Entscheidungsstichwort (Thema)
Verfassungswidrigkeit der Ermächtigung zur Festsetzung von Durchschnittswerten zur Ausgleichsteuerbemessung
Leitsatz (redaktionell)
Die der Bundesregierung in § 18 Abs. 1 Nr. 1 und § 6 Abs. 2 UStG i.d.F. vom 1. September 1951 und des Gesetzes zur Änderung des Umsatzsteuergesetzes vom 14. November 1951 erteilte Ermächtigung, für die Bemessung der Ausgleichsteuer durch Rechtsverordnung Durchschnittswerte für bestimmte Gegenstände oder Gruppen von Gegenständen festzusetzen, war nach Inhalt, Zweck und Ausmaß nicht hinreichend bestimmt. Sie war mit Art. 80 Abs. 1 Satz 2 GG nicht vereinbar und daher nichtig.
Normenkette
GG Art. 80 Abs. 1 S. 2; UStG 1951 § 6 Abs. 1-2, § 18 Abs. 1 Nr. 1; UStG/BefStGÄndG § 1 Nr. 10
Verfahrensgang
FG Hamburg (Vorlegungsbeschluss vom 19.09.1961; Aktenzeichen IV 84/60) |
Gründe
A.-I.
Die Ausgleichsteuer ist eine besondere Form der Umsatzsteuer. Sie ist eine Verbrauchsteuer im Sinne der Abgabenordnung (§ 15 Abs. 1 UStG), die der Steuergerechtigkeit in der Weise dienen soll, daß sie die Vorbelastung deutscher Waren mit der deutschen Umsatzsteuer gegenüber Auslandserzeugnissen ausgleicht. Ihr unterliegt daher die Einfuhr von Gegenständen in das Inland (§ 1 Nr. 3 UStG). Steuerbemessungsgrundlage ist der Wert des eingeführten Gegenstands, der nach den Vorschriften des Zollgesetzes über den Zollwert festgesetzt wird (§ 6 Abs. 1 UStG). Für bestimmte Gegenstände oder Gruppen von Gegenständen setzte die Bundesregierung gemäß § 6 Abs. 2 UStG Durchschnittswerte fest, die für die Berechnung der Steuerschuld an die Stelle des nach dem Zollgesetz zu bestimmenden Wertes traten. Der Steuersatz beträgt in der Regel 4 v.H. des Wertes; für bestimmte Gegenstände ist er bis auf 1 v.H. ermäßigt; für bestimmte andere Gegenstände kann die Bundesregierung ihn auf 6 v. H. erhöhen (§ 7 Abs. 4 UStG). Die Ausgleichsteuer wird von den Zollbehörden verwaltet und für jeden einzelnen steuerpflichtigen Vorgang berechnet (§ 11 Abs. 2 UStG). Die Durchführungsbestimmungen der Bundesregierung zur Ausgleichsteuer sind in der Ausgleichsteuerordnung (AStO) zusammengefaßt; ihr ist als Anlage eine Liste der Durchschnittswerte angefügt, die gemäß § 6 Abs. 2 UStG an die Stelle der Zollwerte treten.
Die in diesem Verfahren zu beurteilenden Vorschriften des Umsatzsteuergesetzes lauten in der Fassung der Bekanntmachung vom 1. September 1951 (BGBl. I S. 791), des Gesetzes zur Änderung des Umsatzsteuergesetzes vom 14. November 1951 (BGBl. I S. 885), des Vierten Gesetzes zur Änderung des Umsatzsteuergesetzes vom 21. Juli 1954 (BGBl. I S. 211) und des Neunten Gesetzes zur Änderung des Umsatzsteuergesetzes vom 18. Oktober 1957 (BGBl. I S. 1743):
§ 6
(1) Die Ausgleichsteuer wird nach dem Wert des eingeführten Gegenstandes bemessen. Maßgebend sind die jeweils geltenden Vorschriften des Zollgesetzes und der Wertzollordnung über den Zollwert und dessen Feststellung. Dies gilt auch für ausgleichsteuerbare Gegenstände, die nicht dem Wertzoll unterliegen. Dem Wert ist der auf den Gegenstand entfallende Betrag an Zoll und Verbrauchsteuer (ausschließlich der Ausgleichsteuer) hinzuzurechnen.
(2) Die Bundesregierung kann für die Bemessung der Ausgleichsteuer Durchschnittswerte für bestimmte Gegenstände oder Gruppen von Gegenständemn festsetzen. Der Durchschnittswert tritt an die Stelle des in Absatz 1 genannten Wertes.
§ 18
(1) Die Bundesregierung wird ermächtigt, durch Rechtsverordnungen
1. zur Durchführung dieses Gesetzes die in § 4 Ziff. 1, 2, 4 und 18, § 5 Abs. 1 und Abs. 4 Ziff. 1, § 6 Abs. 3, § 7 Abs. 3 und 4, § 8, § 15 und § 16 vorgesehenen Bestimmungen zu erlassen, den Umfang der Steuervergütungen im Sinn des § 16 festzusetzen und die in diesem Gesetz verwendeten Begriffe näher zu bestimmen.
Mit dem in § 18 Abs. 1 Nr. 1 UStG genannten § 6 Abs. 3 war § 6 Abs. 2 UStG gemeint. Das redaktionelle Versehen ist durch das Elfte Gesetz zur Änderung des Umsatzsteuergesetzes vom 16. August 1961 (BGBl. I S. 1330) bereinigt worden. In demselben Gesetz ist § 6 Abs. 2 UStG auch sachlich geändert worden. Die Vorschrift hat nunmehr folgenden Wortlaut:
Die Bundesregierung kann durch Rechtsverordnung zur Vereinfachung der Abfertigung für die Bemessung der Ausgleichsteuer für Gegenstände oder Gruppen von Gegenständen derselben Zolltarifnummer Durchschnittswerte festsetzen, die dem Durchschnitt der Werte (Absatz 1) während der letzten nachprüfbaren sechs Monate entsprechen. Der Durchschnittswert tritt an die Stelle des in Absatz 1 bezeichneten Wertes.
Die neue Fassung ist jedoch nicht Gegenstand der verfassungsrechtlichen Prüfung.
II.
1. Die Firma K … KG in Hamburg importiert Treibstoffe und Heizöle. Sie fühlt sich beschwert, weil die Ausgleichsteuer für von ihr eingeführte Waren nach Durchschnittswerten berechnet wird, die sich aus der Anlage zur Ausgleichsteuerordnung ergeben (§§ 6 Abs. 2 UStG, 4 Abs. 2 AStO und Anlage 1 zur AStO). Sie hat vier Abgabenfestsetzungen des Zollamts Hamburg-Wilhelmsburg vom 4., 9., 11. und 18. Mai 1960 wegen der Höhe der darin berechneten Ausgleichsteuer im Wege der Sprungberufung (§ 261 Reichsabgabenordnung) angefochten und beantragt, die Ausgleichsteuer nach dem tatsächlichen Wert der eingeführten Mineralöle zu bemessen. Die von der Bundesregierung durch Verordnung vom 28. Mai 1953 (BGBl. I S. 268) festgesetzten Durchschnittswerte für Mineralöle überschritten – so behauptet sie – seit Jahren erheblich die tatsächlichen Einfuhrwerte. Deshalb liege auch die nach diesen Werten berechnete Ausgleichsteuer beträchtlich höher als sich nach § 7 UStG ergeben würde. Die Durchschnittswerte hielten sich daher nicht im Rahmen der der Bundesregierung in § 18 Abs. 1 Nr. 1 und § 6 Abs. 2 UStG erteilten Ermächtigung. Diese Ermächtigung entspreche zudem nicht den Anforderungen des Art. 80 Abs. 1 Satz 2 GG.
Das Finanzgericht Hamburg ist der Auffassung, es könne die geschuldete Ausgleichsteuer nicht nach den Durchschnittswerten berechnen, weil die Ermächtigung der §§ 6 Abs. 2, 18 Abs. 1 Nr. 1 UStG mit Art. 80 Abs. 1 Satz 2 GG nicht vereinbar sei. Die ermächtigenden Bestimmungen seien durch das Gesetz zur Änderung des Umsatzsteuergesetzes und des Beförderungsteuergesetzes vom 28. Juni 1951 neu gefaßt worden und demnach nachkonstitutionelles Recht. Die Frage ihrer Gültigkeit sei entscheidungserheblich. Das Gericht hat deshalb das Bundesverfassungsgericht zur Entscheidung über die Verfassungsmäßigkeit der Ermächtigung angerufen.
Im einzelnen führt das Gericht aus:
Die Ermächtigung zur Festsetzung von Durchschnittswerten sei ihrem Inhalt nach durch das Begriffselement „Durchschnitt” ausreichend bestimmt. Jedoch sei ihr Zweck dem Gesetz nicht unmittelbar zu entnehmen. Es sei zwar anzunehmen, daß die Regelung der Vereinfachung der Abfertigung dienen und daher insbesondere bei Waren angewandt werden solle, deren Wertermittlung schwierig und zeitraubend ist. Im Gesetz hätten diese Erwägungen aber keinen Ausdruck gefunden.
Auch das Ausmaß der Ermächtigung sei nicht genügend abgegrenzt. Ihr Wortlaut setze der Bundesregierung hinsichtlich der Auswahl der Gegenstände und der Gruppen von Gegenständen, bei denen Durchschnittswerte an die Stelle der tatsächlichen Werte treten sollen, keine Grenzen. Die allgemeinen Auslegungsregeln könnten zu einer Abgrenzung des Ausmaßes der Ermächtigung nichts beitragen. Die festgesetzten Durchschnittswerte könnten auf die Steuerberechnung Einfluß haben: Bei Waren mit stark schwankender Preistendenz könnten die Durchschnittswerte im Einzelfall erheblich von den tatsächlichen Werten abweichen. Bei Waren mit fallender Preistendenz könne durch die Festsetzung von Durchschnittswerten erreicht werden, daß während langer Zeit eine zu hohe Ausgleichsteuer erhoben wird. Die Festsetzung eines Durchschnittswerts für Gruppen von wertmäßig weit auseinanderliegenden Waren könne, wenn die einzelnen zu einer Gruppe zusammengefaßten Waren von verschiedenen Importeuren eingeführt würden, auch den Gleichheitssatz verletzen.
2. Der Bundesminister der Finanzen erhebt namens der Bundesregierung Bedenken gegen die Zulässigkeit der Vorlage. Er meint, § 6 Abs. 2 Satz 1 UStG in der Fassung vom 16. Oktober 1934 (RGBl. I S. 942) sei in seinem materiellen Inhalt bis zu der – im vorliegenden Verfahren nicht mehr zu berücksichtigenden – Änderung durch das Elfte Gesetz zur Änderung des Umsatzsteuergesetzes vom 16. August 1961 (BGBl. I S. 1330) unberührt geblieben. Im Jahre 1951 sei lediglich die zum Erlaß der Rechtsverordnungen ermächtigte Stelle durch eine andere ersetzt (Bundesregierung statt Reichsminister der Finanzen) und die Stellung der Vorschrift im Gesamtgefüge des § 6 geändert worden (Absatz 2 statt Absatz 3). Bei dieser Rechtslage könne von einer Aufnahme der vorkonstitutionellen Vorschrift in den Willen des Bundesgesetzgebers nicht gesprochen werden.
Die Ermächtigung sei mit dem Grundgesetz vereinbar. Prüfungsmaßstab sei nicht Art. 80 Abs. 1 Satz 2 GG, sondern Art. 129 Abs. 3 GG. Selbst wenn die alte Ermächtigung in den Willen des Bundesgesetzgebers aufgenommen worden sei, sei sie an dieser Vorschrift des Grundgesetzes zu messen. Die Ermächtigung in § 6 Abs. 3 UStG 1934 habe als Bundesrecht „fortgegolten”. Der Bestand einer Ermächtigung, die gemäß Art. 129 Abs. 1 GG fortgelte, könne aber nicht dadurch beeinträchtigt werden, daß sie bei späteren Beratungen des Bundestags von der Mehrheit der Mitglieder des Bundestags gebilligt werde.
Die ermächtigenden Bestimmungen seien aber auch mit Art. 80 Abs. 1 Satz 2 GG vereinbar. Der Inhalt der Ermächtigung sei durch die Verwendung des Begriffs „Durchschnitt” hinreichend gekennzeichnet, dem nach seiner allgemeinen Wortbedeutung ein eindeutig bestimmbarer Sinn innewohne. Der Zweck der Ermächtigung sei in § 6 Abs. 2 UStG ebenfalls bestimmt. Die Bundesregierung werde ermächtigt, „für die Bemessung der Ausgleichsteuer” Durchschnittswerte festzusetzen. Damit sei gemeint, sie sei ermächtigt, Durchschnittswerte festzusetzen, wenn dies die Bemessung erleichtere. Die angestrebten Erleichterungen bestünden darin, daß bei Zugrundelegung von Durchschnittswerten keine umfangreiche Wertanmeldung mit zahlreichen Positionen und Unterlagen abgegeben werden müsse (§§ 10 Abs. 1 Satz 4, 11 Satz 2 AStO), und daß dem Importeur durch die feststehenden Durchschnittswerte eine sichere Kalkulationsgrundlage gegeben sei. Bemessungsgrundlage bleibe immer der Wert des eingeführten Gegenstandes; nur werde er im Normalfall konkret, im Falle der Durchschnittswerte pauschal der Besteuerung zugrunde gelegt. Die Begrenzung des Ausmaßes ergebe sich aus dem Zweck der Ermächtigung.
3. Die am Ausgangsverfahren vor dem Finanzgericht Hamburg beteiligte Firma teilt im wesentlichen den Standpunkt des vorlegenden Gerichts. Sie trägt ergänzend vor:
Die Zusammenfassung verschiedener Produkte führe bei der Festsetzung der Durchschnittswerte zu erheblichen Verzerrungen. Das zeige sich am Beispiel des für 1960 maßgebenden Durchschnittswertes von DM 232.- für Benzin; er sei aus den Werten für vier verschiedene Benzinsorten (Motorenbenzin, Flugbenzin, Spezialbenzin, Testbenzin) ermittelt, obwohl sich schon für Motorenbenzin kein einheitlicher Wert feststellen lasse. Das Statistische Bundesamt habe für das Jahr 1960 folgende durchschnittliche Einfuhrwerte ermittelt:
für Motorenbenzin 140,7 DM/to
für Testbenzin 212,2 DM/to
für Flugbenzin 277,1 DM/to
für Spezialbenzin 373,8 DM/to
Da weit mehr Motorenbenzin als andere Benzinarten eingeführt werde, sei seine Besteuerung nach dem Durchschnittswert erheblich höher, als wenn sie nach dem tatsächlichen Wert vorgenommen werden würde. Bei Einfuhren von Motorenbenzin aus der UdSSR, Rumänien und Italien habe der effektive Einfuhrwert im Juni 1960 DM 96.– pro Tonne betragen. Es habe also bei Anwendung des damals gültigen Durchschnittswerts von DM 232.– für einen Tanker mit einer Ladung von 15 000 to 81 600 DM mehr Ausgleichsteuer bezahlt werden müssen, als nach dem tatsächlichen Wert hätte berechnet werden können.
4. Dem Verfahren ist kein Verfassungsorgan beigetreten.
B.-I.
Die Vorlage ist zulässig.
Das Finanzgericht Hamburg hat zwar im Tenor des Aussetzungs- und Vorlagebeschlusses nicht ausdrücklich angegeben, welche Vorschriften es der verfassungsgerichtlichen Nachprüfung unterbreiten will. Die Gründe des Aussetzungsbeschlusses lassen aber deutlich erkennen, daß es dem Gericht ausschließlich um die von ihm verneinte Verfassungsmäßigkeit von § 18 Abs. 1 Nr. 1 und § 6 Abs. 2 UStG geht, und zwar hinsichtlich § 18 Abs. 1 Nr. 1 UStG nur insoweit, als er sich auf § 6 Abs. 2 UStG bezieht. Auf beide Bestimmungen kommt es offensichtlich im Ausgangsverfahren an.
Zu Unrecht bezweifelt der Bundesminister der Finanzen, daß die Vorschriften, die den Gegenstand der Vorlage bilden, nachkonstitutionelles Recht sind. Der Bundesgesetzgeber hat § 18 UStG durch § 1 Nr. 10 des Gesetzes zur Änderung des Umsatzsteuergesetzes und des Beförderungsteuergesetzes vom 28. Juni 1951 (BGBl. I S. 402) neu formuliert. § 18 Abs. 1 Nr. 1 UStG beruht somit auf einem formellen Akt des Bundesgesetzgebers. § 6 Abs. 2 UStG ist ebenfalls ein nach Inkrafttreten des Grundgesetzes erlassenes Gesetz. Zwar geht die Bestimmung auf das Umsatzsteuergesetz 1934 zurück. Der Bundesgesetzgeber hat aber die ursprüngliche Ermächtigung in § 6 Abs. 2 UStG durch die Ermächtigung an einen anderen Delegatar ersetzt. § 6 Abs. 2 UStG hat also eine sachliche Änderung erfahren und ist somit als Norm vom Bundesgesetzgeber neu geschaffen worden. Dieses Ergebnis steht nicht in Widerspruch zu der Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts vom 16. Mai 1961 (BVerfGE 12, 341 [353]). Dort handelte es sich nicht um die Frage, ob ein Gesetz im formellen Sinne als nachkonstitutionelle Norm im Verfahren gemäß Art. 100 Abs. 1 GG nachprüfbar ist. Gegenstand der verfassungsrechtlichen Prüfung im Verfahren der abstrakten Normenkontrolle war vielmehr die Frage, ob eine unberührt gebliebene Bestimmung einer Rechtsverordnung aus der Zeit vor Inkrafttreten des Grundgesetzes mit dem Grundgesetz vereinbar war.
II.
§ 6 Abs. 2 UStG in der Fassung der Bekanntmachung vom 1. September 1951 und des Gesetzes zur Änderung des Umsatzsteuergesetzes vom 14. November 1951 sowie § 18 Abs. 1 Nr. 1 dieses Gesetzes, soweit er die Bundesregierung zum Erlaß von Rechtsverordnungen nach § 6 Abs. 2 UStG ermächtigte, waren mit dem Grundgesetz nicht vereinbar.
1. Als Prüfungsmaßstab für die vom Bundesgesetzgeber durch § 1 Nr. 10 des Gesetzes zur Änderung des Umsatzsteuergesetzes vom 28. Juni 1951 (BGBl. I S. 402) neu gefaßte Ermächtigung kommt nur Art. 80 Abs. 1 Satz 2 GG in Betracht. Art. 129 Abs. 3 GG gilt als Maßstab nur für Ermächtigungen aus vorkonstitutioneller Zeit, die ohne Intervention des Bundesgesetzgebers unverändert fortgelten.
2. Nach Art. 80 Abs. 1 Satz 2 GG müssen Inhalt, Zweck und Ausmaß einer Ermächtigung zum Erlaß von Rechtsverordnungen in dem ermächtigenden Gesetz bestimmt werden. Eine Ermächtigung darf danach nicht so unbestimmt sein, daß der Staatsbürger nicht mehr voraussehen kann, in welchen Fällen und mit welcher Tendenz von ihr Gebrauch gemacht werden wird und welchen Inhalt die auf Grund der Ermächtigung erlassenen Verordnungen haben können (BVerfGE 1, 14 [60]; 7, 282 [301]). Der Gesetzgeber muß also die Grenzen der durch Verordnung zu treffenden Regelung festsetzen und angeben, welchem Ziel sie dienen soll (BVerfGE 2, 307 [334]). Dabei braucht er allerdings Inhalt, Zweck und Ausmaß der Ermächtigung nicht ausdrücklich im Text des Gesetzes zu bestimmen. Vielmehr gelten auch für die Interpretation von Ermächtigungsnormen die allgemeinen Auslegungsgrundsätze. Es genügt, wenn sich Inhalt, Zweck und Ausmaß der Ermächtigung aus dem ganzen Gesetz ermitteln lassen (BVerfGE 8, 274 [307]).
Die zur Prüfung gestellte Ermächtigung ist in § 6 Abs. 2 UStG enthalten. § 18 Abs. 1 Nr. 1 UStG wiederholt nur die Ermächtigung und bestimmt den Delegatar. Nach Inhalt, Zweck und Ausmaß war diese Ermächtigung nicht hinreichend bestimmt.
a) Die Bestimmung ermächtigt die Bundesregierung, Durchschnittswerte für bestimmte Gegenstände oder Gruppen von Gegenständen festzusetzen. Aus der Bezugnahme auf § 6 Abs. 1 UStG in § 6 Abs. 2 Satz 2 UStG geht hervor, daß die festzusetzenden Werte als Grundlage für die Bemessung der Ausgleichsteuer dienen sollen. Das Begriffselement „Durchschnitt” enthält nun zwar einen gewissen Sinn durch seine allgemeine Wortbedeutung, die auch in dem Zusammenhang, in dem die Ermächtigung von „Durchschnitt” spricht, zur Geltung kommt, und durch seine Beziehung auf die „bestimmten Gegenstände oder Gruppen von Gegenständen”. Der Durchschnittswert dieser „Gegenstände oder Gruppen von Gegenständen” soll mit Methoden errechnet werden, die die wissenschaftliche Statistik für die Bestimmung solcher Werte ermittelt hat (ähnlich BVerfGE 10,251 [255]). Hier gibt jedoch der Begriff „Durchschnittswerte” allein noch keine hinreichende Begrenzung der Ermächtigung. Sind solche Werte für die Steuerberechnung festzusetzen, so darf der zeitliche Zusammenhang, in dem die Werte stehen, nicht außer Betracht gelassen werden. Der Warenwert läßt sich immer nur für einen bestimmten Zeitpunkt ermitteln. Soll für die Steuerberechnung ein Durchschnittswert für Waren maßgebend sein, dann muß er dem wirklichen Wert zur Zeit der Entstehung der Steuerschuld, an dessen Stelle er treten soll, möglichst nahekommen. Die Ermächtigung, einen solchen Wert festzusetzen, muß daher ein zeitliches Moment enthalten: Sie muß bestimmen, welche zurückliegende Zeitspanne für die Ermittlung des Durchschnittswerts maßgebend sein soll, und außerdem vorschreiben, wie lange der festgesetzte Durchschnittswert der Steuerberechnung zugrunde gelegt werden darf und unter welchen Voraussetzungen er neu zu ermitteln ist. Daran fehlt es hier. Der Gesetzgeber hat weder geregelt, wie weit bei der Ermittlung des Durchschnittswerts zurückgegriffen werden darf, noch hat er bestimmt, wie lange ein einmal festgesetzter Durchschnittswert für die Bemessung der Ausgleichsteuer maßgebend bleibt. Beides hat er dem Ermessen der Bundesregierung überlassen. Das macht die Ermächtigung unbestimmt.
b) Der Bundesminister der Finanzen meint, der Zweck der Ermächtigung bestehe in einer „Erleichterung des Abfertigungsverfahrens und in einer Vereinfachung der Steuerberechnung im Interesse des Steuerpflichtigen und der Abfertigungsbehörden”. Zur Unterstützung seiner Ansicht verweist er auf § 6 Abs. 2 UStG in der Fassung des Elften Gesetzes zur Änderung des Umsatzsteuergesetzes vom 16. August 1961 (BGBl. I S. 1330), worin ausdrücklich die „Vereinfachung der Abfertigung” als Ermächtigungszweck erwähnt ist. Er behauptet, die neue Fassung wolle nur klarstellen, was bisher schon gegolten habe.
Der Wortlaut des § 6 Abs. 2 UStG in der Fassung vom 1. September 1951 und 14. November 1951 bringt aber nicht zum Ausdruck, daß die Festsetzung der Durchschnittswerte der Erleichterung der Abfertigung dienen solle. Ein derartiger Zweck ergibt sich auch nicht aus der systematischen Stellung der Vorschrift und aus ihrem Sinnzusammenhang mit § 6 Abs. 1 UStG. Aus § 6 Abs. 1 UStG folgt nur, daß der Wert der eingeführten Gegenstände nach den Vorschriften des Zollrechts zu ermitteln und daß dieser Wert der Bemessung der Ausgleichsteuer zugrunde zu legen ist. Nach § 6 Abs. 2 UStG treten „an die Stelle” der gemäß Abs. 1 individuell ermittelten Werte andere Werte, nämlich die von der Bundesregierung für bestimmte Gegenstände oder Gruppen von Gegenständen festgesetzten Durchschnittswerte. Daraus läßt sich nicht schließen, daß von der Ermächtigung des Absatzes 2 nur Gebrauch gemacht werden darf, wenn dadurch die Steuerabfertigung erleichtert wird. Auch eine andere Zweckbestimmung ist nicht ersichtlich.
Die Verordnungspraxis zeigt, daß der Verordnungsgeber Durchschnittswerte nur für solche Gegenstände festgesetzt hat, die entweder zollfrei sind oder für die noch ein sogenannter spezifischer Zoll – nach Maß, Gewicht oder Stückzahl – erhoben wird. Sie zeigt außerdem, daß nicht für alle Gegenstände, die nach dem Deutschen Zolltarif zollfrei sind oder einem spezifischen Zoll unterliegen, Durchschnittswerte festgesetzt sind. Der Verordnungsgeber hat vielmehr nur einige, und zwar verhältnismäßig wenige Waren bzw. Warengruppen ausgewählt, um für sie Durchschnittswerte festzulegen. Es ist nicht erkennbar, daß ihm bei ihrer Auswahl das Ziel der Erleichterung der Steuerabfertigung vorgeschwebt hat. Überdies hat die Bundesfinanzverwaltung zur Erleichterung der Ausgleichsteuerabfertigung ohne gesetzliche Grundlage ein Mittelwertverfahren und ein Richtpreisverfahren entwickelt; beide werden aber nur mit Zustimmung des Steuerpflichtigen angewandt (vgl. Otfried Schwarz, Umsatzausgleichsteuer, § 4 AStO Rd.-Nr. 79-83).
Insgesamt kann demnach nicht festgestellt werden, daß die Ermächtigung erteilt worden ist, um Durchschnittswerte gerade und nur zur Erleichterung der Steuerabfertigung festzusetzen. Es läßt sich nicht ausschließen, daß der Verordnungsgeber der Auffassung sein konnte, er dürfe auf Grund dieser Ermächtigung auch andere, nämlich finanz- oder wirtschaftspolitische, Zwecke verfolgen.
c) Die Ermächtigung ist auch hinsichtlich ihres Ausmaßes nicht hinreichend bestimmt. Die Auswahl der Gegenstände oder der Gruppen von Gegenständen, für die Durchschnittswerte festgesetzt werden sollen, steht allein im Ermessen des Verordnungsgebers. Ihm ist es überlassen zu bestimmen, bei welchen Gegenständen der tatsächliche Wert und bei welchen der fiktive Durchschnittswert Bemessungsgrundlage für die Ausgleichsteuer sein soll. Für die Behauptung des Bundesministers der Finanzen, Durchschnittswerte dürften nur festgesetzt werden, wenn das Abfertigungsverfahren sonst zu kompliziert wäre, fehlt im Gesetz jeder Anhalt.
Unbestimmt ist die Ermächtigung vor allem, soweit sie die Festsetzung von Durchschnittswerten für Gruppen von Gegenständen zuläßt. Durchschnittswerte, die Mittelwerte für eine Gruppe von Gegenständen sind, können nur dann noch eine Beziehung zu den Werten der einzelnen Gegenstände der Gruppe haben, wenn sich die Gruppe aus einigermaßen gleichwertigen Gegenständen zusammensetzt. Sie sind dagegen fiktiv, wenn in der Gruppe Gegenstände zusammengefaßt sind, deren Wert erheblich differiert. Die vom Bundesfinanzminister vertretene Meinung, die Ermächtigung lasse nur die Festsetzung von Durchschnittswerten für Gruppen von Gegenständen derselben Zolltarifnummer zu, findet im Wortlaut der Ermächtigung keine Stütze. Selbst wenn sie richtig wäre, würde sie nicht zu einer hinreichenden Begrenzung der Ermächtigung führen; denn im Deutschen Zolltarif 1961 sind mitunter in derselben Zolltarifnummer Gegenstände von erheblich verschiedenem Wert zusammengefaßt. Auch die Auffassung, eine Gruppe dürfe nur Gegenstände von gleicher Art umfassen, kann sich nicht auf den Gesetzeswortlaut berufen. Sie könnte zudem der Ermächtigung keine Bestimmtheit geben. Es kann für die Wertbestimmung nicht entscheidend auf die Art der zu einer Gruppe zusammengefaßten Gegenstände ankommen; ausschlaggebend muß vielmehr ihre annähernde Gleichwertigkeit sein. An einer Einschränkung der Ermächtigung in dieser Richtung fehlt es aber. Die Bundesregierung hat infolgedessen Gegenstände von verschiedenem Wert in eine Gruppe aufgenommen und für sie Durchschnittswerte festgesetzt, die – wie der vorliegende Fall zeigt – vom tatsächlichen, nach § 6 Abs. 1 UStG für die Besteuerung maßgebenden Wert der Gegenstände erheblich abweichen. Die Ermächtigung eröffnet also die Möglichkeit, durch Festsetzung von Durchschnittswerten eine andere Bemessungsgrundlage für die Besteuerung einzuführen und damit die Basis der Ausgleichsteuer entscheidend zu verschieben. Der Gesetzgeber hätte aber gerade dann, wenn er durch eine Delegation den Weg zur Abweichung von grundlegenden Prinzipien des Gesetzes freimachen wollte, die Grenzen dieser Delegation besonders sorgfältig bestimmen müssen (BVerfGE 10, 251 [257]). Diesen Gesichtspunkt hat er bei der Ermächtigung, Durchschnittswerte für Gruppen von Gegenständen festzusetzen, nicht beachtet. Damit hat er es dem Staatsbürger unmöglich gemacht, vorauszusehen, welche Gegenstände vom Verordnungsgeber in Gruppen zusammengefaßt und welche Durchschnittswerte dafür festgesetzt werden können.
III.
Die der Bundesregierung in § 18 Abs. 1 Nr. 1 und § 6 Abs. 2 UStG in der Fassung der Bekanntmachung vom 1. September 1951 und des Gesetzes zur Änderung des Umsatzsteuergesetzes vom 14. November 1951 erteilte Ermächtigung, für die Bemessung der Ausgleichsteuer durch Rechtsverordnung Durchschnittswerte für bestimmte Gegenstände oder Gruppen von Gegenständen festzusetzen, war nach Inhalt, Zweck und Ausmaß nicht hinreichend bestimmt. Sie war mit Art. 80 Abs. 1 Satz 2 GG nicht vereinbar und daher nichtig.
Fundstellen
Haufe-Index 1740427 |
BVerfGE, 153 |
NJW 1963, 196 |
JR 1963, 95 |