustimmung der zuständigen obersten Landesbehörde.
Die Rechtsverordnung verstoße auch unmittelbar gegen Art. 108 Abs. 2 Satz 2 GG. Diese Verfassungsnorm enthalte einen institutionellen Gesetzesvorbehalt für Fälle, in denen der Bund die Materie “Landesfinanzverwaltung” organisatorisch regeln wolle. Da mit einer entsprechenden Regelung gravierend in das Eigenorganisationsrecht der Länder eingegriffen werde, sei es nach der Systematik des Grundgesetzes zwingend, dass eine solche Regelung, wenn sie als Gesetz ergehe, der Zustimmung des Bundesrates bedürfe. Auch die angegriffene Verordnung regele den Aufbau der Landesfinanzverwaltung. Denn die Übertragung aller Bundesaufgaben einer Oberfinanzdirektion bedeute, dass die von Bundesaufgaben entblößte Oberfinanzdirektion als reine Landesbehörde zurückbleibe. Auch verlören die Landesregierungen in den Ländern, die nach der Verordnung keine Mittelinstanz des Bundes im Bereich der Finanzverwaltung mehr hätten, wie im Saarland und in Hessen, den Einfluss auf die Auswahl des Oberfinanzpräsidenten, der für ihr Land die Bundesverwaltung in der Mittelinstanz leite.
Der Bund breche mit einer in Art. 108 GG angelegten und durch das Finanzverwaltungsgesetz umgesetzten Organisationsstruktur, nach der die Oberfinanzdirektionen zugleich sowohl Bundes- als auch Landesbehörden seien. Die Verordnung leite daher einen Paradigmenwechsel ein, der einer gesetzlichen Absicherung bedürfe.
- Auch bei einer weiten Auslegung der Verordnungsermächtigung verstoße deren Gebrauch gegen die Verpflichtung zur Bundestreue.
- Schließlich folge ein Gesetzesvorbehalt für die in der Verordnung vorgesehene Regelung aus dem Beamtenrecht. Ein Oberfinanzpräsident, der keine Bundesfinanzverwaltungskompetenz mehr besitze, könne nicht mehr Bundesbeamter sein. Diese Konsequenz aber sei ohne gesetzliche Regelung nicht zu erreichen. § 9 Abs. 3 Satz 1 FVG besage nur, dass ein Oberfinanzpräsident als Leiter einer Oberfinanzdirektion, die keine Bundesaufgaben wahrnehme, ausschließlich Landesbeamter sei. Dagegen fehle eine Bestimmung, auf welchem Wege man dieses Ergebnis bei einem Oberfinanzpräsidenten erreichen könne, der sowohl Bundes- als auch Landesbeamter sei. Das beamtenrechtliche Instrument der Versetzung sei hierzu schon deshalb nicht geeignet, weil das Bundesbeamtengesetz für den Fall der Auflösung einer Behörde lediglich die Möglichkeit der Versetzung in ein anderes Amt desselben Dienstherren vorsehe.
- Zudem bedeute die Aberkennung der Bundesbeamteneigenschaft für die Länder eine erhebliche Kostenlast, da bisher die Kosten für den Oberfinanzpräsidenten zur Hälfte vom Bund getragen worden seien. Außerdem habe der Abzug der gesamten Bundespräsenz von einer jahrzehntelang gemischten Oberfinanzdirektion erhebliche Auswirkungen auf die Infrastruktur der Behörde. Für die Oberfinanzdirektion Frankfurt am Main bedeute dies den Abzug von 280 Bediensteten, für die bisher eine gemeinsame Infrastruktur vorgehalten worden sei.
- Das Bundesministerium der Finanzen hält in seiner für die Bundesregierung abgegebenen Stellungnahme den Normenkontrollantrag für unbegründet. Die Rechtsverordnung sei verfassungsrechtlich nicht zu beanstanden.
- Durch die Rechtsverordnung selbst seien nur die Aufgaben der Bundesabteilungen der Oberfinanzdirektionen übertragen worden. Die Bestimmung des Sitzes der jeweiligen Abteilungen sei erst durch Erlasse des Bundesministeriums der Finanzen bewirkt worden.
Bei der angegriffenen Rechtsverordnung handele es sich um eine Organisationsentscheidung im Bereich der obligatorischen Bundeseigenverwaltung, für die kein Vorbehalt des förmlichen Gesetzes bestehe und die Kompetenz des Bundes grundsätzlich aus Art. 86 GG folge. Die konkrete Organisationsentscheidung sei durch § 8 Abs. 3 FVG gesetzlich vorgeprägt und in Gestalt der Rechtsverordnung getroffen worden.
Auch unter Wesentlichkeitsgesichtspunkten habe diese Organisationsentscheidung keines förmlichen Gesetzes bedurft. Der Gesetzgeber des Finanzverwaltungsgesetzes habe dem Grunde nach auch Oberfinanzdirektionen ohne Bundesabteilung vorgesehen, die konkreten Organisationsentscheidungen aber dem Verordnunggeber überlassen.
Die Rechtsverordnung werde von § 8 Abs. 3 FVG als Ermächtigungsgrundlage gedeckt. Bereits der Wortlaut der Norm umfasse auch die Übertragung aller Bundesaufgaben einer Oberfinanzdirektion auf eine andere. Aus der Verwendung des Wortes “einrichten” in § 8 Abs. 3 Satz 6 FVG könne nicht geschlossen werden, dass die Schaffung reiner Bundes- oder Landesoberfinanzdirektionen auf den Zeitpunkt ihrer Errichtung beschränkt sei und nicht Folge späterer Organisationsentscheidungen sein könne. Vielmehr nehme die Vorschrift auf § 8 Abs. 3 Satz 1 und 2 FVG Bezug, also auf die Übertragung von Aufgaben einer bereits eingerichteten Oberfinanzdirektion.
Der Umstand, dass eine vollständige Übertragung der Bundesaufgaben auf eine andere Oberfinanzdirektion Folgemaßnahmen notwendig mache, spreche nicht gegen die rechtliche Zulässigkeit einer solchen Aufgabenübertragung. Die Anpassung der beamtenrechtlichen Stellung des Präsidenten sei eine zwangsläufige Folge der rechtlich zugelassenen Umorganisation, die vom Gesetzgeber, wie § 9 Abs. 3 Satz 1 FVG belege, erkannt worden sei. Dass für eine derartige Folgeregelung analog § 123 BRRG die Mitwirkung des betroffenen Landes erforderlich sei, ändere nichts an den materiellen Voraussetzungen für den Erlass einer entsprechenden Rechtsverordnung. Vielmehr bestehe für die betroffenen Länder die aus der Bundestreue abzuleitende Verpflichtung, ihre für die Folgeregelung erforderliche Mitwirkung nicht zu versagen. Auch der die Oberfinanzdirektion Frankfurt am Main betreffende Errichtungserlass des Hessischen Ministers sei entsprechend anzupassen.
Die Voraussetzungen des § 8 Abs. 3 FVG für den Erlass der Rechtsverordnung seien erfüllt. Die Formulierung in § 8 Abs. 3 FVG sei an die in Art. 108 Abs. 4 Satz 1 GG verwendeten unbestimmten Rechtsbegriffe “erhebliche Verbesserung oder Erleichterung des Vollzugs der Steuergesetze” angelehnt. Hierdurch eröffne sich dem Verordnunggeber ein weiter Beurteilungsspielraum.
Die Straffung der Bundesabteilungen der Oberfinanzdirektionen werde den Vollzug der Aufgaben der Zoll- und Verbrauchsteuerabteilungen sowie der Bundesvermögensabteilungen verbessern und erleichtern. Nur durch die Zusammenlegung bleibe auf der Ebene der Mittelbehörden die erforderliche Spezialisierung erhalten. Die Zusammenlegung verspreche eine qualitative und quantitative Leistungssteigerung, indem sie durch die Konzentration gleich gelagerter Vorgänge und den optimierten Einsatz von Informationstechnik Kapazitäten freisetze, die zur verbesserten Wahrnehmung der ständig komplizierter werdenden Arbeitsvorgänge verwendet werden könnten. Auch sei bisher ein erheblicher Anteil des Stellenbestandes in den Bereichen Organisation, Personal und Haushalt eingesetzt worden und habe deshalb für die Erledigung der Fachaufgaben nicht zur Verfügung gestanden. Die Straffung werde hier zu einer besseren Ausnutzung der personellen und sachlichen Ressourcen führen.
Auch aus § 7 Satz 1 FVG folge nicht, dass das betroffene Land seine Zustimmung zu der Organisationsentscheidung geben müsse, denn das in dieser Bestimmung normierte Einvernehmenserfordernis bestehe ausschließlich im Hinblick auf die örtliche Zuständigkeit für die Wahrnehmung der Landesaufgaben der Oberfinanzdirektion.
Die Rechtsverordnung verstoße auch nicht gegen Art. 108 Abs. 2 Satz 2 GG. Der Aufbau der in dieser Vorschrift angesprochenen Landesfinanzbehörden sei durch Bundesgesetz mit Zustimmung des Bundesrates, nämlich durch das Finanzverwaltungsgesetz, geregelt worden.
Dieses Gesetz ermögliche einen atypischen Aufbau der Finanzverwaltung mit Mittelbehörden, die sowohl Bundes- als auch Landesbehörden seien. Das Gesetz gebiete diesen Aufbau aber nicht, und auch aus dem Grundgesetz sei keine Pflicht zur Beibehaltung der Oberfinanzdirektionen in ihrer überkommenen Form als “Zwitterbehörden” herzuleiten.
Unzutreffend sei die Behauptung der Antragstellerin, dass ein Oberfinanzpräsident durch den Zuwachs von Bundesaufgaben “für mehrere Länder” zuständig geworden sei. Vielmehr seien beispielsweise dem Präsidenten der Oberfinanzdirektion Koblenz lediglich Bundesabteilungen unterstellt, deren örtliche Zuständigkeit über den Bereich der Landesgrenzen von Rheinland-Pfalz hinausreiche, während die Kompetenz zur Wahrnehmung von Landesaufgaben an den Landesgrenzen ende. Es sei weder verfassungsrechtlich noch einfachgesetzlich vorgegeben, dass der örtliche Wirkungskreis einer Oberfinanzdirektion hinsichtlich der von ihr wahrzunehmenden Landes- und Bundesaufgaben deckungsgleich sein müsse.
- Die Pflicht zur Bundestreue sei nicht verletzt. Die Inanspruchnahme der Verordnungskompetenz sei weder missbräuchlich, noch habe der Bund gegen prozedurale Anforderungen des Grundgesetzes verstoßen.
- Der Senat hat mit Beschluss vom 8. November 1999 den Antrag, im Wege einer einstweiligen Anordnung den Vollzug der zur verfassungsrechtlichen Prüfung gestellten Rechtsverordnung bis zu einer Entscheidung in der Hauptsache auszusetzen, abgelehnt.
- Die Antragstellerin hat auf eine mündliche Verhandlung verzichtet.
Entscheidungsgründe
B.
Der Antrag ist zulässig.
Die zu prüfende Verordnung ist “Bundesrecht” im Sinne von Art. 93 Abs. 1 Nr. 2 GG in Verbindung mit § 76 Abs. 1 Nr. 1 BVerfGG. Zum Bundesrecht gehören nicht nur Gesetze, sondern auch Rechtsverordnungen des Bundes (BVerfGE 101, 1 ≪30≫; stRspr). Die Landesregierung von Hessen, die die Rechtsverordnung für nichtig hält, ist gemäß Art. 93 Abs. 1 Nr. 2 GG in Verbindung mit § 76 Abs. 1 Nr. 1 BVerfGG antragsberechtigt und befugt.
C.
Die angegriffene Rechtsverordnung ist förmlich und sachlich mit dem Grundgesetz vereinbar (Art. 93 Abs. 1 Nr. 2 GG).
Unterschriften
Hassemer, Sommer, Jentsch, Broß, Osterloh, Di Fabio, Mellinghoff, Lübbe-Wolff
Fundstellen
Haufe-Index 875007 |
BFH/NV Beilage 2003, 130 |
BVerfGE, 1 |
HFR 2003, 172 |
NVwZ 2003, 191 |
NVwZ 2003, 595 |
JuS 2003, 917 |
DVBl. 2003, 286 |
BFH/NV-Beilage 2003, 130 |